Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus

Publikation HKWM - Karl Marx Kommunistisches Manifest

Der bekannteste und einflussreichste Text des Marxismus weltweit: Entstehung, Rezeption, Stil, programmatische Ideen, Widersprüche und mehr

Information

Reihe

HKWM

Autor

Thomas Marxhausen,

Erschienen

Juli 2022

Zugehörige Dateien

Graffiti in der Ludford-Passage, Valparaíso. Der Mann hält das Kommunistische Manifest von Karl Marx in der Hand. CC BY-NC-SA 4.0, Rodrigo Fernández / wikimedia commons

Das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM) ist ein marxistisches Lexikon, das nach seiner Fertigstellung 15 Bände und über 1.500 Einträge umfassen wird. Von den bisher erschienenen neun Bänden in deutscher Sprache sind seit 2017 zwei Bände in chinesischer Sprache herausgegeben worden. Im Frühjahr 2019 hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit dem HKWM-Team die «Internationalisierung» des Lexikons auf Englisch und Spanisch vorangetrieben, um eine neue Generation marxistischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt für das Projekt zu gewinnen und seine Leserschaft und Reichweite zu vergrößern. Der unten stehende Eintrag ist Teil einer Auswahl dieser Übersetzungen, die auf unserer Website zur Verfügung gestellt werden. 

Weitere Informationen über das Projekt und andere übersetzte Lexikon-Einträge finden sich in unserem HKWM-Dossier.

A: bayān šuyū‛ī.  – E: Communist Manifesto. – F: Manifeste Communiste. – R: Kommunističeskij Manifest. – S: Manifiesto comunista. – C: gongchandang xuanyan 共产党宣言

Das Manifest der Kommunistischen Partei, entstanden 1847/48, ist die weltweit bekannteste und wirkungsmächtigste Schrift des Marxismus. Die gedankliche Präzision und Sprachgewalt, womit es die »Geschichte aller bisherigen Gesellschaft« als »Geschichte von Klassenkämpfen« (4/462) skizziert, hat ihm unter den Kommunisten den Status eines Gründungsdokuments ihrer Bewegung verliehen. Das Manifest, dessen Verbreitung die der Bibel bei weitem übersteigt, war Kraftquell in Zeiten der Niederlage, wurde versteckt, auswendig gelernt und weitererzählt. Es wurde selbst dort rezipiert, wo sich der Kapitalismus noch nicht oder nur ansatzweise herausgebildet hatte. Rebellierende Unterdrückte übersetzten ›Proletarier‹ mit ›Ausgebeutete‹ oder ›Arme‹ und ›Bourgeoisie‹ mit ›Ausbeuter‹ oder ›Reiche‹, um Letzteren zu verkünden, ihre »Totengräber« (474) seien bereits am Werk. Internationalistische Aktionen erfüllten den das Manifest beschließenden Aufruf mit Leben: »Proletarier aller Länder; vereinigt euch!« (493)

Das Werk resultierte aus der Wechselwirkung von Theorie und Praxis. »Ein Jahrzehnt des [...] Ringens einer fortgeschrittenen Arbeiterorganisation um ein ihr adäquates Programm, ein halbes Jahrzehnt der komplizierten, vielschichtigen Herausbildung der Marxschen Ideen mündeten in die Debatten und Beschlüsse des zweiten Kongresses« von 1847 und »schließlich in die Abfassung des Manifests«; das » ›Verschmelzen‹ von Arbeiterbewegung und wissenschaftlicher Theorie« konnte sich »nicht im luftleeren Raum und nicht in der Studierstube« vollziehen, »sondern nur im Leben einer Organisation, die sich dabei qualitativ verändert« (Hundt 1993, 386). »Nie wurde die kapitalistische Globalisierung [...] grandioser besungen« (Greffrath 1998), überhaupt hat kein Vertreter der Bourgeoisie je deren revolutionäre Rolle »more powerfully and profoundly« (Berman 1982, 92) erfasst als das Manifest. Die »klassische Form«, die der Schrift ihren »dauernden Platz in der Weltliteratur« gesichert hat (Mehring, Karl Marx, GS 3, 155), enthält ein emanzipatorisches Potenzial, das in der Suche nach Alternativen zur neoliberalen Globalisierung fortwirkt.

Verfasser des Manifests ist Marx. Da die Vorarbeiten und Anregungen von Engels aus dem Entstehungsprozess nicht wegzudenken sind, ist das Manifest stets – mit Ausnahme der anonymen Erstveröffentlichung – dennoch als das Werk beider gedruckt, rezipiert und in die Werkgeschichte eingeordnet worden. Es enthält eine Fülle von Gedanken, die von Marx oder Engels schon vorher geäußert wurden, ist aber keine Kurzfassung ihrer seit 1843 zu Papier gebrachten Überlegungen (z.B. ist die Entfremdungstheorie ausgespart), schon gar keine bloße Collage aus Selbstzitaten. Franz Mehring zufolge fasst es »die neue Weltanschauung seiner Verfasser in einem Spiegel zusammen, dessen Glas nicht klarer und dessen Rahmen nicht enger sein konnte« (GS 3, 155). Als Konsequenz der kapitalistischen Produktionsweise und der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft hält das Manifest den »Sieg des Proletariats« für ebenso »unvermeidlich« (4, 474) wie die auf ihn gegründete Entstehung von Verhältnissen, »worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (482).

Im Manifest sind Anschauungen verarbeitet, die zu seiner Entstehungszeit zum Gemeingut sozialistischer und kommunistischer Strömungen gehörten. Dem von anarchistischer Seite erhobenen Vorwurf, Marx habe Victor Considérants Manifeste (1843) plagiiert (Ramus 1906, 4; Tscherkesoff 1906, 10), hält Kautsky entgegen, beide Publikationen hätten »nur die oberflächlichen Gedankengänge gemein [...], die allem Sozialismus eigen sind«, während sie »in allen Punkten, [...] die die verschiedenen Richtungen der Sozialisten voneinander schieden, den geraden Gegensatz zueinander bilden« (1906, 701). Für Marx und Engels blieb das Manifest ein konstanter Bezugspunkt; seine zentralen Aussagen und Losungen flössen in theoretische Abhandlungen und politische Dokumente ein; die Bewertung des Manifests ist daher von der ihres Lebenswerks nicht zu trennen.

1. Entstehung, Autorschaft, Aufnahme. – Das Manifest intervenierte in einer gesellschaftlichen Krise, die einige Tage nach seinem Erscheinen zum Ausbruch kam. Die in England den Kapitalismus treibhausmäßig fördernde industrielle Revolution hatte auf dem Kontinent Fuß gefasst, wo die paradoxe Situation herrschte, dass die Bourgeoisie, bereits in Kämpfe mit dem Proletariat verwickelt, noch weitgehend feudalabsolutistisch administriert wurde (4/53ff). Die daraus resultierenden Spannungen, verschärft durch die 1846 ausgebrochene Wirtschaftskrise, drängten zur Lösung. Wie diese aussehen würde, war offen. Die Ansichten und Absichten der Kommunisten waren geprägt von der plebejischen Opposition seit dem Directoire, den sozialistischen und kommunistischen Schulen v.a. Frankreichs sowie Programmen der seit den 1830er Jahren in Geheimbünden organisierten verproletarisierten Handwerker. Unbeschadet theoretischer wie taktischer Meinungsunterschiede waren sich die Strömungen und Gruppierungen darin einig: Statt bürgerlichem Staat und Kapitalismus freie Bahn zu schaffen, sei es an der Zeit, den Kommunismus zu errichten.

