Nachricht | Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Leicht gebremst für die europäischen Integration

Jochen Weichold über das 24. Council-Meeting der European Green Party Mitte Mai 2016 in Utrecht

„Die Grünen sind wie meine Kinder. Sie meckern ständig, sind immer unzufrieden“, klagte Valère Moutarlier, ein hochrangiger Vertreter der Europäischen Kommission, auf einer Konferenz zum Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung am Rande der 24. Rats-Tagung (Council Meeting) der European Green Party (EGP), die vom 20. bis zum 22. Mai 2016 in Utrecht (Niederlande) stattfand. Er würde gerne einmal für das bisher auf dem Gebiet der Steuerpolitik Erreichte gelobt werden.

Der Grüne Bas Eickhout, ein Europa-Abgeordneter der niederländischen Partei GroenLinks, entgegnete dem Kommissionsvertreter, wenn dieser seine Kinder bitten würde, ihn zu loben, würden die wohl kaum auf ihn hören. Eickhout könne sich vorstellen, den Vertreter der Europäischen Kommission dann zu loben, wenn dieser mehr Transparenz walten lasse und Ross und Reiter beim Namen nenne, nämlich die Vertreter jener Staaten, die dem Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung immer wieder Steine in den Weg legten und faule Kompromisse aushandelten. Dann könne die Öffentlichkeit entsprechenden Druck ausüben.

Zentrale Themen der 24. EGP-Rats-Tagung waren allerdings nicht Steuerfragen. Im Zentrum standen vielmehr die Zukunft Europas (insbesondere diejenige der Europäischen Union [EU]), die aktuelle Flüchtlingskrise sowie die Energiepolitik und die Carbon-Divestment-Bewegung. Die EGP-Führung hatte die Ratstagung unter das Motto „Ergrünen Europas: Gemeinsame Bedrohungen, gemeinsame Kämpfe“ gestellt.

In der Eröffnungssitzung des Council Meetings unterstrich die Co-Vorsitzende der EGP, Monica Frassoni, die pro-(EU-)europäische Position der European Green Party. Angesichts der Zunahme euroskeptischer Stimmungen meinte sie, es sei gegenwärtig zwar eine schwierige Zeit, sie sei aber nicht hoffnungslos. Es gelte insbesondere den demokratischen Diskurs in der Europäischen Union zu erneuern.

Philippe Lamberts, Co-Präsident der Fraktion The Greens/European Free Alliance (Greens/EFA) im Europäischen Parlament, konstatierte, dass die EU derzeit in keiner guten Verfassung sei. Mit dem Blick auf Österreich hoffte er, dass der Grüne Alexander van der Bellen die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gegen den Rechtspopulisten Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gewinnt. In diesem Kontext betonte er, dass das Thema soziale Gerechtigkeit heute die entscheidende Frage sei. Hier bräuchten die Grünen ökonomische Glaubwürdigkeit, diese Frage lösen zu können. Glaubwürdigkeit aber könne man nicht einfach beanspruchen, man müsse sie sich erarbeiten. Auch für die Grünen sei die Zeit der Avantgarde-Bewegungen vorbei. Die Grünen müssten nun Brücken in die Zivilgesellschaft bauen.

Die Führung der EGP war bestrebt, schon durch die Programmgestaltung der Ratstagung (EU-)europafreundliche Positionen stärker in der EGP zu verankern und (EU-)europaskeptische Stimmungen – insbesondere hinsichtlich der Zukunft Europas – zurückzudrängen. Das wurde bereits beim ersten Plenum deutlich, das – wie später ein Delegierter der Green Party of England and Wales kritisch anmerkte – nur Vertreter der EU-befürwortenden europäischen Eliten auf dem Podium versammelte, nicht aber auch Vertreter europaskeptischer Bevölkerungsteile. Über die Frage „Was hält Europa zusammen?“ diskutierten Charles Grant (Direktor des Centre for European Reform, Großbritannien), Flavia Kleiner (Co-Präsidentin der Bewegung Operation Libero, Schweiz), Daniela Schwarzer (Direktorin des Europe Program German Marshall Fund of the United States, Deutschland) und Yves Bertoncini (Direktor des Jacques Delors Institute, Frankreich). Der EGP-Co-Vorsitzende Reinhard Bütikofer konstatierte als Moderator am Ende der Debatte, dass es offensichtlich keine einheitliche Antwort auf die Frage gibt, was Europa zusammenhält. Die Antwort falle je nach Standpunkt unterschiedlich aus.

