Publikationen https://www.rosalux.de/ Hier finden Sie unsere Publikationen. de Copyright Mon, 14 Jul 2025 01:07:03 +0200 Mon, 14 Jul 2025 01:07:03 +0200 TYPO3 Publikationen https://www.rosalux.de/_assets/bcaf2df31b3031c02e4bdc5e5aed5a50/Images/Dist/Logos/logo_rss.jpg https://www.rosalux.de/ 144 109 Hier finden Sie unsere Publikationen. news-53555 Wed, 02 Jul 2025 04:54:00 +0200 Gegen die Zerstörung der Zukunft https://www.rosalux.de/publikation/id/53555 LuXemburg 1/2025 beleuchtet die wackelige GroKo und fragt nach Konsequenzen für die Linke «No future» mit Merz, so könnte man das Programm der neuen Regierungskoalition von Union und SPD zusammenfassen. Die spätneoliberale Offensive wird durch die SPD vorerst gebremst – aber ein gesellschaftspolitisches Projekt hat diese Regierung nicht. Es bleiben Unsummen für Aufrüstung, Subventionen für die Industrie und weitere Verschärfungen der Migrationspolitik als kleinster gemeinsamer Nenner.

Diese Ausgabe setzt die Linie vergangener Hefte (2/23, 2/24) mit Analysen zu Faschisierung, blockierter Transformation und «Strategien der Hoffnung» fort. Was bedeutet Faschisierung konkret, wenn ihre Anführer*innen an die Hebel der Macht kommen, wie zuletzt Trump in den USA oder Milei in Argentinien? Brauchen wir eine neue Faschismustheorie? Und was ist aus dem Projekt des grünen Kapitalismus geworden? Ist die neue Zukunft beendet, bevor sie begonnen hat? Der globale Kapitalismus steuert in vielerlei Hinsicht auf Zerstörung von Zukunft zu. Doch die Zukunft wird von gesellschaftlichen Kämpfen entschieden. Die Linke hat einen unerwarteten Wahlerfolg errungen. Wir fragen nach Erwartungen an die Partei und ihren Strategien nach ihrer faktischen Neugründung. 

Auch in den USA regt sich Widerstand gegen Trump. Wir wollen Raum bieten für transnationalen Austausch über dringend benötigte antifaschistische Strategien. Wie können etwa Erfahrungen von Scham und Verlust von links aufgegriffen werden?
 

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Inhalt

  • DER HORIZONT EINES SOZIALEN ANTIFASCHISMUS
    Neoliberale Faschisierung und das Momentum der Linken
    Von Lia Becker
  • MERZ’ GRUNDSICHERUNG: ÖL INS GETRIEBE DES NIEDRIGLOHNSEKTORS
    Von Helena Steinhaus
  • MEHR ALS NUR TEIL DER TARIFMASCHINE SEIN
    Gewerkschaften im autoritären Sicherheitskapitalismus
    Von Jörn Boewe und Johannes Schulten
  • DAS GESPENST DER DEINDUSTRIALISIERUNG
    Von Thomas Sablowski
  • UMKÄMPFTE RENTE
    Was bedeutet der Koalitionsvertrag für die Rentner*innen in Deutschland?
    Von Sabine Skubsch
  • ÖSTERREICH AM KIPPPUNKT
    Zum Ende des progressiven Neoliberalismus
    Von Stefanie Wöhl
  • KULTURKAMPF ALS INNERER BÜRGERKRIEG
    Von Judith Goetz
  • BRAUCHT ES EINE ERNEUERUNG DER FASCHISMUSTHEORIE?
    Von Alex Demirović
  • FASCHISIERUNG AN DER MACHT
    Von Trump und Meloni zu Merz
    Von Mario Candeias
  • DER KOMMENDE TECHNOFEUDALISMUS
    Von Cédric Durand
  • MAGA, TRUMP UND DIE FRAGE DES FASCHISMUS IN DEN USA
    Von Carl Davidson und Bill Fletcher Jr.
  • REGIMEWECHSEL MIT TRUMP 2.0
    Staatsumbau und »Reindustrialisierung durch Zölle«
    Von Margit Mayer
  • DIE KETTENSÄGEN-INTERNATIONALE
    Milei und die Faschisierung sozialer Reproduktion
    Von William Callison & Veronica Gago
  • KAPITALISMUS IST NICHT DAS, WAS SIE DENKEN
    Von Grace Blakeley
  • FINANZIALISIERUNG
    Die Achillesferse des European Green Deal
    Von Angela Wigger
  • GRÜNER KAPITALISMUS – NOT DEAD YET!
    China und der abgehängte Westen
    Von Philipp Köncke
  • DER LINKE GREEN NEW DEAL NACH DEM ENDE DES GRÜNEN KAPITALISMUS
    Von Alyssa Battistoni
  • VON DER TRAUER ÜBER WUT ZUR VERÄNDERUNG
    Affektive Politiken von links
    Von Sarah Jaffe
  • «BLOCK AND BUILD»
    Eine linke Strategie gegen das MAGA-Regime
    Von Cayden Mak
  • BLICKWINKEL WIDERSTÄNDIGE COLLAGEN
    Von Mustapha Boutadjine
  • AUF TRIGGERPUNKTEN TANZEN
    Oder: Eine verbindende Klassenpolitik ist möglich
    Von Harald Wolf
  • GESPRÄCH: NACH DER «NEUGRÜNDUNG»
    Erwartungen an die Partei der Hoffnung
    Mit Julia Dück, Magdalena Schulz & Hans-Jürgen Urban
  • EINE LINKE POLARISIERUNGSUNTERNEHMERIN
    Von Kerstin Wolter
  • SOLIDARITÄT ORGANISIEREN UND DAS GLEICHHEITSVERSPRECHEN EINLÖSEN!
    Migrationspolitik als Klassenpolitik der Vielen
    Von Ceren Türkmen
  • DEBATTE: LINKE NACH DER WAHL
  • ZWISCHEN ÜBERLASTUNG UND STREIKVERBOT
    Wie und mit wem können Lehrkräfte kämpfen?
    Von Philipp Dehne
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news-53564 Fri, 27 Jun 2025 16:07:00 +0200 Erinnerungen an eine emanzipatorische Allianz https://www.rosalux.de/publikation/id/53564 Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken (Band 5) «Die jüdische mit der allgemeinen proletarischen Bewegung zu vereinen» ist – in Anlehnung an einen programmatischen Artikel des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes (kurz: «Bund») aus den 1920er-Jahren – der Titel der luxemburg beiträge zu «Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken», die wir 2021 veröffentlichten, ohne zu wissen, dass daraus eine ganze Reihe mit vier weiteren Bänden entstehen würde. 

