Analyse | Rosalux International - Palästina / Jordanien - Krieg in Israel/Palästina Gazas Zukunft

Trump-Plan, Zwei-Staaten-Lösung und die Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde

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Ramallah, 3.7.2021: Menschen blockieren in Ramallah eine Straße, vor ohnen stehen palästinensischen Sicherheitskräfte in schwarzer Kleidung, die Aufnahme zeigt die Polizisten von hinten im Angesicht der Protestierenden.
Das Ansehen der Palästinensischen Autonomiebehörde ist auf einem historischen Tiefpunkt angekommen. Kritiker*innen werfen der PA vor, repressiv gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen und die Interessen der Besatzungsmacht zu vertreten.  Ramallah, 3.7.2021: Protest gegen Präsident Mahmoud Abbas, nachdem PA-Kritiker Nizar Banat in der Obhut der palästinensischen Sicherheitskräfte gestorben war, Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Nasser Nasser

Die Zukunft des Gazastreifens ist ungewisser denn je. Nicht nur weil US-Präsident Trump jüngst abstruse Aussagen machte, die weltweit verurteilt wurden. Im Anschluss an sein Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Anfang Februar erklärte Trump seinen «Plan», demzufolge die palästinensische Bevölkerung aus dem Gazastreifen umgesiedelt (sprich: vertrieben) und das Gebiet US-amerikanischer Kontrolle unterstellt werden solle. Er wolle Gaza zur «Riviera des Nahen Ostens» machen, verkündete der US-Präsident im Stile eines Immobilienentwicklers – schließlich verdient nicht nur Trump, sondern auch sein Nahostbeauftragter, Steve Witkoff, mit Luxusimmobilien sein Geld. An Zynismus sind die Aussagen angesichts der Not leidenden Bevölkerung nicht zu überbieten. Selbst CNN sprach in der Reaktion von einem «Kolonialismus des 21. Jahrhunderts», denn eine Mitsprache der Palästinenser*innen ist in seinem Szenario nicht vorgesehen.

René Wildangel ist promovierter Historiker mit Schwerpunkt Westasien. Er hat lange in Syrien gelebt und arbeitete u.a. von 2016 bis 2019 als Nahostreferent bei Amnesty International.

Doch für die über zwei Millionen Menschen, die nach fast anderthalb Jahren israelischer Angriffe in einer Trümmerwüste überleben müssen, geht es genau darum: Wie können sie dringend erforderliche humanitäre Hilfe bekommen, wie kann ein Wiederaufbau beginnen, und wie könnte eine Nachkriegsordnung aussehen? Im Zentrum solcher Überlegungen steht die Frage nach palästinensischer Selbstverwaltung und ob die in diesem Zusammenhang oft genannte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) dabei eine Rolle spielen kann.

Die Entstehung der PA

Die PA wurde vor über 30 Jahren, mit der 1993 geschlossenen «Prinzipienerklärung über eine vorübergehende Selbstverwaltung» (Oslo 1), geschaffen. Auf palästinensischer Seite unterzeichnete die Verträge die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, die international als Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannt war und ist. Die PA sollte als neue Institution die Keimzelle einer palästinensischen Selbstverwaltung und schließlich – nach einer fünfjährigen Übergangszeit – eines unabhängigen und demokratischen palästinensischen Staates sein.

Die ersten selbstverwalteten palästinensischen Gebiete, aus denen Israel sich nach dem Prinzip «Land gegen Frieden» zurückzog, waren 1994 Jericho und der Gazastreifen. Vorsitzen sollte der PA der – alle vier Jahre direkt zu wählende – palästinensische Präsident: 1996 war das zunächst Jassir Arafat, 2005 wurde nach dessen Tod Mahmoud Abbas gewählt. Seitdem fanden keine Präsidentschaftswahlen mehr statt, sie wurden immer wieder verschoben.

Eine zentrale Rolle im politischen System Palästinas war für den Palästinensischen Legislativrat vorgesehen, der als Parlament die PA kontrollieren und die vom Präsidenten vorgeschlagene Regierung bestätigen soll. Seit die Hamas 2006 die Wahl zum Legislativrat gewann, fanden allerdings überhaupt keine Wahlen mehr statt.

