Publikationen https://www.rosalux.de/ Hier finden Sie unsere Publikationen. de Copyright Fri, 18 Apr 2025 18:16:11 +0200 Fri, 18 Apr 2025 18:16:11 +0200 TYPO3 Publikationen https://www.rosalux.de/_assets/bcaf2df31b3031c02e4bdc5e5aed5a50/Images/Dist/Logos/logo_rss.jpg https://www.rosalux.de/ 144 109 Hier finden Sie unsere Publikationen. news-53302 Thu, 17 Apr 2025 00:00:00 +0200 Unser Saatgut in Gefahr https://www.rosalux.de/publikation/id/53302 Globale Kämpfe um die Kontrolle der Nahrungsmittelerzeugung Saatgut ist das Herzstück der Landwirtschaft, die Grundlage unserer Ernährungssysteme und des Zugangs zu Nahrungsmitteln. In einer Sammlung von Artikeln bietet diese gemeinsame Publikation verschiedene Perspektiven aus dem Globalen Norden und Süden und zeigt den Kampf der Landwirt*innen gegen zunehmend restriktive Saatgutgesetze und -politiken sowie den steigenden Druck von Großkonzernen auf, industrielles Saatgut einzuführen und sich lukrativen Patentregelungen zu unterwerfen. Die Dominanz der Konzerne stößt auf wachsenden Widerstand.
 

Die Publikation wird gemeinsam herausgegeben von:
Alliance for Food Sovereignty in Africa (AFSA), Association
for Plant Breeding for the Benefit of Society (APBREBES), Southeast
Asia Regional Initiatives for Community Empowerment
(SEARICE), SWISSAID, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ihren Regionalbüros Nördliches Afrika, Südliches Afrika, Südasien und Cono Sur.

Saatgut bestimmt die Vielfalt und die Eigenschaften aller Pflanzen und beeinflusst sowohl den Ertrag als auch den Nährwert von Nutzpflanzen, was letztlich zu einer gesunden Ernährung beiträgt. Die Saatgutvielfalt, die wir heute genießen, ist das Ergebnis jahrtausendelanger kollektiver Bemühungen der Landwirte. Doch von den 300.000 bekannten Pflanzenarten sind nur etwa 30.000 essbar, und nur 30 davon ernähren die Mehrheit der Weltbevölkerung. Die Saatgutvielfalt, die wir heute genießen, ist das Ergebnis jahrtausendelanger kollektiver Bemühungen der Landwirte.

«Unser Saatgut in Gefahr» zeigt auf, wie Saatgutgesetze und -politiken, die zunehmend von internationalen Handelsabkommen beeinflusst werden und mit geistigen Eigentumsrechten verwoben sind, die Saatgutsysteme der Landwirt*innen bedrohen. Diese Systeme sind für die Ernährungssicherheit und den Lebensunterhalt von Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt unerlässlich. Inzwischen hat die Unternehmenskonzentration ein alarmierendes Ausmaß erreicht: Sechs multinationale Konzerne kontrollieren heute fast zwei Drittel des gesamten kommerziellen Saatguts und 99 Prozent der gentechnisch veränderten Nutzpflanzen. Die Landwirte verlieren ihre Saatgutrechte, da restriktive Zertifizierungs- und Registrierungsstandards ihre traditionellen Praktiken der Saatgutauswahl, -konservierung und des -austauschs kriminalisieren.

Doch der Widerstand wächst. Eine globale soziale Bewegung stellt unterdrückerische rechtliche und politische Rahmenbedingungen in Frage, wehrt sich gegen die Macht der Unternehmen und setzt sich für die Agrarökologie ein. Die Agrarökologie geht über die Nahrungsmittelproduktion hinaus und bietet eine ganzheitliche Perspektive für die Verbindung der Menschheit mit der Natur. Der Schwerpunkt dieses Ansatzes liegt auf dem gegenseitigen Wissensaustausch zwischen den Landwirt*innen, auf lokal zugeschnittenen Lösungen und der Schaffung von bäuerlich geführten Saatgutsystemen und Saatgutbanken, die die vorhandenen Ressourcen zur Förderung der Widerstandsfähigkeit nutzen.

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news-53234 Wed, 02 Apr 2025 11:25:00 +0200 Europäische Bildungssysteme zwischen Gerechtigkeit und Selektivität https://www.rosalux.de/publikation/id/53234 Deutschland im Vergleich zu Estland, Spanien und Finnland Die deutsche Bildungspolitik steht unter Druck, seit die Ergebnisse der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 gezeigt haben, dass der Bildungserfolg in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt liegt und wie in keinem anderen teilnehmenden Land von der Herkunft abhängt. Die  Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung «Europäische Bildungssysteme zwischen Gerechtigkeit und Selektivität» wirft einen Blick über den Tellerrand und analysiert, welche Unterschiede in Finanzierung, Struktur und Verantwortung der nationalen Bildungssysteme zu beobachten sind und wie diese möglicherweise die Unterschiede im Bildungserfolg und in der Bildungsungleichheit zwischen den Ländern erklären können.

Seit der ersten PISA-Untersuchung 2000 sind eine Reihe von bildungspolitischen Maßnahmen umgesetzt worden: der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, der Ausbau von Ganztagsschulen und zuletzt mit dem Startchancenprogramm auch die besondere Förderung von Bildungsbenachteiligten. 

Die erwarteten Erfolge bleiben jedoch aus: sowohl beim Zuwachs basaler Kompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen) wie bei der Beseitigung der wachsenden Bildungsungleichheit. 

Aus diesem Grund wird mit dieser Studie der Blick über den Tellerrand hinaus gerichtet und analysiert, welche Unterschiede in Finanzierung, Struktur und Zuständigkeit für das nationale Bildungssystem auszumachen sind und wie diese ggf. die Unterschiede in Bildungserfolg und –ungleichheit zwischen den Ländern erklären können. Als Referenzen zu Deutschland wurden dafür Spanien (das wie Deutschland in beiden Feldern unter dem OECD-Durchschnitt liegt) sowie Estland und Finnland, die über dem OECD-Durchschnitt liegen, ausgewählt. 

