Nachricht | Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau - Europa - Südosteuropa Gibt es die «Grenzen des Wachstums»?

Spannender Workshop bei der Degrowth-Konferenz in Budapest Anfang September

Die Annahme, dass in einer begrenzten Welt kein unendliches Wirtschaftswachstum möglich ist, gehört zu den zentralen Grundlagen der Degrowth-Bewegung. Auch wenn man dieser Annahme in dieser abstrakten Form kaum widersprechen kann, ist es keinesfalls einfach, das Vorhandensein von Grenzen konkret zu begründen. In den letzten Jahren hat vor allem die These von „Planetarischen Grenzen“ starke Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hier versuchen vor allem NaturwissenschaftlerInnen, konkrete Schwellenwerte zu definieren, jenseits dessen der Bereich einer sicheren menschlichen Entwicklung verlassen würde. Neben dem 2-Grad-Ziel beim Klimawandel sind besonders beim Verlust der Biodiversität und beim Eintrag von Stickstoff in Böden und Gewässer Grenzwerte schon heute erreicht oder überschritten. Dieses Vorgehen von WissenschaftlerInnen wird jedoch von anderer Seite auch scharf kritisiert. Es wird ihnen vorgeworfen, dass sie damit eine Machtposition in der Gesellschaft beanspruchen, die ihnen nicht zusteht, nämlich zu sagen, was gesellschaftlich getan werden muss. Zudem wird immer wieder kritisiert, das interne Grenzen gesellschaftlichere Entwicklung viel zu wenig berücksichtigt würden: Repräsentiert u.a. in den multiplen Krisen, von der Finanz- über die Wirtschafts- bis zur Demokratiekrise.

Der von der RLS geförderte Workshop hatte das Ziel, die Diskussion über Grenzen anzuregen und dabei auszuloten, wie sowohl naturwissenschaftliche Argumente als auch gesellschaftliche Krisen miteinander in Verbindung gebracht werden können. Die Aufgangsüberlegung lautete, dass Grenzen nicht einfach „da draußen“ existieren, sondern definiert und letztlich politisch gesetzt werden müssen. Dazu müssen Machtverhältnisse in der Gesellschaft wie auch die Rolle von ExpertInnen thematisiert sowie verschiedene Wissensformen, aber auch gesellschaftliche Interessen und normative Fragen nach Gerechtigkeit thematisiert werden. Die Definition von Grenzen ist also ein konflikthafter Prozess, der in verschiedenen Ländern und Regionen unterschiedlich abläuft.

Es ging damit vor allem darum, die Debatte über Grenzen zu öffnen und verschiedene Erfahrungen miteinander ins Gespräch zu bringen. Daher wurde ein interaktiver Modus gewählt, bei dem die TeilnehmerInnen ausführlich zu Wort kamen. Der Organisator und Moderator Christoph Görg vom Institut für Soziale Ökologie in Wien gab zu Beginn eine Übersicht über mögliche Bedeutungen und verschiedene Dimensionen des Begriffs Grenze und stellte einige Leitfragen vor, so vor allem: wer definiert eigentlich Grenzen und mit welcher Macht im Hintergrund? Es folgten Kurzinputs von Barbara Muraca von der Oregon State University in den USA, die sowohl die Diskussion über Schwellenwerte in den Naturwissenschaften beleuchtete als auch Erfahrungen mit der Diskussion über Grenzen in den USA vorstellte. Denn dort ist  dieser Begriff aus den kulturellen Traditionen (Stichwort: frontier state im 19. Jahrhundert) sowie der aktuellen ökonomischen Situation heraus äußerst unbeliebt. Ulrich Brand von der Universität Wien ging in seinem Kurzstatement vor allem auf die politische Dimension der Debatte um Grenzen ein und warnte vor einen „globalen Blick“, der die vielfältigen sozialen Konflikte im Kontext der ökologischen Krise auszublenden drohe sowie vor den Folgen eines post-katastrophischen Bewusstseins, wenn die ökologische Katastrophe ausbleibt. Edgardo Lander von der Nationaluniversität von Venezuela berichtete abschließend über die ganz anders gearteten Debatten in Lateinamerika, die sich eher an den konkreten Erfahrungen einer ressourcenorientierten Entwicklungsstrategie, dem Neo-Extraktivismus entzündeten und um die Vorstellung des „guten Lebens“ („buen vivir“) kreisen.

Nach diesen drei kurzen Inputs wurde der Workshop in Kleingruppen weitergeführt, die angeregt durch die Leitfragen die Bedeutung von Grenzen anhand verschiedener konkreter Beispiele diskutierten. Die Ergebnisse wurden anschließend im Plenum vorgestellt und einige Beispiele vertieft diskutiert. So stellt etwa das 2o-Grad-Ziel beim Klimawandel  ein gutes Beispiel für eine Vermischung von wissenschaftlicher Diagnose (über Schwellenwerte im globalen Klimasystem) und politischen Zielen (auf welche Maßnahmen können sich die Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention einigen) dar. Dabei wurde deutlich, wie stark das Thema Grenzen in der Tat in das Herz der Degrowth-Bewegung hineinführt, denn letztlich geht es um gesellschaftliche Selbstbegrenzung, um die biophysikalischen Bedingungen unserer Existenz nicht so stark zu beeinträchtigen, dass davon auch das menschliche Leben beschädigt wird. Oder anders formuliert: es geht um die Frage, in welcher Natur wollen wir leben, damit auch ein „gutes Leben für Alle“ möglich ist?

Christoph Görg, Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria-Universität, Klagenfurt/Wien