Nachricht | COP 22 Klimaschäden und -verluste: Klimagerechtigkeit nicht in Sicht

Nach zwei sehr warmen Jahren leiden 400 Millionen Menschen weltweit unter den Folgen von Dürren. Die Nachfrage nach Hilfen zur Anpassung an das veränderte Klima und Entschädigung von Verlusten ist so groß wie nie zuvor. Sie stellt ein zentrales Moment globaler Klimagerechtigkeit dar. Doch eine systematische und ausreichende Unterstützung durch die UN-Klimagemeinschaft ist nicht absehbar.

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Autorin

Nadja Charaby,

Demonstration in Marrakesch

Dieser Text ist in Kooperation mit der KlimaJournalisten UG entstanden.

Zum Dossier zum UN-Klimagipfel COP22


Vom Gelände der UN-Klimakonferenz in Marokko sieht man die Silhouette des Hohen Atlas am Horizont. Seit einigen Tagen sind die Gebirgsspitzen schneebedeckt. Auf 2.000 Meter Höhe liegt dort das abgeschiedene Dorf Tadmamt. Dort weiß man wenig vom geschäftigen Treiben der Diplomat*innen, die aus aller Welt gekommen sind, um den Klimawandel aufzuhalten.

Die Familie von Bauer Brahm Id Abdeslam lebt seit Jahrzehnten in den Bergen und baut Kartoffeln und Gemüse an. Sein kleines Haus ist an einem Hang gebaut, dahinter liegen Garten, Hühnerstall und Olivenbäume. „Wir haben hier seit Jahren zu wenig Wasser“, klagt er. „Es regnet zu wenig und schneit im Winter kaum“. Id Abdeslam erzählt von früher, als die Winter hier in den Bergen noch lang und schneereich waren. Auch dieses Jahr hat er wieder nur eine magere Ernte eingefahren. Da bleibt weniger zum Verkauf und damit auch kein Geld für zusätzlich übrig. Von den Klimaverhandlungen, die 60 Kilometer weiter stattfinden, hat der Bauer gehört. Er hofft, dass sich bald etwas ändert, denn wenn es noch wärmer wird, ziehen immer mehr Menschen in die Städte und die Alten blieben zurück.

In Marokko haben in diesem Jahr über 170.000 Bauern aufgrund der Dürre ihre Arbeit verloren. Und das Land ist keine Ausnahme. Die vergangenen zwei Jahre waren weltweit die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 400 Millionen Menschen waren laut einem aktuellen Bericht von Action Aid von Dürren und extremer Trockenheit betroffen. Die fatale Kombination des Wetterphänomens El Niño und die global steigenden Temperaturen ließ ganze Landstiche vertrocknen: Laut dem Bericht sind bis heute insgesamt 30 Prozent der globalen Landfläche betroffen. In Honduras fielen 60 Prozent der Maisernten in einigen Regionen komplett aus. Aber auch in afrikanischen Ländern wie Malawi und Zimbabwe sank die Produktion des Grundnahrungsmittels Mais um mindestens ein Drittel; außerdem reduzierte sich der Tierbestand dramatisch und sorgte für enorme wirtschaftliche Einbußen bei Landwirten.

Klimaforscher prophezeien, dass diese Probleme schon bald zur Regel werden könnten. Der Handlungsdruck ist dementsprechend hoch. Kleinbauern zahlen einen hohen Preis für das unberechenbare Wetter und die Länder des globalen Südens werden wirtschaftlich zurückgeworfen. Die Klimadiplomaten verhandeln schon seit Jahren über eine Lösung für die Anpassung an Wetterextreme, aber auch für die Entschädigung von Verlusten, für die eine Anpassung nicht mehr möglich ist. Auch in Marrakesch versuchen die Länder des Südens und Nichtregierungsorganisationen endlich die Hilfe zu institutionalisieren und Industrieländer auf feste Summen festzulegen.

