Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - GK Geschichte Von Freyberg: Sperrgut. Zur Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zwischen 1969 und 1999

30 Jahre - aus der Binnenperspektive kritisch reflektiert

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Thomas von Freyberg hat die Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) vom Tod Adornos bis zum Jahr 2000 aufgeschrieben, als Axel Honneth die Leitung übernimmt. Der 1940 geborene Autor war selbst von 1968 bis zu seiner Pensionierung 2005 Mitarbeiter des IfS. Sein Buch verzeichnet einerseits relativ neutral die konkrete, wissenschaftliche Arbeit des Instituts und seine Publikationen. In anderen Passagen werden die inneren Konflikte, wenn nicht Grabenkämpfe der Beteiligten detailliert nachgezeichnet.

Freyberg nimmt dabei die Perspektive eines gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiters ein, der den Gedanken einer kritischen, gleichwohl empirisch fundierten Sozialforschung engagiert vertritt, sich aber im Laufe der Zeit immer weiter an den Rand gedrängt empfindet und schließlich zum Störfaktor wird. Neue Akteure und »Diskurse«, die nicht auf Ökonomie und Marxismus beruhen, kommen ans IfS und vor allem schafft es das Institut nicht, zwei grundlegende Widersprüche zu lösen. Zum einen den zwischen der zwingend notwendigen Geschlossenheit nach außen, vor allem gegen über den Geldgebern, und der IfS-internen Hierarchie und zweitens dem Ideal der freien Forschung in Teams und der dem daraus resultierenden Ressortdenken.

Im Binnenverhältnis war das IfS von einer zwangsweisen Kooperation zwischen der Leitung und einer unter wechselnden Namen agierenden, gewählten Vertretung der MitarbeiterInnen geprägt. Die erwähnte Forschung in Teams, die eine weitgehende Autonomie innehatten, und somit viel Freiheit boten, brachte es unweigerlich mit sich, dass das Risiko bei der Drittmittelakquise auch auf diese, personell immer kleiner werdenden, Teams abgewälzt wurde oder zusehends Phasen von geplanter Arbeitslosigkeit oder Arbeitsfördermaßnahmen in die Forschungsplanung von vorherein einkalkuliert wurden. Etwas was damals immerhin noch ging. Im Laufe der Jahre, in denen Freyberg am Institut arbeitete und sich auch in der Mitarbeitervertretung engagierte, stieg die Fluktuation unter den dort (befristet) Angestellten immer mehr an; wer/welche es konnte, bewarb sich weg. Die Titel der in der Regel verspätet erscheinenden Publikationen des IfS, bzw. die aus den Forschungsprojekten resultierenden Veröffentlichungen lesen sich aus heutiger Sicht eher uninteressant, ihr Umfang wirkt oft überdimensioniert.

Im Buch wechseln sich in den einzelnen, chronologisch angeordneten Kapiteln jeweils autobiographische Abschnitte aus der Perspektive eines Augenzeugen mit solchen ab, in denen die konkrete Arbeit des IfS einerseits und die Konflikte unter den MitarbeiterInnen und jene zwischen der Leitung und den Angestellten nachgezeichnet werden. Das Ende des »alten IfS« und der in ihm praktizierten und von Freyberg positiv bewerteten Selbstverwaltung setzt Freyberg für 1997 an, als Helmut Dubiel für drei Jahre eine entscheidende Position einnimmt. Dubiel, der schon seit 1994 einen Umbau des IfS fordert und vorantreibt, scheitert aber schließlich grandios, sogar an seinen eigenen Maßstäben. Im Jahr 2000 löst der noch heute amtierende Axel Honneth dann Ludwig von Friedeburg als geschäftsführenden Direktor ab.

Freyberg hat das Archiv der Mitarbeitervertretung »gerettet«, geordnet und schließlich als Quelle für sein sehr umfangreiches Buch genutzt. Was er politisch sagen will, tritt an wenigen Stellen offen und an einigen versteckt zu Tage, aber dann sehr deutlich: »Demokratische Kultur« und »Zivilgesellschaft« sind als Horizont für eine materialistische Sozialforschung zu wenig und blenden als Konzepte Macht und Herrschaft aus. An wenigen Stellen scheinen die persönlichen Verletzungen auf, die die »feindliche Übernahme« des IfS Freyberg und vermutlich vielen anderen, zugefügt hat.

Es ist sehr gut, dass diese, wenn auch subjektiv gefärbte, Geschichte nun in Buchform vorliegt. Sie sei allen, die sich für die Tradition der »Kritischen Theorie« interessieren und erst recht jenen, die die Universitäten noch immer für einen irgendwie gearteten Freiraum halten, zur Lektüre empfohlen.

Thomas von Freyberg: Sperrgut. Zur Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zwischen 1969 und 1999, Verlag Brandes und Apsel, Frankfurt/M. 2016, 612 Seiten, 39,90 EUR, ISBN 978-3-95558-163-3

Diese Rezension erschin zuerst in Forum Wissenschaft, Heft 3/2016. Forum Wissenschaft ist die Zeitschrift des Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen (BdWi).