Der erste Band stellt politische Strömungen und Organisationen (den Linkszionismus und den «Bund»), das jüdisch-linke Wirken in einzelnen Ländern bzw. Regionen (Südafrika, Großbritannien und Frankfurt am Main) sowie Persönlichkeiten (Rosa Luxemburg, Jürgen Kuczynski, Jakob Moneta und Theodor Bergmann) vor. 

Der zweite Band aus dem Jahr 2022 ist mit einem Zitat aus einem Interview mit Gregor Gysi überschrieben: «Wenn du ausgegrenzt wirst, gehst du zu anderen Ausgegrenzten ».2 In den 17 Beiträgen werden vor allem jüdisch-sozialistische Persönlichkeiten porträtiert, darunter Luise Kautsky und Mathilde Jacob, die Bundisten Henryk Erlich und Wiktor Alter, der Schriftsteller Lew Kopelew und andere. Der Beitrag von Reiner Tosstorff ist darüber hinaus dem Jüdischen Antifaschistischen Komitee gewidmet.

2023 legten wir einen dritten Band mit dem Titel «Die Arbeiter*innenbewegung als Emanzipationsraum» vor, in dem Beiträge zu «Aschkenasim – Sephardim – Mizrachim », zum Osmanischen Reich und Griechenland, Marokko und Tunesien sowie Österreich bzw. Österreich-Ungarn enthalten sind.3 Weitere Texte widmen sich Jüdinnen und Juden in linken Hochschulgruppen in der Weimarer Republik, dem internationalen Trotzkismus sowie exemplarisch dem US-amerikanischen Politiker, Publizisten und (zeitweiligen) Trotzkisten Max Shachtman, dem Labour-Politiker Ian Mikardo, dem Schriftsteller Jean Améry und der Neuen Linken in Frankreich. 

Der 2024 veröffentlichte vierte Band «‹Zog nit keyn mol, as Du geyst dem letsten Veg. Mir zaynen do!›»4 wird von einem Interview mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Thüringen und jetzigen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags, Bodo Ramelow, eröffnet und mit einem Gespräch mit der Wiener Sängerin und Aktivistin Isabel Frey beschlossen. Viele Beiträge thematisieren die Lebenswege von linken Jüdinnen und Juden, die – aus Haft, Untergrund und Emigration zurückgekehrt – die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR wählten, weil sie dort auf einen konsequent antifaschistischen und sozialistischen Neuaufbau setzten. Weitere Beiträge widmen sich beispielsweise Moses Hess, Esther Bejarano und dem jüdischen Widerstand gegen die Nazis in Polen, dem heutigen Belarus und in Deutschland.

Nichtjüdische Juden: Themen und Personen des neuen Bandes

In jedem der bisherigen Bände unserer Reihe haben wir den einprägsamen Begriff des «nichtjüdischen Juden» von Isaac Deutscher zitiert und aufgegriffen – nur haben wir diesen wichtigen Trotzki-Biografen und frühen Stalin-Gegner bislang nicht vorgestellt. Diese Lücke schließen wir nun mit dem vorliegenden Band, in dem Reiner Tosstorff in einem Kurzporträt Isaac Deutscher vorstellt, der unser Verständnis der Geschichte des Kommunismus maßgeblich geprägt hat, wie Tosstorff hervorhebt.

Fast 50 Autor*innen und drei Gesprächspartner* innen haben insgesamt über 70 Beiträge zu unserer Reihe beigesteuert. Ihnen möchten wir an dieser Stelle einen herzlichen Dank aussprechen! Gleichermaßen möchten wir auch all denjenigen danken, die diese fünf Bände durch ihre Arbeit erst ermöglicht haben, sei es durch Anregungen und kritische Anmerkungen, sei es in der Transkription, dem Lektorat, dem Layout und schließlich der Verbreitung des Materials. 

Wir freuen uns über die Möglichkeit, einzelne Aspekte aus dieser Reihe mit Interessierten in öffentlichen Veranstaltungen zu erörtern, wie wir es in der Vergangenheit beispielsweise in Frankfurt am Main, Berlin, Erfurt und Zürich tun konnten und in vielen weiteren Orten in nächster Zeit mit unterschiedlichen Kooperationspartner* innen und wechselnden Referent* innen tun werden. Gern stehen wir für weitere Vorstellungen und Gespräche zur Verfügung.

Die Herausgeber

Riccardo Altieri ist Historiker und promovierte nach dem Studium der Geschichte und Germanistik 2021 an der Universität Potsdam zu «Rosi Wolfstein und Paul Frölich. Transnationale Linke des 20. Jahrhunderts». Altieri forscht auf den Gebieten unterfränkisches Judentum, historische Arbeiterbewegung und Klassismus. Er leitet das Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken in Würzburg. Zuletzt erschien «Johanna Stahl. Wirtschaftswissenschaftlerin – Politikerin – Frauenrechtlerin» (2022).

Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und lebt in Bremen. Er ist Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik und Koordinator des Gesprächskreises «Geschichte» der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist unter anderem Mitglied des Vorstandes der German Labour History Association und der Redaktion von Arbeit – Bewegung – Geschichte. Zeitschrift für historische Studien. Zu seinen Interessensgebieten gehören emanzipatorische historische Bildung, Intersektionalität, Kunstgeschichte und neue soziale Bewegungen. Seine Webseite mit Publikationsverzeichnis ist unter www.bernd-huettner.de zu finden.