Und als der Oslo-Prozess ab 1996 stockte, da mit Benjamin Netanjahu einer ihrer erbittertsten Gegner in Israel zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, wurde aus der «vorübergehenden Selbstverwaltung» eine unbefriedigende Dauerlösung. Seit die PA 2011 eine Kampagne für eine Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen begann, bezeichnet sie sich offiziell als Repräsentant des «Staates Palästina». Palästinas Status in der UNO wurde 2012 aufgewertet, und zahlreiche internationale Organisationen akzeptierten Palästina als Mitgliedstaat. Doch vor Ort verwaltet die PA bis heute gerade mal 40 Prozent des Territoriums der Westbank, und auch dort beschneiden israelische Besatzung und Siedler*innen ihre Macht.

Der Gazastreifen steht indessen seit 2007 unter der Herrschaft der Hamas. Sämtliche Versuche einer Versöhnung scheiterten; zu groß war die Rivalität zwischen den beiden Hauptparteien, der Fatah und der Hamas. Bereits kurz nach dem Angriff der Hamas auf israelische Gemeinden am 7. Oktober 2023 brachte der damalige US-Außenminister, Antony Blinken, die Idee in Umlauf, dass in einer Nachkriegsordnung die Palästinensische Autonomiebehörde über den Gazastreifen herrschen solle und sie dafür gestärkt werden müsse. Allerdings gab es keinen konkreten Plan, wie das geschehen könnte.

De facto ist es auch nach Israels verheerendem Militäreinsatz, der nahezu den gesamten Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt und den Großteil der Zivilbevölkerung zu Vertriebenen gemacht hat, noch immer die Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert. Mit ihr schloss Israel im Januar 2025 einen Waffenstillstand, in dessen Folge auch eine dauerhafte Nachkriegsregelung gefunden werden soll.

Der Zustand der PA seit dem 7. Oktober

Bereits vor dem 7. Oktober 2023 war der Zustand der PA beklagenswert. Schon seit längerem kritisierten palästinensische Aktivist*innen ihr zunehmend autoritäres Auftreten. Beispiele waren das gewaltsame Unterbinden von Demonstrationen, die Verfolgung von Kritiker*innen in den sozialen Medien, die Einschränkung der Meinungsfreiheit und massive Repression gegen Oppositionelle. 2021 kam der Aktivist und Regierungskritiker Nizar Banat nach seiner Verhaftung mutmaßlich aufgrund schwerer Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte der PA ums Leben. Eine lückenlose Aufklärung fand nicht statt, bis heute wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen.

Palästinensische Kritiker*innen werfen der PA vor, repressiv gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen und – vor allem im Rahmen der andauernden Sicherheitskoordinierung mit Israel – die Interessen der Besatzungsmacht zu vertreten. Im Rahmen dieser im Oslo-Prozess vereinbarten Koordination verpflichtet sich die PA, bewaffnete Gruppierungen und terroristische Aktivitäten zu unterbinden und von Israel gesuchte Personen zu verhaften und an Israel zu übergeben. Das richtet sich oft gegen ihre eigenen politischen Gegner wie die Hamas oder den Islamischen Dschihad. Nach Ansicht palästinensischer Beobachter*innen wird so aber auch legitimer palästinensischer Widerstand gegen die Besatzung kriminalisiert.

Der Krieg in Gaza beförderte die Glaubwürdigkeitskrise der PA weiter. Während sich die Hamas – sei es auch noch so destruktiv und mit fatalen Folgen – als handlungsfähiger Akteur präsentierte, konnte die PA dem Geschehen nur zusehen. Sie schaffte es noch nicht einmal, eine eigene starke Position für einen Waffenstillstand zu entwickeln, geschweige denn eine politische Option für ein Nachkriegsszenario. Auch in der Westbank musste die PA tatenlos zusehen, wie mit tatkräftiger Unterstützung der ultrarechten israelischen Regierung die Gewalt seitens israelischer Siedler eskalierte.

