Nachricht | International / Transnational - Krieg / Frieden - Türkei Türkei und «Islamischer Staat»

Die türkische Haltung gegenüber dem «IS» ändert sich zögerlich und bleibt fragwürdig.

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November 2014: Türkischer Soldat breitet seinen Teppich neben seinem Militärfahrzeug aus, während er die Kämpfe zwischen der YPG/YPI und «IS»-Kämpfern in Kobanê von einem Hügel aus beobachtet. (Foto: REUTERS)

Die Frage nach den Beziehungen zwischen der türkischen Regierung und dem sogenannten „Islamischen Staat“ wird von unterschiedlichen Seiten sehr unterschiedlich beantwortet. Es ist wohl einer der umstrittensten Fragen im Themenkomplex der türkischen Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten. Während Stimmen, die der türkischen Regierung nahestehen, jegliche Verbindung mit dem „IS“ als absurd weg reden, behaupten linke und kurdische Akteure aus der Türkei eine tiefe, intensive und bis heute bestehende Zusammenarbeit zwischen der türkischen Regierung und dem „IS“. So sind viele Berichte über diese Frage durch die politische Zugehörigkeit der AutorInnen sehr selektiv, so dass nur die Fakten und Erkenntnisse einbezogen werden, die die  eigene, im Vorfeld feststehende, Meinung untermauern. Die Aspekte, die eine differenziertere Perspektive nötig machen würden, werden so vielfach einfach weggelassen. Ein weiteres Problem für eine sachgerechte Analyse ist die Informationspolitik der türkischen Regierung, die Recherchen von kritischen JournalistInnen repressiv bekämpft – bis hin zur mehrjährigen Haftstrafen wegen angeblichen „Geheimnisverrat“ – und hanebüchene Thesen und Verschwörungstheorien über den „IS“ herausgibt, wie etwa dass der „IS“ mit der kurdischen PKK zusammenarbeiten würde. Diese Probleme führen dazu, dass sichere Angaben über die Beziehungen zwischen der türkischen Regierung und dem „IS“ nur  selten möglich sind.

Türkische Interventionen in den syrischen Bürgerkrieg

Etwas sicherer sind die Erkenntnisse dazu, wieweit sich die Türkei in den syrischen Bürgerkrieg eingemischt und welche Kräfte sie dort unterstützt hat. Diese Syrienpolitik hat auch mittelbare Folgen für die Entstehung und Stärkung des „IS“. Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges unterstützte die Türkei in Kooperation mit den arabischen Golfstaaten konservativ-islamische und islamistische Kräfte unter den syrischen Rebellengruppen und sorgte so mit dafür, dass das islamistische Lager die bewaffnete syrische Opposition dominierte. In einem Bürgerkrieg, in der Zufluss an Geld, Waffen und Kämpfer entscheidend für den militärischen Erfolg und die politische Relevanz sind, hat die Frage, wer von der türkisch-arabischen Koalition unterstützt wird, eine entscheidende Rolle gespielt.

Der „IS“ konnte ebenfalls von dieser Unterstützung profitieren und zwar auf einer direkten und einer eher indirekten Form. In den Jahren, in den der „IS“ als nur eine von zahlreichen islamistischen Kräfte angesehen wurde, konnte der „IS“ in der Türkei Strukturen aufbauen, wie etwa Rekrutierungsbüros und Ausbildungslager, und über die Türkei Geld, Waffen und Kämpfer nach Syrien bringen. Die türkischen Sicherheitsbehörden haben diese Aktivitäten des „IS“ in der Türkei geduldet, obwohl relativ früh kritische JournalistInnen darüber berichteten. Manche linke und kurdische BeobachterInnen behaupten, dass es nicht nur bei dieser Duldung blieb, sondern vielmehr der türkische Geheimdienst an der Rekrutierung, Ausbildung und Bewaffnung der IS-Kämpfer aktiv beteiligt war. Neben dieser unmittelbaren Duldung bzw. Unterstützung profierte der „IS“ auch insofern von der Syrienpolitik der türkisch-arabischen Koalition, weil dieses islamistische Lager, das durch die Koalition aufgebaut und gestärkt wurde, ein hervorragendes Reservoir für die Rekrutierung von IS-Kämpfern und für Akquise von Waffen bot. Die ideologischen Unterschiede zwischen dem „IS“ und vielen Gruppen wie etwa der Al-Nusra-Front sind eher marginal, so dass die Entscheidung in welcher Gruppe man kämpft, eher von der Frage abhängig ist, welche Gruppe erfolgreicher ist. Als im Sommer 2014 der „IS“ in Syrien eine Reihe von militärischen Erfolgen erreichen konnte, sind viele Jihadisten mitsamt ihrer Waffen zum „IS“ übergelaufen.

Zeit der Duldung vorbei?

Während die Unterstützung für islamistische Gruppen in Syrien bis heute andauert, kann von einer Duldung der IS-Aktivitäten in der Türkei inzwischen nicht mehr die Rede sei. Die türkische Haltung gegenüber dem „IS“ änderte sich recht langsam. Eine der ersten Anzeichen für größere Spannungen zwischen der Türkei und dem „IS“ ist die Geiselnahme von türkischen DiplomatInnen durch den „IS“ in Mossul im Sommer 2014. Danach wurde klar, dass der „IS“ sich, anders als andere islamistische Kräfte, nicht mehr als bloßes Werkzeug der türkischen Syrienpolitik nutzen lässt. Die Anschläge in der Türkei 2015-2016, die dem „IS“ zugerechnet werden, sind ebenfalls Anzeichen für eine Spannung zwischen der Türkei und dem „IS“. Aber bei all diesen Ereignissen gibt es auch Indizien, die nicht für eine offene Feindschaft zwischen der Türkei und dem „IS“ sprechen. So wurden die türkischen DiplomatInnen in der „IS“-Geiselhaft deutlich besser behandelt als Geiseln von anderen Staaten und der „IS“ hat sich bis heute zu den Anschlägen in der Türkei nicht bekannt.

Auch bei der gegenwärtigen militärischen Intervention der Türkei in Nordsyrien, die sich offiziell gegen den „IS“ und die kurdischen Kräfte aus Rojava richtet, sind viele Fragezeichen dabei, ob und wieweit tatsächlich von einem Anti-IS-Kampf die Rede sein kann. Beim Verlauf dieser Intervention kam es kaum zu Gefechten zwischen der türkischen Armee und dem „IS“, im Gegenzug wurden zahlreiche Angriffe der türkischen Armee auf kurdische Stellungen gemeldet.

Insgesamt muss man feststellen, dass weder von einem glaubwürdigen und zuverlässigen Anti-IS-Kampf seitens der Türkei noch von einer aktiven Duldung und Unterstützung des „IS“ die Rede sein kann. Die türkische Position ist undurchsichtig und vielfach fragwürdig und die Fragezeichen lassen sich bisher nicht auflösen.

Themenspezial zu Syrien/Irak/Rojava