Publikation Krieg / Frieden - International / Transnational - Amerikas Lateinamerika in der internationalen Politik zu Beginn des XXI. Jahrhunderts

Vortrag von Achim Wahl auf der Sitzung des Gesprächskreises Frieden der RLS, 22.11.07

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Achim Wahl,

Erschienen

Januar 2008

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Die Politik des Neoliberalismus als neue Form der Dominanz, wachsender Widerstand gegen diese Politik

 
Lateinamerika wurde in den 90-er Jahren zum Experimentierfeld neoliberaler Politik. Nach Noam Chomski wurde an die Stelle der Militärherrschaft die Diktatur des Marktes gesetzt. Besonders die Regierungen Menem in Argentinien, Fernando Henrique Cardoso in Brasilien, Fujimori in Peru, aber auch die PRI-Regierungen in Mexiko wurden zu Trägern des Konsenses von Washington und setzten neoliberale Politik in großem Maßstabe durch. Unter dem Militärregime Pinochets verwandelte sich Chile in einen Musterschüler der Politik der „there isn´t alternative“. Mit der Schaffung der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) erlangten die US-amerikanischen Unternehmen ungehinderten Zugang zum mexikanischen Markt. In Argentinien und Brasilien wurden umfassende Privatisierungen von Staatsunternehmen im Energie-, Rohstoff-, Kommunikationssektor und Banken zum Markenzeichen der Liberalisierungspolitik.

Angesichts des in den letzen Jahrzehnten erfolgten Bevölkerungswachstums (z.B. Brasilien von 80 Mio. Menschen 1970 auf 180 Mio. 2006) sind die Folgen neoliberaler Politik besonders gravierend. Mindestens 36% der Gesamtbevölkerung Lateinamerikas leben unter dem Existenzminimum. Als Folge neoliberaler Politik ist die Zunahme der sozialen Differenzierung bes. deutlich. Waren es 1980 136 Mio. so werden von der CEPAL im Jahre 2006 194 Mio. Menschen als unter dem Existenzminimum lebend eingeschätzt. Dagegen verfügen dreißig Multimillionäre über ca. 120 Mrd. $ . Das entspricht dem Einkommen von ca. 200 Mio. Menschen.

Lateinamerikaweit formiert sich gegen diese Politik der Widerstand von unten. 1994 erheben sich in Chiapas (Mexiko) die Zapatisten. Ein Jahr später geht von ihnen die Losung „Eine andere Welt ist möglich“ aus, die vom ersten Weltsozialforum im Jahre 2000 in Porto Alegre, Brasilien, aufgegriffen wird und den Beginn des sich weltweit vernetzenden Widerstandes symbolisiert.

Kennzeichnend für die Zeit des wachsenden Widerstandes ist das Erstarken sozialer Bewegungen, die mit dem Weltsozialforum beginnen, sich einen Raum des gemeinsamen Kampfes zu schaffen. Mit den sozialen Bewegungen betreten neue soziale Akteure die politische Bühne. Charakteristisch für diese Bewegungen ist ihre sehr unterschiedliche soziale Gliederung. Sie sind basisdemokratisch organisiert, verfolgen in der Regel ein bestimmtes Ziel (.z.B. gegen die Wasserprivatisierung in Cochabamba, Bolivien) und verstehen sich als autonome soziale politische Kräfte, die zwar mit politischen Parteien zusammenarbeiten, sich aber nicht als parteipolitisch bestimmt, betrachten. Die Palette der in der Auseinandersetzung mit den Militärdiktaturen und dem Neoliberalismus entstandenen Bewegungen ist beachtlich. Neue Gewerkschaften entstehen in Brasilien, Chile und Argentinien. Der Kampf der landlosen Bauern in Brasilien mündet in der Gründung der Landlosenbewegung MST, die sich später als Via Campesina auf dem lateinamerikanischen Kontinent konstituiert. Im Widerstand gegen die Schaffung der gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA entsteht die Alianza Social Continental, deren Widerstand gemeinsam mit anderen Kräften, einschließlich Regierungen, im Jahre 2006 die USA zwingt, diese Pläne aufzugeben, bzw. zu modifizieren.