Florian Weis ist Historiker mit Schwerpunkten zur neueren und neuesten britischen und deutschen Geschichte (Promotion 1998 zu «‹And now – win the Peace›. Nachkriegsplanungen der Labour Party»). Er arbeitet seit 1999 in verschiedenen Funktionen in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ist dort gegenwärtig Co-Leiter der Gesprächskreise «Antisemitismus/jüdisch-linke Geschichte und Gegenwart» sowie «Klassen und Sozialstruktur».

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news-53486 Thu, 12 Jun 2025 17:26:01 +0200 Jenseits der Aufregung https://www.rosalux.de/publikation/id/53486 Mythen und Fakten zu Flucht und Migration Deutschland ist ein Einwanderungsland. Nach jahrzehntelanger Realitätsverweigerung wurde diese Tatsache erst 2001 offiziell anerkannt. Heute scheint das wieder vergessen. Migration ist das große Reizthema unserer Zeit. Nicht nur in Deutschland ist Nationalismus wieder in Mode. Kein Tag vergeht ohne neue schrille Rufe nach Abschottung, Abschreckung oder Abschiebung. Die Errungenschaften der Kämpfe für die Migrationsgesellschaft drohen dem Aufstieg der politischen Rechten und dem wieder wachsenden Rassismus zum Opfer zu fallen.

Als der damalige Innenminister Horst Seehofer 2018 Migration als «Mutter aller Probleme» bezeichnete, sorgte das noch für politisches Aufsehen. Heute ist diese Diagnose Mainstream. Die Bezeichnung von Fluchtmigration als «irreguläre Einwanderung» ist dafür ein gutes Beispiel. Der Begriff steht im Zentrum der menschenverachtenden migrationspolitischen Agenda der Alternative für Deutschland (AfD), hat aber längst Einzug in die offizielle Sprache der Bundespolitik gehalten. Auf diese Weise wird der Bereich des Sagbaren verschoben, rechtspopulistische Politik normalisiert und der falsche Eindruck erweckt, Geflüchtete wählten «illegale» Routen nur deshalb, weil sie keinen berechtigten Anspruch auf Schutz hätten. So sterben Jahr für Jahr Hunderte und Tausende auf der Suche nach einem sicheren Hafen.

Gerechtfertigt werden immer drastischere Maßnahmen der Migrationsbegrenzung mit dem Verweis auf Überforderung: Unser Sozialstaat könne sich so viel Migration nicht leisten, «die Ausländer » nähmen «uns» die Wohnungen weg, die Kommunen seien an der Belastungsgrenze, und die öffentliche Sicherheit könne nicht mehr garantiert werden. Die Bekämpfung der Fluchtmigration erscheint dann als vermeintlich vernünftige Lösung für die multiplen Krisen der Gegenwart. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Abschottungspolitik verschärft auch die soziale Krise im Inneren.

Der gegenwärtige Erfolg der radikalen Rechten ist ohne die Kraft solcher Mythen kaum denkbar. Umso wichtiger ist es, ihnen Fakten entgegenzusetzen. Welche Ängste und Erfahrungen stehen hinter der Ablehnung von Migration? Wie können die Krisen von Sozialstaat, Wohnungsmarkt und kommunaler Daseinsvorsorge wirklich bewältigt werden? Wie ist eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik umsetzbar? Mit Antworten auf diese und weitere Fragen will diese Broschüre der emotionalen, oft auch irrationalen Debatte begegnen und Alternativen im Umgang mit Migration aufzeigen.

Inhalt:

  • «Die Geflüchteten nehmen uns die Wohnungen weg»
  • «Die Grenze der Aufnahmefähigkeit ist erreicht»
  • «Geflüchtete kommen, weil es ihnen hier zu gut geht»
  • «Mehr Migration kann sich Deutschland nicht leisten»
  • «Migration erhöht die Kriminalität»
  • «Migration heißt Einwanderung von Islamismus, Sexismus und Antisemitismus»
  • «Wir müssen die Kontrolle über unsere Grenzen wiedergewinnen»
  • «Eine harte Migrations- und Asylpolitik schwächt die AfD»
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news-53451 Fri, 06 Jun 2025 13:30:00 +0200 Bildungsungleichheit in der Stadt Bremen https://www.rosalux.de/publikation/id/53451 Ursachen, aktueller Stand und Lösungsansätze Bremen gehört zu jenen deutschen Städten, die nun schon seit Jahrzehnten von einem tiefgreifenden Strukturwandel geprägt sind. Seit dem Niedergang der Werftenlandschaft sowie großer Teile des Kaffee- und Tabakgewerbes und der Fischerei gehören chronisch hohe Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdungsquoten zu den anhaltenden Problemen der Stadt. Die damit verbundenen strukturellen Herausforderungen stehen keineswegs kurz davor, gemeistert zu werden, vielmehr vergrößern sie sich zusehends. 2023 waren laut Statistischem Bundesamt 28,8 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes Bremen armutsgefährdet, bei den unter 18-Jährigen sogar 41,4 Prozent. Damit weist Bremen nicht nur unter den deutschen Bundesländern die mit Abstand höchste Armutsgefährdungsquote auf, sogar unter den deutschen Städten mit über 500.000 Einwohnern ist Bremen der traurige Spitzenreiter. Dabei ist Bremen in seiner Gesamtheit keine arme Stadt. Durchschnittlich verdiente 2023 jede*r in Beschäftigung Stehende 66.100 Euro brutto im Jahr. Das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 56.100 Euro. Der Wohlstand ist allerdings sehr ungleich verteilt.

Ebenso wie in anderen Großstädten drückt sich die ungleiche Verteilung von Arbeit und Einkommen in Bremen auch räumlich aus, das heißt in zum Teil extremen Unterschieden zwischen den verschiedenen Stadtteilen. Ausgehend vom historischen Zentrum erstrecken sich die sozioökonomisch besser gestellten Wohngebiete in den Nordosten der Stadt hinein, während die benachteiligten Stadtteile oft am Stadtrand und entlang der Weser in Richtung Nordwesten zu finden sind, so vor allem Gröpelingen, Blumenthal, die Neue Vahr und Huchting.

