Nachricht | Afrika - Westafrika Völkermord und Massengewalt

HistorikerInnen, GeschichtslehrerInnen und StudentInnen diskutieren in Dakar

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Mehr als 50 Interessierte kamen am 23. November 2016 in die Universität von Dakar, um über Völkermord und Massengewalt im 20. Jahrhundert mit Historikern aus Afrika und Europa zu diskutieren. Eingeladen hatte die UNESCO und die nationale senegalesische Kommission der UNESCO in Zusammenarbeit mit dem Museum Memorial de la Shoah, der Holocaust&Genocide Foundation South Africa und der Rosa Luxemburg Stiftung Dakar.

Joël Kotek von der Freien Belgischen Universität ging in seinem Vortrag auf die Unterscheidung von Völkermord und Massengewalt ein. Kotek stützte sich bei seinem Definitionsversuch auf Raphael Lemkins Arbeiten, der den Begriff Genozid geprägt hatte. Für Kotek handelt es sich bei der Verfolgung der Hereros und Namas Anfang des 20. Jahrhunderts im damaligen Kolonialgebiet Deutsch-Südwest Afrika, heute Namibia, um einen Völkermord. Dem Vernichtungskrieg des Deutschen Kaiserreichs von 1904 bis 1908 fielen etwa 100.000 Menschen und damit fast 80 Prozent der Hereros und Namas zum Opfer. Der Massenmord an 1,7 Millionen Menschen in Kambodscha durch die Roten Khmer und der stalinistische Terror, dem Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind, waren kein Völkermord, denn, so Kotek, weder Pol Pot noch Stalin hatten die Absicht ein Volk oder eine Bevölkerungsgruppe systematisch auszulöschen, auch wenn im Falle Stalins unter den Opfern besonders viele Ukrainer und Polen waren.

Pascal Zachary (Museum de la Shoah) und Ulrich Herbert (Universität Freiburg) setzten sich in ihren Vorträgen mit dem Völkermord an den europäischen Juden auseinander. Zachary erläuterte in seiner Präsentation die verschiedenen Phasen des Völkermords, vom Ausschluss aus der Bevölkerung über die Konzentration in Lagern und Ghettos, dem Massenmord durch Erschießen und dem industriellen Mord in den Gaskammern bis zur juristischen Aufarbeitung nach Beendigung des Genozids.

Ulrich Herbert ging in seinem Vortrag auf den Stand der historischen Forschung zum Völkermord an den europäischen Juden ein und setzte sich mit der Frage eines Teilnehmers auseinander, ob die Nazis die Vernichtung der Juden von langer Hand geplant hatten. Herbert verneinte dies und verwies auf die sich in Etappen vollziehende Radikalisierung der Vorgehensweise gegen die Juden. Zunächst favorisierte das Regime die Ausweisung der Juden aus Deutschland. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges fielen den Deutschen immer mehr Juden in den besetzten Ländern in die Hände. Mit der sich abzeichnenden Niederlage im Krieg radikalisierte sich die Vorgehensweise gegen die Juden immer mehr. Aber auch andere Gruppen, vor allem Polen, Russen und Ukrainer, fielen dem Terror der Deutschen zum Opfer.

Neben dem Völkermord an den europäischen Juden wurde auch der Genozid in Ruanda auf der Konferenz intensiv diskutiert. Tali Nates vom Holocaust Centre in Johannesburg (Südafrika) stellte ihre vergleichenden Arbeiten zum Holocaust und dem Genozid in Ruanda mit GeschichtslehrerInnen vor, und stieß damit auf großes Interesse bei den TeilnehmerInnen.

Nach der öffentlichen Diskussionsveranstaltung an der Universität trafen die eingeladenen HistorikerInnen, MuseumsmacherInnen und GeschichtslehrerInnen zwei Tage lang (24. und 25. November) mit knapp 50 KollegInnen aus westafrikanischen Universitäten und Schulbehörden zusammen, um über den Unterricht von Völkermord, Massengewalt und Prävention in afrikanischen Schulen zu diskutieren.

Alioune Dème von der Universität Dakar, der in seinem Vortrag die Internierung von Juden in Dakar während des Zweiten Weltkrieges darstellte, als Französisch Westafrika Teil des mit den Nazi kollaborierenden Vichy-Regime war, schlug in der Diskussion, wie andere TeilnehmerInnen auch, den Bogen zu gegenwärtig zu beobachtenden Radikalisierungstendenzen in Westafrika. Die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen studentischen Gruppen, die sich gegenseitig beschuldigen „unislamisch“ zu sein, sieht Dème mit großer Sorge.

 

Weiterführende Links zum Thema:

Ulrich Herbert, Das Dritte Reich, München 2016.

http://www.fr-online.de/literatur/ulrich-herbert-militaer--organisation--krieg,1472266,34732522.html

Ulrich Herbert, Best, Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, München 2016.

https://vimeo.com/85148107