Der Vertrauensverlust spiegelt sich auch in den öffentlichen Umfragen des PCPSR seit dem 7. Oktober 2023 wider: Im September 2024 fielen die Zustimmungswerte für Präsident Abbas auf ein Rekordtief von 18 Prozent, 84 Prozent sprachen sich für seinen Rücktritt aus. 36 Prozent bevorzugten trotz der desaströsen Lage in Gaza die Hamas vor der Fatah mit 21 Prozent (wobei die Zustimmung für die Hamas im Gazastreifen konstant niedriger ist als in der Westbank). Ein Jahr zuvor war die Unterstützung für die Fatah mit 26 Prozent noch höher als die für Hamas (21 Prozent) gewesen.

Das gewaltsame Vorgehen palästinensischer Sicherheitskräfte in Dschenin seit 2024 belastet das Ansehen zusätzlich. Im größten Flüchtlingslager der Stadt habe nicht nur die israelische Armee brachiale Gewalt eingesetzt, sondern nach Ansicht ihrer Kritiker*innen auch die PA einen regelrechten Krieg gegen bewaffnete palästinensische Gruppen geführt. Den Sicherheitskräften der PA werden auch Misshandlungen und gezielte Tötungen vorgeworfen. «Man könnte die Sicherheitskräfte der PA leicht für israelische Armeeangehörige halten, hätten sie nicht andere Uniformen an», schreibt die Analystin Yara Hawari. Das Ansehen der PA ist auf einem historischen Tiefpunkt angekommen – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die internationalen Erwartungen an die zukünftige Rolle der Behörde höher sind denn je.

Die israelische Rechtsregierung unter Netanjahu war der PA gegenüber von Anfang an feindselig gesinnt. Obwohl die Sicherheitskoordinierung fortgesetzt wurde, unternahm die israelische Regierung zahlreiche Maßnahmen, um die palästinensische Selbstverwaltung gezielt zu schwächen: So kürzte sie ihr zustehende Steuereinnahmen und schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein. Stattdessen förderte sie die Siedlerbewegung inklusive deren radikaler und gewalttätiger Elemente und stellte eine Annexion von Teilen der Westbank in Aussicht.

Ministerpräsident Netanjahu griff die PA mehrfach scharf an und sprach sich gegen ihre Präsenz im Gazastreifen aus, da die PA «Terror unterstütze und finanziere.» Diese Politik ist ganz im Sinne seines wichtigsten Ziels, die Schaffung eines zukünftigen palästinensischen Staates zu verhindern.

Szenarien für eine Machtübernahme der PA

Angesichts dieser negativen Haltung der aktuellen israelischen Regierung, des geringen Vertrauens in der palästinensischen Bevölkerung und des jüngsten Vorstoßes von Präsident Trump, den Gazastreifen «zu übernehmen», stellt sich die Frage, wie realistisch eine Machtausweitung der PA überhaupt ist. Präsident Abbas erklärte im Januar 2025 erneut, die PA sei bereit, die «volle Verantwortung» in Gaza zu übernehmen. Allerdings würde das nur dann funktionieren, wenn er auch auf die Rolle des größten politischen Rivalen eingehen würde: der Hamas. Denn die ist nach wie vor der maßgebliche Akteur in Gaza. Mit ihr handelten Israel, die USA und arabische Staaten wie Katar, Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien den Waffenstillstand aus, nicht mit der PA. Und die Hamas spielt auch bei den weiteren Phasen der Verhandlungen, mit denen der Waffenstillstand in eine langfristige Nachkriegsordnung überführt werden soll, die zentrale Rolle.

Realistischerweise bedeutet dies, dass eine Verständigung zwischen den beiden größten palästinensischen Parteien eine notwendige Voraussetzung ist – dies befürwortet auch nach wie vor eine große Mehrheit der Palästinenser*innen. Dafür müssten beide Seiten Kompromisse schließen. Auf Seiten der Hamas hieße dies vor allem auf die Alleinherrschaft in Gaza zu verzichten und den militärischen Kampf gegen Israel zu beenden. Aber die Fatah hat ihrerseits in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie zu Zugeständnissen an ihren Erzfeind nicht bereit ist. Der Versuch, im Rahmen einer Kabinettsumbildung eine von beiden Parteien unterstützte Technokraten-Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Mohamed Mustafa zu bilden, scheiterte im März 2023.