In dieser Situation wurden Marx und Engels politisch und organisatorisch aktiv. Durch ihre Vermittlung wurde 1845 in London die Society of Fraternal Democrats gegründet (2/611-24); 1846 organisierten sie in Brüssel das Kommunistische Korrespondenzkomitee; Anfang 1847 traten sie dem Bund der Gerechten bei. Sie bewirkten einige Monate später dessen Umbenennung in Bund der Kommunisten (Hundt 1973, 87f). Der I. Bundeskongress beschloss, die im Statut verankerten Ziele in einem programmatischen Dokument zum Ausdruck zu bringen (BdK 1, 626). Vermutlich um auf politische Veränderungen flexibel reagieren zu können, sollte nach jedem Kongress »ein Manifest im Namen der Partei« erlassen werden (II. Kongress, 8.12.1847, 629).

An wen genau der Auftrag erging, das erste Manifest zu verfassen, ist unklar: ein Bundesdokument (25.1.1848; BdK 1, 655) erwähnt Marx als allein Beauftragten (vgl. Kuczynski 1995, 36 u. 46); Marx und Engels haben später immer wieder vom gemeinsam erhaltenen Auftrag gesprochen (4/573f u. 578; 19/98 u. 182; 21/214-16). Im Bund wurde in der zweiten Jahreshälfte 1847 der von Engels niedergeschriebene Entwurf des Kommunistischen Glaubensbekenntnisses (BdK 1, 470-75) diskutiert (Hundt 1973, 97ff); Engels brachte in die Diskussion die Grundsätze des Kommunismus ein (4/361-80). Beide Dokumente beeinflussten Inhalt und Gliederung des Manifests. Doch unterscheidet sich dieses grundlegend von den bis zum II. Kongress diskutierten Fragekatalogen, Glaubensbekenntnissen und Katechismen, was nicht zuletzt auf die intensive Debatte während des Kongresses zurückzuführen sein muss. Jedenfalls soll es »in der weiteren Bundesgeschichte niemals eine Silbe des Protestes gegen eine Formulierung« gegeben haben (Hundt 1993,387), so dass das Manifest als das »erste moderne Parteiprogramm« gelten darf, »das in einer breiten demokratischen Diskussion entstand« (Hundt 1973, 8). Über Konzeptionsfragen dürften sich Marx und Engels während und nach dem Kongress verständigt haben; die Abfassung geschah – wie Sprache und Stil unverwechselbar zeigen – durch Marx. Auch wurde nur er von der Zentralbehörde gemahnt, das Manuskript bis zum 1. Februar nach London zu senden, widrigenfalls »weitere Maßregeln gegen ihn ergriffen« würden (25.1.1848, BdK 1, 655); von ihm stammt die einzige überlieferte Konzeptseite (Engels an Bernstein, 12./13.6.1883, 36/36); außerdem gibt es entsprechende Zeugnisse von Bundesmitgliedern (III.3/259f; III.6/247; BdK 1, 968), eine Selbstanzeige von Marx in Herr Vogt (1860, 14/449) sowie Engels’ Mitteilung, es sei »wesentlich« Marx’ Werk (1869, 16/363; 1883,4/577).

Die üblich gewordene Auffassung von der gemeinsamen Autorschaft hat ihre Wurzeln 1850. Nachdem die Erstausgabe im Februar 1848 anonym erschienen ist, spricht ein Teilabdruck in der NRhZ von dem »von Karl Marx und Friedrich Engels abgefassten« Manifest (1850, 1.10/445); ebenso verfährt die englische Erstveröffentlichung 1850 (BdK 2, 308). Die Koautorschaft ist wiederholt bekräftigt durch Marx (13/10; 14/439; 32/537 u. 564; 19/182) – u.U. hatte er, wie Thomas Kuczynski auf Grund der eiligen Fertigstellung schließt, Engels »nicht nur im Hinblick auf die [...] Vorarbeiten«, sondern auch auf letzte Handgriffe viel zu verdanken (1995, 39) – sowie durch die Titelei aller von ihm und Engels autorisierten Ausgaben und Übersetzungen.

Die Akzeptanz eines kommunistischen Grundsatzdokuments in Parteien, die sich ›sozialistisch‹ bzw. ›sozialdemokratisch‹ nannten, beruhte auf der Annahme, »Sozialismus und Kommunismus« hätten sich »so weit genähert, dass ihre Unterschiede beinahe verschwunden sind« (Dietzgen 1873/1922, 227). Der späte Engels sah das differenzierter (1888, 4/5801), aber das Sozialistengesetz von 1878 verbot »sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische« Organisationen gleichermaßen (zit.n. Görtemaker 1989, 290).

Zwischen 1848 und 1871 erschienen zwar mehrere Auflagen und Übersetzungen; ›entdeckt‹ wurde das Manifest jedoch erst 1872, nachdem es beim Leipziger Hochverratsprozess gegen August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Adolf Hepner verlesen und in das Gerichtsprotokoll aufgenommen worden war, das der Volksstaat-Verlag 1872 nachdruckte (Liebknecht 1894/1911, 23). Davor hatten gelegentliche Hinweise (1859, 13/10) und Zitate (1867, 23/511 u. 791) seine Existenz angezeigt, ohne dass es im Handel erhältlich war. Daran änderte auch ein von Sigfried Meyer auf eigene Kosten veranlasster Nachdruck (mit dem in die Irre führenden Verlagsort London) nichts (1866, 31/746). Als Liebknecht zu einer Neuauflage drängte (an Marx, April 1871, 33/745), hatten sich die Arbeiterparteien international organisiert, und in Paris regierte die Kommune. In dieser gegenüber 1848 völlig veränderten Situation waren die in Abschnitt II entwickelten revolutionären Maßregeln überholt (vgl. Vorwort [zur deutschen Ausgabe von 1872], 4/573f; 1866, 31/588). Da Marx und Engels den Text als »geschichtliches Dokument« werteten, schrieben sie sich »nicht mehr das Recht« zu, ihn zu ändern, zumal die »allgemeinen Grundsätze [...] im ganzen und großen« ihre Richtigkeit behalten hätten (4/5731; vgl. 8/577).

Mit der Auflösung des BdK war der Parteibezug in der ursprünglichen Form antiquiert; außerdem untersagte die IAA »Zweigen und Gesellschaften«, »Sektennamen anzunehmen, wie z.B. Positivisten, Mutualisten, Kollektivisten, Kommunisten« (1871, 17/424), was die Titulierung der dt. Auflagen zwischen 1872 und 1890 mit Das Kommunistische Manifest erklärt. Diese prägnante, von zahlreichen deutsch- wie fremdsprachigen Ausgaben übernommene Kurzbezeichnung entspricht genau dem Inhalt.

