Nachricht | Afrika - Nordafrika - Staat / Demokratie - Partizipation / Bürgerrechte Aktionstag gegen Rassismus in Tunesien

Schwarze TunesierInnen sehen sich als BürgerInnen zweiter Klasse

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Tunesien ist stolz auf seine wechselhafte Geschichte. Das Land ist ein lebendiges Museum von den punischen Besiedlungen über die Fatimiden bis zum Arabischen Frühling, und diese vielfältigen Einflüsse sind sicherlich ein Grund für die gerühmte tunesische Bereitschaft zur Konfliktlösung durch den Kompromiss. Leben und leben lassen ist hier eine Devise, mit der geworben wird.

Schwarze Tunesierinnen und Tunesier, etwa 15 Prozent der Bevölkerung, sehen das jedoch ganz anders. Sie beklagen sich über den Rassismus auf der Straße und in den Institutionen. Zwar wurde die Sklaverei im Jahre 1846 abgeschafft – Jahre vor diesem Schritt in den USA oder vielen europäischen Kolonien –, ein Überbleibsel dieser Zeit ist jedoch heute noch in offiziellen Dokumenten gegenwärtig. So tragen die Nachkommen ehemaliger SklavInnen noch heute den Namen des „Besitzers“ ihrer Vorfahren, der der Bezeichnung „Atiq“ („befreit von“) folgt.

Diese sehen sich deshalb zurecht als StaatsbürgerInnen zweiter Klasse behandelt. Auch angesichts der Redeweise vieler TunesierInnen drängt sich der Eindruck auf, dass Rassismus weit verbreitet ist. Verunglimpfende Bezeichnungen für die schwarzen MitbürgerInnen bis hin zum Sammelbegriff „Sklaven“ sind keine Seltenheit. Selbstorganisationen schwarzer TunesierInnen sehen eine fast vollständige Ignoranz der Thematik durch die Gesellschaft.

Selbstorganisationen wie Mnemty („mein Traum“) setzen sich für einen Schutz gegen Rassismus ein. Ein neues Gesetz besagt zwar, dass alle BürgerInnen vor dem Gesetz gleich sind. Dies ist jedoch offensichtlich zu wenig für eine vollständige Gleichstellung. Mnemty fordert deshalb ein spezielles Gesetz gegen Diskriminierung auf der Basis ethnischer Herkunft. Schwarze bewerben sich oft vergeblich in verschiedenen Berufen. Auf gesellschaftlicher Ebene sind Ehen zwischen schwarzen und anderen TunesierInnen geradezu ein Tabu. Hier wären staatliche Bildungsprogramme in der Pflicht, jedoch war bisher das Gegenteil der Fall. In einem Ort im Bezirk Medenine wurden im Jahr 2000 auf gesellschaftlichen Druck hin nach „Rassen“ getrennte Schulbusse eingeführt, angeblich nachdem dort eine sogenannte Mischehe geschlossen wurde. Schwarze SchülerInnen werden in speziellen Bussen gefahren. Dies soll Liebesbeziehungen zu nicht-schwarzen Jugendlichen verhindern. Diese Busse existieren bis heute.

Besonders ernüchternd ist, dass sich auch zivilgesellschaftliche Organisationen nicht mit der Thematik beschäftigen, so Saadia Mosbah, die Leiterin von Mnemty. „Wir stoßen bei ihnen auf taube Ohren, wenn es um rassistische Angriffe geht.“ Eine solche Attacke wurde im letzten Dezember an einer Schule verübt. Ein Lehrer beschuldigte eine schwarze Schülerin, schlechten Geruch in der Klasse zu verbreiten. Sie musste ihre Schuhe und ihre Hose ausziehen. Eine nach Protesten unternommene Untersuchung durch das Bildungsministerium konnte keine rassistische Handlung feststellen.

Die Vorwürfe von Mnemty gegen die tunesische Zivilgesellschaft trieb am 21. März, dem internationalen Tag gegen Rassismus, seltsame Blüten. Eine Reihe der großen, etablierten Organisationen stellten auf einer Pressekonferenz einen antirassistischen Gesetzesentwurf vor. Mnemty jedoch erfuhr erst an diesem Tag von der Initiative und der Pressekonferenz, die Saadia Mosbah dann dazu nutzte, vor der versammelten Presse auf die Ignorierung der Selbstorganisationen schwarzer TunesierInnen hinzuweisen. Mnemty und andere organisierten an diesem Tag selbst, mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, eine Veranstaltung auf der Avenue Habib Bourgiba, der Prachtstraße der Hauptstadt. Das Interesse der Bevölkerung und die entstandenen Diskussionen zeigten positives Interesse und gesellschaftliches Veränderungspotenzial auf. Jetzt geht es darum, die Parlamentsparteien zu einer Gesetzesinitiative für die geforderte vollständige Gleichstellung aller TunesierInnen zu bewegen.

Peter Schäfer leitet das Nordafrikabüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tunis