Daniela Schwarzer hielt die EU für ein halbfertiges Projekt, das weiterentwickelt werden müsse. Der Report der Präsidenten der EU-Institutionen sei in dieser Hinsicht ein wichtiger Schritt gewesen, um die EU zu stärken und die europäische Integration zu vertiefen. Schwarzer betonte, dass kein Land allein die anstehenden Probleme lösen könne. Wenn wir mit schwierigen Herausforderungen konfrontiert seien und wenn wir über die Zukunft der EU nachdenken, dürften wir die europäische Vergangenheit nicht vergessen, die durch zwei verheerende Weltkriege gekennzeichnet ist. Nach Auffassung Schwarzers habe die Europäische Zentral-Bank (EZB) die Eurozone während der Finanzmarktkrise zusammengehalten. Ihre Schlussfolgerung für den künftigen Zusammenhalt der EU: „Wir müssen die Gemeinsamkeiten mobilisieren!“

Auch Yves Bertoncini und Charles Grant zeigten sich hinsichtlich der Zukunft der EU optimistisch. Die Euro-Zone trage faktisch bereits den Charakter einer Föderation. Auch die Banken-Union – so Bertoncini – sei ein weiterer Schritt in diese Richtung. Schengen bedeute Freiheit – nicht nur für die Eliten, sondern für die breiten Massen. Aufkommende Ängste in der Bevölkerung angesichts der Flüchtlingskrise dürften nicht Populisten und der autoritären Rechten überlassen werden. Grant kritisierte in diesem Kontext die Austeritäts-Politik des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble, die mit ihren Auswirkungen insbesondere in Griechenland die Zustimmungswerte in der Bevölkerung zur EU abstürzen ließen.

Flavia Kleiner zeigte sich ebenfalls besorgt über den in Europa aufsteigenden Populismus und die Raum greifenden autoritären Träume. Man müsse dem durch die Formulierung einer freudvollen Vision hinsichtlich der Zukunft Europas begegnen. Und sie skizzierte (EU-)Europa als gemeinsames, gemütliches Heim, in dem man gern lebt. In dem Kontext betonte sie, dass Demokratie des Vertrauens der Bürger in ihre Repräsentanten bedürfe. Deren Glaubwürdigkeit sei eine wesentliche Voraussetzung dafür.

In der anschließenden Sitzung der Arbeitsgruppe zur Zukunft Europas zeigte sich, dass der wachsende Euroskeptizismus auch an den Mitgliedsparteien der EGP nicht spurlos vorbeigegangen ist. Zwar betonte der Vertreter der serbischen Grünen, das für die Bevölkerung der von Kriegen gebeutelten Balkanstaaten die Europäische Union das Friedensprojekt par excellence verkörpere, doch die Delegierten der grünen Parteien Schwedens, Österreichs, Griechenlands und Englands hoben hervor, dass die EU derzeit in ihren Ländern ein schwieriges Thema sei und der Euroskeptizismus zunehme. Eine Politikerin der Green Party of England and Wales sagte, dass in ihrem Wahlkreis 80 Prozent der Leute gegen die EU seien. Max Andersson von der schwedischen Miljöpartiet de Gröna hielt sich zugute, bei der Diskussion des Entwurfs der Resolution der EGP zur Zukunft Europas den Schaden für seine Partei begrenzt zu haben, der durch zu EU- und Euro-freundliche Positionen entstehen könnte, wenn diese als Steilvorlage für den innenpolitischen Gegner genutzt werden könnten.

Das wollte Monica Frassoni so nicht im Raum stehen lassen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass grüne Parteien, die sich offensiv zur EU positioniert hätten, politische Erfolge – auch in Gestalt von Wählerstimmen – hätten einfahren können. Allerdings erkannte sie an, dass dann, wenn die arbeitenden Menschen in Deutschland, Österreich oder Schweden glaubten, sie tun so (oder zu) viel für die Krisenstaaten, und die Leute in Griechenland, Portugal oder Spanien zu der Auffassung kämen, sie müssten für die EU bluten, die Legitimität der Europäischen Union ernsthaft beschädigt wird.

