Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte Veranstaltung am 15. Todestag: Michael Schumann zum Gedenken

Am 2. Dezember 2015 fand im Brandenburger Landtag in Potsdam eine Gedenkveranstaltung anlässlich des 15. Todestages von Michael Schumann statt.

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Wolfgang Bey,

Das hätte Michael Schumann sicher gefallen: Musik von Johann Sebastian Bach und Antonio Vivaldi, vorgetragen von Leonor Rodrigues und Alexander Psavke vom Musikschulverband Brandenburg, zu Beginn der Gedenkveranstaltung anlässlich des 15. Todestages von Michael Schumann am 2. Dezember 2015 im Brandenburger Landtag.

Eingeladen hatten  die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg, die Michael-Schumann-Stiftung und die Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg. Zur Gedenkveranstaltung waren gut 120 Weggefährten, Zeitgenossen und andere Interessierte gekommen.

Michael Schumann und seine Frau Ingeburg waren am 2. Dezember 2000 Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls geworden.

Michael Schumann hat in der PDS, der heutigen LINKEN, in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine prägende Rolle gespielt. Auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989 hatte er das Referat „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System!“ vorgetragen. Hier ging es um eine klare Absage der neu entstehenden sozialistischen Partei an den Stalinismus, gegen jeden „Aberglauben an die Möglichkeiten der staatlichen Gewaltinstrumente, die jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen waren“ und zur Begründung einer neuen Einheit von Sozialismus und Demokratie. Dieses richtungsweisende Referat spielte im Laufe der Gedenkveranstaltung immer wieder eine Rolle.

Michael Schumann verkörperte als politischer Intellektueller glaubwürdig den „Anspruch, die politische Praxis der Partei  theoretisch und ethisch zu orientieren“. Schumann tat dies ins seiner konzeptionellen Arbeit ebenso wie in seinem Wirken als Landtagsabgeordneter in Brandenburg, und hier vor allem auf den Gebieten Innenpolitik, Kommunalpolitik und Rechtspolitik.

Hohe Wertschätzung brachte Michael Schumann seine Fähigkeit zu Brückenschlägen - weit  über die eigene Partei hinaus – auch in anderen demokratischen Parteien und bei vielen Bürgerinnen und Bürgern. 

Der Publizist Wolfram  Adolphi würdigte Michael Schumann mit Worten des Gedenkens. Er knüpfte dabei an seine persönlichen Erinnerungen an Schumann an.  Adolphi bekam den Auftrag der damaligen PDS-Fraktion im Brandenburger Landtag, Texte von Michael Schumann zu sichten und in einem Diskussionsband Reden, Aufsätze und Entwürfe 1989 -2000 herauszugeben. Das erfolgte dann 2004 im Karl Dietz Verlag Berlin unter dem Titel „Michael Schumann. Hoffnung PDS“.

Wolfram Adolphi erinnerte am Beispiel Schumann-Texten an dessen streitbaren Geist. So hatte Schumann (unter Mitarbeit von Nadja Rosenblum) 1998 eine vielbeachtete Rezension zum „Schwarzbuch des Kommunismus“ (von S. Courtois, N. Werth, J.-L. Panne, A. Paczkowski, K. Bartosek, J.-L. Margolin) geschrieben. Der Titel der Rezension lautet: „Weltgeschichte als Kriminalgeschichte. Nach der Lektüre des ‚Schwarzbuch des Kommunismus‘“.  Schumann mahnte an, so Wolfram Adolphi, dass es hier keine differenzierte Darstellung gegeben habe, die Verkürzung  der Geschichte des Kommunismus auf die Verbrechen, die nicht kleingeredet werden sollen, reiche nicht aus, der Blick auf die Geschichte des Kommunismus müssen viel umfassender sein. Schumann hat aber trotz seiner Kritik das Buch zur Lektüre empfohlen.

Als weiteren Beleg für das Wirken von Michael Schumann nannte Wolfram Adolphi dessen Beitrag zu einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Der Rechtsextremismus und die Gegenwartsgesellschaft“ am 18. November 2000 in Frankfurt/Oder, gehalten also etwa vierzehn Tage vor Schumanns tragischem Tod.  Schumann hatte auf die Erfordernisse in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus verwiesen, so auf die Grundaufgaben in der Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit und der demokratischen Kultur. Wolfram Adolphi verwies auf die Aktualität der Schumann-Texte, auch des Rechtsextremismus-Textes, und empfahl, die Texte als Aufforderung zu sehen, mit Michael Schumann in der Diskussion zu bleiben.

