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Der geniale Wahlslogan, zugleich Name des linken Parteienbündnisses in Spanien, weist nach den Wahlen in die Richtung in die sich die Politik der Linken in der EU zu bewegen hat. Kommentar von Martin Schirdewan.

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Schon das Ergebnis des Brexit-Referendums in Großbritannien ist ein laut vernehmbarer Warnschuss gewesen. Er signalisiert, dass jetzt Schluss sein muss mit der Austeritätspolitik in Europa, Schluss mit dem neoliberalen Umbau der Gesellschaften, Schluss mit dem Abbau von Sozial- und Arbeitnehmerinnenrechten. Denn wenn die Idee europäischer Zusammenarbeit pervertiert wird zu einer bloßen Umsetzung von Sozialabbau, Entdemokratisierung und Kürzungspolitik, so wie es in den Jahren der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise geschehen ist, dann braucht sich niemand zu wundern, dass insbesondere die so genannten sozial Schwächeren, die Prekarisierten und abhängig Beschäftigten sich von der europäischen Idee angewidert abwenden und nationalistische Heilsversprecher starken Zulauf auf dem gesamten Kontinent erfahren.

Von daher können die Ergebnisse der Neuwahlem zum spanischen Parlament als eine Richtungsentscheidung gelesen werden. In einem von inneren Widersprüchen gezeichneten Staat, dessen Bevölkerung wie kaum eine andere in Europa unter dem Diktat der Austerität zu leiden hatte, in der die Jugendarbeitslosigkeit noch immer traurige Rekordwerte von um die 50 Prozent erreicht, in der hunderttausende Familien ihre Wohnungen und Häuser an die kreditgebenden Banken verloren haben und dennoch weiterhin die Hypotheken ableisten müssen, hatten die Spanierinnen und Spanier nach den Wahlen vom 20. Dezember 2015, die in der bekannten Pattsituation endeten, erneut die Wahl. Die Wahl zwischen einer Fortsetzung des alten Kurses oder einer Neubestimmung.

Es standen wie bereits Ende des letzten Jahres das alte tradierte Parteienlager repräsentierende Parteien und im Zuge der Krise neugegründete Parteien zur Wahl. Das tradierte Parteienlager, geprägt von der Partido Popular (PP) und der Partido Socialista Obrero Espanol (PSOE), die sich seit dem Ende des Franquismus die Macht abwechselnd teilten, hatten im Dezember 2015 erfahren müssen, dass das bisherige Zwei-Parteiensystems Spaniens und damit die Macht im spanischen Staat nicht mehr allein von ihnen geprägt werden wird. Moderne populäre Parteien wie Podemos, hervorgegangen aus der Bewegung 15M im Zuge des Widerstandes gegen die Hausräumungen, und die Ciudadanos, eine bürgerliche, neoliberale Kraft, eroberten große Stimmen und Sitzanteile von der PP und der PSOE, die beide starke Verluste zu verzeichnen hatten. Und da das tradierte Parteienlager selbst dem Widerspruch der Machtausübung gefangen war, gelang es weder der PP mit 28,72 Prozent der Stimmen und 119 Sitzen noch der PSOE mit 22,01 Prozent der Stimmen und 90 Sitzen, eine tragende Mehrheit für eine Regierungsbildung zu finden. Ein Miteinander hatten vor allem die Sozialisten ausgeschlossen und unternahmen den eher verzweifelten Versuch, gemeinsam mit den Newcomern von Podemos (20,66 %; 65 Sitze) und den Ciudadanos (13,93 %, 40 Sitze) ein Bündnis zu schmieden, was angesichts der inhaltlichen Differenzen von vornherein ein zum Scheitern verurteilter Versuch bleiben musste. Die von Podemos an die PSOE gerichteten Angebote, gemeinsam mit der Vereinigten Linken, der Izquierda Unida, und weiteren kleineren regionalen Linksparteien ein linkes Anti-Austeritäts-Projekt zu organisieren, wurden von der PSOE abgelehnt.

Also Neuwahlen. Die Umfragen zeigten seit Verkündung der Wahlwiederholung einen stabilen Vorsprung der PP, die ungefähr ihr Ergebnis wiederholen werden sollte. Eine Wiederholung des Ergebnisses, bei leichten Verlusten, wurde auch der PSOE und den Ciudadanos vorausgesagt. Einzig Podemos, das sich einem im Vorfeld der Dezemberwahlen von ihnen noch ausgeschlossenen linken Bündnis mit der Izquierda Unida und der grünen Partei Equo sowie weiteren regionalen Linksparteien öffnete, wurden massive Zugewinne prognostiziert. In nahezu allen Vorwahlumfragen lag das Bündnis Unidos Podemos vor der PSOE und war drauf und dran, der PP ihre Stellung als wahlstärkste Partei streitig zu machen.

Die Vorwahlzeit war entsprechend von taktischen Diskussionen geprägt. Wird es diesmal gelingen, eine linke Mehrheit zu erringen, indem sich die PSOE in Abkehr von ihrem das Austeritätsprojekt stützenden Kurs zu einem Bündnis mit den Anit-Austeritäts-Kräften einlässt? Das wurde bis zum Wahlabend von den Sozialisten abgelehnt. Werden die Sozialisten anstelle dessen in eine große Koalition unter der PP eintreten? Und damit den bisherigen Kurs fortsetzen und unterstützen? Reicht es etwa gar für eine Fortsetzung eines rein neoliberal geprägten Politikmodells in Form einer Koalition von PP mit den Ciudadanos?