Und es zeigt sich, dass eine ausreichende Finanzierung der Bildung zwar notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium für eine erfolgreiche Bildung ist. Nur Finnland liegt bezüglich Bildungsfinanzierung über dem OECD-Durchschnitt, Spanien liegt genau im Durchschnitt, Deutschland und sogar Estland als PISA-Spitzenreiter liegen darunter. Offensichtlich stellen die frühkindliche Bildung (die jedoch keinen Schwerpunkt dieser Studie darstellte) und das längere gemeinsame Lernen Erfolgsgaranten für eine erfolgreiche wie Ungleichheiten ausgleichende Bildung dar – hier liegen Estland und Finnland deutlich vor Deutschland und Spanien. Auch der Grad der Privatisierung von Bildung hat Einfluss auf Bildungserfolg und -gerechtigkeit; Länder mit einem vergleichsweise hohen Grad an Privatisierung (die in Spanien noch stärker als in Deutschland ausgeprägt ist) sind diesbezüglich deutlich weniger erfolgreich als Staaten, wo die Bildungseinrichtungen staatlich bzw. im kommunalen Eigentum sind (Estland und Finnland). 

Große Gemeinsamkeiten zwischen den vier untersuchten Staaten gibt es bezüglich der Ausbildung von Lehrkräften, die i.d.R. durch eine Hochschulbildung auf Master-Niveau erworben wird. In der vorschulischen Bildung jedoch existieren deutliche Unterschiede: während die Orientierung auf frühkindliche Bildung in Finnland und Estland i.d.R. eine Hochschulbildung auf BA-Niveau bei Erzieher*innen voraussetzt, ist das in Deutschland nicht zwingend. Und auch der Status von Lehrkräften ist sehr unterschiedlich in den vier untersuchten Staaten: am höchsten in Finnland und Estland, deutlich weniger in Spanien und sehr niedrig in Deutschland. 

Entsprechend unterschiedlich sind die bildungspolitischen Herausforderungen in den Ländern; die wesentlichen Anforderungen an eine zukunftsfähige Bildungspolitik Deutschland werden im Fazit dieser Studie herausgearbeitet.

Inhalt:

  • Katrin Schäfgen:
    Einleitung, Wesentliche Ergebnisse der Länderstudien 
  • Karl-Heinz Heinemann:
    Bildung in Deutschland: Schlechte Lernerfolge und Bildungsungerechtigkeit
  • Maie Kitsing:
    Das Bildungssystem in Estland:PISA-Spitzengruppe und sozial gerecht
  • Pablo Huerga Melcón:
    Das Bildungssystem in Spanien. Sozial selektiv und stark privatisiert
  • Sirkku Kupiainen und Najat Ouakrim-Soivio:
    Das Bildungssystem in Finnland: Erfolgreich, gerecht, aber unter Druck
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news-53241 Mon, 24 Mar 2025 16:51:12 +0100 Monster verstehen – Eine Chronik des Interregnums https://www.rosalux.de/publikation/id/53241 Mario Candeias über ­blockierte Transformation und Faschisierung Die Verhältnisse begreifen heißt ihnen weniger ausgeliefert sein. Der Transformationsforscher Mario Candeias hat bereits mehrere erfolgreiche, weil theoretisch akkurate und konkret nützliche Bücher herausgegeben, die dafür wichtiges Material bereitstellen (zuletzt «Gramsci lesen!» und «Klassentheorie»). Candeias ist Referent für sozialistische Transformationsforschung, linke Strategien und Parteien bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und hat über viele Jahre das Instititut für Gesellschaftsanalyse der Stiftung geleitet.

In «Monster verstehen» versammelt Candeias nun eigene Texte aus den letzten anderthalb Jahrzehnten, die sich mit für das Verständnis der Gegenwart grundlegenden transformatorischen Themen auseinandersetzen, mit den Krisen, der Erosion des Exportmodells, dem Aufstieg der radikalen Rechten (Alltagsverstand und Populismus; Rassismus von unten als reaktionäre Selbstermächtigung) sowie des Globalen Autoritarismus, der Wechselwirkung von Faschisierung und blockierter Transformation, schließlich der Frage nach sozialistischen Perspektiven. So stellt er «eine Chronik des Interregnums» zusammen und lädt dazu ein, begreifend über den Tellerrand hinauszuspähen, um Zukunft zu erarbeiten.

Das Interregnum war auch eine Zeit der Hoffnung, der vielfältigen linken Aufbrüche, nicht nur eines neoliberalen Autoritarismus und des dadurch beförderten Aufstiegs der radikalen Rechten. Erst zu seinem Ende, mit der Schließung vieler Alternativen und dem Ende eines progressiven Bewegungszyklus, beginnt die monströse Zeit. Mario Candeias will diese Monster verstehen helfen, ihre Wirkungsweisen und Widersprüche erkunden. Zumal aktuell mindestens zweifelhaft ist, ob die konkurrierenden Herrschaftsprojekte, ein grün-kapitalistisches bzw. liberal-imperiales und eines der Faschisierung, imstande sind, eine halbwegs stabile Entwicklungsperiode des Kapitalismus zu prägen. Und was ist angesichts der kommenden ­ökologischen Katastrophen und Kriege überhaupt noch möglich?

«Monster verstehen» liefert eine zeit­geschichtliche ­Chronik vom Beginn des Interregnums über Szenarien konkurrierender Projekte und Varianten eines »grünen Kapitalismus« bis zur These des absehbaren Endes und des Übergangs in eine Zeit ­blockierter Transformation und Faschisierung. Die Aufgabe: für eine Zukunft sorgen.

Mario Candeias: Monster verstehen – Eine Chronik des Interregnums
344 Seiten · broschiert · ISBN 987-3-86754-527-3 · 20 €

Das Buch ist beim Argument Verlag erhältlich, zum Download werden hier die Einleitung und der zentrale Aufsatz   «Monster verstehen. Wechselwirkung von Faschisierung und blockierter Transformation» (2024) angeboten.