In Bremen, wie überall in Deutschland, existiert nach wie vor ein enger Zusammenhang zwischen dem familiären Hintergrund und den Bildungschancen eines Kindes. Zu diesem Ergebnis kommen die Autor*innen des nationalen Bildungsberichts. Sie identifizieren drei Risikolagen, die maßgeblichen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern haben: ein Familieneinkommen unterhalb der Armutsgrenze, Erwerbslosigkeit und eine geringe Qualifizierung der Eltern. Deutschlandweit sind ein Drittel aller Kinder von mindestens einer dieser drei Risikolagen betroffen. Bedingt durch die schwierige ökonomische Situation, liegt dieser Wert in Bremen bei 52 Prozent und damit deutlich höher als in jedem anderen Bundesland. Während zudem deutschlandweit nur 4,1 Prozent der Kinder von allen drei Risikolagen zugleich betroffen sind, sind es in Bremen 12 Prozent.

Trotz der Einführung des zweigliedrigen Schulsystems in Bremen hat sich der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und familiärem Hintergrund nicht aufgelöst. Dies zeigt sich auch im Hinblick auf die sozialräumliche Dimension der sozialen Ungleichheit: Die Bildungschancen für Kinder in den wohlhabenderen Teilen der Stadt sind ungleich besser als jene für Kinder aus den strukturell benachteiligten Stadtteilen. Diese Studie soll eine Momentaufnahme der aktuellen Bildungsungleichheit in Bremen liefern, den Zusammenhang von Bildung und Armut veranschaulichen, aufzeigen, wie sich diverse Herausforderungen für das Bildungssystem in einigen wenigen Stadtteilen konzentrieren, sowie mögliche Ansätze zur Bewältigung dieser Probleme benennen.

In dieser Broschüre wird die gravierende Ungleichheit im Bremer Bildungssystem zunächst beispielhaft anhand von vier Bremer Stadtteilen verdeutlicht. Anschließend werden mit dem Zusammenhang von Bildungschancen und Migrationshintergrund sowie dem sonderpädagogischen Förderbedarf weitere Dimensionen der Bildungsungleichheit eingeführt, die aber auch immer mit der sozialräumlichen Dimension korrelieren.

Nach einer Darstellung der aktuellen Situation der Kitas und Ganztagsschulen in Bremen – sie sind zentrale Bausteine in der angestrebten Entkopplung von Bildungschancen und sozioökonomischem Hintergrund – soll abschließend die politische Dimension der Thematik hervorgehoben, das heißt gezeigt werden, welche Initiativen es gibt, wie sich die Parteien zu den Problemen positionieren und was die politischen Hindernisse auf dem Weg zu einer grundlegenden Reform des Bremer Bildungssystems sind.

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news-53482 Mon, 02 Jun 2025 14:59:00 +0200 Jahresbericht 2024 https://www.rosalux.de/publikation/id/53482 der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Schwerpunkt «25 Jahre Studienwerk» Alles wird teurer. Dieser Satz war im Jahr 2024 überall zu hören. Mehrausgaben für Energie, Lebensmittel und Mieten haben die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben. Die Angst, sich das Leben nicht mehr leisten zu können, ist in den Haushalten der sogenannten Mittelschicht angekommen. Und das ist nicht die einzige Sorge. Neben der anhaltenden Inflation sind es die vielfältigen Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen mit ihren globalen und politischen Folgen, die die Menschen in unserem Land verunsichern. In einer solchen Situation wünscht man sich stabile politische Verhältnisse und eine handlungsfähige Regierung, die gegensteuert. Doch statt dem selbst gewählten Namen «Fortschrittskoalition » gerecht zu werden, verloren sich die Ampelparteien in einem öffentlich ausgetragenen Dauerstreit. So verwundert es nicht, dass die Zufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung im Jahresverlauf kontinuierlich abnahm. 

Der Bruch der Ampelregierung am 6. November war der traurige Höhepunkt eines monatelangen Konflikts und Ausdruck der Unfähigkeit von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Sacharbeit über parteipolitische Interessen zu stellen. Die vorgezogene Neuwahl des Bundestages am 23. Februar 2025 war der Versuch, die Scherben zusammenzukehren und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Den Parteien der sogenannten politischen Mitte ist es auch im Wahlkampf nicht gelungen, Lösungsansätze für die aktuellen sozial-, friedensund wirtschaftspolitischen Herausforderungen zu entwickeln. Sie ließen sich von der AfD mit ihren extrem rechten, rassistischen und menschenverachtenden Forderungen am Nasenring durch die Manege führen, indem sie sich auf einen Bieterwettstreit um die radikalste Migrationspolitik einließen. Die Quittung gab es am Wahltag: Die politische Mitte zerfällt. Die eigentliche Gewinnerin ist die AfD, die ihre Mandate verdoppeln konnte – trotz bundesweiter Demonstrationen gegen rechts. Einzig Die Linke hat mit ihrer klaren Positionierung für soziale Themen wie Mietendeckel und ein gerechtes Steuersystem und mit ihrer klaren Abgrenzung gegen rechts und ihrem Eintreten für eine tolerante Gesellschaft und eine humane Migrationspolitik zu neuer Stärke gefunden. 

Auf internationaler Ebene kann das Jahr 2024 als Wendejahr bezeichnet werden. Der im Oktober 2023 nach dem Angriff der Hamas ausgebrochene israelisch-palästinensische Krieg eskalierte, forderte Zehntausende von Opfern und führte zu einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert an und hat sich weiter verschärft. Er muss endlich beendet werden. Zu Verhandlungen gibt es keine Alternative. Sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene ist die Politik nach rechts gerückt. Besonders deutlich wurde dies bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsiden5 ten. Die globalen sicherheits- und handelspolitischen Auswirkungen sind nun auch in Europa zu spüren. Der geopolitische Wandel stellt Europa vor neue Herausforderungen. Die Defizite der europäischen Politik werden sichtbar. Die europäische Gemeinschaft steht vor großen Herausforderungen, denen sich die europäische Linke stellen muss. 

Wir haben darauf reagiert und die internationale Arbeit mit einer stärkeren Verzahnung von Inlands- und Auslandsarbeit neu ausgerichtet. Im Vordergrund stehen Analysen zur aktuellen Situation in den Ländern, in denen wir mit Büros vertreten sind. Ein neues Format sind regelmäßige «Internationale Briefings» zu aktuellen Entwicklungen. 