Anpassung an den Klimawandel: Viel Bedarf, wenig Geld

Zuerst geht es dabei um den Anpassungsfonds, den es bereits seit 2008 gibt und der vor allem Gelder an kleine Projekte, beispielsweise für eine effiziente Bewässerung oder hitzeresistentes Saatgut ausschüttet. Auch im Süden Marokkos legte der Fonds bereits ein Hilfsprogramm für Oasen auf. Doch der Topf ist nur spärlich mit Geldern gefüllt. Deshalb fordern NGOs und betroffene Länder zusätzliche Gelder. Aktuell beklagen sie eine Finanzlücke von 80 Millionen Dollar. Mehr Geld hatten die Industrieländer mit dem Paris-Vertrag und dem Versprechen 100 Milliarden Euro jährlich für Klimahilfen bereit zu stellen, auch zugesichert. Doch nun schwelt der Streit, wie viel von diesem Geld in „mitigation“ – die Senkung von Emissionen beispielsweise dem Zubau von erneuerbaren Energien – und wie viel in die Anpassung an den Klimawandel ausgegeben wird. Die Länder des Südens fordern eine 50-50-Regelung, die Geberländer wollen deutlich mehr (etwa 80 Prozent des Gesamtbudgets) für die Senkung von Emissionen ausgeben – ganz offensichtlich, weil es ihnen letztendlich nützt, wenn im Süden weniger CO2 in die Atmosphäre geblasen wird. Zusätzlich befürchten betroffene Länder im globalen Süden, dass die Industriestaaten die Debatte um die Finanzierung von Anpassung nutzen, um eigene Wirtschafts- und Investitionsinteressen durchzusetzen, beispielsweise für „grüne“ Wirtschaftszweige, wie Windkrafthersteller etc., die sie den Ländern im Süden „aufdrücken“. Doch mit Anpassung kann man auch den Menschen vor Ort helfen – so gern sprechen die Regierungen im Norden, auch in Deutschland von der „Bekämpfung von Fluchtursachen“.

Die entscheidende Frage ist, wie genau die Anpassung aussehen soll. Länder wie Bolivien und Ecuador versuchen in Marrakesch vor allem die Art und Weise der Anpassung zu diskutieren: Denn in der Landwirtschaft laufen die „Lösungen“ großer Konzerne wie Gentechnik und eine industrialisierte Landwirtschaft (von der vor allem die Düngemittel- und Pestizidindustrie profitiert) ebenso unter dem Label Anpassung wie die Rückbesinnung auf die traditionellen Anbaumethoden von Indigenen oder die Installierung von Regenauffangbecken mit einfachen Mitteln. Die südamerikanischen Länder fordern, vor allem auf die Erfahrungen von naturnahen und ökologischen Alternativen zu setzen. Diskussionen gibt es auch darüber, was genau Anpassung eigentlich ist: Denn nicht alle Bauprojekte, die unter Anpassung laufen, sind auch wirklich dazu da, gegen Klimaschäden vorzusorgen – etwa Dämme und Brücken, die ohnehin gebaut worden wären.

Wer zahlt für die Ernteausfälle?

Noch kontroverser ist die Diskussion um die Verluste und Schäden durch Wetterextreme wie Dürren. Wie sollen Menschen im Süden, wie der Bauer bei Marrakesch irgendwann einmal entschädigt werden, wenn die Temperaturen derart steigen, dass es im Dorf Tadmamt kein Wasser mehr gibt und weder Kartoffeln noch Gemüse wachsen? Wer kommt dafür auf, wenn er sein Land verlassen muss? Und wie – wenn überhaupt – lässt sich der damit verbundene Verlust an Kultur und traditioneller Lebensweise entschädigen? Potenziell geht es um Abermilliarden Dollar, die die Geschädigten einfordern.

Nach langen Jahren harten Ringens hatte es das Thema „Loss and Damage“ in das Pariser Abkommen geschafft und ist damit – neben der Reduktion von Emissionen („mitigation“) und der Anpassung („adapation“) formal als dritte Säule des Klimaregimes verankert. Allerdings hält der weniger verbindliche Teil des Abkommens auch fest, dass damit "keine Grundlage für Haftung oder Schadensersatz geschaffen wird" – die Formulierung ist auf Druck der USA, des historischen größten Verursachers des Klimawandels, in den Text aufgenommen worden und soll vor möglichen Schadensersatzklagen schützen. Schon rein formal zeigt sich die stiefmütterliche Behandlung von „Loss and Damage“: Auch ein Jahr nach Paris hat es das UNFCCC-Sekretariat nicht geschafft, der neuen Säule eine eigene prominente Präsenz auf der UNFCCC-Website zu verschaffen. Die Aktivitäten zu Loss and Damage werden immer noch als Unterkategorie der Anpassungssäule dargestellt und sind für Interessierte entsprechend schwierig zu finden.

Was wird in Marrakesch geregelt? Wahrscheinlich nicht viel.