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news-53240 Mon, 24 Mar 2025 14:25:33 +0100 Chinas «grünes» Energiewunder https://www.rosalux.de/publikation/id/53240 (Geo)Politische Ökonomie des chinesischen Partei-Staatskapitalismus In der Bundesrepublik wird die ökologische Modernisierung nur unzureichend umgesetzt und, mehr noch, durch eine zunehmende Faschisierung blockiert. In der EU droht der Green Deal in wesentlichen Teilen zurückgenommen zu werden, nicht zuletzt aufgrund des neuen Gewichts von radikal Rechten und radikalisierten Konservativen in Regierungen und im EU-Parlament. Und nun werden die (in ihrer Wirkung widersprüchlichen) riesigen Investitionsprogramme, die unter der Regierung von US-Präsident Biden beschlossen wurden, abgebrochen. [...]

Doch bedeutet dies keineswegs, der «grüne» Kapitalismus wäre bereits vorzeitig gescheitert. Am deutlichsten als Akkumulationsregime ausgeprägt fand und findet er sich in China. Und dort zeigt sich – bei allen Widersprüchen – seine Stärke. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ein «grüner» Kapitalismus ist kein Projekt zur Rettung der Menschheit vor der Klimakatastrophe. Dies ist in einer dominant kapitalistisch verfassten Welt mit ihrem inhärenten Zwang zur Profitmaximierung, der maximalen Ausbeutung von Erde und Mensch, nicht möglich. Es geht vielmehr um ein Projekt, das – anders als das neoliberale (und erst recht als das radikalisierte spät-neoliberale) oder die entstehenden Projekte der Faschisierung – einen hegemonialen Anspruch verfolgt. Und zwar indem es einen neuen Akkumulationsschub auf erweiterter Stufenleiter ermöglicht, um das größte Menschheitsproblem, die Klimakatastrophe, zumindest zu bearbeiten, und damit enorme materielle wie ideologische Mittel für einen aktiven Konsens freisetzt. [...]

Auf diese Weise ist China schon jetzt zur führenden Ökonomie sowohl im Maschinenbau, in der Produktion von Elektromobilität (von der Batteriefertigung über Autos, den Nahverkehr bis zum Schienenverkehr) als auch bei der Produktion regenerativer Energien und der entsprechenden Anlagen geworden. China ist in diesen Bereichen auf dem Weltmarkt nicht nur quantitativ an der Spitze, sondern hält auch die Technologieführerschaft. Derzeit schickt sich das Land an, auch in den Bereichen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Führung zu übernehmen.

Die EU hat diese neue Realität spät erkannt und mit dem Green Deal und einem selektiven Re-Sourcing (Zurückholen) strategisch wichtiger Produktionsbereiche (Batterien, Chips, Rüstung, Arzneien etc.) begonnen. Biden hatte mit den großen Investitionsprogrammen und dem Zwang zur Produktion innerhalb der USA bereits vorgelegt. Die Bundesrepublik, jahrzehntelang führend beim Umbau hin zu regenerativen Energien und Dekarbonisierung, war längst zurückgefallen, versuchte aber unter der «Fortschrittskoalition» verlorenes Terrain gutzumachen. Vergeblich. Der Abbruch dieser Ansätze durch die fortschreitende Faschisierung zeitigt schon jetzt Folgen: Europa und die USA fallen im Wettbewerb hinter China zurück. Zugleich dürfte dies die geoökonomischen Spannungen der neuen Blockkonfrontation weiter verschärfen, bis hin zu drohenden offenen Kriegen.

Wie China diesen Vorsprung erreicht, diese Entwicklung hin zu einer «grünen» Akkumulationsbasis vollbracht hat, welche Widersprüche dabei entstehen, welche Regulationskapazitäten für Korrekturen sorgten – all dies hat unser Autor Philipp Köncke in der hier vorliegenden Studie präzise nachgezeichnet.

[aus dem Vorwort von Mario Candeias]

Inhalt:

  • Vorwort
  • 1 Einleitung
  • 2 Die Anatomie des chinesischen Kapitalismus
  • 3 Chinas «Solar- und Windwunder» im globalen Kontext
  • 4 Parteistaat und Privatkapital: Wer kontrolliert Chinas «grüne» Energie?
  • 5 Dynamiken des «grünen» Partei-Staatskapitalismus
    • 5.1 Motor des Investitionsbooms in Solar- und Windenergie
    • 5.2 Liberalisierung und Vermarktlichung
    • 5.3 Überkapazitäten, «Preiskampf» und Profitfall: Die Krise der chinesischen Solar- und Windindustrie
  • 6 Ökologische Widersprüche des «grünen» Partei-Staatskapitalismus
  • 7 Wenn die eigene Energiewende vom systemischen Rivalen abhängt: Geoökonomische Reaktionen der EU
  • 8 Schluss: Die Paradoxien des «grünen» Partei-Staatskapitalismus

Autor:

Philipp Köncke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erfurt. Er forscht zu Staat-Kapital-Verhältnissen im chinesischen Kapitalismus und zu den politischen Reaktionen der Europäischen Union
und den USA auf den Aufstieg Chinas.

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news-53235 Fri, 21 Mar 2025 14:01:18 +0100 Pulverfass Südchinesisches Meer https://www.rosalux.de/publikation/id/53235 Ohne ein regionales Friedens- und Kooperationsabkommen droht die Destabilisierung Das Südchinesische Meer ist eine zunehmend umkämpfte Region mit geopolitischer Bedeutung. Neben der strategischen Rolle als eine der wichtigsten Handelsrouten birgt es bedeutende wirtschaftliche Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und umfangreiche Fischbestände. Das Gebiet ist durch komplexe territoriale Streitigkeiten geprägt, insbesondere zwischen China, Vietnam, den Philippinen und den USA. Während das UN-Seerechtsübereinkommen Küstenstaaten eine ausschließliche Wirtschaftszone von 200 Seemeilen gewährt, erhebt China weitergehende Ansprüche auf Basis der «Neun-Striche-Line». Diese hat der Ständige Schiedshof 2016 als völkerrechtswidrig erklärt. Überfischung, Blockaden und wirtschaftliche Abhängigkeiten verschärfen die Lage. Eine Lösung erfordert multilaterale Abkommen, Abrüstung und nachhaltige Ressourcennutzung. Ohne politische Einigung droht eine Destabilisierung der gesamten Region.