Als Marx seine Übersetzung der Adress of the International Working Men's Association als Manifest an die arbeitende Klasse Europa's bezeichnet (1864, 1.20/16; ab 1868 Inauguraladresse, 920) und sie mit dem Fanfarenruf des Manifests: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« abschließt (16/13), verkünden Titel wie Schlusssatz die Wiederaufnahme des Kampfes nach der Reaktionsperiode seit 1849. In einem ähnlichen Sinn verstanden die nach dem Zusammenbruch der II. Internationale gegründeten KPen ihre Programme als revolutionäre Absage an ›Burgfrieden‹, Revisionismus und Opportunismus, was im Ausruf Rosa Luxemburgs mitschwingt: »Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner.« (GW 4, 492) Allerdings war sie sich des Übergangscharakters des Manifests hinsichtlich der Bedingungen und des Ablaufs der Revolution bewusst (1/1, 328; 4, 486). Auch Lenin findet im Manifest »neben einer Darlegung der allgemeinen Grundlagen des Marxismus bis zu einem gewissen Grade ein Spiegelbild der damaligen konkreten revolutionären Situation« (LW 25, 413). Er hebt hervor, das Manifest gebe »bereits eine geschlossene, systematische, bis heute unübertroffene Darlegung« der Lehre von der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats (LW 18, 576; vgl. LW 21, 36). Hatte Engels 1888 geschrieben, er und Marx seien beauftragt worden, »die Veröffentlichung eines vollständigen theoretischen und praktischen Parteiprogramms in die Wege zu leiten« (4/578; vgl. 1872, 4/573), so wurde im ML ›kanonisch‹ davon gesprochen, das Manifest als »Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Kommunismus und der kommunistischen Weltbewegung« (Hager 1973, 5) enthalte »die vollständige und harmonische Darlegung der Grundlagen der großen Lehre von Marx und Engels« (IML b. ZK d. SED, 4/XII).

2. Titel als Programm. – »Manifest« leitet sich von lat. »manifestus« (handgreiflich, offenbar) her. Engels’ Votum für den Titel »Kommunistisches Manifest« – gegen die vom geschichtlichen Gehalt abstrahierende »Katechismus Form« (»Glaubensbekenntniß«; an Marx, 23724.11.1847, III.2, 122; 27/107) – dürfte auch dem Gebrauch unter Linken (z.B. durch Gracchus Babeuf, Manifest der Plebejer, 1795) geschuldet sein. Der Term ›Partei‹ war mehrdeutig: Er stand für Klasse (2/37; 4/24) wie politische und/oder theoretische Richtung (3/443; 4/40), ggf. auch für eine Organisation, zumindest in Engels’ Erinnerung: Der »als geheime Propagandagesellschaft organisierte Bund der Kommunisten« nannte sich intern »deutsche ›Kommunistische Partei‹« (1884, 21/16). Das Attribut ›kommunistisch‹ verweist auf die Auftraggeber, die, ohne Hinweis auf den BdK, als in London versammelte »Kommunisten der verschiedensten Nationalität« (4/461) bezeichnet werden. Das Manifest steht ferner in Beziehung zur Tradition des frz. Arbeiterkommunismus. Wir hätten es, schreibt Engels 1888, »nicht ein sozialistisches Manifest nennen können«, denn »derjenige Teil der Arbeiterklasse, der sich von der Unzulänglichkeit bloßer politischer Umwälzungen überzeugt hatte und die Notwendigkeit einer totalen Umgestaltung der Gesellschaft forderte, dieser Teil nannte sich damals kommunistisch. Es war eine noch rohe, unbehauene, rein instinktive Art Kommunismus; aber er traf den Kardinalpunkt und war in der Arbeiterklasse mächtig genug, um den utopischen Kommunismus zu erzeugen, in Frankreich den von Cabet, in Deutschland den von Weitling.« (4/580) Im Manifest selbst aber wird diese Traditionslinie nicht behandelt: »Wir reden hier nicht von der Literatur, die in allen großen modernen Revolutionen die Forderungen des Proletariats aussprach. (Schriften Babeufs etc.)« (4/489) Ein Marxsches Notizbuch vom Dez. 1847 enthält einen Plan, der vorsieht, doch davon zu reden: »3. Die kritisch-utopistischen Literatur-Systeme. Owen, Cabet, Weitling, Fourier, St.Simon, Babeuf. 4. Die unmittelbare Parteiliteratur. 5. Die kommunistische Literatur.« (MEGA1, I.6/650) Dass er nicht verwirklicht wurde, liegt Martin Hundt zufolge am Drängen der Bundesleitung nach Fertigstellung (1973, 126); Wolfgang Meiser sieht den Verzicht politisch-taktisch motiviert: Es wäre für das »Häuflein Mitglieder des BdK politischer Selbstmord« gewesen, sich gegen die zahlenmäßig starke Anhängerschaft Wilhelm Weitlings und Etienne Cabets zu wenden, was »auch und gerade Marx klar« gewesen sein dürfte (1996, 83, Fn. 90).

Das Attribut »kommunistisch« verweist darauf, dass das Manifest von Kommunisten erlassen ist (vgl. Abschnitt II, Proletarier und Kommunisten, 4/474-82). Im literaturkritischen Abschnitt III (482-92) folgt die Abgrenzung gegenüber anderen Lehren. Es geht um theoretische wie politische Eigenständigkeit: »Kommunismus« nicht als »ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben« wird, sondern als die »wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt« (DI, 3/35). Schließlich verweist das Attribut auf ›Gemeinschaftlichkeit‹, den geistig vollzogenen und praktisch angestrebten Bruch mit allen privaten Eigentumsverhältnissen und daraus resultierenden egoistischen Verhaltensweisen. So ist nicht erst in der Präambel (4/461), sondern bereits im Titel jenes »drohende Gespenst« gewärtig (v. Stein 1842, 4), das sich anschickt, die alte Welt aufzuschrecken. In einem Satz: Der Titel signalisiert das Ende alles Bestehenden, er kündigt an »Kapitel II der Weltgeschichte« (Erich Weinert 1936/1961, 123).

3. Sprache und Stil. – Was den Jakobinern der Moniteur von 1793, wurde den Kommunisten das Manifest – ein »Höllenzwang«, dessen »Beschwörungsworte [...] die Toten aus den Gräbern ruft und die Lebenden in den Tod schickt« (Heine 1832/1980, 381). Diese Wirkung verdankt es nicht zuletzt der einprägsamen Metaphorik (»ein Gespenst geht um«), dem Rhythmus der knappen Sätze und kurzen Absätze, dem Unmittelbarkeitsgestus der direkten Anrede (»streitet nicht mit uns«, 4/477), dem Lakonismus: »Ihr werft uns mit einem Worte vor, dass wir euer Eigentum aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir.« (Ebd.) Fasziniert von der Botschaft und um ihr neuen Glanz zu verleihen, brachten Künstler den Text in andere ästhetische Formen, so Bertolt Brecht in eine unvollendet gebliebene Hexameter-Fassung (1945), Franz Masereel in Holzschnitt-Illustrationen (1948) und Erwin Schulhoff in eine Kantate (op. 32, 1932; vgl. Grabner 1998b). Die literarischen Mittel, Quellen, Bezüge und Anspielungen sind vielfach untersucht worden (z.B. Prawer 1978; Suvin/Angenot 1997; Kemple 2000).