Die Gedenkfeier wurde fortgesetzt mit Videobeiträgen (Auszüge aus Schumanns Stalinismus-Referat auf dem Außerordentlichen Parteitag 1989, aus seiner Landtagsrede vom 16.11.2000 zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, aus dem Beitrag des ORB vom 2.12.2000 zum Tod von Michael Schumann mit ersten Stimmen von Lothar Bisky und Landtagspräsident Herbert Knoblich).

In den zitierten Schumann-Reden – das kam auch in der folgenden Gesprächsrunde mehrfach zum Ausdruck – wurde Schumanns Fähigkeit deutlich, harte Kritik zu äußern, aber sachlich zu bleiben und die menschliche Würde des Kontrahenten nicht  zu verletzen. 

Die sich anschließende Gesprächsrunde wurde von Heinz Vietze, Vorstand der Michael-Schumann-Stiftung, eingeleitet. Er dankte Wolfram Adolphi für seine Schumann-Würdigung. Heinz Vietze erinnerte an das Zustandekommen des „Stalinismus-Referates“ zum Außerordentlichen Parteitag  1989 im Auftrag des Arbeitsausschusses unter seiner Leitung, das dann – einvernehmlich festgelegt - von Michael Schumann vorgetragen wurde.

Zur Gesprächsrunde begrüßte Heinz Vietze Menschen, die mit Michael Schumann eng zusammengearbeitet haben:  Britta Stark (SPD), Präsidentin des Brandenburger Landtages, lange Zeit als Innenpolitikerin Gesprächspartnerin von Michael Schumann, Peter-Michael Diestel (CDU), Rechtsanwalt, seinerzeit Fraktionsvorsitzender der CDU, mit Michael Schumann besonders in Verfassungsfragen und anderen innenpolitischen Themen verbunden, Gregor Gysi , MdB, langjähriger Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag und Dietmar Bartsch, MdB, heutiger Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag, beide seinerzeit mit Michael Schumann, Lothar Bisky, Andre Brie und Heinz Vietze im „Küchenkabinett der PDS“.  Es war also ein Paket Zeitgeschichte im Podium versammelt.

Gefragt, was zu den intensivsten Erinnerungen an Michael Schumann zählt, gab es diese Anmerkungen:  Britta Stark hob die gemeinsame Arbeit im Verfassungs- und im Innenausschuss hervor. Sie nannte Schumanns Leidenschaftlichkeit, Sachlichkeit, er war klug und pragmatisch. Peter-Michael Diestel konnte seinen Neid auf die Linke nicht verhehlen, eine solche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sei aus seiner Sicht in der CDU und in der SPD nicht möglich. Diestel nannte Schumann den brillantesten Redner in seiner Zeit. Er schätze sein methodisches Herangehen, vor allem, die Würde des Andersdenkenden immer hoch zu halten. Das Referat zum Stalinismus auf dem Außerordentlichen Parteitag, von Michael Schumann vorgetragen, habe einen nicht zu überschätzenden historischen Rang.

Dietmar Bartsch bezeichnete Michael Schumann als eine große Stütze im damaligen Parteivorstand. Bartsch erinnerte daran, dass am Tag der heutigen Gedenkveranstaltung vor 21 Jahren der Hungerstreik von führenden PDS-Funktionären – darunter auch Michael  Schumann – gegen die Versuche begann, die Partei mit Bescheiden des Finanzamtes in die Knie zu zwingen.

Dietmar Bartsch meinte, die Worte, es gibt Menschen, die nicht zu  ersetzen sind, werden oft als Floskel gebraucht, für Michael Schumann treffen diese Worte aber unzweifelhaft zu.

Gregor Gysi (wie Michael Schumann und Peter-Michael Diestel Rinderzüchter mit Abitur) stufte Michael Schumann als hochintelligent ein, als einen Menschen, mit seinen Argumentationen fast immer recht hatte, fast immer genial, differenziert in seinen Einschätzungen, mit Humor von hohem Grade ausgestattet, eine wichtige Stütze in der Arbeit der Partei.

Heinz Vietze erinnerte an Schumanns letzte Rede im Brandenburger Landtag im November 2000 und empfahl, die Aktualität von Schumanns Rede für heute zu bedenken. Seinerzeit hatte die PDS eine Sondersitzung des Landtages zum Rechtsextremismus beantragt, in der dann Schumann gesprochen hatte. Der Beitrag von Michael Schumann in der Brandenburger Verfassungsdiskussion müsse gesehen werden, in der Demokratie-Entwicklung, im Umgang mit der Vergangenheit  „mit menschlichem Maß“.