Die geopolitische Bedeutung des Südchinesischen Meers

Das Südchinesische Meer ist ein strategisch und wirtschaftlich bedeutendes Seegebiet und hat sich zu einem gefährlichen geopolitischen Spannungsfeld entwickelt. Mit einer Fläche von etwa 3,5 Millionen Quadratkilometern grenzt es an mehrere Staaten, darunter China, Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Brunei und Indonesien (alles ASEAN-Staaten), und ist eine der wichtigsten Seerouten der Welt.

Xiaolu Zhang gehört seit August 2022 zum Team des Länderbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Beijing.  Sie hat einen MA in Public Administration und arbeitet derzeit an Projekten im Bereich internationale Beziehungen.

Canan Kus arbeitet seit 2022 im Asien-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ist derzeit in das Länderbüro Beijing entsandt. Sie hat einen MA in Ostasienwissenschaften und arbeitet zu Multipolarismus und Geopolitik im Indo-Pazifik.

Die territorialen Ansprüche in dieser Region sind das Ergebnis widerstreitender nationaler und globaler Interessen. Auslöser vieler Konflikte sind die enormen Rohstoffvorkommen und unterseeischen Ressourcen wie Mineralien und Kohlenwasserstoffe. China beruft sich bei seinen Ansprüchen auf historische Rechte und hat diese durch den Bau künstlicher Inseln und den Ausbau seiner militärischen Präsenz in den umstrittenen Gewässern untermauert. Das hat zu erheblichen Spannungen mit den Nachbarländern geführt. Die USA betreiben Basen in Bündnisstaaten wie den Philippinen und kooperieren mit Staaten wie Vietnam, das auf außenpolitische Balance setzt. Da sie die Freiheit der Schifffahrt und Überflugrechte in internationalen Gewässern hochhalten, führen sie mit ihren Verbündeten regelmäßig Militärpatrouillen durch, was die Gefahr diplomatischer und militärischer Konfrontationen erhöht. Die zunehmende Militarisierung durch konkurrierende Großmächte wie die USA und China und die Häufung territorialer Streitigkeiten destabilisieren die Region und stellen eine ernsthafte friedenspolitische Herausforderung dar.

Das Südchinesische Meer war über Jahrhunderte eine bedeutende Handelsroute zwischen Ost- und Südostasien. Händler aus China, Indien und Arabien nutzten die Gewässer für den Warenaustausch, während Kolonialmächte wie Frankreich und Spanien in Indochina bzw. auf den Philippinen ihre Kontrolle ausbauten und indigene Herrschaftsstrukturen zurückdrängten (vgl. Zhang et al. 2018). Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die neu gegründeten Nationalstaaten, stärker ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen in den maritimen Gebieten zu verfolgen, wodurch die heutigen Territorialkonflikte entstanden.

Heutzutage wird rund ein Viertel des weltweiten Seefrachtvolumens durch dieses Gewässer transportiert. Haupttransportgüter sind Erdöl, Erdgas, Elektronik, Autos und Rohstoffe (UNCTAD 2024: 5). Widerstreitende sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die vermuteten Energievorkommen unter dem Meeresboden, fachen den Streit um Hoheitsrechte immer wieder an.

Die nachfolgende Karte zeigt die überlappenden Gebietsansprüche von China, Vietnam und den Philippinen im Südchinesischen Meer, die sich vor allem auf die ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) beziehen. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) kann jeder Küstenstaat eine AWZ von bis zu 200 Seemeilen beanspruchen, was bedeutet, dass er in dieser Zone die exklusiven Rechte zur Nutzung der dort vorhandenen Ressourcen hat. Zudem hat jeder Küstenstaat UNCLOS zufolge das Recht, einen Küstenstreifen von etwa 22,2 Kilometern Breite (12 Seemeilen) vor seinem Land als Hoheitsgebiet zu beanspruchen. Es muss lediglich für andere Nationen das Recht auf friedliche Durchfahrt gewahrt werden.

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news-53232 Thu, 20 Mar 2025 16:29:36 +0100 Islands Weg zu einer kürzeren Arbeitswoche https://www.rosalux.de/publikation/id/53232 Bericht des Autonomy Institute Die Diskussion um (Lohn-)Arbeitszeitverkürzung hat in den letzten Jahren weltweit an Bedeutung gewonnen. Internationaler Vorreiter der jüngeren Versuche, Arbeitszeit zu verkürzen, ist das nordische Island: ein erster großer Feldversuch begann hier bereits 2014 in der öffentlichen Verwaltung der Landeshauptstadt Reykjavík. Der Erfolg dieses Feldversuchs führte zu seiner graduellen Ausweitung und schließlich zum Abschluss neuer Arbeitszeitregelungen in mehreren Flächentarifverträgen in den Jahren 2019 und 2020. 

Der nun auch in deutscher Sprache vorliegende Bericht zu den Feldversuchen im öffentlichen Dienst von 2021 und ein aktueller Bericht zur Arbeitszeitverkürzung in der isländischen Gesamtwirtschaft bieten wertvolle Einblicke in den Verlauf der isländischen Debatte und die Erfahrungen, die im Kontext dieser Feldversuche gewonnen werden konnten. Der erste Bericht stellt ausführlich die Versuche mit einer 35- bzw. 36-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst dar, die auf ihrem Höhepunkt mehr als 1% der isländischen Erwerbsbevölkerung umfassten. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass der Versuch ein überwältigender Erfolg war – und zwar nicht nur, weil er zu einer Verbesserung des Wohlbefindens der Beschäftigten führte, sondern auch, weil es gelang, in ganz unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes die Arbeitsabläufe so zu verbessern, dass die Erbringung von Dienstleistungen für die Bürger:innen dabei nicht beeinträchtigt wurde. 