Wie in einer antiken Inszenierung mit Wechselrede, Monolog und kommentierendem Chor scheinen im Manifest zwei Hauptpersonen zu agieren – ein »Wir«, ein kollektiver Sprecher (die Kommunisten), und ein »Ihr« (»man«, »sie«, »er«), die Bourgeoisie bzw. den Bourgeois verkörpernd. Als Bundesprogramm richtet sich das Manifest an eine Mitgliedschaft, deren Selbstverständigungsprozess vorläufig abgeschlossen ist. Es ist an ein Proletariat adressiert, dessen geschichtliche Stellung und Aufgabe geklärt, dessen Selbstbewusstsein und Kampfentschlossenheit gestärkt werden soll. Sein Macht- und Herrschaftsanspruch wird von den Kommunisten proklamiert. Mit rhetorischen Fragen (»oder sprecht ihr«? 4/475; »werft ihr uns vor«? 478), Behauptungen (»man hat uns Kommunisten vorgeworfen«, 475; »man hat eingewendet«, 477) oder Unterstellungen (»ihr gesteht also«, ebd.; »er [der Bourgeois] ahnt nicht«, 479) werden die Auftritte des »Ihr« inszeniert. Ihm werden gängige Vorurteile der vom Kommunismus verschreckten Bürger und Verleumdungen durch seine Gegner in den Mund gelegt.

Die Metaphorik des Textes lässt sich mehreren semantischen Feldern zuordnen: Im ersten Feld tobt der Krieg der Klassen, der eröffnet wird durch den Aufstieg der Bourgeois zu »Chefs ganzer industrieller Armeen« (4/463), die aus allen Teilen der Bevölkerung »rekrutierten« »Industriesoldaten«, die der »vollständigen Hierarchie von Unteroffizieren und Offizieren« (469) unterstellt sind. So gelingt es der Bourgeoisie, das »Land der Herrschaft der Stadt [zu] unterwerfen« und alle alten nationalen Industrien zu »vernichten« (466). Nach diesem Feldzug geht es um die Eroberung des Weltmarkts. Die »wohlfeilen Preise« der kapitalistisch erzeugten Waren sind die »schwere Artillerie«, die den »hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation« zwingt (ebd.). Die zweite Szene führt die Folgen hemmungslos entwickelter Produktivkräfte vor: In Handelskrisen bricht eine »gesellschaftliche Epidemie« aus, es herrscht »Hungersnot« inmitten von Überfluss, als seien alle Ressourcen einem »allgemeinen Vernichtungskrieg« (468; 1848: »Verwüstungskrieg«) zum Opfer gefallen. Das Schlusstableau ist ›kathartisch‹: Die unerträglich gewordene Spannung wird aufgelöst mit dem »Untergang« der Bourgeoisie und dem »Sieg« des Proletariats (474). Ihren Abgang von der geschichtlichen Bühne hat sich die Bourgeoisie selbst bereitet: Sie hat die Gesellschaft in »zwei große feindliche Lager« gespalten (463), die »Waffen« geschmiedet, die ihr den »Tod« bringen, und die »Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden« (468). Deren »Angriffe« (470) eskalieren zu einem »Bürgerkrieg«, wobei die »offizielle Gesellschaft [...] in die Luft gesprengt wird« (473; vgl. 483). – Die II. Internationale (in ihrer revolutionären Phase) und die Komintern fassten i.S.v. Marx und Engels den »Klassenkampf« als »Grundgedanken« des Manifests (1888, 4/581). Die ihn als Klassenkrieg vorführende Metaphorik entsprach dem Erleben und Empfinden der Kämpfenden.

Auf einem zweiten semantischen Feld bedient sich der Text mysteriöser und übersinnlicher Phänomene. Das Material ist dem in den ersten Dezennien des 19. Jh. gängigen Schauerroman entlehnt. Weder feudale Reaktion (4/461) noch Bourgeoisie (467f), weder kleinbürgerlicher Sozialismus (487f) noch dogmatische Systembildner im kommunistischen Lager (491) entgehen dem »Untergang«. In der Art des romantischen Märchens wird erzählt, eine »heilige Hetzjagd«, angeführt von den Mächten des »alten Europa« (461), sei auf den als »Gespenst« verschrienen Kommunismus eröffnet worden. Doch wird das Märchen sogleich vom Kopf auf die Füße gestellt: Nicht der Kommunismus ist gespenstisch, sondern die Heilige Allianz. – Die Bourgeoisie, nachdem sie »die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt« hat (464f), gleicht dem »Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor« (467). Marx spielt auf Goethes Zauberlehrling an, doch steht hier der Meister selbst den beschworenen Geistern hilflos gegenüber: »Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen [...], sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber« (474).

Das Bedeutungsfeld ›Verhüllung‹/›Enthüllung‹ schließt sowohl an die Aufklärung als auch an die biblische Verheißung an: Ihr »werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen« (Joh 8.32). Wenn die »Hülle« fällt, wird die Wahrheit greifbar. So hat die Bourgeoisie die Beziehungen der Menschen auf »das nackte Interesse, [...] die gefühllose ›bare Zahlung‹« reduziert (4/464). Sie hat »an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt, [...] alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet, [...] dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt« (465). Diese unfreiwilligen ›Selbstenthüllungen‹ sind starke Argumente gegen die versachlichte Form bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftung. Eine bewusste ›Selbstenthüllung‹ hingegen praktizieren die Kommunisten: Sie legen ihre Anschauungen und Ziele »offen« dar (461), denn diese sind nichts als die theoretische Zusammenfassung einer »unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung« (475). Die Betonung des Offenen grenzt von kommunistischen Sekten (489- 92) ab und wendet sich gegen die verbreitete Ansicht, die Auffassungen der Kommunisten seien »ohne Klarheit und Bewusstsein« (v. Stein 1842, 131).

4. Theoreme, Probleme, Widersprüche. – Der im Manifest aus den Widersprüchen des Kapitalismus abgeleiteten und prognostizierten proletarischen Revolution diente die Französische Revolution von 1789 als Muster. Deren Verlauf prägte politische Konzeptionen und Prognosen von Marx und Engels in einem Maße, dass ihre Studien der Revolutionsgeschichte gewissermaßen die »vierte Quelle des Marxismus« bilden (Bruhat 1966, 1691; zit.n. Jaeck 1979, 3). Die Jakobinerdiktatur galt ihnen als »Archetypus« der Diktatur des Proletariats (Moss 1998, 1511), wie diese sich auszeichnend durch Klassen- und hegemoniale Kämpfe, Zerstörung des alten Staates, eine Volksdiktatur zur Führung des Bürger- und internationalen Krieges, soziale Gleichheit, Revolution in Permanenz (153). Wovor die Jakobiner klassenbedingt stehen blieben – vor der Beseitigung des bürgerlichen Eigentums –, dort müsse und werde die Arbeiterklasse ansetzen (vgl. Leys/Panitch 1998, 24). Die Siegesgewissheit hat ihre empirische Basis im Wirken kleinbürgerlich-proletarischer Oppositionsbewegungen in den USA und England, der Schweiz, Polen und Deutschland (4/492). Deren Tätigkeit gilt als Beleg der These, Möglichkeit wie Erfolg der kommunistischen Revolution beruhten auf ihrer Gleichzeitigkeit in entwickelten Ländern (3/35f).

