Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - GK Geschichte Brandt - Schmidt. Zwei Bundeskanzler im Briefwechsel (Rezension)

...in "vorbildlicher Weise edierter Briefwechsel"....

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Detlef Nakath,

Der Briefwechsel zwischen Spitzenpolitikern, auch wenn beide einer Partei angehören und nahezu zur gleichen Generation gehören sind niemals nur privat und auch nur selten harmonisch. Das trifft auch auf das bereits verschiedentlich beschriebene Verhältnis der beiden sozialdemokratischen Bundeskanzler der siebziger Jahre zu. Willy Brandt, der Internationalist, Visionär und Entspannungspolitiker, sowie Helmut Schmidt, der Pragmatiker, Macher und Finanzexperte, das waren die Etiketten, mit denen man sie versehen hatte. Liest man nun den von Meik Woyke in vorbildlicher Weise edierten Briefwechsel, dann wird deutlich, dass sowohl Brandt als auch Schmidt keineswegs nur auf diese Etiketten zu reduzieren sind. Beide Kanzler haben in ihren jeweiligen Amtszeiten und auch darüber hinaus in besonderer Weise außen- und deutschlandpolitische Akzente gesetzt.

Die Edition ist streng chronologisch strukturiert. Für den außenpolitisch interessierten Leser ist vor allem der Briefwechsel, den beide Politiker „von Amts wegen“ führten, von besonderem Interesse. Diese Dokumente stammen aus den Jahren ab 1966, als Brandt für drei Jahre Außenminister der ersten Großen Koalition in der BRD wurde, und reichen bis 1982, also in die Zeit der beiden Kanzlerschaften. Bereits im Jahre 1967 wandte sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Schmidt an Außenminister Brandt, er möge sich gegenüber dem Innenministerium für eine Beschleunigung des Visumverfahrens für Staatsangehörige aus Ostblockstaaten einsetzen. Brandt antwortete drei Wochen später, dass es dem Auswärtigen Amt gelungen sei, „wesentliche Erleichterungen für die Einreise von Staatsangehörigen der osteuropäischen  Länder“ einzuführen. Später dominieren in der Zeit der Kanzlerschaft von Willy Brandt (1969 bis 1974) dienstliche Informationen Schmidts in seinen Funktionen als Verteidigungs- bzw. Wirtschafts- und Finanzminister. So teilte er Brandt 1970 seine Besorgnis über die deutlich wachsende Zahl von Wehrdienstverweigerern mit und informierte an anderer Stelle über den Stimmenanteil der NPD in Bundeswehrstandorten bei der hessischen Landtagswahl. Interessant ist ein persönliches Schreiben Schmidts an Brandt in Vorbereitung der Gespräche des Bundeskanzlers mit KPdSU-Generalsekretär Leonid Breshnew vom 16. bis 18. September 1971 in Oreanda auf der Krim. Darin erläuterte der Verteidigungsminister seine Position zu den laufenden MBFR- sowie KSZE-Verhandlungen und zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung. Nach Schmidts Ansicht seien allerdings die Gespräche von Oreanda über sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen enttäuschend verlaufen und hätte nicht zu konkreten Verabredungen geführt, vermerkt der Herausgeber in einer Fußnote dazu.

Zu den Ostverträgen der BRD mit der Sowjetunion und Polen 1970, dem Viermächteabkommen über Berlin 1971 und dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag 1972 präsentiert die Edition mehrere aufschlussreiche Dokumente. So schrieb Schmidt am 13. August 1970 unmittelbar nach Unterzeichnung des Moskauer Vertrages handschriftlich an Brandt: „Es drängt mich, Dir herzlich zu gratulieren und danke zu sagen. Dies ist ein großer Schritt, der viele kleine Schlauheiten anderer zu überspielen vermag. Er wäre ohne Deine gelassene Beharrlichkeit nicht zustande gekommen“. Dies war vermutlich ein Seitenhieb auf die Verhandlungsführung Egon Bahrs gegenüber dem sowjetische Außenminister Andrej Gromyko. In seiner Antwort schrieb Brandt den Verteidigungsminister, dass nunmehr durch die Staatssekretäre Egon Bahr und Paul Frank die Regierungen in Washington, Paris und London informiert würden.

Weiterhin enthält der Briefwechsel zahlreiche Informationen zu außenpolitischen Positionen beider Politiker gegenüber den Westmächten sowie den Partnern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der späteren Europäischen Union.

Zu den Vorgängen um den Rücktritt Brandts als Bundeskanzler am 6. Mai 1974 als Folge der Guillaume-Affäre findet sich wenig Neues in den hier veröffentlichten Briefen. Lediglich zu verschiedenen Personalfragen verständigten sich Brandt und Schmidt nach Übergabe der Kanzlerschaft Mitte Mai 1974 auf diesem Wege. Wesentliche Fragen dürften wohl mündlich und ohne Protokoll besprochen worden sein. Der Kontakt zwischen beiden Spitzenpolitikern, das wird aus den hier veröffentlichten Dokumenten sichtbar, blieb auch danach zwar eng aber durchaus kontrovers.

Trotz mancher unterschiedlicher Sichten schrieb Schmidt am 17. Juni 1992 in seinem letzten handschriftlichen Brief an Brandt: „Was auch immer in den letzten zwanzig Jahren uns bisweilen etwas voneinander entfernt hat, ich habe nie an Deiner überragenden Gesamtleistung für unser Volk gezweifelt“. Dieser letzte der insgesamt 717 in diesen Band aufgenommenen Briefe erreichte den bereits schwer erkrankten Brandt wenige Monate vor seinem Tod am 8. Oktober 1992.

Willy Brandt – Helmut Schmidt. Partner und Rivalen. Der Briefwechsel (1956 – 1992). Herausgegeben und eingeleitet von Meik Woyke. Willy-Brandt-Dokumente, Band 3, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn 2015, 1104 Seiten, 39,90 Euro.