Nachricht | Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Westafrika - Afrika - Geschlechterverhältnisse Der Streit um den Burkini – ein Blick aus dem Senegal

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Der Streit um das Burkiniverbot an 30 Stränden französischer Küstenstädte wird auch im Senegal diskutiert. In der in Dakar erscheinenden Zeitung Le Soleil beklagt der ehemalige senegalesische Kulturminister Amadou Tidian Wone das Verbot des islamischen Badeanzugs. Frankreich versuche mit dem Verbot seine laizistischen Werte der Welt aufzuzwingen.[1] Für Wone steht denn auch die Welt auf dem Kopf, wenn es in Frankreich erlaubt sei, dass Frauen mit blanken Brüsten und engen Badehosen in der Sonne baden oder ganze Strände von Nudisten bevölkert werden, aber der Burkini verboten werde. Für ihn ist Frankreichs Gesellschaft dekadent. 

Auf Dakars Straßen wird das Burkiniverbot, das nunmehr vom höchsten französischen Verwaltungsgericht aufgehoben wurde, kritisiert. Im Verbotsversuch sehen die Senegalesen ein Zeichen für die wachsende Islamophobie in Frankreich. Den Burkini selbst lehnt man aber ab, betrachtet ihn gar als „unsenegalesisch“.

An Senegals Stränden und Schwimmbädern sucht man den Burkini meist vergebens. 95 Prozent der Bevölkerung des westafrikanischen Landes sind muslimischen Glaubens. An den Stränden des Landes trifft man die jungen SenegalesInnen in Badeshorts und modischen Bikinis oder Badeanzügen. Das Strandleben in Dakar ist, zumindest was die Mode betrifft, nicht  anders als in Nizza oder Cannes. Nur ältere Frauen bedecken ihre Beine, wie einstmals an europäischen Stränden Anfang des 20. Jahrhunderts üblich, ist es für sie nicht schicklich Bein zu zeigen. Es stört sie aber nicht, dass ihre Töchter und Enkelinnen Bikini tragen.

Den Burkini findet man im Senegal in der kleinen Minderheit von libanesischen SenegalesInnen. Aber auch in dieser Bevölkerungsgruppe sind die Trägerinnen selten. Auch hier bevorzugt frau die neueste Bademode aus Europa.

Was sich schickt, wieviel Haut gezeigt werden darf, wird immer wieder im Senegal diskutiert. Im November vergangenen Jahres hatte der senegalesische Präsident Macky Sall das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit verboten. Dies geschah nachdem einige salafistische Extremisten festgenommen wurden. Sall wollte ein Zeichen für einen toleranten Islam in seinem westafrikanischen Land setzen, der sich von anderen, mehr konservativen Spielarten absetzt.

Burkaträgerinnen gab und gibt es wenige im Senegal. Hier tragen die Frauen, wenn überhaupt, ein Kopftuch, zumeist in bunten Farben, und auch nur ganz selten den Hijab. In Senegals Hauptstadt Dakar tragen die jungen Frauen in der Öffentlichkeit auch körperbetonte Kleider und Minirock und das nicht nur in den bekannten Nachtklubs der Stadt. Der Streit um den Minirock wird in den Familien geführt. Mit der Statue zur „Afrikanischen Renaissance“ wurden der kurze Rock und die kaum verhüllten Brüste der Frau, die Dakars BesucherInnen nun seit 2006 begrüßen zum öffentlichen Thema. Einige islamische Geistliche störten sich an dieser Darstellung der afrikanischen Familie, vor allem an der spärlichen Bekleidung der dargestellten afrikanischen Frau.

Was ist Tradition, wie muss man sich kleiden, wie sich in der Öffentlichkeit verhalten, was ist „senegalesisch“, was ist „islamisch“. Das sind in der postkolonialen Gesellschaft Senegals immer wichtige Themen. Als ehemaliger Teil des französischen Kolonialreichs  und Auswanderergesellschaft mit großen Diasporen in Europa und Nordamerika ist der Senegal seit Jahrzehnten einer intensiven Internationalisierung ausgesetzt. Allein die tausende Franzosen, die im Senegal permanent leben und die MigrantInnen, die jedes Jahr zum Urlaub zu Hause in den Senegal kommen, verändern Einstellungen und Geschmäcker. Und natürlich spielen Fernsehserien und Filme bei der Bildung von Lebensstilen und Moden eine große Rolle.