Die Umfragen deuteten vor allem auf eine große Koalition der tradierten Parteien hin. Diese hätte und hat durch das jetzige Wahlergebnis bestätigt eine stabile Parlamentsmehrheit erringen können. Die PP ist nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 33 Prozent und 135 Sitzen wieder deutlich stärkste Partei geworden und hat vor allem von den Ciudadanos gewinnen können. Diese erringen mit nur noch 32 Sitze im spanischen Parlament. Dies reicht nicht für eine konservativ-neoliberale Mehrheit im Parlament. Also doch die bislang von der PSOE abgelehnte große Koalition? Diese scheint für die PSOE bislang keine Option zu sein. Die PP hat dennoch ihre Vormachtstellung trotz Neuwahlen bestätigen können. Nach dem Brexit hat sie sich bewusst als Anker der Stabilität und sicheren weiteren Entwicklung des Landes dargestellt. Die PSOE erreichte ihrerseits 85 Sitze und verliert damit im Vergleich zur Dezemberwahl erneut. Allerdings behauptet sie überraschend und entgegen den Umfragen ihren zweiten Platz im spanischen Parteiensystem vor Unidos Podemos, deren Abschneiden als enttäuschend gewertet werden muss.

Somit ist auch eine von den Umfragen prognostizierte mögliche linke Regierung unter Führung von Unidos Podemos unter Einschluss der PSOE, wie von den Wahlumfragen rechnerisch zumindest als möglich dargestellt, von den Wählerinnen ausgeschlossen worden. Sie erreicht insgesamt einen Stimmenanteil von 156 Sitzen – davon 85 für PSOE und 71 für Podemos – und damit nicht die notwendige Mehrheit von 176 Sitzen im spanischen Parlament, um den Regierungsauftrag wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil ist die PSOE in ihrer tragenden Rolle im spanischen Parteiensystem bestätigt worden und konnte ihren Niedergang vorerst stoppen und sich erneut den zweiten Platz im spanischen Parteiensystem sichern. Jetzt ist es an ihr – und damit richtungsweisend für die europäische Sozialdemokratie – ob sie versucht, mit dem linken Bündnis Unidos Podemos ein mehrheitsfähiges Bündnis unter dem Einschluss kleinerer regionaler linker Gruppierungen gegen den bisherigen politischen Mainstream in der EU zu schmieden, oder ob sie als Juniorpartner in einer großen Koalition weiterhin die Austeritätspolitik exekutiert. Unidos Podemos hingegen und damit die europäische Linke hat einen empfindlichen Rückschlag erleiden müssen.

Es deutet derzeit entsprechend dem Wahlergebnis vieles auf eine große Koalition der tradierten Parteien hin. Da diese Koalition bislang jedoch von der PSOE im Wahlkampf ausgeschlossen wurde, kann mit Spannung erwartet werden, wie sich die Koalitionsbildung in Spanien vollzieht. Oder stehen etwa bald neue Neuwahlen an, weil es auf Grundlage der Ergebnisse von gestern keine Mehrheitsregierung geben kann und wird? Eine erneute Hängepartie wird vor allem der Demokratie in Spanien selbst schaden, dennoch wird es eine schwierige Regierungsbildung geben.

Leider – und das ist die schlechte Nachricht dieser Wahlen – ist es nicht gelungen, trotz linken Bündnisses und einer tollen Mobilisierung in Form einer innovativen Kampagne, die geprägt war durch die jungen und in der Bevölkerung beliebten Gesichter von Alberto Garzon (IU), der laut einer Umfrage mit seinen 30 Jahren als beliebtester Politiker Spaniens gilt (wo gibt es das noch, dass ein bekennender Kommunist beliebtester Politiker eines Landes ist?) und von Pablo Iglesias, dem charismatischen Führer von Podemos, eine gesellschaftliche Mehrheit gegen den Austeritätskurs zu organisieren. Ein anderes Europa, indem alle würdig leben können, ungeachtet ihres sozialen Status und ihrer Herkunft, nicht mehr und nicht weniger hatten sie gefordert. Dieses andere Europa hat diesmal noch keinen Sieg erringen können.

Stattdessen hat das Europa der Austeritätspolitik einen wichtigen Etappensieg erringen können. Und hier schließt sich der Bogen zum Brexitvotum wieder.  Das Europa der Austerität und eine im Neoliberalismus gefangene EU zerstören die europäische Idee. «Nunca mas!», möchte man rufen. Noch sind die progressiven Kräfte einer neuen europäischen Idee eines sozialen, ökologischen und gleichberechtigten demokratischen Europas in der Minderheit.

Doch die gute Nachricht der spanischen Wahlen lautet, dass erstens die Nationalisten und Rechten den Diskurs über die Zukunft der EU und Europas nicht dominieren müssen, wenn es kluge Antworten von links gibt und zweitens die Linke dann stärker wird und zu einer glaubwürdigen Alternative reift, wenn sie ihre Widersprüche überwindet und auf die gemeinsamen Ziele hinarbeitet. Unidos podemos! Aunque. Trotzdem.

Dr. Martin Schirdewan ist Büroleiter des Europabüros in Brüssel der Rosa-Luxemburg-Stiftung und zuständig für die Spanienarbeit der Stiftung.