Bedeutsam ist der Widerstand, der vorwiegend in den letzten Jahren von den indigenen Völkern ausgeht. Nach mehr als 500 Jahren kolonialer Unterdrückung erheben sich diese Völker gegen ihre Ausgrenzung und Ausmerzung. Den Zapatisten in Mexiko folgen indigene Bewegungen in Bolivien, Ecuador und Perú. Ihr Widerstand gegen neoliberale Politik und korrupte Regime zwingt eine Reihe Regierungen in Bolivien und Ecuador zum Rücktritt und mündet auf dem Wege demokratischer Wahlen in der Regierungsübernahme volksnaher Regierungen in Bolivien (Evo Morales) und Ecuador (Rafael Correa).

In Venezuela wird in demokratischer Wahl 1998 Oberst Hugo Chavéz Präsident. Die von ihm proklamierte bolivarianische Revolution findet Unterstützung durch die in Venezuela erstarkenden sozialen Bewegungen.

Die im Kampf gegen die Militärdiktaturen entstandenen Bewegungen in Brasilien, einschließlich der Partei der Werktätigen (PT), beseitigen die neoliberale, korrupte Regierung Color und sichern schließlich im Jahre 2002 Luíz Ignacio Lula da Silva, der 1980 zu den Mitbegründern der linksorientierten PT gehörte, den Wahlsieg.

In Uruguay führen die Frente Amplio (ein Zusammenschluss von siebzehn linksgerichteten Parteien) und die sozialen Bewegungen (Gewerkschaften, Wohnkooperativen, Stadtteilbewegungen) einen harten Kampf gegen die Privatisierung staatlicher Energie-, Erdöl- und Wasserunternehmen und setzen sich 2004 im Wahlkampf gegen den neoliberalen Flügel durch. Der Repräsentant der Frente Amplio, Távares Vàzques, wurde als Präsident gewählt.

Scharfe soziale Kämpfe während der tiefen Wirtschaftskrise in Argentinien führen zum Sturz der Regierung de la Rua und enden in der Wahl des dem linken Flügel der Peronisten angehörenden Nestor Kirchner.

In Mexiko wird im Jahr 2000 nach mehr als siebzig Jahren Herrschaft die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) abgewählt, was auf tiefgreifende Veränderungen im Lande schließen lässt.

Dieser „Linksruck“ in Lateinamerika ist Ergebnis eines höheren Grades des Widerstandes neuer und alter Akteure gegen die Politik des Neoliberalismus. Es beginnt eine Periode der Suche nach Alternativen zu den existierenden Herrschaftsformen und der Einleitung grundlegender politischer und wirtschaftlicher Reformen (verfassungsgebende Versammlungen in Venezuela, Bolivien, Ecuador).

Gleichzeitig existieren in Lateinamerika aber auch gefährliche Konfliktherde wie der kolumbianische. Der dort geführte Bürgerkrieg stürzte nicht nur das Land in eine tiefe politische und soziale Krise, sondern droht auch auf Nachbarländer überzugreifen. Eine Beendigung des Konfliktes durch Friedensverhandlungen ist nicht abzusehen.

Soziale Konflikte und scharfe politische Auseinandersetzungen bewog die UNO 2004 die von ihr geleitete Mission MINUSTAH durch die Endsendung von ca. 10.000 Soldaten und Polizeikräfte weiterzuführen.

Soziale Konflikte und politisch instabile Verhältnisse kennzeichnen die Situation ebenfalls in anderen Ländern. Der Ausbruch sozialer Gegensätze in Oaxaca (Mexiko) und die Militarisierung solcher Konflikte durch die herrschenden Klassen kennzeichnet die Instabilität der gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse.