Die Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hatte Auswirkungen auf die uns nahestehende Partei. Als Stiftung haben wir daraufhin die Veranstaltungsreihe «Strategischer Dialog» zu zentralen Fragen der gesellschaftlichen Linken organisiert, die die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Arbeit widerspiegelt. Das Format kam gut an. Das hybride Konzept bot vielen die Möglichkeit, sich einzubringen. Natürlich ging es dabei immer auch um die Situation der Partei Die Linke, die sich nach der öffentlichkeitswirksamen Gründung des BSW verschlechterte. Die tektonischen Verschiebungen in der Wirtschaft durch die ökologischen Herausforderungen haben wir unter dem Titel «Sozial-ökologischer Umbau und Wirtschaftsdemokratie» ebenso diskutiert wie die globalen Machtverschiebungen und die Möglichkeiten von Diplomatie und Frieden. Die Studie «Linke Triggerpunkte» von Carsten Braband zu den gesellschaftspolitischen Haltungen potenzieller Wähler*innen der Linken entlang unterschiedlicher Parteipräferenzen in der Sozial-, Migrations- und Integrations-, Klima- sowie Außen- und Rüstungspolitik fand im Oktober 2024 große Aufmerksamkeit. Im Jahr 2025 werden wir die Veranstaltungsreihe fortsetzen. 

Der Kapitalismus selbst befindet sich in einer tiefen Krise. Dies hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung. Die Stiftung muss in ihren Analysen und bei der Erarbeitung linksalternativer Gesellschaftskonzepte sehr viel stärker als bisher von der konkreten Situation der Menschen, ihren Nöten und Ängsten ausgehen und zu einer aufgeklärten und differenzierten Sicht beitragen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Schwerpunkt «Zeitdiagnose» zu, dessen Aufgabe es ist, die prägenden gesellschaftlichen Widersprüche herauszuarbeiten. Dabei geht es um tiefgreifende Umbrüche, um weitreichende Transformationsprozesse unserer Produktionsweise, um Krieg und Frieden in Verbindung mit geopolitischen Veränderungen und um Fragen von Autoritarismus und Demokratie. Daraus sind mittel- und kurzfristige Ansatzpunkte linker Politik zu entwickeln. Zwei Konferenzen des vergangenen Jahres möchte ich besonders hervorheben. Am 31. August waren wir Gastgeber der Konferenz «Diplomatie jetzt!». Mit internationalen Gästen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen aus der Ukraine, Russland, China, Brasilien, Südafrika, Indien und vielen europäischen Ländern diskutierten wir über Wege einer neuen internationalen Initiative für Diplomatie. Gemeinsam haben wir zu Verhandlungen aufgerufen, um Druck auf unsere Regierungen auszuüben, endlich nicht mehr in Waffen, sondern auch in Diplomatie zu investieren. Denn es geht um das Leben der Menschen, um ihren Frieden und ihre Freiheit – und um die Frage, wie Frieden und Sicherheit in Europa in Zukunft ohne weitere militärische Aufrüstung gewährleistet werden können. Im November haben wir zusammen mit internationalen Referent*innen eine Zeitdiagnose erstellt. Unter dem Titel «Monster verstehen» haben wir die neue gesellschaftliche Situation diskutiert, die durch die Defensive der Linken in vielen Ländern entstanden ist. Auf dieser Konferenz haben wir versucht, die konkrete Analyse der aktuellen Situation mit der Suche nach linken Strategien und (öko-)sozialistischen Perspektiven zu verbinden.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Bildung ist und bleibt der Schlüssel für Chancengerechtigkeit und beruflichen Erfolg im Leben. Das Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung besteht nun seit 25 Jahren. Sein Ziel ist es, durch politische Bildung zu Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität sowie zum Ausgleich sozialer, geschlechtsspezifischer oder ethnischer Benachteiligungen beizutragen. Den meisten der 4.000 ehemaligen und etwa 1.000 gegenwärtigen Stipendiat*innen in der Studien- und Promotionsförderung wurde eine höhere Bildung nicht in die Wiege gelegt. Sie waren oder sind die Ersten in ihrer Familie, die studieren, und haben neben den finanziellen oft auch andere Hürden zu überwinden. Das System der Stipendienförderung durch politische und konfessionelle Stiftungen mit staatlichen Mitteln ist einzigartig. Im Schwerpunktthema des Jahresberichts 2024 blicken wir auf die Anfänge und die Entwicklung des Studienwerks zurück.

Heinz Bierbaum, Vorsitzender des Vorstands

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news-53477 Fri, 30 May 2025 16:36:34 +0200 Kapitalgetriebene Entwicklungspolitik https://www.rosalux.de/publikation/id/53477 Policy Brief 03_2025 von Andreas Bohne und Janine Walter Entwicklungspolitik steht derzeit heftig unter Beschuss. Dennoch wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nicht aufgelöst. Laut Koalitionsvertrag sollen zentrale Vorhaben der Vorgängerregierung fortgeführt werden. Dazu zählen Mittelkürzungen, die Nutzung entwicklungspolitischer Gelder als Hebel für Privatkapital sowie eine zunehmende geoökonomische und geopolitische Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik. Die wenigen progressiven Programme werden dagegen eingestellt.

Eine linke Kritik an der Ausrichtung des BMZ und der Entwicklungspolitik muss pragmatisch an den geplanten Maßnahmen ansetzen, konkrete Forderungen formulieren – und zugleich über die bestehende Entwicklungspolitik hinausdenken. Es gilt, Konzepte für einen kritischen Internationalismus zu entwickeln und dabei solidarische Zusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen.

