Pressemeldung | Ein Verlag für Exoten?

Jörn Schütrumpf über den 60-jährigen »Dietz« (Neues Deutschland, 23.09.06)

ND: 1946 wurden drei SED-Verlage gegründet – »Neues Deutschland«, das theoretische Organ der Partei »Die Einheit« sowie der Buchverlag Dietz. Die Einheit ist verschwunden. ND und Dietz hingegen können gemeinsam trällern: »Da sind wir aber immer noch …«

Schütrumpf: Halt: »Die Einheit« wurde von »UTOPIE kreativ« beerbt; diese Zeitschrift ist jedoch kein »Organ« mehr, sondern ein offenes Forum.

Wie hat Dietz es geschafft, die Wende-Stürme zu überstehen?

Ähnlich wie ND: durch den Wandel weg vom Sprachrohr einer mit Vorliebe ihre dümmlichen Eitelkeiten pflegenden Parteiführung hin zu einem Haus, in dem jene publizieren, die sich mit der Befreiung von all jenen Verhältnissen herumplagen, unter denen der Mensch ein verächtliches Wesen ist. Und: Weil der Eigentümer – das ist im Moment noch die Linkspartei.PDS – allen Widrigkeiten mannhaft trotzend zu dem Verlag gestanden hat, ohne sich in seine Arbeit einzumischen; ein Stück Kultur, das alles andere als selbstverständlich ist. Sowie drittens: 1999 hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung den Karl Dietz Verlag, in dem das Werk von Karl Marx und Rosa Luxemburg seine Heimstatt hat, zu seinem Hausverlag erwählt.

Gibt es realen Bedarf, rege Nachfrage nach Büchern von Karl Dietz? Oder sind es nur »Exoten«, die teils aus alter Treue sich für Ihre Produkte interessieren?

Der aufgeklärte und seiner selbst bewusste DDR-Intellektuelle ist bisher unser wichtigster Partner. Mit dem Neoliberalismus ist uns nun – wenn auch ungewollt – ein neuer »strategischer Verbündeter« zugewachsen: Das »Kommunistische Manifest«, das in den 90er Jahren nur Lagerkosten verursachte, und das »Kapital« sind jetzt schon wieder Spitzentitel.
Der Ruf nach einer neu bearbeiteten Marx-Engels-Ausgabe nach MEGA-Standard wird immer lauter. Deshalb starten wir in diesem Herbst die MEW neu. Da das natürlich sehr kostenintensiv ist, werden wir die MEW vergesellschaften: mit unserem Angebot zur Beteiligung »Marx statt Stadtschloss«. Außerdem: In Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung präsentieren wir auf der Frankfurter Buchmesse Oskar Lafontaines »Französisch lernen!«. Und Dieter Kleins ätzende Kapitalismuskritik »Milliardäre – Kassenleere«, gerade erst erschienen, erlebt Mitte Oktober eine zweite, neu bearbeitete Auflage. Und am Donnerstag der nächsten Woche stellen wir im ND-Gebäude Erhard Cromes »Sozialismus im 21. Jahrhundert« vor – alles Bücher, die »Exoten« nicht benötigen.

Wie hält es der Verlag mit den zwei Grundübeln des 20. Jahrhunderts: Faschismus, Stalinismus?

Die Literatur zum Faschismus bildet einen zentralen Strang in unserem Programm. Als nächstes kommen ein Handbuch aller deutschsprachiger Spanienkämpfer sowie Porträts von Überlebenden des KZ Buchenwald. Thema Stalinismus: Der alte Menschheitstraum von Gerechtigkeit und Freiheit wirkte Jahrhunderte lang wie ein Brunnen. Doch im Stalinismus wurde er mit Blut und unaussprechbarem Unrat gefüllt; der Traum verwandelte sich für viele Menschen in einen Albtraum. Ein Verlag wie Dietz, der einst Wyschinskis »Gerichtsreden« verbreitete, hat keine Existenzberechtigung, wenn er sich nicht daran beteiligt, diesen Brunnen wieder freizulegen und erneut zum Sprudeln zu bringen. Mit dem Handbuch »Deutsche Kommunisten« haben viele Opfer ihre Ehre zurückerhalten. Außerdem sind wir dabei, das vergessen gemachte Werk der emanzipatorischen Linken zu heben und zu vervollständigen: Rosa Luxemburg, Käte und Hermann Duncker, Paul Levi …