Der Erfolg dieser Experimente war der Ausgangspunkt für weitere tarifpolitische Initiativen der Gewerkschaften, die dazu führten, dass inzwischen die Mehrheit der isländischen Beschäftigten ihre Arbeitszeit verkürzen konnte. Island ist damit das einzige europäische Land, in dem es im letzten Jahrzehnt landesweit zu signifikanten kollektiven Arbeitszeitverkürzungen gekommen ist. Das kleine nordische Land kann damit als Vorreiter in Europa und weltweit gelten.

(aus dem Vorwort von Dr. Philipp Frey)

Zusammenfassung

  • 2015 und 2017 wurden nach Kampagnen verschiedener Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Organisationen zwei umfassende Pilotprojekte zugunsten einer kürzeren Arbeitswoche vom Stadtrat von Reykjavik und der isländischen Regierung eingeleitet.
  • Insgesamt nahmen über 2.500 Erwerbstätige daran teil – mehr als 1 % der erwerbstätigen Bevölkerung Islands – deren Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 oder 36 Stunden reduziert wurde. Ziel der Pilotprojekte war nicht nur eine Verbesserung der Work-Life- Balance, sondern ebenfalls eine Steigerung der Produktivität. Die Arbeitszeitverkürzung ging nicht mit einer Lohn- oder Gehaltskürzung einher.
  • Die Pilotprojekte schlossen sowohl Beschäftigte in einem Nineto- five-Arbeitsverhältnis als auch Schichtarbeiter*innen mit unregelmäßigen Schichtplänen ein. Es war also eine breite Vielfalt an Arbeitsstätten beteiligt: von Büros über Kindergärten zu Sozialeinrichtungen oder Krankenhäusern.
  • Die umfangreichen Pilotprojekte mit ihrer Vielfalt an untersuchten Arbeitsstätten sowie ihrer Fülle an erhobenen quantitativen und qualitativen Daten liefern bahnbrechende Belege für die Wirksamkeit einer Arbeitszeitverkürzung.
  • Die in diesem Bericht zusammengefassten Ergebnisse, die sowohl auf qualitativen als auch auf quantitativen Daten beruhen, belegen die positiven Auswirkungen einer kürzeren Wochenarbeitszeit für Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen.
  • Produktivität und Dienstleistungsversorgung blieben in den meisten an den Pilotprojekten teilnehmenden Arbeitsstätten gleich oder verbesserten sich.
  • In vielerlei Aspekten verbesserte sich das Wohlbefinden der Beschäftigten: Burnouts, empfundener Stress sowie Gesundheit und Work-Life-Balance.
  • Nach dem Erfolg der Pilotprojekte erreichten die isländischen Gewerkschaften und Gewerkschaftsbünde eine dauerhafte Reduzierung der Arbeitszeit für Zehntausende ihrer Mitglieder im ganzen Land. Insgesamt sind nun etwa 86% der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung Islands entweder zu kürzeren Arbeitszeiten übergegangen oder haben das Recht auf kürzere Arbeitszeiten.
  • Dieses Recht auf Arbeitszeitverkürzungen, die für die meisten Beschäftigten bereits in Kraft getreten sind, wurde in Verträgen verankert, die von 2019 bis 2021 ausgehandelt wurden. Einige dieser Verträge sehen kürzere Arbeitszeiten für alle Gewerkschaftsmitglieder vor, während andere Verträge für Beschäftigte und ihre jeweiligen Arbeitsstätten die Möglichkeit vorsehen, gemeinsam kürzere Arbeitszeiten festzulegen.
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news-53227 Thu, 20 Mar 2025 09:31:15 +0100 Putins Antifaschismus-Mythen https://www.rosalux.de/publikation/id/53227 Wie Russland den «Antifaschismus» als Rechtfertigung für den Krieg in der Ukraine missbraucht Am 24. Februar 2022 kündigte der russische Präsident Wladimir Putin den Start einer «besonderen Militäroperation» in der Ukraine an. Das offizielle Kriegsziel, so Putin bestehe darin, die Ukraine «zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren». Sein Sprecher Dmitri Peskow erklärte noch am selben Tag: «Die Ukraine soll befreit und von Nazis, deren Unterstützern und Ideologie gesäubert werden.»

Anastasia Spartak ist eine Journalistin und antifaschistische Aktivistin aus Russland.

Russische Medien stellen Parallelen her zwischen den Vorgängen an der Ostfront des Zweiten Weltkriegs (1941–1945), der in Russland als Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet wird, und sprechen von russischen Soldaten als Antifaschisten und von Ukrainern als Nazis. «Wie 1945 wird der Sieg unser sein», schrieb Putin am 9. Mai 2022. Russische Soldaten in der Ukraine verwenden sowjetische Symbole. Sie tragen Abzeichen mit Hammer und Sichel, befestigen rote Fahnen auf Panzern, erneuern zerstörte Lenin-Denkmäler in besetzten ukrainischen Städten und platzieren die rote Fahne – in Nachahmung der Flaggenhissung vom 1. Mai 1945 auf dem Reichstagsgebäude – auf staatlichen Verwaltungsgebäuden in der Ukraine als Zeichen der Inbesitznahme des Territoriums.

Diese Analyse zeigt auf, wie Russland Elemente des Antifaschismus zur Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine einsetzt. Dabei soll zum einen der gezielte Gebrauch der Worte «Nazis» und «Faschisten» in Russland untersucht und zum anderen der Frage nachgegangen werden, auf welche tatsächlichen Ereignisse sich Putin und die herrschende Klasse beziehen, wenn sie den Begriff des «Antifaschismus» zur Festigung der eigenen Macht und zur Legitimation eigener außenpolitischer Ziele missbrauchen.