Der Wandel der Alltagskultur ist aber keine Einbahnstraße, natürlich gab und gibt es im Senegal, wie anderswo auch Moralwächter, die sich gegen die Einflüsse von außen zur Wehr setzen und für sich und andere definieren, was sich „senegalesisch“, „islamisch“  oder sonst wie schickt. Der Kampf für islamische Werte im Senegal hat Tradition. Im Wettlauf um die Köpfe und Herzen der Menschen riefen die im Senegal dominanten islamischen Sufi-Bruderschaften gegen die französischen Kolonialisten, zum Dschihad auf.[2]

Frankreichs wachsender Einfluss, die Ausstrahlung seiner Kultur, die sich verändernden Geschmäcker und Stile in der Region, gefährdeten in den Augen der islamischen Geistlichen, wie dem Gründer der Mouriden, Amadou Bamba, nicht weniger als die Nähe der Muslime zu Gott. Es galt die Reinheit des Glaubens im Ende des 19. Jahrhunderts zu verteidigen. Bamba und andere Geistliche waren mit ihrem Dschihad erfolgreich. Der Islam, der damals keineswegs mehrheitlich war, setzte sich im Senegal durch. Frankreichs Kolonialbeamte mussten mit den Mouriden und den anderen Sufi-Bruderschaften bei der politischen Neuordnung des Landes einen Ausgleich suchen. Der Islam stieg zur dominanten Religion im Senegal auf und bestimmt seitdem die Alltagskultur in den ehemaligen Wolof-Königreichen.[3]

Was für den Senegal gilt, gilt auch für Frankreich, manchmal geht die Entwicklung „rückwärts“. Während der Kolonialzeit respektierte Frankreich die Gebräuche im Senegal, auch wenn sie der laizistischen Auffassung der Republik widersprachen. Selbst in jenen Orten des Landes, die seit dem 19. Jahrhundert Teil Frankreichs waren. Den dortigen französischen Staatsbürgern wurden islamische Traditionen, auch die Polygamie, zugestanden. In Frankreichs Überseegebieten war man gezwungen mit der Multikulturalität umzugehen, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg als man versuchte die Kolonien zu „entwickeln“,  etwa in die Infrastruktur z.B. Schulen, Krankenhäuser usw. zu investieren, und die Forderungen der kolonialen Subjekte endlich als Gleiche behandelt zu werden lauter wurden.[4]

Diese Ansätze einer kolonialen „Multikulturalität“ im Spannungsfeld von kultureller Differenz und Gleichheitsanspruch (z.B. Durchsetzung des Wahlrechts für Männer und Frauen in den vier Communes) waren wie das gesamte Kolonialprojekt nur eine Spielwiese der Eliten. Sobald der Kolonialismus mit seinem Anspruch Afrika zu „entwickeln“ kostspielig wurde, kam sein Ende als voluntaristische Entwicklungshilfe.[5]

Mit der Unabhängigkeit der Kolonien ging die „multikulturelle“ Erfahrung in Frankreich immer mehr verloren.  An ihre Stelle trat im Umgang mit Afrika rechter Klientelismus (unser Afrika) und linker Fraternalismus (mein Afrikaner), bis auch diese immer schwächer wurden und mit der wirtschaftlichen Krise Frankreichs erst der Zuzug von MigrantInnen nach Frankreich erschwert wurde und dann mit dem Aufstieg des rechtsextremen Front National einem nationalistischen Chauvinismus  Platz machten.

Die jüngsten islamistischen Terrorattentate haben in Frankreich eine Welle der Islamophobie ausgelöst, auf der auch die etablierte rechte politische Klasse um den früheren Präsidenten und jetzigen Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy surft.

Die Entscheidung des obersten Verwaltungsgerichts Frankreichs, das Verbot des Burkinis an einigen französischen Stränden wieder aufzuheben, lässt hoffen, dass Frankreich sich auf die Wahrung der Freiheitsrechte besinnt und die regierenden Sozialisten von einer Gesetzesänderung absehen, die Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, fordert. Eine solche Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte wäre, was man auch immer persönlich über den Burkini denkt, „unzivilisiert“.[6]


[1] « Insoumis Burkinis !! » Le Soleil, Dakar,  24. August 2016.

[2] Vgl. Cheikh Anta Babou, Figthing the Greater Jihad. Amadu Bamba and the Founding of the Muridiyya of Senegal, 1853-1913, Ohio University Press.

[3] Babou 2007.

[4] Frederick Cooper, Citizenship between Empire and Nation, Remaking France and French Africa, Princeton University 2014.

[5] Cooper 2014.

[6] Die Aufhebung des Edikt von Nantes 1685, welche den calvinistischen Protestanten Religionsfreiheit zusicherte, durch Ludwig XIV. hatte einen Aufschrei in der europäischen Öffentlichkeit zur Folge, welche den Akt des Königs als „unzivilisiert“ beschrieb (siehe hierzu Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt am Main 2012.)