Pressemeldung | Raus aus der Sackgasse

Nach den G-8-Protesten: Linke streiten mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Frage der Militanz. Diffamierungskampagnen gegen Autonome greifen nicht. (junge Welt, 6.7.2007)

Irritiert gab sich Rainer Rilling, Referent des Bereichs Politikanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Moderator der Podiumsdiskussion »after eiGht« am Mittwoch abend, als er etwa zur Halbzeit der Veranstaltung intervenierte: »Wir diskutieren hier, als ob die Linie der Gewaltlosigkeit nicht so ganz die unsere ist.« Er wünsche sich, daß das Gespräch mehr in Richtung Gewaltfreiheit laufe.

Ein Bündnis linker Gruppen und Initiativen hatte im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Kritischer Bewegungsdiskurs« zu einer Debatte über die »Frage der Gewalt« innerhalb sozialer Proteste in die Stiftung am Franz-Mehring-Platz in Berlin eingeladen – und tatsächlich wurde deutlich, daß die Spannungen innerhalb der Linken längst nicht ausgeräumt sind, die aus den unterschiedlichen Bewertungen der Straßenkämpfe am Rand der Anti-G-8-Großdemonstration vom 2. Juni in Rostock entstanden sind. Die unmittelbar danach in die Welt gesetzte Behauptung, bei den militanten Autonomen handle es sich vornehmlich um gelangweilte Jugendliche, erhob hier niemand mehr – und Rilling selbst kokettierte mit deren Widerstandsformen. Als er die Podiumsteilnehmer anfangs mahnte, die vorgegebene Redezeit einzuhalten, drohte er ihnen zum Scherz mit einem eigens mitgebrachten Stein.

Als Gegner jeder Militanz traten Michael Brie vom Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Sven Giegold vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC hervor. Brie hatte schon kurz nach dem Rostocker Geschehen in dem Standpunkte-Papier »In der Sackgasse« gemeinsam mit Lutz Brangsch für einen »Bruch« mit dem »schwarzen Block« plädiert – die vermummten Autonomen hätten nämlich »das Anliegen der großen Mehrheit« der Protestierenden »bewußt bekämpft« (siehe Spalte). Am Mittwoch brachte ihm das Vorwürfe aus dem Publikum ein, er denunziere die außerparlamentarische Opposition. Giegold beharrte darauf, die Distanzierung von der Demonstrantengewalt seitens der Protestveranstalter sei damals richtig gewesen, gestand allerdings zu, man habe anfangs die Polizeigewalt nicht deutlich genug kritisiert.

Als »saudumm und politisch nicht notwendig« verurteilte dagegen der Schriftsteller Raul Zelik die Distanzierungen, die nichts anderes als »Unterwerfungsgesten unter das staatliche Gewaltmonopol« gewesen seien. Dabei seien nicht die Steinwürfe als Gewalttaten gegen Menschen in der Öffentlichkeit beklagt worden; vielmehr sei bejammert worden, »daß die Polizei gelaufen ist«, also fliehen mußte. Hätte die Sorge wirklich der Gefährdung von Menschenleben gegolten, so Zelik, wäre der 6. Juni der viel ernstere Tag gewesen – an diesem Mittwoch hatte ein Aktivist schwerste Augenverletzungen erlitten. Der Blockadeteilnehmer war mit erhobenen Händen auf eine Polizeisperre zugegangen und von einem Wasserwerfer unter Beschuß genommen worden (siehe Gespräch unten).

Der Streit um Fragen der Militanz spielt sich im wesentlichen auf zwei Ebenen ab: auf einer moralischen – ist Gewalt im Rahmen sozialer Proteste gerechtfertigt? – und auf einer strategischen – bringt sie unser Anliegen voran? Was die Rechtfertigung betrifft, forderte Wolf-Dieter Narr, der als Mitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Rostock war, das Verhalten der Demonstranten »im Kontext herrschaftlicher Gewalt« zu sehen. Das Demonstrationsrecht sei »die einzige Chance, sich von unten kollektiv zu äußern« und werde derzeit immer weiter beschnitten. Es sei Aufgabe der Protestbewegung, die herrschenden Gewaltverhältnisse anzugreifen, stimmte die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion Nele Hirsch zu, und nicht, sich von denen zu distanzieren, die sich gegen die herrschaftliche Gewalt wehren.

Über die strategische Frage war am Mittwoch abend noch weniger Einigkeit zu erzielen – während Giegold die Notwendigkeit betonte, in der breiteren Öffentlichkeit um Sympathien zu werben, verwies Zelik darauf, daß zahlenmäßiges Wachstum der Anhängerschaft einer Bewegung kein Fortschritt sei, wenn man dafür nach und nach die eigenen Positionen aufgebe. Eine Protestbewegung könne von den Herrschenden »auch zu Tode umarmt werden«. Susanne Große, die als Mitglied der Initiative »Avanti« an der Planung von »Block G8« beteiligt war, betonte, daß in einer »Bewegung der Bewegungen« auch militante Aktionsformen ihren Platz hätten. Ihr zufolge »war Block G8 überhaupt nur jenseits der Alternative gewaltfrei oder militant möglich«.