Dass die Geschichte anders verlief als im Manifest vorausgesagt, hat eine Fülle von Deutungen veranlasst. Kaum problematisiert ist der Bruch mit der geschichtlichen Erfahrung, dass gesellschaftliche Umschwünge sich meist auf die Ablösung einer herrschenden Elite durch eine andere reduzierten. Für die Aufhebung des Kapitalismus sollte das nicht gelten. Marx setzt darauf, die kapitalistisch geformte Arbeiterklasse werde die ›Form‹ sprengen und als sich selbst verwirklichender Träger der gesellschaftlichen Arbeit agieren. Von diesem Ansatz her konnte die Klassenlage des Proletariats als Quelle wie Triebkraft seiner politischen Artikulation verstanden werden. Nur war die Dialektik des Kampfes derart, dass Erfolge der sozialen und politischen Kämpfe die Klasse im 20. Jh. in die bestehende Ordnung integrierten. Das war 1847 nicht vorauszusehen. Wenn es um die Stichhaltigkeit der Theoreme und Prognosen des Manifests geht, ist es deshalb unverzichtbar, seine Entstehungsbedingungen zu berücksichtigen.

4.1 Selbstverständnis und Grundlagen. – Die Kommunisten wollen laut Manifest keine eigenständige Parteiorganisation bilden – was die staatssozialistische Politbürokratie aus legitimatorischen Interessen umkehrte: Das Manifest enthalte »die Grundlagen für die Lehre von der proletarischen Partei« (Hager 1973, 14). Das Manifest versteht die Kommunisten vielmehr als den »praktisch [...] entschiedensten, immer weitertreibenden Teil der Arbeiterparteien aller Länder«, der »theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung« voraus hat und das »Interesse der Gesamtbewegung« (4/474) wie deren Zukunft vertritt (492). Die Adressatenangabe kontrastiert mit der auf zeitgenössische Ereignisse und Personen anspielenden Präambel (Kuczynski 1998), die den Eindruck erweckt, als gehe es nur darum, die in einem Ideologem, dem »Gespenst des Kommunismus« (461), befangene Reaktion mit den wirklichen kommunistischen Absichten zu schrecken. Von der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist in dem Zusammenhang keine Rede; die Haltung der ›praktischen‹ Bourgeoisie zum Kommunismus ist im Gesamttext ausgespart, obwohl der Kampf zwischen ihr und dem Proletariat die Basis der Geschichtsprognose bildet.

Die Darstellung der Beziehungen zwischen Proletariat und Kommunisten bewegt sich in einer petitio principii: Nimmt die spontane, aus lokal isolierten Elementen bestehende, ›bornierte‹ Bewegung die kommunistische »Einsicht« (474) nicht an, zerreibt sie sich, ohne ihre Klassenlage zu ändern. Da das Proletariat als Inkarnation der Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft gefasst ist (1/390; 2/38; 3/70), werde es sich jedoch unausbleiblich die Sicht der Kommunisten zu eigen machen, womit auch gesagt ist: deren Tätigkeit kann nur erfolgreich sein.

Diese Annahme, mit der die späteren kommunistischen Kaderparteien ihren Avantgardismus rechtfertigten, strukturiert die Argumentation: Sie bewegt sich, analog zentraler Partien der DI, auf der Abstraktionsebene der Formationstheorie. Nur in diesem Sinn »erzählt« das Manifest »Geschichte« (Engels an Marx, 23724.11.1847, 27/107). Die Abstraktion von, wie es in K I heißt, »störenden Einflüssen« (23/12) setzt sich über Chronologie – eine »kaum hundertjährige Klassenherrschaft« der Bourgeoisie (4/467) ist allein durch England gedeckt – und Statistik – die Proletarier seien eine »ungeheure Mehrzahl« (472) – hinweg. Durch die Formulierung der als unausbleiblich angenommenen Zukunft ist die Gegenwart bereits in die Vergangenheit verschoben; Entwicklungsansätze sind als alternativlos extrapoliert und verabsolutiert. »In mancher Hinsicht sind einige der Sätze völlig außer Zeit und Raum, buchstäblich utopisch, entgegen der Absicht ihrer Verfasser« (W.F.Haug, 1999, 25)

4.2 Geschichtliche Rolle der Bourgeoisie, Weltmarkt, Globalisierung. – Abschnitt I des Manifests hebt an mit einem Hymnus auf die geschichtlich »höchst revolutionäre Rolle« der Bourgeoisie (4/464). Gramsci verallgemeinert: »Eine Generation, welche die vorhergehende Generation schlecht macht und der es nicht gelingt, deren große Seiten und notwendige Bedeutung zu sehen, kann nur engstirnig und ohne Vertrauen sein [...]. Unterschied zum Manifest, das die Größe der zum Untergang bestimmten Klasse hervorhebt.« (Gef H. 8, §17, 952)

Der von der Bourgeoisie bewirkte »Fortschritt der Industrie« (4/473) wälzt alle gesellschaftlichen Verhältnisse um, entwickelt beispiellos Produktivkräfte und Kommunikationsmittel, nationale und internationale Arbeitsteilung (465, 467, 463). Die Bourgeoisie »schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde« (466). – Die um zivilgesellschaftliche Aspekte verkürzte Charakterisierung des bürgerlichen Staates – die »moderne Staatsgewalt« als »Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet« (464) – entspricht der in der DI umrissenen Auffassung des Staates als »Organisation« der Bourgeois »sowohl nach Außen als nach innen hin zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen« (3/62).

Marx bewertet es als revolutionäre Tat der Bourgeoisie, eine allgemeine Versachlichung der gesellschaftlichen wie privaten Verhältnisse durchgesetzt zu haben (4/4641; vgl. 2/487 u. 3/164f). Das Motiv der Versachlichung (i.S.v. ›Geldherrschaft‹) ist vorformuliert in seinen theoretischen Exkursen (40/562-67; IV2/447-59 u. 462-66) sowie in Engels’ Beschreibung des englischen Alltags (2/257 u. 487f). Einen Ansatz zur wissenschaftlichen Begründung des Phänomens liefern die in der KrpÖ ausgearbeiteten Umrisse zu einer Theorie des Warenfetischismus.

Nach der DI zeichnet den Kapitalismus die Vernichtung von Ideologie, Religion und Moral bzw. deren Verwandlung in »handgreifliche Lügen« aus (3/60). Im Manifest heißt es: »Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.« (4/465) Wie in vorhergehenden Untersuchungen (2/554; 3/35f u. 45f; 4/154) gilt auch im Manifest der Weltmarkt als genuines Terrain der Kapitalverwertung, dessen Behandlung Marx als abschließendes Buch von KrpÖ plante (42/42; 13/7). Geschaffen durch die große Industrie (4/4641), hat der Weltmarkt Produktion und Konsumtion »kosmopolitisch« gestaltet, den »allseitigen Verkehr« zwischen den Nationen hergestellt, alle Länder und Völker der »sogenannten Zivilisation« (466) unterworfen und das Verschwinden »nationaler Absonderungen und Gegensätze« bewirkt (479).