In der Plenardebatte „Europa quo vadis?“, die den vielversprechenden Untertitel „Fakten, Ideen und Allianzen, um den europäischen Traum zurückzubringen“ trug, blieb der große Wurf aus. Das, was Olivier de Schutter (Professor an der Université Catholique de Louvain, Belgien), Oriol Costa (Assistenz-Professor an der Autonomen Universität Barcelona, Spanien) und Amelia Womack (Stellvertretende Vorsitzende der Green Party of England and Wales, Großbritannien) vortrugen, blieb hinsichtlich des Themas eher vage und allgemein. Philippe Lamberts wiederholte lediglich seine bereits in der Eröffnungssitzung vorgetragenen Ideen und sagte, er wolle Souveränität für die Demokratie. „Wir Grünen wollen keinen Superstaat Europa. Wir sind Föderalisten.“ Und de Schutter assistierte, Europa müsse als Gemeinwesen entwickelt werden. Einig waren sich die Diskutanten darin, dass die anstehenden Probleme – von der Flüchtlingskrise bis zum Klimawandel und seinen ökonomischen Auswirkungen – auf der europäischen Ebene effektiver angegangen werden können als durch nationale Alleingänge.

In der vom 24. Council Meeting beschlossenen Resolution zur Zukunft Europas „Die Europäische Union auf der Kippe – Zeit, Mut zu zeigen“ sehen die europäischen Grünen die EU zwar in einer äußerst schwierigen Lage, glauben aber, dass es möglich sei, die Situation in eine Chance verwandeln zu können. Sie kritisieren, dass sich seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 die Regierungen der Mitgliedsstaaten und die Europäische Kommission lediglich von Gipfel zu Gipfel gehangelt haben, unfähig, angemessen auf die verschiedenen Herausforderungen zu antworten. Zwar hätten sie zu wenig, zu spät, zu vereinzelt, zu technokratisch reagiert, aber immer noch stark genug und zu notwendig, um aufgegeben zu werden. „Die Notwendigkeit eines vereinten Europas ist der Grund, warum wir die EU ändern wollen.“

Die europäische Konstruktion müsse ein gemeinsames Projekt und eine gemeinsame Perspektive sein, eine demokratische Union, die auf gemeinsamen Werten basiert und deren Selbstzweck nicht in Währungen endet, sondern ein Instrument, um eine gerechte, sichere und nachhaltige Gesellschaft aufzubauen. Es bedürfe mehr als eines gemeinsamen Marktes oder einer einheitlichen Währung, um den Frieden zu festigen, die Globalisierung zu zähmen, Bürger- und Menschenrechte zu verteidigen und einen Übergang zu einem nachhaltigen grünen Wirtschafts- und Sozialsystem zu organisieren. Keine dieser entscheidenden Herausforderungen könne mit einer Rückkehr zu Nationalismus und Chauvinismus bewältigt werden. Es sei Zeit, „Kampfgeist zu zeigen und einen tapferen Kampf um den europäischen Traum zu wagen“.

Die Austeritäts-Politik habe zum Stillstand vieler Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsstaaten geführt und dazu beigetragen, die europäischen Versprechen eines gemeinsamen Wohlstandes untergraben. Sie „brachte Ressentiments und Vorurteile zwischen den Europäern zurück und höhlte den Wert der Solidarität aus“. „Wir erleben das Gefühl einer wachsenden Distanz zwischen technokratischen Eliten und Bürgern. Aber gegen Austeritäts-Politik und Technokratie zu sein, reicht nicht aus, unser Schicksal zu wenden: Wir müssen in der Tat eine neue Zukunft auf der Grundlage der Nachhaltigkeit innerhalb der planetarischen Grenzen aufbauen.“ Im Rahmen einer breiteren demokratischen Reform, mit der das derzeitige Defizit von Entscheidungsfähigkeit und Legitimität überwinden werden könne, müsse die EU ihre wirtschaftspolitische Steuerung ändern. Erforderlich sei eine Roadmap mit einem Zeitplan für eine Reform der Europäischen Währungsunion, einschließlich ihrer Demokratisierung. Insbesondere sei es notwendig, die Macht der Euro-Gruppe zu begrenzen, ihre undurchsichtigen, informellen Verfahren und unkontrollierbaren Entscheidungen abzuschaffen und sie an die Regeln der normalen EU-Entscheidungsfindung zu binden. Darüber hinaus müsse das Europäische Parlament in die Lage versetzt werden, sich in vollem Umfang am Entscheidungsprozess zu allen wirtschaftlichen und finanziellen Fragen zu beteiligen.