Nun steht das Thema ganz offiziell in Marrakesch auf der Tagesordnung. Vorarbeit hierzu hat in den letzten Jahren der sogenannte Warschau-Mechanismus (WIM) geleistet, ein Gremium, das die Staaten 2013 ins Leben gerufen hatten. Das Exekutivkomitee des WIM (ExCom) hat pünktlich zu den Verhandlungen in Marrakesch einen Bericht über seine Arbeit in den vergangenen zwei Jahren vorgelegt. Das Gremium hat zum einen Erfahrungen zum Umgang mit Risiken durch Extremwetterereignisse zusammengetragen und Wissen zu den Auswirkungen von langfristigen Veränderungen wie der Versalzung und Degradierung von Böden. Außerdem ging es darum zu erfassen, inwieweit der Klimawandel für Verluste sorgt, die sich nicht in Zahlen ausdrücken lassen. Dazu gehört der Verlust an kultureller Identität, weil sich etwa Kleinbauern gezwungen sehen, in die Städte zu ziehen, um ihr Überleben zu sichern. Und auch das Thema klimabedingte Migration stand auf der Agenda.

Sehr kontroverse Diskussionen

Die erste Verhandlungswoche in Marrakesch hat gezeigt, dass es im Themenfeld Loss and Damage auf dieser COP voraussichtlich keine großen Fortschritte geben wird. Die Verhandlungen drehten sich in erster Linie um Prozeduren - etwa die Frage, inwieweit der Bericht des ExCom angenommen werden kann und wie genau der vorgeschlagene Aufschlag für den 5-Jahres-Arbeitsplan des WIM ausgestaltet werden soll. Woran es hängt, zeigen die Diskussionen, die sich um die großen Diskrepanzen zwischen den Industriestaaten und den betroffenen Ländern, wie etwa der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS), drehen. Die sind oftmals so kontrovers , dass zivilgesellschaftliche Beobachter*innen in den Verhandlungen immer wieder zum Verlassen des Raumes aufgefordert wurden. Streitigkeiten sollten anscheinend nicht allzu offensichtlich an die Öffentlichkeit geraten. Deutlich ist aber: Während die Industrieländer das ganze Thema Loss and Damage in den Verhandlungen schnell abschließen wollen, ist es den betroffenen Ländern ein Anliegen festzuhalten, dass die Arbeit des ExCom nicht abschließend betrachtet werden kann, sondern zahlreiche Aufgaben auch in den kommenden Jahren weiter abzuarbeiten bleiben. In diesem Sinne ist die derzeit noch sehr ergebnisoffene Debatte um den WIM auch eine Chance für die Länder des globalen Südens, ihre Forderungen zu platzieren.

In der Auseinandersetzung um die Ausgestaltung des Arbeitsplans des Warschau-Mechanismus' für die nächsten fünf Jahre fordern die betroffenen Länder, dass die Kernaufgabe des Gremiums darin bestehen soll, die Finanzierung für Loss and Damage sicherzustellen. Denn über eigene Finanzen verfügt „Loss&Damage“ bisher nicht. Genau hier liegt der zentrale Streitpunkt der Verhandlungen: Während die Industriestaaten das Thema möglichst klein halten wollen, fordern die Länder des globalen Südens substanzielle Zusagen und konkrete Planungsschritte. Statt substanzieller Finanzzusagen pushen die Industriestaaten – allen voran Deutschland - die Verbreitung von Klimaversicherungen mit dem Argument, dass diese im Schadensfall schnell eingreifen können. Beim G7-Treffen vergangenes Jahr in Elmau hatte die Bundesregierung unter dem Namen InsuResilience eine "Klimaversicherungs-Initiative" gestartet und 150 Millionen Euro Startkapital bereit gestellt, um afrikanische Länder bei der Einrichtung zu helfen. 400 Millionen Menschen möchte man bis 2020 versichern – ein ambitioniertes Ziel.

Neben dem genannten Argument der Zahlungseffizienz der Versicherungen, deren Gelder innerhalb kurzer Zeit nach einer Wetterkatastrophe fließen (während etablierte internationale Mechanismen oder Spendengelder oftmals Monate benötigen, um in den betroffenen Regionen anzukommen) führen die Befürworter der Versicherungslösung noch einen weiteren Vorteil ins Feld: Durch die Einführung von Versicherungen, so das Argument, verbessere sich die Datenlage zu wetterbedingten Katastrophen. Zudem werde für die Versicherten ein Anreiz geschaffen, sich bewusster mit Klimarisiken auseinanderzusetzen und vorbeugende Maßnahmen umzusetzen. – also eine Lösung jenseits von reiner Kompensation.