Der Streit, ob das Manifest eine Prognose der ›Globalisierung‹ enthalte oder diese als bereits vollzogen betrachtet, operiert mit Maßstäben und Bewertungen, mit denen der Ende des 20. Jh. potenzierte Prozess analysiert wird. Marx führt das Kapital als unter dem Zwang stehend vor, den globalen Markt zu schaffen. Dieser sei herrschaftsförmig organisiert, er ist von England als seinem »Despot« beherrscht (Lohnarbeit, 6/398). Ersetzt man »England« durch die gegenwärtigen imperialistischen Zentren, liefert das Manifest eine »knappe Beschreibung des Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts« (Hobsbawm 1998, 20), und das zu einer Zeit, als der Weltmarkt »nur der Anlage nach« vorhanden war (Engels 1892, 2/638).

Durch die Anwendung des Theorems vom »Widerspruch zwischen den Produktivkräften und der Verkehrsform« als der Ursache »aller Kollisionen der Geschichte« (3/73) auf die »moderne bürgerliche Gesellschaft« (4/467) bringt das Manifest die krisentheoretischen Äußerungen der 1840er Jahre auf den Punkt: Periodische Handelskrisen zeigen an, dass die Produktivkräfte für die Produktionsverhältnisse »zu gewaltig« geworden sind, ihre Entwicklung von diesen gehemmt wird (468); die Mittel zur Überwindung der Krisen wie die »Vernichtung« von Produktivkräften sowie die Eroberung neuer und »gründlichere Ausbeutung« bestehender Märkte bereiten »allseitigere und gewaltigere Krisen« vor (ebd.), die letztlich die proletarische Revolution unvermeidlich machen (468f). Die aus deren Erwartung heraus formulierten unmittelbar anstehenden »Maßregeln« waren allerdings nur für die »fortgeschrittensten Länder« gedacht (481 f), womit (indirekt) der national unterschiedliche Reifegrad des Kapitalismus, also auch die Möglichkeit weiterer Expansion eingeräumt ist. – In Auswertung der 1848er Revolution wurde der im Manifest noch angenommene unmittelbare Zusammenhang von Überproduktionskrise und Revolution aufgegeben (7/292ff; 29/225).

Marx und Engels waren wie viele ihrer Zeit- und Gesinnungsgenossen fortschrittsoptimistisch. Diese Haltung als »naive [...] Teleologie« zu werten (Rudolph 1998, 230; dagegen Kagarlitzky 1998, 216), übersieht deren zeitgeschichtliche Anhaltspunkte: die revolutionären Errungenschaften in England und Frankreich, die als Promotoren einer unausbleiblichen Verbürgerlichung in anderen Teilen der Welt verstanden wurden, sowie die sich formierende Arbeiterbewegung als Garant einer kommunistischen Zukunft. Zum anderen waren Marx und Engels, obgleich sie die Vorherrschaft Großbritanniens in Indien und die Eroberung Mexikos durch die USA (Engels 1847, 4/501; Marx/Engels 6/273f; vgl. Sylvers 2005) im Prinzip positiv bewerteten, alles andere als blind gegenüber der Ambivalenz einer solchen Entwicklung, wie Marx’ Schlussfolgerung aus den Studien zur britischen Kolonialherrschaft belegt: »Erst wenn die große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte, gemeistert und sie der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.« (1852, 9/226) Die Entfesselung der kapitalistischen Produktionsweise werde die Zukunft der Menschheit untergraben: »Antizipation der Zukunft […] findet überhaupt in der Produktion des Reichtums nur statt mit Bezug auf den Arbeiter und die Erde. Bei beiden kann durch vorzeitige Überanstrengung und Erschöpfung, durch Störung des Gleichgewichts zwischen Ausgabe und Einnahme, die Zukunft realiter antizipiert und verwüstet werden. Bei beiden geschieht es in der kapitalistischen Produktion.« (TM, 26.3/303)

4.3 Lage des Proletariats, Klassenkampf, objektive und subjektive Bedingungen der Revolution. – Den Abschnitt I eröffnet die Behauptung, »die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen« (4/462), was Engels in den 1880er Jahren auf Grund neuer urgeschichtlicher Forschungen auf die Geschichte der staatlich reproduzierten Klassengesellschaften einschränkt (ebd., Fn. ** sowie 577 u. 581). Als aktuelle Phase dieser Geschichte wird der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie begriffen. Das Finale verkündet, mit dem proletarischen Sieg seien alle Klassenkämpfe beendet, die Menschheit organisiere sich als klassenlose kommunistische Gesellschaft.

Diesen Sieg begründet Marx unter Rückgriff auf Lage (2/431-41) damit, dass die Klasse der Proletarier mit der bürgerlichen Gesellschaft nur durch Gleichgültigkeit bzw. Empörung verbunden sei (4/472). Die Bourgeoisie habe an die Stelle der »mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene [...] Ausbeutung gesetzt« (465). Diese Behauptung spiegelt den Stand der ökonomischen Theorie. Noch ist Marx »kommunistischer Ricardianer« (Hobsbawm 1998, 17), für den das eigentumslose Proletariat gezwungen ist, seine »Arbeit« (4/469) bzw. sich selbst »stückweis« zu verkaufen (468), wofür ihm günstigstenfalls ein Existenzminimum vergütet wird (469 u. 476; vgl. 2/307; 4/88f; 6/397-423, 535ff). Da dieses national unterschiedlich ist, sinke der Lohn tendenziell »zum absolut niedrigsten level« und werde nie wieder steigen (6/5431). Der »Pauperismus entwickelt sich noch schneller als Bevölkerung und Reichtum« (4/473). Damit schlage die Entwicklung um: Die Bourgeoisie verliere die Fähigkeit »zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden« (ebd.; vgl. 2/258, 307 u. 325). Später, gestützt auf die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Wert der Ware Arbeitskraft und Arbeitslohn, propagiert Marx in der IAA Lohnkämpfe als unverzichtbar zur Verbesserung der sozialen Lage wie als Schule des Klassenkampfs (16/151f). In K Iabsolutes, allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation«) ist die Verelendung als Tendenz formuliert, die durch »mannigfache Umstände modifiziert« wird (23/673f).

Mit der Annahme, dass die internationale Nivellierung der technischen Arbeitsbedingungen und --inhalte (674) den Proletariern »allen nationalen Charakter« nimmt (4/472), werden Erwägungen zur Entstehung qualifizierter Arbeitsplätze und differenzierter Anforderungen an die Arbeitskräfte abgeblockt. Den politischen Hintersinn dieser Annahme bringt Engels zum Ausdruck: Je gleichförmiger die Arbeits- und Lebensbedingungen, desto müheloser und konsequenter werde sich der Bruch des Proletariats mit der bürgerlichen Ordnung in mehreren Ländern gleichzeitig vollziehen, desto größer sei seine Bereitschaft zur Verbrüderung als Voraussetzung der Revolution (1847, 4/418).