Die European Greens plädieren erneut für einen „Green New Deal“ als Kern ihrer europäischen wirtschafts- und sozialpolitischen Agenda. Dies sei der vielversprechendste Weg, um qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und innovative Wirtschaftszweige zu schaffen, in denen individuelle Initiativen, eine bessere Verteilung der Gewinne und technologische Innovationen mit der Notwendigkeit eines ökologischen Wandels und einer ambitionierten nachhaltigen Investitionspolitik kohärent sind. Eine neue europäische Investitionsstrategie sollte sowohl Ressourcen- und Energieeffizienz fördern, als auch soziale Gerechtigkeit sichern. Die EU sollte endlich ihre Verantwortung für die Bewältigung der globalen Klimakrise wahrnehmen.

Abschließend erinnern die europäischen Grünen „in diesen unruhigen Zeiten, wenn so viele am Wert unserer gemeinsamen Anstrengung zweifeln“, an das Manifest von Ventotene, das eine Gruppe von jungen Gefangenen des italienischen faschistischen Regimes um Altiero Spinelli 1941 schrieb, in der Mitte des Zweiten Weltkrieges, als der Faschismus nicht mehr aufzuhalten schien: „Ein freies und vereintes Europa ist die unausweichliche Voraussetzung für die Durchsetzung der modernen Kultur, deren Entwicklung die totalitäre Epoche aufgehalten hat.“[1] Die European Greens betonen: „Es ist unsere Pflicht, dieses Projekt weiter zu verteidigen.“

Mit der Flüchtlingskrise befassten sich eine Plenardebatte unter dem Titel „Flüchtlinge: Herausforderung für Europa“ und die Arbeitsgruppe zur Außen- und Sicherheitspolitik. In der Plenardebatte diskutierten die Senatorin Tineke Strik (GroenLinks, Niederlande), Co-Parteichef Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen, Deutschland), der ehemalige Europa-Abgeordnete Joost Lagendijk (GroenLinks, Niederlande), die deutsche Europa-Abgeordnete Ska Keller (Bündnis 90/Die Grünen), François Gemenne (Präsident von Ecosphere, Belgien) und Mauro Garofalo (Leiter internationale Beziehungen in der Gemeinschaft Sant’Egidio, Italien) darüber, wer die Menschen sind, die nach Europa kommen, und worin die Fluchtursachen bestehen. Sie analysierten Trends und Realitäten von Flucht und Migration und gingen der Frage nach, warum dies strukturelle Elemente unserer Gesellschaften sind und wie sie gestoppt werden könnten. Sie befassten sich mit der Frage, wie die EU diese Problematik ohne Desintegration managen könne und wie die negativen Perzeptionen von Migration und Flüchtlingen umgekehrt werden könnten.

François Gemenne unterstrich, dass Migration ein strukturelles Element des 21. Jahrhunderts ist. Auch die Sicherung der Außengrenzen der EU werde Migration nicht verhindern können. Die EU müsse sich auf dieses Problem einstellen.

Einig waren sich insbesondere Tineke Strik, Joost Lagendijk und Ska Keller in ihrer Kritik am EU-Türkei-Deal zur Flüchtlingsfrage. Dieser Deal bringe keine wirkliche Lösung der Flüchtlingskrise, so Strik. Die Flüchtlinge werden sich andere, gefährlichere Routen suchen, um nach EU-Europa zu kommen. Zudem werde es bei diesem Deal nicht bleiben. Man müsse damit rechnen, dass weitere Vereinbarungen mit nordafrikanischen Staaten folgen werden. Ska Keller erklärte, der Kern des EU-Türkei-Deals bestehe darin, dass EU-Staaten syrische Flüchtlinge, die aus der Türkei kommen, in die Türkei zurückschicken, und die Türkei diese Flüchtlinge nach Syrien abschiebt. „Das ist nicht akzeptabel. Das ist eine Katastrophe!“

Lagendijk und Özdemir kritisierten im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Deal die Drangsalierung der demokratischen Opposition in der Türkei, die Einschränkung der Pressefreiheit und die Aufhebung der Immunität der kurdischen Abgeordneten. Özdemir unterstrich, es sei ein großer Fehler der CDU/CSU in Deutschland gewesen, in einer Zeit, als sich die Türkei auf dem Weg zur Demokratie befand, Verhandlungen über einen Beitritt des Landes zur EU abgelehnt zu haben. Aber nun, wo sich die Türkei zu einem autoritären Staat entwickelt, mit Erdogan einen solchen Deal auszuhandeln, bedeutet, dessen Regime aufzuwerten und zu stützen – gegen die demokratischen Kräfte in diesem Land.