So wie russische Oligarchen sich sowjetisches Vermögen aneigneten, machte sich die Russische Föderation auf zynische Weise den Antifaschismus der Sowjetunion zu eigen. Russland geriert sich als Bollwerk gegen den Faschismus, und der «Tag des Sieges», den Russland am 9. Mai feiert, ist zum wichtigsten Feiertag des Landes geworden. Nachdem Putin an die Macht gekommen war, durften vom Kreml gesteuerte rechtsextreme Gruppierungen gleichberechtigt neben den neu gebildeten antifaschistischen Jugendorganisationen existieren. Auf der internationalen Bühne der UNO setzt sich Russland gegen die Verherrlichung des «Nazismus» ein, während es sich mit europäischen Parteien der extremen Rechten verbündet.

In diesem Text geht es nicht um die Ukraine und der ukrainische Nationalismus soll nicht beschönigt werden. Ziel dieses Beitrags ist vielmehr, die Mythen der russischen Propaganda zu dekonstruieren, um so die ideologische Rechtfertigung für den Krieg gegen die Ukraine offenzulegen.

Übersetzung von Sabine Voß und André Hansen für Gegensatz Translation Collective.

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news-53215 Thu, 13 Mar 2025 17:28:15 +0100 (K)Eine Alternative zum Krieg? https://www.rosalux.de/publikation/id/53215 Militarismus und Militarisierung in Israel In den knapp 77 Jahren seines Bestehens hat der Staat Israel (je nach Definition) mindestens acht Kriege und zahllose Gefechte geführt sowie eine Vielzahl von Militäroperationen und Repressalien durchgeführt. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die militärischen Fähigkeiten und Ressourcen der Streitkräfte stetig vergrößert, mehrfach Gebiete anderer Staaten (dauerhaft) besetzt und/oder annektiert, wobei Zehntausende israelische Soldat*innen und Zivilist*innen ihr Leben verloren. Die jüngste kriegerische Eskalation zwischen Israel und seinen Nachbarn seit dem 7. Oktober 2023 ist die härteste und längste seit der Staatsgründung Israels 1948 – ein existenzieller Krieg, der Zehntausenden Palästinenser* innen und Libanes*innen, davon die überwiegende Zahl Frauen und Kinder, das Leben gekostet hat und ganze Bevölkerungsgruppen schutz- und obdachlos zurücklässt. Der Gazastreifen ist als Ergebnis der immensen Zerstörung durch die israelische Armee, die führende Menschenrechtsorganisationen mittlerweile als Völkermord an den Palästinenser*innen einstufen, auf Jahre hinaus unbewohnbar.

Doch was liegt hinter diesen schwer fassbaren Zahlen? Was ist die Grundlage für die Akzeptanz einer immerwährenden militärischen Eskalation in der israelischen Gesellschaft? Kurz: Wieso machen (fast) alle dabei mit? In den vergangenen eineinhalb Jahren schien es, als befände sich die (jüdisch-)israelische Gesellschaft in einer Art militärischem Rausch ohne Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft jenseits des ewigen Kreislaufs der Gewalt auf der Basis der israelischen Herrschaft über das gesamte historische Palästina, einschließlich des illegal besetzten Westjordanlands und des Gazastreifens. Es mutet fast selbstmörderisch an und erinnert an den Satz Samsons aus dem Alten Testament, der in seinem Zorn mit den Worten «Ich will sterben mit den Philistern!» einen Philistertempel in der biblischen Stadt Gaza zum Einsturz brachte und dabei Tausende von Philistern tötete. Und sich selbst gleich mit.
All dies ist beileibe nicht neu, es hat sich lediglich der Kontext und die Intensität dieses Phänomens verändert. Die Selbstbilder und -rechtfertigungen der israelischen «Kriegsgesellschaft» (eine Definition des Soziologen Meir Amor) sind tief verwurzelt. Die meisten jüdischen Israelis unterstützen grundsätzlich diese Kriege, zumindest lehnen sie sich nicht dagegen auf. Die Kriege, die Israel führe, seien angeblich «alternativlose Kriege», womit alternative Formen der Konfliktlösung aus der Debatte gedrängt werden.

In einer «Kriegsgesellschaft» wie der israelischen ist die Armee über den militärischen Kontext hinaus strukturprägend: Es handelt sich um einen allgegenwärtigen Akteur, der alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens der israelischen Bürger*innen beeinflusst und integraler Bestandteil ihres Lebens ist, unabhängig davon, ob sie in der Armee dienen, gedient haben oder dienen werden. Der Militärdienst von etwa drei Jahren für Männer und zwei Jahren für Frauen ist für alle jüdischen Bürger*innen, die 18 Jahre alt werden, obligatorisch. Dies ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch eine gesellschaftliche Norm. Dabei ist der Dienst in einer Kampfeinheit bis heute eine sehr angesehene Position, die viele junge Männer (und inzwischen auch junge Frauen) anstreben. Auch der Dienst an der «Heimatfront» bietet gerade für Israelis aus unteren sozialen Schichten die Möglichkeit, eine begehrte Ausbildung in Spitzentechnologien zu erhalten, von der die meisten später im zivilen beruflichen Leben profitieren können.
Wer sich dem Armeedienst dagegen verweigert, wird in der öffentlichen Meinung denunziert. Abgesehen von allgemeinen Ausnahmen von der Wehrpflicht, wie zum Beispiel durch die Sondervereinbarung mit der Führung der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft oder der generellen Befreiung palästinensischer Staatsbürger*innen Israels vom Wehrdienst, ist es auf individueller Ebene immer noch schwierig, vom Wehrdienst befreit zu werden, es sei denn, man kann gesundheitliche oder psychische Probleme nachweisen. Verweigerer*innen aus Gewissensgründen müssen ins Militärgefängnis. Die breite politische und gesellschaftliche Ächtung eines artikulierten und praktizierten Antimilitarismus hat jedoch Teile der israelischen Gesellschaft nie davon abgehalten, sich gegen diese grundlegende Strukturierung der gesellschaftlichen und politischen Realität in Israel aufzulehnen. Insbesondere nach dem Krieg von 1967 gab es große Proteste gegen die militärische Besatzung des Westjordanlands (inklusive Ost-Jerusalems), des Gazastreifens, der syrischen Golanhöhen sowie der ägyptischen Sinai-Halbinsel. Aus diesen Protesten heraus und aus der sich wandelnden Selbstwahrnehmung haben sich im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Organisationen der kritischen Zivilgesellschaft gegründet, die heute international bekannt sind und auf die Abgründe der israelischen Militarisierungsmaschinerie aufmerksam machen, wie etwa Betselem oder Breaking the Silence. Diese Organisationen werden von der israelischen Öffentlichkeit heftig kritisiert und staatlicherseits regelmäßig in ihrer Arbeit behindert. Das Israel-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet, ganz im Sinne der anti-militaristischen Ideale unserer Namensgeberin, eng mit denjenigen Akteur*innen in Israel zusammen, die Alternativen zum gegenwärtigen unhaltbaren Status quo aufzeigen und für diese einstehen. Mit der vorliegenden Broschüre möchten wir dem deutschsprachigen Publikum sowohl die Ursprünge und Erscheinungsformen des Militär- und Sicherheitsdiskurses in Israel als auch dessen staatliche Aufrechterhaltung erläutern. Die Beiträge in dieser Broschüre haben Mitglieder unseres lokalen politischen Netzwerks seit dem Herbst 2023 verfasst; sie geben einen historischen und aktuellen Einblick in die Mechanismen des dem israelischen Militarismus zugrundeliegenden Wertesystems, das einen nationalen Partikularismus beschwört und damit universalistische humanistische Werte an den Rand drängt.