Zwar hatte die Dequalifizierung der Arbeitsinhalte tatsächlich die Verdrängung männlicher Arbeitskräfte durch Frauen und Kinder zur Folge (4/469), die Schlussfolgerung aber, dass dadurch »alle Familienbande für die Proletarier zerrissen« würden (478; vgl. l/504f; 2/356; 3/165), ist v.a. Ausdruck der Aversion von Marx und Engels (die sie mit ihren Zeitgenossen teilen) gegen die ›Rollenverkehrung‹. Dennoch wird das Manifest gewürdigt, das erste Parteiprogramm zu sein, »in dem offiziell die Frauenfrage aufgenommen ist« (Österr. Ges. f. Kulturpol., Wien 1981, zit.n. Grabner 1998a). Mit Blick auf die vorgetragenen Lösungsvorschläge, wendet Frigga Haug ein, müsse es allerdings als »illusionär« gelten, aus der Nivellierung der Geschlechts- und Altersunterschiede durch das Fabriksystem die Frauenemanzipation ableiten zu wollen (1998, 179 u. 182). Die prognostizierte Aufhebung der Stellung der Frau als »Produktionsinstrument« (4/478) setze auf deren Fremd- statt »Selbstbefreiung«; die »Rolle der Frauen bei der Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse« sei »nicht einmal angedacht« (1998, 179f).

Im Manifest ist, entgegen dem Vorwurf der Nichtbehandlung (de Brunhoff 1998, 160; Löwy 1998, 116), die Entstehung des revolutionären Bewusstseins sowie die Rolle des subjektiven Faktors skizziert: Die Konkurrenz zwischen den Arbeitern wird durch deren »Assoziation« ersetzt; den Arbeitern wird ihre Stärke bewusst (4/470, 473f; vgl. 2/37f; 3/61; 4/1801; 6/554f). Sie begreifen sich als die »selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl« (4/472). In dem Kampf gewinnt das Proletariat »Bildungselemente«, vermittelt von »Bourgeoisideologen, welche zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben« und in Zeiten, »wo der Klassenkampf sich der Entscheidung nähert«, zu ihm übergehen (ein autobiographisches Notat von Marx, 4/47lf; vgl. 2/506; 4/349; 7/563). Welche Bildungselemente für das Proletariat taugen, wird unter Berufung aufs Manifest bei der Auseinandersetzung mit kleinbürgerlichen Positionen in der deutschen Sozialdemokratie bestimmt (Marx/ Engels, [Zirkularbrief an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a.], 17./18.9.1879, 19/1641). Wenngleich manche Passagen »deterministisch« klingen, so öffnen sich doch, wenn die Bourgeoisie »vor allem ihren eigenen Totengräber« produziert (4/473), die »Gräber [...] nicht von alleine, sie müssen von Menschen geschaufelt werden« (Hobsbawm 1998, 26).

Die im Manifest weltgeschichtlich dimensionierte Rolle des Proletariats schwebt keineswegs über empirischen Gegebenheiten: Engels sieht das Proletariat in den 1840er Jahren als zersplittert, auf die »nächsten, alltäglichen Interessen« beschränkt (1847, 4/49), als noch längst nicht fähig zu »selbständiger Organisation«, es besaß, wie er 1884 schreibt, »nur das dumpfe Gefühl seines tiefen Interessengegensatzes gegen die Bourgeoisie« (21/17f). Marx summiert die Einsichten 1850: Die Arbeiterklasse könne sich nur durch Jahrzehnte »Bürgerkrieg [...] zur Herrschaft [...] befähigen« (8/598).

Das Manifest erntete Kritik dafür, bürgerliche Sozialstruktur und Konfliktfelder ›klassenreduktionistisch‹ vereinfacht zu haben. Doch muss sein Anliegen in Rechnung gestellt werden, einen »als endzeitlich empfundenen Gesellschaftszustand holzschnittartig, in härtestem Kontrast und für jeden verständlich sichtbar zu machen« (Marxhausen 2003, 61). Es ging Marx nicht darum, die ›Realgeschichte‹ der bürgerlichen Gesellschaft vorzuführen, wie ihm – als misslungen – vorgeworfen wird (Krätke 1998, 37ff, 40; Wood 1998, 94ff), sondern um die Tendenz der Weltgeschichte. Deren Darstellung richtet sich auch gegen idealistische Geschichtsauffassungen in der Arbeiterklasse bzw. sozialistisch-kommunistischen Kreisen. Das erklärt, wie Engels selbstkritisch einräumt (an Mehring, 14.7.1893, 39/96f), die einseitige Betonung der Rolle des Ökonomischen gegenüber der Wechselwirkung vielfältiger außerökonomischer Faktoren, die Reduzierung der sozialen Praxis auf bipolare Beziehungen.

Die als fortschrittlich begrüßte Ablösung der mannigfaltigen Sozialstruktur vorbürgerlicher Gesellschaften durch zwei »einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat« (4/463), in die alle anderen Klassen und Schichten aufgehen (465, 469 u. 47lf), ist seit 1843 prognostiziert (vgl.1/522; 2/250f u. 254; 3/417; 4/141). Somit trifft der Vorwurf der undialektischen »Vereinfachung der Klassengegensätze« (Ruge 1998, 171; vgl. Deppe 1998, 240) das ganze Frühwerk. Boris Kagarlitsky wendet dagegen ein, das Manifest konzentriere sich auf den für die Begründung der Revolution grundlegenden Klassenantagonismus (1998, 224).

Aus der auf formationstheoretischem Abstraktionsniveau operierenden Zwei-Klassen-These wurde von sozialistischen und kommunistischen Parteien eine bündnispolitisch verheerende Abwertung nichtproletarischer Klassen und Schichten als »reaktionäre Masse« (1875, Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, 47) abgeleitet. Marx hält dagegen (19/22f), dass es um zwei Konstellationen geht: Gegenüber einer revolutionären Bourgeoisie sind jene Klassen und Schichten reaktionär, die ihre geschichtlich überholte Stellung bewahren wollen; sie sind zugleich potenziell revolutionär »im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat« (4/472).

4.4 Schritte zur kommunistischen Gesellschaft. – Im Manifest sind zwei Zeithorizonte verschränkt: einerseits die antithetisch aufgebaute Prognose, Privateigentum werde aufgehoben durch gesellschaftliches Eigentum, Klassenspaltung durch Klassenlosigkeit usw., die in eine kommunistische Zukunft verweist; andererseits ein Katalog von »Maßregeln« (4/481f), die dem Prozesscharakter der Umwälzung Rechnung tragen. Die weite Sicht sichert der Botschaft überzeitliche Gültigkeit (und weltweite Rezeption); die einzelnen Maßnahmen dokumentieren die Verwurzelung in tagespolitischen Gegebenheiten. Diese Kombination kommt prononciert bei der Eigentumsfrage in Anwendung.

