Nachricht | Westeuropa - Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Die interessantesten Wahlen seit über 30 Jahren

Der große Politikwechsel wird in Spanien bei den Wahlen am 20. Dezember wohl ausbleiben. Aber auch wenn die Linke die Wahlen nicht gewinnt, wird sich die politische Krise vermutlich weiter verschärfen.

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Raul Zelik,

Die Bewegungspartei PODEMOS liegt laut aktuellen Umfragen (nach einem sensationellen Hoch Ende 2014) mit 17 bis 19 Prozent deutlich hinter den regierenden Konservativen und der sozialdemokratischen Oppositionspartei PSOE.

Doch noch entscheidender als diese nach wie vor beeindruckenden Umfragewerte für die erst Januar 2014 gegründete Partei ist die Tatsache, dass PODEMOS zentrale inhaltliche Positionen aufgegeben hat, um sich als verlässliche und staatstragende Reformkraft zu profilieren. Von einer Überwindung der postfranquistischen Verfassung von 1978 oder einer Opposition gegen die Austeritätspolitik der EU ist nicht mehr die Rede. Selbst wenn es zu einer Mitte-Links-Regierung von PODEMOS und PSOE käme, wäre also keine grundlegend andere Politik zu erwarten.

Trotzdem sind die Wahlen am kommenden Sonntag die interessantesten in Spanien seit drei Jahrzehnten. Nachdem die Platzbesetzungen der 15M-Bewegung 2011 deutlich machten, wie sehr die spanische Gesellschaft ihrer politischen Klasse misstraut, ist das traditionelle Parteiensystem weiter erodiert. Nur noch etwa 45 Prozent der WählerInnen bekennen sich zu den Volksparteien PP und PSOE. Neben PODEMOS auf der Linken gibt es mit den neoliberalen, spanisch-nationalistischen Ciudadanos (Bürger) auch eine neue Partei der politischen Rechten, die etwa genauso viele Stimmen wie PODEMOS erhalten dürfte. Die große Frage lautet vor diesem Hintergrund, ob es – neben einer großen Koalition aus PP und PSOE, die von den Sozialdemokraten allerdings abgelehnt wird – überhaupt eine Regierungsmehrheit im neuen Parlament geben wird. Nach der letzten Umfrage der Tageszeitung El País kommen PP und Ciudadanos zusammen auf etwa 170, PSOE und Podemos gemeinsam auf etwa 150 der 350 Parlamentssitze.

Da die Linkspartei Izquierda Unida als kleine spanienweite Partei vom Wahlsystem benachteiligt wird und nur mit 3 bis 4 Sitzen rechnen kann, werden etwa 30 Abgeordnete von regionalistischen Parteien aus Katalonien, dem Baskenland und anderen Regionen zum Zünglein an der Waage werden. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Ergebnis in Katalonien zu, wo die Liberal-Konservativen von Ministerpräsident Artur Mas ihre Vormachtstellung erstmals an die Linke verlieren könnten. Sowohl das von der Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau unterstützte Linksbündnis En Comú Podem als auch die Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana de Catalunya könnten die liberalkonservative Democràcia i Llibertat von Ministerpräsident Mas überflügeln. Da das katalanische Parlament vor wenigen Wochen die Loslösung von Spanien und die Gründung einer Republik beschlossen hat, ist das Ergebnis in Katalonien auch als Stimmungsbarometer für die weitere politische Ausrichtung der Unabhängigkeitsbewegung zu verstehen.

Aus linker Perspektive interessant wird auch das Abschneiden der baskischen Unabhängigkeitslinken EH Bildu sein, deren Vorsitzender Arnaldo Otegi trotz seines Eintretens für den baskischen Friedensprozess nach wie vor in Spanien im Gefängnis sitzt. 2011 hatte EH Bildu sensationelle 25 Prozent im Baskenland erreicht und war damit fünftstärkste Fraktion im spanischen Parlament geworden. Diesmal werden der weiterhin von Verbot bedrohten Linkspartei empfindliche Stimmverluste vorhergesagt.

Selbst wenn ein großer Politikwechsel also nicht zu erwarten ist, sind die Wahlen ein interessanter Indikator für die Frage, ob die politische Krise in Spanien nach dem Abflauen der Protestbewegungen auf der Straße weitergehen wird. Noch ist die Situation völlig offen.