Den Auftakt bildet ein Faktenblatt zu Israels Militär – Daten und Zahlen, die der Journalist und Forscher Yossi Bartal gesammelt hat, um einen Überblick über den Umfang und die Bedeutung der Armee in Israel zu geben. Der erste, einleitende Artikel stammt von der Friedensaktivistin und Forscherin Rela Mazali, die die mannigfaltigen Formen der Militarisierung im israelischen Alltag untersucht; der Militärforscher und Soziologe Yagil Levi beschreibt in seiner historischen Chronik des militaristischen Diskurses in Israel die Verflechtung zwischen politischen und militärischen Institutionen in Israel; das israelische Militärbudget, das prozentual gesehen zu den höchsten der Welt gehört, wird in dem Artikel der Politikwissenschaftlerin Etty Konor-Attias und des Soziologen Shlomo Swirski vom Adva-Forschungszentrum analysiert; eine Bilderserie von Fotomaterial, das Mitglieder der antimilitaristischen Organisation New Profile über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten gesammelt haben, zeigt die normalisierte Präsenz des Militarismus im israelischen Alltag. Auch die beiden großen Bevölkerungsgruppen, die zumindest offiziell vom Militärdienst ausgenommen sind, bleiben vom militaristischen Diskurs und seinen Folgen nicht verschont: die Juristin und Aktivistin Meisa Irshaid analysiert, wie die zunehmende Bewaffnung der israelischen Zivilbevölkerung zu einem drastischen Anstieg der Gewalt innerhalb der und gegen die palästinensische Bevölkerung Israels führt; Michal Tzernovitzki, eine der führenden Persönlichkeiten der religiösen Linken, beschreibt die internen Konflikte der ultraorthodoxen Bevölkerung in Israel, die zwar offiziell die militaristische Doktrin Israels unterstützt, gleichzeitig aber die Einberufung von Ultraorthodoxen ablehnt; zum Schluss fasst die Historikerin Idith Zertal die Geschichte der israelischen Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen zusammen und fragt sich und uns, wo die Grenze zwischen Pflicht und Gewissen in Zeiten allumfassender Enthumanisierung liegt.

Nicht nur international, auch innerhalb Israels sind viele Menschen erschüttert und sprachlos angesichts der Zerstörung, die in ihrem Namen angerichtet wird. Viele, auch diejenigen, die ihre Liebsten in diesem Konflikt verloren haben, wünschen sich eine andere Gegenwart, können sich ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinenser*innen vorstellen und sind bereit, dafür schmerzhafte Kompromisse einzugehen – mit zahlreichen dieser Akteur*innen arbeiten wir als Rosa-Luxemburg-Stiftung vor Ort zusammen. Mit dieser Broschüre möchten wir dieser Vielfalt von kritischen und zukunftsweisenden Stimmen zum Thema eine Plattform bieten, in der Hoffnung, dass sie auch im deutschsprachigen Raum gehört und in ihrem Kampf für eine antimilitaristische, friedliche Zukunft unterstützt werden.

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news-53148 Thu, 06 Mar 2025 10:30:00 +0100 Kita-Krisenbuch https://www.rosalux.de/publikation/id/53148 Systemversagen aufdecken Kindertageseinrichtungen sind mittlerweile größtenteils zu Verwahranstalten geworden. Die dortigen Zustände erinnern inzwischen an die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts: Kinder, die Trost und Zuwendung brauchen, aber nicht bekommen, weil nicht genug Fachkräfte da sind; Erzieher*innen, die sich zwischen den Grundbedürfnissen der einzelnen Kinder entscheiden müssen und dabei ihre eigenen völlig vernachlässigen; Eltern, die sich weder auf die Öffnungszeiten verlassen können, noch darauf, dass es ihren Kindern in der Einrichtung gut geht. Derweil schieben sich Bund, Länder und Kommunen gegenseitig die Verantwortung zu. Anstatt gemeinsam einen Weg aus der Kita-Krise zu erarbeiten, versuchen die politisch Verantwortlichen, die Ansprüche an die Professionalität abzusenken, indem sie das Niveau der Zugangsvoraussetzungen für eine Berufstätigkeit in den Kitas herabsetzen, die Ausbildungszeiten verkürzen und die Kindergruppen vergrößern. Lai*innen werden in den Kitas beschäftigt und der Tag wird in Bildungs- und Betreuungszeiten aufgeteilt. Ganzheitliche Erziehung, Bildung und Betreuung werden unmöglich gemacht.