Autor*innen:

  • Andreas Bohne arbeitet als Journalist und Autor. Seine Interessengebiete sind deutsche Kolonialgeschichte, rechte Akteur*innen und Politik des Südlichen Afrika.
  • Janine Walter leitet das Afrika- und das Westasien-Referat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
    Zuvor war sie Büroleiterin der Stiftung im südafrikanischen Johannesburg.
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news-53399 Fri, 09 May 2025 16:57:00 +0200 Pflegende Angehörige als öffentliche Beschäftigte https://www.rosalux.de/publikation/id/53399 Das Modell Burgenland – ein Baustein transformativer Care-Politiken Viele Menschen werden heute sehr alt. Das ist eine gute Nachricht. Sie in der letzten Lebensphase gut zu begleiten und zu unterstützen ist jedoch heute schon kaum mehr möglich. Denn die Altenpflege in Deutschland ist am Rande ihrer Belastungsgrenze. Einem wachsenden Bedarf steht ein gravierender Personalmangel gegenüber: Bereits heute fehlen für eine gute Versorgung rund 200.000 Pflegekräfte, für die Jahre 2030 bis 2040 wird ein weiterer Anstieg auf 500.000 Pflegekräfte prognostiziert. Ab 2050 sogar auf 700.000 bis 800.000. In Altenheimen und Pflegeeinrichtungen sind die Missstände deutlich spürbar, worunter Pflegebedürftige und Beschäftigte gleichermaßen leiden. 

Dabei wird oft vergessen, dass der weitaus größte Teil der Pflegearbeit im eigenen Zuhause, in den Familien übernommen wird. In Deutschland sind derzeit etwa 5,7 Millionen Menschen pflegebedürftig, rund 80 Prozent von ihnen werden Zuhause gepflegt und betreut. Die Versorgungssituation der häuslichen Pflegearbeit ist dabei mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Strukturelle Defizite erschweren für viele Angehörige die Betreuung und häusliche Pflegearrangements sind von mehreren Herrschaftsachsen durchzogen: Vorwiegend weibliche Angehörige übernehmen die Pflege und werden oft unfreiwillig in Teilzeitarbeit gedrängt oder müssen ihre Erwerbstätigkeit ganz aufgeben. Zur Unterstützung werden nicht selten Migrant*innen angestellt, die zu schlechten Löhnen in halb-legalen und belastenden Situationen arbeiten. Weil die Angehörigenpflege oft lange Zeiträumen in Anspruch nimmt, steht am Ende für viele eine prekäre Altersvorsorge, die nicht selten mit finanziellen Abhängigkeitsverhältnissen oder Altersarmut einhergeht. Pflegende Angehörige haben ein erhöhtes Armutsrisiko und liegen mit 20 Prozent über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 15,5 Prozent. Bei weiblichen Angehörigen beträgt das Risiko in Armut zu fallen sogar 23,1 Prozent. 

Es ist klar: Das gegenwärtige Pflegeregime, in dem Angehörige und prekär beschäftigte Migrant*innen den Löwenanteil der Arbeit stemmen, bedarf grundlegender Reformen. Diese sind hierzulande jedoch kaum in Sicht. 

Im Nachbarland Österreich gibt es jedoch seit 2019 ein Modellprojekt, das zu einer sozial gerechteren Angehörigenpflege beitragen kann. Von der amtierenden Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) wurde im Burgenland ein staatlich finanziertes Pilotprojekt ins Leben gerufen, bei dem pflegende Angehörige für ihre Arbeit öffentlich angestellt, entlohnt und sozialversichert werden können. Ziel dieses «Anstellungsmodells für betreuende Angehörige» ist es, den bestehenden Defiziten eine gerechtere Versorgung von Pflegenden und Pflegebedürftigen im familiären Privatbereich entgegenzusetzen. 

In Kürze:

  • Pflegende Angehörige können sich im Rahmen eines sozialversicherungspflichten Arbeitsverhältnisses bei einem landeseigenen Unternehmen anstellen lassen.
  • Sie erhalten einen Pflegelohn auf Mindestlohnniveau.
  • Es gibt regelmäßige Supervision und begleitende Fortbildungen, die zu einem Zertifikat führen.
  • Für die Finanzierung des Pflegelohns wird ein gestaffelter Teil der Rente und des Pflegegeldes einbehalten und durch einen staatlichen Förderbeitrag aufgestockt.
  • Nicht alle Probleme des gegenwärtigen, auf häuslicher Arbeit basierenden Pflegeregimes werden damit gelöst. Aber gerade für Ehefrauen und Töchter kann das Armutsrisiko dadurch um bis zu ein Drittel sinken.
  • Angehörige erhalten außerdem wichtige fachliche Unterstützung und entkommen der Isolation, die oft mit Angehörigenpflege einhergeht.

Die vorliegende Kurzstudie nimmt dieses bislang wenig bekannte und erforschte Pilotprojekt genauer unter die Lupe. Anknüpfend an eine kritische Care-Forschung wird diskutiert, ob mit dem Modellprojekt mögliche Verbesserungen für pflegende Angehörige und Pflegebedürftige sichtbar werden und ob das Modell als Baustein transformativer Care-Politiken auch in Deutschland forciert werden sollte.

Inhalt:

  1. Einleitung
  2. Angehörigenpflege in Deutschland
    2.1 Strukturelle Problemlagen in der deutschen Angehörigenpflege
    2.2 Unvereinbarkeiten von Pflege und Beruf
    2.3 Fehlende Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige im Lebensalltag
  3. Ländervergleich Deutschland und Österreich
  4. Das «Anstellungsmodell für betreuende Angehörige» im Burgenland 
    4.1 Anstellungsverhältnis und Finanzierung des Pflegemodells
    4.2 Erste Arbeitserfahrungen der Angehörigen im Anstellungsmodell
  5. Das «Anstellungsmodell Burgenland» als Praxisbeispiel für Deutschland

Autor:

Patrick Schönherr ist Arbeitssoziologe und hat seinen Master of Arts an der Friedrich-Schiller-Universität Jena absolviert. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Fragen der gesellschaftlichen Organisation von Care-Arbeit und die Digitalisierung der Pflege.