Peter-Michael Diestel meinte, Michael  Schumann habe das Politik-Gebaren in Brandenburg wesentlich geprägt, vor allem durch seine Kompetenz, sein großes Wissen. Er – Diestel – habe dabei viel lernen können. „Mit Menschen wie Schumann, Bisky, Vietze an meiner Seite wäre ich schon zehn Jahre Bundeskanzler“.

Auf die Frage, ob es überhaupt keine „schlechten“ Eigenschaften bei Michael Schumann gegeben habe, nannte Heinz Vietze, mitunter sei eine gewisse Rechthaberei nicht zu übersehen gewesen.

Aber zurück zu den würdigenden Aussagen:  Gregor Gysi stellte fest, Michael Schumann sei immer auf Argumente des Anderen eingegangen, mit politischer Dimension, nie verbissen. Dietmar Bartsch erinnerte daran, dass Brandenburg unter den östlichen Bundesländern lange Zeit das einzige Land mit SPD-Regierung gewesen sei. Die politische Kultur in Brandenburg sei auch von der damaligen PDS und Persönlichkeiten wie Michael Schumann geprägt worden, und ist dann auch ein Stück politischer Kultur in der PDS insgesamt geworden.  Schumann war streitbar, gleichzeitig unheimlich tolerant, bis auf einen Punkt: Dummheit.

Schumann konnte, so Britta Stark, gelegentlich auf eine Wortmeldung verzichten, wenn schon alles gesagt war, leider eine sehr seltene Eigenschaft in der Politik, meinte die Landtagspräsidentin.

Angesprochen wurde noch einmal das Stalinismus-Referat auf dem Außerordentlichen Parteitag 1989. Peter-Michael Diestel bezeichnete das Auftreten von Michael Schumann als außerordentlich mutig und klug, das Referat habe weit über die PDS hinaus gewirkt.

Gregor Gysi plädierte dafür, das Stalinismus-Referat weiter zu nutzen.  Dabei muss kritisch mit der eigenen Geschichte umgegangen werden, die Strukturmängel im Stalinismus, in der Gesellschaft,  gesehen werden, nicht nur die einzelnen Persönlichkeiten, obwohl sie mitunter eine wichtige Rolle spielen können. Die Linke in Europa muss einen langen Atem haben, dabei muss auch auf die nächste Generation gesetzt werden. Es geht aber nur mit Rechtstaatlichkeit und Demokratie.   Mehrheiten müssen gewonnen werden.

Britta Stark verwies auf verschiedene Möglichkeiten, mit Geschichte umzugehen. Wichtig sei, inhaltliche Positionen zu bewahren, so zum Beispiel von Regine Hildebrandt.

Dietmar Bartsch konnte auf das Wirken von Michael Schumann in der Historischen Kommission Bezug nehmen. Dabei ging es um Geschichte als Instrument der politischen Auseinandersetzung. Schumann trat deutlich dafür ein, dass zum Verständnis einer sozialistischen Partei unbedingt der Umgang mit ihrer Geschichte und Vorgeschichte gehört.

Heinz Vietze stellte fest, die Erfahrungen mit Michael Schumann wirkten immer noch nach. Die Unterlagen zu Michael Schumann sind heute im Archiv des demokratischen Sozialismus der Rosa-Luxemburg-Stiftung deponiert und können dort genutzt werden.

Auf den 25. Jahrestag der Rosa-Luxemburg-Stiftung verweisend, der vor einigen Tagen begangen wurde, konnte Heinz Vietze daran erinnern, welche bedeutenden Schritte die Linke und ihre Stiftung in den vergangenen Jahren gegangen sind, auch in der gesellschaftlichen Anerkennung. Daran habe auch Michael Schumann, seinerzeit Kuratoriumsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung, seinen Anteil. So sei es zum 25jährigen Jubiläum der Rosa-Luxemburg-Stiftung selbstverständlich, dass dort die Geschäftsführer der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und Vertreter von Bundesministerien, mit denen die Stiftung zusammenarbeitet, erscheinen. Michael Schumanns Vorstellung, keine Ausgrenzung in der Gesellschaft zuzulassen, habe sich zum Teil erfüllt.

Abschließend gab Heinz Vietze Informationen über das Vorhaben in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, für eine effektivere Geschichtsarbeit in der politischen Bildung eine unselbständige Treuhandstiftung „Erinnerung und Gedächtnis des demokratischen Sozialismus“ zu gründen. Dort könnten beispielsweise die Michael-Schumann-Stiftung und die Wolfgang-Abendroth-Stiftungsgesellschaft zusammenwirken.

Text von Wolfgang Bey.