Mit Blick auf Gaza versucht Ägypten, die beiden Parteien zur Zusammenarbeit in einem sogenannten «Community Support Committee» zu bewegen, das Wiederaufbaumaßnahmen koordinieren und eine überparteiliche Interimsverwaltung für Gaza bilden soll. Die formale Zustimmung von Präsident Abbas fehlt allerdings bisher, und auch jüngste Verlautbarungen der PA, man wolle eine eigene «Task Force» für den Wiederaufbau in Gaza und die Koordinierung humanitärer Hilfe einrichten, deuten darauf hin, wie schwierig die Abstimmung bleibt.

Mit Beginn des Waffenstillstands wurde immerhin der Grenzübergang nach Ägypten geöffnet, wo sich eine bemerkenswerte Entwicklung vollzog: Hier wurde die EU-Mission EUBAM reaktiviert, die nach dem Abkommen über Bewegungsfreiheit und Zugang 2005 bis zur Machtübernahme der Hamas 2007 für die Kontrolle der Grenze zuständig war. Auf palästinensischer Seite sollen aktuell Kräfte beteiligt sein, die nicht der Hamas angehören, sondern der PA «nahestehen». Das ist immerhin ein erster kleiner Schritt in Richtung einer Übernahme von Verantwortung in Gaza.

Trump und die internationale Gemeinschaft

Allerdings lehnt ausgerechnet Israel die Präsenz der PA ab: Denn diese könnte zwar einen Weg darstellen, die Hamas zu schwächen oder langfristig zu ersetzen; aber an einer Dynamik, die dann wieder einen palästinensischen Staat und die Umsetzung der Zweistaatenlösung auf die Tagesordnung setzen könnte, hat die aktuelle israelische Regierung kein Interesse. Sie setzt eher auf einen für Israel vorteilhaften «Deal» mit US-Präsident Donald Trump, was durch die jüngsten Äußerungen Trumps bekräftigt worden sein dürfte.

Abgesehen von diesen realitätsfernen Äußerungen hat Trump ein anderes, konkretes Ziel: Er will die Normalisierung der saudisch-israelischen Beziehungen vollenden, auf die er bereits in seiner ersten Amtszeit hinarbeitete und von der er sich große wirtschaftliche Impulse erhofft. Der Angriff der Hamas führte unter anderem dazu, dass dieser Ausgleich nicht zustande kam. Der saudische Kronprinz aber muss, will er seinen eigenen Staatsbürger*innen (und der Region) ein Abkommen mit Israel vermitteln, Erfolge vorweisen können. Die Schaffung eines palästinensischen Staates nennt er als Grundbedingung für ein Abkommen.

Die EU sollte das nach Kräften unterstützen. Dabei muss sie deutlich machen, dass es nicht um einen «Hinterzimmer-Deal» geht, sondern um eine tragfähige und völkerrechtskonforme Regelung, die nach dem desaströsen Gazakrieg geeignet ist, neuerliches Blutvergießen zu verhindern und Sicherheit für die Menschen in Israel und in Palästina zu garantieren. Die Grenzöffnung zu Ägypten und die Wiederaufnahme der Unterstützungsmission EUBAM ist dabei ein wichtiger erster Schritt. Die EU kann auch zu einer Stärkung der PA beitragen, deren Hauptunterstützer sie in den letzten Jahren war; das wird aber nur gelingen, wenn diese auch hinreichend demokratisch legitimiert ist und die Interessen aller Palästinenser*innen berücksichtigt.

Die EU sollte sich den Vorschlägen Trumps entschieden entgegenstellen und stattdessen das Recht der Palästinenser*innen bekräftigen, über ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Sie sollte jetzt einen palästinensischen Staat anerkennen und gegenüber Israel deutlich machen, dass eine historische Chance besteht, die arabische Friedensinitiative von 2002 zu verwirklichen: eine vollständige Normalisierung zwischen Israel und der arabischen Welt und im Gegenzug die Schaffung eines unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen Staates.