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news-53362 Mon, 28 Apr 2025 16:06:41 +0200 Die Ukraine und die EU-Beitrittsverhandlungen https://www.rosalux.de/publikation/id/53362 Eine Sammlung von Texten und Perspektiven aus der Ukraine Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkte wie eine Starthilfe des ukrainischen EU-Beitritts. Gleich zu Beginn gab es klare Zeichen der Solidarität aus Brüssel – und große Versprechungen in Kyjiw, das Land zu reformieren und zu modernisieren, um den europäischen Vorgaben zu entsprechen. Aufgrund der offenkundigen Hürden auf diesem Weg folgte dann der Realitätscheck. Das Land befindet sich im Krieg, ein Fünftel des Territoriums ist besetzt, die größte Industrieregion zerstört; die Ukraine ist das ärmste Land Europas und hat einen massiven Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, der durch den Krieg noch verschärft wurde. Jahrzehnte der Oligarchenherrschaft, des Neoliberalismus und der Instabilität haben das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, das für eine so weitreichende Reform nötig wäre, zerstört.

Die europäische Integration scheint mit jeder Welle neuer Mitgliedstaaten immer schwieriger zu werden. Der Beginn der Beitrittsverhandlungen mit einem Land, das militärisch angegriffen wird und um seine Souveränität kämpft, bringt jedoch zusätzliche, noch nie dagewesene Herausforderungen mit sich. Das ukrainische Reformtempo ist für die EU zu langsam, und auch die Ukrainer*innen zeigen sich zunehmend besorgt. Einerseits ergab die Evaluation der Fortschritte der Ukraine bei der Einhaltung von EU-Standards im Oktober 2024 eine hohe Bewertung in den Bereichen Digitalisierung, Zoll, Energie und Sicherheit. Andererseits gab es jedoch keine weiteren Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr; und bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen, Sozialpolitik, Beschäftigung, Landwirtschaft, der ländlichen Entwicklung, Finanzkontrolle und Wettbewerbsfähigkeit erzielte die Ukraine weiterhin niedrige Werte.

Trotz linker Kritik an und Skepsis gegenüber der EU verfolgen einige der notwendigen Reformen positive Ziele und könnten, sofern sie umgesetzt würden, Verbesserungen für die ukrainische Bevölkerung mit sich bringen. Dies gilt insbesondere für jene Reformen, die sich auf die staatlichen Strukturen und die Wirtschaftsentwicklung beziehen. Andere Anforderungen der europäischen Integration hingegen würden den Neoliberalismus und dessen negative Folgen fortschreiben. Insgesamt werden viele sozioökonomische Fragen im Integrations- und Bewertungsprozess übersehen oder nicht als vorrangig eingestuft. 

Dennoch ist es wichtig zu erkennen, dass viele Ukrainer*innen sich von einer EU-Mitgliedschaft nicht nur mehr wirtschaftlichen Wohlstand erhoffen, sondern auch eine Stärkung der Demokratie, die Gewährleistung von Stabilität und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Insbesondere ukrainische Linke suchen Partnerschaften mit anderen europäischen Linken, um für eine faire und vorteilhafte EU-Integration der Ukraine zu kämpfen und wichtige sozioökonomische Fragen in den Vordergrund der Verhandlungen zu rücken. Als wichtigster Geldgeber kann die EU beeinflussen, welchen Entwicklungsweg die Ukraine nach dem Krieg einschlägt – entweder einen Weg der sozialen und gerechten Entwicklung oder einen Weg der neoliberalen Integration.

Bei der Angleichung an das europäische Recht gibt es viele systembedingte Schwierigkeiten, die durch den Kriegszustand noch verschärft werden. Es gibt aber auch linke politische Ansätze, die darauf abzielen, die soziale und politische Polarisierung zu verringern und der Ukraine zu einem gerechten Wiederaufbau und einer vorteilhaften europäischen Integration zu verhelfen. 

Die Sammlung politischer Kurzdarstellungen, die wir hier in englischer Sprache vorlegen, befasst sich mit den wichtigsten sozioökonomischen Fragen, die sich auf dem Weg der Integration stellen, und sie präsentieren sozial orientierte Lösungen, die den politischen Entscheidungsträger*innen in Kyjiw und Brüssel zur Verfügung stehen. 

Die Deindustrialisierung, der kriegsbedingte Rückgang der Energieproduktion um fünfzig Prozent und die hohe Auslandsverschuldung sind große Belastungen für das Land auf dem Weg zum Wiederaufbau. Serhii Huz zufolge dürfte die ukrainische Regierung versuchen, diese Probleme durch weitere marktliberale Reformen zu lösen – obwohl diese in den letzten Jahrzehnten immer wieder scheiterten und die Armutsquote massiv erhöhten. Huz’ Empfehlungen beinhalten demgegenüber die Kopplung des energetischen Umbaus an dezentrale und nachhaltige Energiequellen. Biogas etwa besitzt für die ukrainische Agrarwirtschaft ein enormes Potenzial. Darüber hinaus würde die Verbesserung der sozialen Sicherheit die Energiearmut verringern. Auch die Erneuerung der Energieeffizienzstandards habe eine nachhaltige Wirkung, indem sie die Wohnqualität verbessert, die Haushaltskosten senkt und auf diese Weise die Lebensqualität positiv beeinflusst.

Die große Aufgabe des Wiederaufbaus wird jedoch durch die hohe Schuldenlast des Landes gelähmt. Für einen effektiven Wiederaufbau müsse der Ukraine deshalb ein Schuldenschnitt angeboten werden, so Victoria Pihul. Eine wichtige Rolle könnten dabei auch die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IWF) spielen. 

Der riesige Agrarsektor wird sowohl Reformen der EU-Agrarsubventionen als auch des ukrainischen Rechts erfordern. Natalia Mamonova und Mihai Varga stellen fest, dass es in diesem Zusammenhang viel von der EU-Integration anderer postkommunistischer Staaten zu lernen gibt. Kleine landwirtschaftliche Betriebe dürften von dieser allenfalls in geringem Maße profitieren und laufen Gefahr, den Großbetrieben zum Opfer zu fallen. Staatliche Schutzmaßnahmen für kleine landwirtschaftliche Erzeuger, einschließlich des Kampfes um Quoten für die Produktion von Kleinbetrieben auf den internationalen Märkten, zählen zu den Maßnahmen, die Mamonova und Varga vorschlagen, um den Ausverkauf und die Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Flächen des Landes zu verhindern. 