Aber ist das auch aus Sicht einer Perspektive, die sich Klimagerechtigkeit zum Maßstab macht, der richtige Ansatz? Aus dieser Perspektive trägt der Fokus auf Versicherungslösungen dazu bei, die essentielle Frage nach dem Verursacherprinzip und der Kompensation ökologischer Schuld zu verwässern. Das heißt nicht, dass Versicherungslösungen keinen wichtigen Baustein für Loss and Damage darstellen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Industrieländer anstatt klarer Finanzzusagen am Ende vor allem komplizierte, marktbasierte Versicherungslösungen auf den Markt werfen – Versicherungen, die für Bauern wie Brahm Id Abdeslam nicht finanzierbar sind. Sie bergen die Gefahr, dass Bauern und Bäuerinnen dadurch genauso in eine Schuldenfalle getrieben werden wie es die einst so angepriesenen Mikrokredite getan haben. Außerdem könnten die notwendigen gesellschaftlichen Transformationen, die für das Funktionieren von Versicherungen an den betroffenen Standorten notwendig sind, so groß sein, dass sie nicht mit etablierten sozialen und ökonomischen Verhältnissen vereinbar sind und somit neue Probleme verursachen. Hinzu kommt die berechtigte Kritik, dass Versicherer in der Regel profitorientiert handeln und ihre eigenen Gewinninteressen in den Vordergrund stellen. Ihre Zahlungswilligkeit könnte bei zunehmenden klimabedingten Katastrophen massiv abnehmen. Die Frage ist also: Bringen Klimarisikoversicherungen wirklich am Ende den Betroffenen schnelle und effektive Hilfe oder sind sie vor allem eine „Lösung“, mit der sich die Industriestaaten von ihren ökologischen Schulden reinwaschen?

Schäden, die nicht bezahlbar sind und Klimaflucht

Klimarisikoversicherungen wie InsuResilience sind – selbst wenn sie funktionieren – auch nur ein Baustein im notwendigen Set komplexer Lösungsansätze für die mit klimabedingten Schäden und Verluste. Denn einige Verluste lassen sich nicht „bezahlen“. Zu diesen nicht-wirtschaftlichen Verlusten („non-economic losses“) zählen beispielsweise kulturelle Praktiken, wie die spirituelle Verbundenheit bestimmter Gemeinschaften mit ihrem Land. Wie ließe sich der Verlust kompensieren, wenn sie dieses Land wegen des ansteigenden Meeresspiegels verlassen müssen? Auch hierfür muss die Weltgemeinschaft einen Lösungsprozess auf den Weg bringen.

Eng damit verknüpft ist das Thema Flucht und Vertreibung, das in der ersten Verhandlungswoche in Marrakesch eine zentrale Rolle spielte. Heute sind bereits 25 Millionen Menschen aufgrund von Naturkatastrophen auf der Flucht. In Südamerika stellen Naturkatastrophen in mehr als 80 Prozent der Fälle den Grund für Flucht und Vertreibung dar. Vertreter*innen stark betroffener Länder wie die Inselstaaten Vanuatu und Tuvalu fordern, dass die Weltgemeinschaft Lösungen finden muss, die Klimaflucht und Umsiedlungen verhindern. Gleichzeitig fordern Klimagerechtigkeitsbewegungen und NGOs, dass ein internationales System geschaffen wird, das die Menschenrechte von Klimaflüchtlingen völkerrechtlich in Schutz nimmt. Bisher gibt es hierfür keinen Status; sie fallen durch das Raster der Genfer Flüchtlingskonvention.

Von staatlicher Seite gibt es Ansätze, wie die „Platform on Disaster Displacement“. Im Rahmen dieser Initiative versuchen rund 20 Staaten aus verschiedenen Regionen, das UN-Flüchtlingshochkommissariat, die Internationale Organisation für Migration sowie wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Institutionen multisektorale Lösungsansatz für klimabedingte Vertreibungen zu finden. Angeführt werden sie hierbei von Deutschland und Bangladesch. Zwar hat sich die Plattform zum Ziel gesetzt, Menschenrechte und die Bedürfnisse der durch den Klimawandel in die Flucht getriebenen Menschen ins Zentrum zu stellen. Ein Ersatz für einen völkerrechtlich abgesicherten Prozess, der die rechtliche Situation der klimabedingt vertriebenen Menschen regelt und ihre Rechte schützt,ist das aber nicht. Entsprechend forderten NGOs und Klimagerechtigkeitsbewegungen in der ersten Woche der COP22, dass der Warschau-Mechanismus die Diskussionen um klimabedingte Vertreibungen voranbringen und ein eigenes Protokoll zum Schutz von Klimaflüchtlingen entwickeln muss.

Noch sind Bauern wie aus dem marokkanischen Dorf Tadmamt bei Ernteausfällen weiterhin auf sich allein gestellt. Ob sich die großen Emittenten jemals auf eine „Entschädigung“ für die Milliarden Tonnen CO2-Emissionen einlassen, die sie in den letzten 200 Jahren in die Atmosphäre gepustet haben, ist fraglich.