Die Beseitigung aller Formen des Privateigentums ist – wie im französischen Arbeiterkommunismus (Blanqui 1834) – die »Grundfrage der Bewegung« (4/493). Die Annahme, die kapitalistische Entwicklung beseitige alle anderen Formen des Privateigentums (469), führt allerdings zu dem Kurzschluss, die Aufhebung des Kapitaleigentums sei relativ einfach, weil es sich ›nur‹ um die »Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volksmasse« (23/791) handele. In den taktischen Passagen des Manifests klingt das anders: Es gehe darum, »nach und nach [...] alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren« (4/481; vgl. Engels, Grundsätze des Kommunismus, 370). Die Identifikation von gemeinschaftlichem mit Staatseigentum empfanden Marx und Engels nicht als Widerspruch, weil die nachrevolutionäre Staatsmacht als eine Macht der Arbeiterklasse definiert ist, die ihren »politischen Charakter« verliert (482; vgl. Elend, 182). Die »umstandslose Gleichsetzung der Arbeiterklasse und ›ihres‹ Staates« (W.F.Haug 1999, 29) wird in den folgenden Jahrzehnten unter Berufung auf das Manifest tradiert wie relativiert (Engels an Bebel, 18728.3.1875, 19/7; Engels 1883, 17/344).

Beim Sturz der Adelsherrschaft werden die Kommunisten eine revolutionär auftretende Bourgeoisie als Bündnispartner akzeptieren, ohne darauf zu verzichten, die Arbeiter für den anti- kapitalistischen Kampf zu schulen (4/492f). »Nächster Zweck der Kommunisten« ist die »Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat« (474) sowie »Erkämpfung der Demokratie« (481; vgl. 22/518). Einerseits wird eine Identität von Demokratie/Demokraten und Kommunismus/Kommunisten behauptet (Engels 1846, 2/613); andererseits sind die Beziehungen der Kommunisten zur bürgerlichen Demokratie taktischer Natur (1847, 4/313), was in der Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850 klar zum Ausdruck kommt (7/244- 54). Die Revolution habe die »theoretischen Überlegungen« bestätigt, »dass erst die kleinbürgerliche Demokratie an die Reihe kommen muss, ehe die kommunistische Arbeiterklasse erwarten darf, sich für dauernd in den Besitz der Macht zu setzen« (1852, 8/399; vgl. 1884, 21/18). Da von einem parlamentarischen System keine Rede ist, dürfte ›Demokratie‹ eine Koalition von Arbeitern, Bauern, kleinen Pächtern und Kleinbourgeois meinen (Moss 1998, 150), womit jene »ungeheure Mehrzahl« zustande käme, die Marx dem Proletariat zuschreibt. Demokratische Verfahrensregeln sind ausgespart, vermutlich aus der Aversion, »Rezepte [...] für die Garküche der Zukunft zu verschreiben« (23/25). Die Selbstaufhebung des Proletariats zu »assoziierten Individuen« (4/482) in Wechselwirkung mit der Aufhebung »nationaler Absonderungen und Gegensätze der Völker« (479) scheint Garant genug zu sein für einen harmonischen, im wesentlichen konfliktfreien Gesellschaftszustand (vgl. Leys/Panitch 1998, 26f).

Das Ausbleiben der proletarischen Machtergreifung in Deutschland und Frankreich brachte Marx und Engels dazu, Verlauf und Erfolg von Klassenkämpfen als Resultante vielschichtiger und differenziert aufeinander wirkender sozio-struktureller Momente und politischer Kulturen zu verstehen (Ansprache der Zentralbehörde an den Bund, 1850, 7/244-54; Klassenkämpfe; Revolution und Konterrevolution in Deutschland, 8/3-108; 18.B).

5. Die Rezeption des Manifests am Ende des 20. Jh. war einerseits geprägt von der widerspruchsvollen Reaktion der Linken auf den gescheiterten Sozialismus-Versuch – dessen Beschaffenheit Marx wohl ins Lager der Systemkritiker gebracht hätte –, andererseits durch die Lobgesänge neoliberaler Ideologen auf seine ›geniale Prognose‹ ihres Globalisierungskonzepts, in dem selbstverständlich die revolutionäre Schlussfolgerung ausgespart wurde (vgl. Bischoff 1998, 284).

Zahlreiche Fragen sind offen: Wer gebietet der kapitalistischen Unbewohnbarmachung der Erde Einhalt? Welche Chance hat, angesichts der ungeheuren Repressionsapparate und Kontrollmechanismen, eine gewaltsame Umwälzung des Bestehenden? Wie aber sollten kapitalistische Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse gewaltfrei aufgehoben werden? Steht deren Aufhebung überhaupt noch an, oder ist die von Rosa Luxemburg in Anlehnung an Kautsky (1892/1908, 137) formulierte Alternative »Sozialismus oder Untergang in der Barbarei!« (1918, GW 4, 441) bereits entschieden?

Marx und Engels haben kein Handbuch hinterlassen, wie Aufbegehren und Widerstand zu organisieren seien. Das Subjekt ihrer Zukunftsprojektion ist das kapitalistische Industrieproletariat. Dieses Subjekt gibt es in der ihnen bekannten Gestalt kaum mehr. Die Subsumierung aller Armen, Ausgebeuteten und Arbeitslosen auf der Welt unter »workers« (Attali in Hobsbawm/Attali 2006) trägt nicht weit. Eher verführt sie dazu, Verhaltensweisen, Kampfentschlossenheit, Strategie und Taktik vergangener Kämpfe in die gegenwärtigen zu kopieren, was der uneindeutigen Gemengelage nicht angemessen ist. Zukunft ist immer offen. Der Beitrag des Manifests für die Gestaltung menschlicher Verhältnisse bleibt mutatis mutandis aktuell: Zum einen setzt die Globalisierung des Kapitals die im Manifest prognostizierte Auflösung aller bisherigen ökonomischen und sozialen Verhältnisse, kulturellen und moralischen Werte, Ideale und Normen fort. Der Differenziertheit dieses Prozesses entspricht die Vielfalt der Mittel und Methoden, Organisationsformen und Zielsetzungen der davon Betroffenen. Die fortwährende Verwandlung von Produktivkräften in Destruktivkräfte kann nur durch deren gemeinschaftliche Handhabung verhindert werden. Das Manifest endet mit dem Aufruf zur weltweiten Vereinigung der Proletarier. Wenn es diese im Sinne des 19. Jh. auch nicht mehr gibt, ist doch die Notwendigkeit von Widerstand im Weltmaßstab von ungebrochener Aktualität.

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Thomas Marxhausen

→ Anarchie der Produktion, Arbeiterbewegung, Arbeiterklasse, Assoziation, Avantgarde, Blanquismus, Bourgeoisie, bürgerliche Gesellschaft, Demokratie, Despotie des Kapitals, Destruktivkräfte, ehernes Lohngesetz, Elend, Fabrikgesetzgebung, Fetischcharakter der Ware, Formationstheorie, Fortschritt, Frauenarbeit, Frauenemanzipation, gerechter Lohn, Geschlechterverhältnisse, Gespenst, Gewalt, Globalisierung, Globalisierungskritik, historische Mission der Arbeiterklasse, historischer Beruf, Ideologiekritik, industrielle Reservearmee, internationale Kapitalmobilität, Internationalismus, Kaderpartei, Kapitalistenklasse, Kapitalzerstörung, Klassenbewusstsein, Klassenkampf, Kommunismus, Kosmopolitismus (moderner), Lohnsklaverei, Parteien, Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse, Proletariat, proletarische Revolution, Proletarisierung, Sozialismus oder Barbarei, Staat, Staatseigentum, Staatsmacht, Stadt/Land, Verelendung, Versachlichung, Vorgeschichte, Vormärz, Zivilgesellschalt