Der Kampf der Regierung gegen die Gewerkschaften, sich verschlechternde Arbeitsbedingungen und die große Armut verschärfen den Arbeitskräftemangel in der Ukraine, der wiederum den Wiederaufbau erschwert. Der neoliberale Status quo und neuerliche radikale Änderungen des Arbeitsrechts und der Arbeitssicherheitsstandards werden unter Verweis auf den Krieg gerechtfertigt. Doch Olena Tkalich widerspricht dieser Logik. Sie empfiehlt die Stärkung der Mitentscheidungsbefugnisse der Gewerkschaften, die Verbesserung der Mindeststandards für Selbstständige und eine strengere Überwachung der Sozialstandards im Rahmen von EU-finanzierten Initiativen. Denn diese Initiativen würden die Ukrainer ermutigen, ins Land zurückzukehren und dort ein arbeitnehmerzentriertes Wirtschaftswachstum zu generieren.

Die fehlende Kontrolle des Wohnungsmarkts könnte die Menschen ebenfalls davon abhalten, in der Ukraine zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Ein lang anhaltender Mangel an Arbeitskräften wiederum würde die wirtschaftliche Erholung und den langwierigen Weg des Wiederaufbaus erheblich behindern. Wie Vita Shnaider anmerkt, wird die Wohnungspolitik in der EU in erster Linie auf nationaler Ebene geregelt, doch praktisch gesehen hat die EU großen Einfluss auf den Wohnungsmarkt in der Ukraine, wenn es darum geht, welche Wohnungsbauprojekte sie ko-finanziert und welche nicht. Shnaider schreibt: «Die Ukraine braucht mehr als lokales Kapital, das durch Subventionen für private Baufirmen verstärkt wird [...]; sie braucht eine erhebliche Umverteilung von Finanzmitteln, um ein robustes öffentliches Wohnungswesen aufzubauen und den privaten Markt zu regulieren.» Wie andere Autor*innen verweist auch Shnaider auf negative Beispiele anderer postkommunistischer EU-Mitgliedstaaten, bei denen EU-Gelder als Druckmittel zur Durchsetzung einer verschärften Privatisierungspolitik eingesetzt wurden; er stellt aber zugleich fest, dass der im lokalen Kontext fehlende politische Wille ebenfalls zur Wohnungskrise in der gesamten EU beigetragen hat. Im Fall der Ukraine mit ihrer hohen Zahl an zerstörten Häusern und vertriebenen Personen sind mehr kreative Ideen und öffentliche Initiativen vonnöten. Lösungen, die eher auf sozialer Gerechtigkeit als auf marktwirtschaftlichen Erwägungen beruhen, könnten wiederum den krisengeschüttelten Wohnungsmarkt auch in anderen Teilen Europas positiv beeinflussen.

Der Anstieg der Armutsquote wird kaum aufzuhalten sein, solange der Krieg andauert. Doch die Betroffenen dürften nicht auf unbestimmte Zeit vertröstet werden, meint Vladyslav Starodubtev. Wenn Kyjiw die Armut schon jetzt bekämpfen wolle, müsse man sich dort jedoch endlich von der neoliberalen Wirtschaftsideologie verabschieden. Starodubtev schlägt mehrere Optionen zur Verbesserung der Lage vor, darunter eine Ausweitung der Fürsorge für Binnenvertriebene, der Schutz vor Diskriminierung, Beschäftigungsgarantien, die Überarbeitung des Arbeitsrechts und die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta. 

Die Situation der (bezahlten) weiblichen Arbeitskräfte in der Ukraine ist außerordentlich prekär. Viele zuvor von Männern dominierte Bereiche haben sich aufgrund der Kriegsrekrutierungen umgehend für weibliche Beschäftigte geöffnet. Obwohl das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der Ukraine mit der letzten Mindestlohnerhöhung geschrumpft ist, weil die meisten Mindestlohnempfänger Frauen sind, wurden seit der Invasion keine neueren Statistiken über die Zahl der Frauen auf dem Arbeitsmarkt veröffentlicht. Die größten unmittelbaren Verbesserungen für weibliche Beschäftigte seien eine höhere Entlohnung und eine bessere Regulierung des Gesundheitssektors, konstatiert Olena Tklalich. Unter dem Deckmantel traditioneller Werte und des Schutzes der Frauen bestehe die Gefahr, dass Frauen nach der umfassenden Invasion erneut aus «Männerbranchen» verdrängt würden, um «Platz» für die von der Front zurückkehrenden Männer zu schaffen. Tkalich meint, dass Verbesserungen bei den Gehältern, den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitnehmerschutz sowie eine staatliche Überwachung des Arbeitsschutzes (im Gegensatz zur Selbstregulierung der Unternehmen) dazu beitragen könnten, die geschlechtsspezifischen Lohn- und Beschäftigungsunterschiede in der Nachkriegszeit zu verringern.

Olena Slobodian analysiert die Lage im Gesundheitssektor seit dessen Reform 2017. Mit Blick auf die finanzielle Ausstattung sieht sie die internationalen Geberländer in der Pflicht. Slobodian erkennt aber auch mögliche Verbesserungen durch eine andere, sozialere Politik der Ukraine. Mehr Druck aus Brüssel könne hilfreich sein; dafür aber müsse die EU endlich Themen der sozialen Gerechtigkeit stärker im Integrationsprozess berücksichtigen.

Die insgesamt elf Beiträge verschiedener Autor*innen befassen sich mit Fragen der Landwirtschaft, der Energie, der Industrie, des Arbeitsrechts, des Wohnungsmarktes, der Frauenbeschäftigung, des Gesundheitswesens und der gewerkschaftlichen Organisierung in der Ukraine. All diese Themen brauchen mehr Aufmerksamkeit und eine bessere, auf Fairness und Solidarität beruhende Politik in der EU. Die Analysen zeigen deutlich die systemischen Herausforderungen auf, vor denen die Ukraine und die EU stehen, aber auch jene Probleme, die durch den Krieg verursacht oder verschärft werden. Darüber hinaus enthalten sie klare Empfehlungen und konkrete Vorschläge für die politischen Entscheidungsträger*innen in Kyjiw und Brüssel. Mit Blick auf die europäische Integration können diese Empfehlungen den Worten der Solidarität Taten folgen lassen – und der ukrainischen Arbeiterklasse eine Perspektive bieten.

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