Nachricht | COP 22 Never trust a COP?

Wo steht die Klimagerechtigkeitsbewegung ein Jahr nach Paris und wie ist die Stimmung vor COP22?


Von Tadzio Müller


Ende letzten Jahres wurde die Rettung der Welt beschlossen. Zwanzig Jahre Arbeit an einem globalen Klimavertrag wurden belohnt. Das Ziel des Vertrags, die Erderwärmung auf „deutlich unter zwei Grad“ einzudämmen, bedeutet sogar noch einen Anstieg des Ambitionslevels im globalen Klimaschutz. Das ist die Perspektive eines Großteils derer, die seit dem Erdgipfel 1992 in Rio als „globale Zivilgesellschaft“ wahrgenommen werden. Für diese großen und kleinen umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation, die gegenüber dem UN-Klimaprozess eher positiv eingestellt sind und diesen eng begleiten, markiert das Pariser Abkommen den bisherigen Höhepunkt des globalen Umweltschutzes. Klar ist aber auch ihnen, dass die Paragraphen des Pariser Abkommens nun mit konkreten Inhalten gefüllt und die bislang vorgelegten nationalen Klimaschutzziele erheblich verschärft werden müssen.

Entscheidend ist der Gipfel vor allem für die Themen „klimawandelbedingte Schäden und Verluste“ („loss & damage“) sowie Klimafinanzierung. Beide Themenfelder kreisen um die zentralen Konflikte im internationalen Klimaregime: die Frage, wie die Kosten und Lasten für Klimaschutz und Anpassung sowie Schäden und Verluste verteilt werden. Dabei gilt: Nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit – Stichwort: Verursacherprinzip – muss der globale Norden erhebliche Summen an den Süden zahlen. Auch strategisch ist dies entscheidend, weil die Länder des Südens hiervon ihr Engagement beim Klimaschutz abhängig machen. Wer diese Gründe anerkennt, muss auch auf die UN-Klimagipfel setzen. Denn Fragen globaler Umverteilung lassen sich nicht durch Proteste im nationalen Rahmen bearbeiten. Das wissen auch die institutionenkritischsten unter den Klimaaktiven.


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Dennoch gilt, dass die – gipfelkritischere - Klimagerechtigkeitsbewegung den Gipfel kaum auf der Agenda hat. Warum? Weil Marrakesch kaum öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt sich hier das Spiel einer „großen“ COP alle paar Jahre im globalen Norden (Kyoto, Kopenhagen, Paris) und vielen Zwischen-COP2, die - zumeist im Süden – von der Öffentlichkeit ziemlich unbemerkt ablaufen. Aus der gipfelkritischeren Bewegungsperspektive (zur Relevanz der verschiedenen Perspektiven in der Beurteilung des Pariser-Gipfels hier ) ist vor allem die öffentlichkeitsproduzierende Funktion von Klimagipfeln interessant, nicht ihre Policyfunktion. Anders gesagt: Es ist oft wichtiger, was über die Gipfel gesagt wird, als das, was in ihnen gesagt wird.

Kritik an grünkapitalistischen Lösungen

Woher kommt diese Gipfelskepsis? Viele ihrer Akteure kommen aus einer politischen Tradition, die sich – anders als die gipfelnahen NGOs - in Opposition zu denjenigen globalen Governance-Institutionen definiert, die während der Hochphase des Neoliberalismus entstandenen sind. In ihren Augen bekämpfen diese Institutionen den Klimawandel - im besten Fall – nicht effektiv. Im schlimmsten Fall verschärfen sie mit grünkapitalistischen Lösungen den Klimawandel sowie weitere ökologische und soziale Probleme – manifestiert im Slogan „Never trust a COP“. Aus dieser Perspektive wird das Klima in den Kohlerevieren und an anderen Orten der fossil-kapitalistischen Warenproduktion verhandelt. Der Gipfel ist, etwa für die Aktiven der Break Free from Fossil Fuels-Kampagne und Ende Gelände, eher ‚Side Show’.

Für beide Perspektiven – sowohl die gipfelnähere Zivilgesellschaft wie auch die gipfelkritische Klimagerechtigkeitsbewegung gilt aber: Sie sind eben global - mithin vernachlässigen sie beide ein wenig die Tatsache, dass jeder internationale Gipfel immer auch eine regionale Relevanz hat. Und dies könnte eine der wirklich spannenden Geschichten der COP22 werden: Schafft es die marokkanische Zivilgesellschaft diese COP wirklich zu einer afrikanischen COP zu machen, um so den Diskurs und die Praxis von Klimagerechtigkeit und Anti-Extraktivismus zu verbreitern und zu vertiefen?

Soziale Bewegung in Marokko

Die Ausgangslage dafür ist aus drei Gründen ein wenig düster: Erstens steckt die "Klimagerechtigkeit" (ob als Diskurs oder Bewegungspraxis) in Nordafrika noch in den Kinderschuhen; die durchaus präsenten sozialen Bewegungen arbeiten zumeist zu anderen Themen. Zweitens hat zivilgesellschaftliche Aktivität in Marokko nicht allzu viel Raum, dem Königshaus und der dieses umgebenden Machtstruktur (der ‚Makhzen’) auf die Füße zu treten. Drittens verfolgt diese Machtstruktur in Zusammenarbeit mit der europäischen Union derzeit eine Energiepolitik, die auf den Bau von Megaprojekten wie der Solarstromfabrik in Ouarzazate setzt, um damit ein sauberes Image zu generieren.

Dennoch sind die marokkanischen Aktiven guter Dinge, dass die Aufmerksamkeit der Welt, die nun mal doch ein wenig auf diesen Gipfeln liegt, ihren Handlungsraum erweitern, und ihnen die Möglichkeit geben wird, den Grundstein einer regionalen Klimagerechtigkeitsbewegung zu legen. Wir werden sie dabei begleiten und hier darüber berichten.


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