Özdemir machte sich in der Debatte für eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise stark. Er erinnerte jedoch gleichzeitig daran, dass der deutsche Innenminister zu einem Zeitpunkt, als Italien mit Lampedusa ein schwieriges Flüchtlingsproblem bewältigen musste, behauptet hatte, das sei kein europäisches, sondern ein italienisches Problem. So könne europäische Solidarität nicht aussehen.

Sowohl die Diskussion im Plenum als auch diejenige in der Arbeitsgruppe zur Außen- und Sicherheitspolitik erschöpften sich in der Analyse des Syrien-Konflikts, in der Darstellung der Lage der Flüchtlinge und in der Kritik an der aktuellen EU-Politik auf diesem Feld. Nennenswerte Lösungsvorschläge für den Konflikt und damit für die Verbesserung der Lage der Flüchtlinge, die über die bereits bekannten Positionen („europäische Lösung der Flüchtlingskrise“, Einfordern von Solidarität und Common Sense) hinausgingen, waren nicht zu vernehmen.

In der bereits oben erwähnten Resolution der EGP-Ratstagung zur Zukunft Europas betonen die europäischen Grünen, dass es falsch sei, in einer Welt, in der heute mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, zu Grenzkontrollen zurückzukehren und reale oder imaginäre Zäune zwischen den EU-Ländern zu errichten. Grenzen seien zwar eine Realität, aber zu versuchen, sie undurchdringlich zu machen, sei nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern auch politisch wirkungslos und wirtschaftlich verheerend. Dies verletze unsere Werte der Menschenrechte und der Freiheit, wie sie durch internationales und EU-Recht verankert sind, und könne unsere Sicherheit nicht garantieren. Ein solches Vorgehen erhöhe das menschliche Leid der Flüchtlinge, die gestrandet sind, und habe absurde wirtschaftliche Kosten. Mit den 106 Millionen Euro, die Ungarn in seine Grenzzäune investierte, hätten viele anständige Notunterkünfte und Integrationsmaßnahmen finanziert werden können. EU-Europa sei reich genug, um die anspruchsvolle, aber perfekt beherrschbare Flüchtlings-Situation zu regeln.

Solidarität, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gehörten zu den Gründen, die so viele Menschen an unsere Küsten zögen. „Unsere wichtigste Botschaft besteht darin“, erklären die European Greens, „einen kollektiven Common Sense zu schaffen, […] der radikal die eingängige Logik der populistischen und nationalistischen Rhetorik ablehnt, einfach weil deren Lösungen niemals funktionieren. Lasst uns diese Wahrheit bekräftigen: Solidarität funktioniert.“

Mit dem dritten Schwerpunkt der EGP-Ratstagung, der Energiepolitik und der Carbon Divestment Movement, befassten sich sowohl zwei der parallel stattfindenden kleineren Workshops als auch die Plenardiskussion „Ende der fossilen Energien: Grüne und Divestment“. Das Plenum diente vor allem der Information über die verschiedenen Aktivitäten der Carbon Divestment Movement und der Vernetzung der Akteure. Liesbeth van Tongeren (Parlamentsabgeordnete von GroenLinks in den Niederlanden) verwies auf das Beispiel der mehr als 300 Bürgermeister, die sich einer Initiative gegen die Schiefergasgewinnung angeschlossen haben. Simone Peter, die Parteichefin der deutschen Grünen, berichtete über die Aktion „Ende Gelände“ in der Lausitz für den Ausstieg aus der Kohleverstromung, die erst wenige Tage zuvor stattgefunden hatte. Peter meinte, der Übergang von der Nutzung fossiler Energiequellen zu Erneuerbaren Energien vollziehe sich bereits. Es gebe aber auch eine gegenläufige Bewegung – diejenige der politischen Rechten (wie die von Donald Trump in den USA), die den Klimawandel bestreitet und die die sich bereits vollziehende Transition konterkariert. Reinhard Bütikofer mahnte in diesem Kontext eine Strategie für die Transition an und forderte, die politische Macht für den Wandel zu organisieren.