Seit Jahren werden die Stimmen aus den Kitas immer lauter. Fachkräfte, Eltern und die Gesellschaft fordern mehr Respekt, bessere Arbeitsbedingungen und kindgerechte Betreuungsschlüssel. Wir brechen das Schweigen, denn wir sind nicht mehr bereit, ein System aufrechtzuerhalten, das unsere Gesundheit und die Kindheit und Zukunft unserer Kinder gefährdet. Die Zeit für Veränderung ist jetzt!

Inhalt:

  • Vorworte
    Liebe Leser*innen
  • Erfahrungsberichte
    Erster Teil
  • Die traurige Geschichte
    Erfolge und Misserfolge in der frühkindlichen Bildung
  • Zahlen und Fakten
    Arbeitsbelastung in Kitas im Spiegel zweier ver.di-Befragungen
  • Erfahrungsberichte
    Zweiter Teil
  • Interview
    «Von individuellen Bedürfnissen sind wir meilenweit entfernt»
  • Erfahrungsberichte
    Dritter Teil
  • Interview
    «Dürfen wir das?»

Autor*innengruppe:

Dr. Elke Alsago, Dr. Franziska Bruder, Josefin Falkenhayn, Fanni Stolz sowie Kita-Beschäftigte aus dem ganzen Bundesgebiet

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news-53119 Mon, 24 Feb 2025 07:30:00 +0100 Die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag https://www.rosalux.de/publikation/id/53119 Wahlnachtbericht und erste Deutungen zum «Comeback des Jahres» Die Union ist ein Wahlsieger ohne Glamour – sie gewinnt wie erwartet mit großem Abstand zum Zweitplatzierten und fährt dennoch ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein. Dabei hatte der CDU-Kanzlerkandidat als Oppositionsführer gegen die unbeliebteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik eigentlich leichtes Spiel.

Die SPD erlebt das erwartete Wahldebakel – noch nie hat die Partei bei einer Bundestagswahl so schlecht abgeschnitten. Dass die Partei den Wahlkampfauftakt mit einer brutalen Kandidatendebatte (Scholz oder Pistorius) verstolperte und sich dabei offenbar für den falschen Kandidaten entschied, sollte nicht über die strukturellen Probleme der Partei hinwegtäuschen.

Die Grünen verlieren 3,6 Prozent und landen bei 11,6 Prozent, was immer noch ihr zweitbestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ist. Sie verlieren weniger als die anderen Ampel- Parteien, aber das von den damaligen Parteivorsitzenden Habeck/Baerbock gestartete Projekt, zur neuen Volkspartei zu werden und systematisch in neue Wählerschichten auszugreifen, hat seinen Zenit überschritten, weil es überdehnt wurde.

Die Linke ist die Partei der Stunde, erreicht 8,8 Prozent (+3,9 Prozent) der Stimmen und holt 6 Direktmandate (Berlin: Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Friedrichshain- Kreuzberg, sowie Leipzig-Süd und Erfurt). Bei der Europawahl im Juni 2024 noch bei nur 2,7 Prozent und in den Umfragen lange in der politischen Todeszone bei weit unter 5 Prozent gelingt der Partei das Kunststück, sich in wenigen Wochen Wahlkampf im Wählerzuspruch zu verdreifachen, damit an frühere Wahlerfolge anzuknüpfen und nebenbei noch einen Mitgliederrekord nach dem nächsten zu feiern (Stand 20.02.2025: 95.112 Mitglieder) – Zeitenwende bei der Linken!

Die FDP verliert die von ihr angezettelte «Offene Feldschlacht» und fliegt mit 4,3 Prozent (-7,1 Prozent) nach 2013 erneut aus dem Bundestag. Dies ist einerseits Ausdruck einer langfristigen Krise der Partei: seit Eintritt in die Ampelkoalition auf Bundesebene scheiterte die FDP bei 7 von 10 Landtagswahlen an der 5-Prozent-Hürde, bei den Ost-Landtagswahlen im Herbst 2024 war die Partei nahezu pulverisiert (Thüringen: 1,1 Prozent, Sachsen: 0,9 Prozent, Brandenburg: 0,8 Prozent). Andererseits hat sich Christian Lindner als Parteivorsitzender in der Suche nach einem Ausweg aus dieser Krise offenbar auch einfach verzockt.

Die AfD erreicht mit 20,8 Prozent ein Rekordergebnis. Sie ist stärkste Kraft im Osten und wird mit 151 Abgeordneten im Bundestag vertreten sein – so vielen, wie nie zuvor. Das heißt auch: in den nächsten 4 Jahren wird es – so lange die Partei nicht verboten ist – über die staatliche Parteienfinanzierung so viel staatliches Geld an die AfD überwiesen wie nie zuvor und es werden noch mehr Nazis bezahlte Stellen im Parlament und in Wahlkreisbüros bekommen.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) scheitert mit 4,97 Prozent denkbar knapp an der 5 Prozent-Hürde und zieht nicht in den Bundestag ein. Damit steht Sahra Wagenknechts vor einem Scherbenhaufen. Sie hatte auf den letzten Metern des Wahlkampfs alles auf eine Karte gesetzt und wenige Tage vor der Wahl ihre persönliche Zukunft mit dem Wahlergebnis verknüpft – hält sie Wort, dürfte ihre Karriere als Politikerin mit diesem Ergebnis vorbei sein.

Die gesamte Analyse der Bundestagswahl und des spektakulären Comebacks der Linken im Wahlnachtbericht.

Inhalt:

  • Ergebnisse und erste Deutungen
  • Das Social Media Game der Linken
  • Der Mitgliederboom der Linken
  • Ausgangslage und Kontext der Wahl
  • Wahlkampf, Umfrageverlauf, wichtige Themen & LINKE-Wahlkampagne
  • Gewonnene Direktwahlkreise
  • Lange Linien – frühere Linke-Ergebnisse bei bundesweiten Wahlen (Europa- und Bundestagswahlen)
  • Erkenntnisse aus Nachwahlbefragungen

Autor:

Moritz Warnke ist Referent für soziale Infrastruktur und verbindende Klassenpolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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