Weitere Workshops, parallele Sitzungen und sogenannte Fringe Meetings widmeten sich Fragen der Handelspolitik, der Regionalpolitik, der Stahlindustrie, der Fischereiwirtschaft, der Kreislaufwirtschaft, des Datenschutzes, dem Verhältnis von grünen Werten zu Religion und Säkularität, der „Rückkehr der Grenzen in Europa“, der globalen grünen Bewegung oder Veränderungen an den Statuten der EGP bzw. dienten der Vorstellung von Mitgliedsparteien der European Greens (hier: der niederländischen Partei GroenLinks und der dänischen Socialistisk Folkeparti). Darüber hinaus trafen sich das Balkan-Netzwerk, das Europäische Netzwerk Grüner Senioren, die Schatzmeister der grünen Parteien, das Netzwerk grüner Bürgermeister, das LGBTQ-Netzwerk, die Federation of Young European Greens, das Gender-Netzwerk und nicht zuletzt die Parteiführer der Mitgliedsparteien der EGP. Schließlich versuchte man in verschiedenen Sitzungen der Antragskommission, Kompromisse mit den Antragstellern für die elf zu beschließenden Resolutionen zu finden.

Zum Kranz der Veranstaltungen, die sich um den Kern des 24. Council Meetings der EGP rankten, gehörte auch die Eingangs erwähnte öffentliche Konferenz der Fraktion Greens/EFA im Europäischen Parlament, in der es um die Rolle der Grünen in Europa beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ging. Die Vertreter der Grünen machten deutlich, dass für sie der Kampf für Steuergerechtigkeit zu den Prioritäten ihrer Politik gehört. Sie würden eine demokratische EU anstreben, die in der Lage ist, auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu antworten. Es gehe um wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand für alle, für die gegenwärtigen und für die zukünftigen Generationen. Es gehe darum, unser Entwicklungsmodell innerhalb der physischen Grenzen unseres Planeten zukunftsfähig zu machen. Steuern sollten in diesem Kontext als Investitionen für kollektiven Wohlstand und solidarischen Zusammenhalt gesehen werden.

Philippe Lamberts bezeichnete es als vorrangige Aufgabe, größere öffentliche Transparenz in Steuerfragen zu schaffen. Er verlangte ambitionierte Regeln auf der europäischen Ebene zur Verhinderung von Steuervermeidung. Es bedürfe einer effektiven Minimal-Besteuerung, um den Steuerwettbewerb zu beenden und eine Kooperation in Steuerfragen in Europa zu befördern. Die europäischen Staaten müssten ihre Souveränität in Steuerfragen zurückgewinnen. Es dürfe nicht sein, dass Monopolgiganten wie Google der irischen Regierung diktieren, wie hoch der Steuersatz für Unternehmen sein dürfe. Andere Teilnehmer der Diskussionsrunde plädierten in diesem Kontext für einen gemeinsamen Unternehmenssteuersatz (von beispielsweise 25 Prozent) in der Europäischen Union und für ein neues Unternehmenssteuersystem in der EU, das regelt, dass Unternehmen dort Steuern zahlen müssen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften.

 

 

Zieht man eine Bilanz des 24. Council Meetings der European Green Party, lassen sich folgende Punkte hervorheben:

Erstens ist das Virus des Euroskeptizismus auch an der europäischen grünen Parteienfamilie nicht spurlos vorübergegangen. Einige grüne Parteien (namentlich die in Schweden, wo der Euroskeptizismus ohnehin starke Wurzeln hat) versuchen, zu EU-freundliche Positionen zu vermeiden.

Zweitens erschöpften sich die Diskussionen zur Flüchtlingskrise auf der EGP-Ratstagung in der Beschreibung der Lage der Flüchtlinge, in der Analyse der Konflikte, aus denen die Flüchtlingsströme erwachsen, und in der Kritik an der aktuellen offiziellen EU-Politik. Lösungsvorschläge bewegten sich im Rahmen der bisher bekannten Positionen („europäische Lösung der Flüchtlingskrise“, Einfordern von Solidarität und Common Sense).

Drittens blieben auch die Vorstellungen zur Zukunft Europas hinter den Erwartungen zurück, die mit den Titeln bzw. Untertiteln der Podien und Workshops der EGP-Ratstagung geweckt worden waren. Neue Ansätze, die über die bekannten Forderungen nach mehr Demokratie in der EU, nach einer Harmonisierung der Steuerpolitik oder nach einem Green New Deal hinausgingen, blieb das Council Meeting schuldig.



[1] Manifest von Ventotene. URL: http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/media/Basis/Geschichte/bis1950/Pdf/Manifest_Ventotene.pdf . – In der englischsprachigen Resolution der EGP steht für „Kultur“ „civilization“.