Ungelost ist der Konflikt zwischen Chile und Bolivien, das einen Zugang zum Pazifik anstrebt. Nach wie vor besteht Argentinien gegenüber dem Vereinigten Königreich auf der Rückgabe der strategisch wichtigen Falkland-Inseln (Malvinen).

Lateinamerikas Platz in der Weltwirtschaft ist bedeutend. Der Kontinent ist in den Prozess der neoliberalen Globalisierung voll einbezogen, nimmt aber immer noch die Rolle des Rohstofflieferanten ein. Der Kontinent verfügt über 18% der Welterdölreserven und hat einen bedeutenden Anteil an Mineralressourcen. Über den Rohstoff Wasser verfügt es mit 31% aller Weltsüßwasservorräte. Mit 23% besitzt Lateinamerika einen hohen Anteil an Waldreserven.

Die Zunahme ausländischer Direktinvestitionen um 8% im Jahre 2004 verdeutlicht, dass es eine beliebte Anlagesphäre für ausländisches Kapital darstellt. In den Hauptländern Brasilien, Argentinien und Mexiko waren es 2004 66 Mrd. US-$ Direktinvestitionen.

Politische und strategische Veränderungen in Lateinamerika

Die Periode der neoliberalen Politik zeigt, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die sozialen und politischen Probleme Lateinamerikas zu lösen. Der Kontinent ist zum Beginn des XXI. Jahrhunderts an einem kritischen Punkt seiner Entwicklung angelangt. Nach der mexikanischen Soziologin Ana Esther Cecena sind in Lateinamerika „weitere Episoden offener Gewalt mit zunehmender Brutalität zu erwarten, gleichzeitig jedoch ergeben sich neue innovative Momente, die Wege zu alternativen Lösungen eröffnen.“ Ana Esther spricht vom Vorhandensein simultaner Prozesse, „ die in ihrer Gesamtheit den Weg für eine Reihe zivilisatorischer Veränderungen eröffnen.“ Darunter wird verstanden, dass es den Volksbewegungen und emanzipatorischen Kräften gelungen ist, den Neoliberalismus zu delegitimieren, ohne ihn im Kampf überwinden zu können.
Die Stärke der US-Hegemonie ergibt sich eben auch aus der relativen Schwäche der Gegenhegemonie. Faktisch führen die USA in Lateinamerika einen asymetrischen Krieg, der in seiner neoliberalen Phase dazu führte, dass große teile der Bevölkerung bis an den Rand ihrer physischen Existenz zurückgedrängt. Ihre Territorien erobert, die Bodenschätze geplündert, ihre Kulturen verdrängt oder v ernichtet wurden und sie in ihrer sozialen Existenz radikal bedroht sind.

Das Lager des Widerstandes hat jedoch an Kraft gewonnen, da sich – auch im Ergebnis der Weltsozialforen als Raum der Suche nach Alternativen – die Bewegungen gegen den Neoliberalismus und die unilaterale Hegemonie gefestigt haben.
Dazu einige Beispiele:

  1. Scheitern des Planes zur Durchsetzung der ALCA, dagegen Festigung des Mercosur (südamerikanische Freihandelszone),
  2. Beginn eines alternativen Integrationsprojektes, der „Bolivarianischen Alternative Amerikas“ (ALBA), das von Venezuela vorgeschlagen wird,
  3. Ablehnung des US-Planes zur Schaffung einheitlicher lateinamerikanischer Polizeikräfte zur Terrorbekämpfung (Tagung der Verteidigungsminister 2004 in Lima),
  4. Nichtbeteiligung am Interventionskrieg der USA im Irak,
  5. reguläre Rückzahlung, bzw. stornierte Rückzahlung von Auslandsschulden an den IWF durch Brasilien und Argentinien, dadurch Schwächung der Position des IWF,
  6. wachsender Widerstand gegen eine Okkupation nationalen Territoriums (Amazonasgebiet).
  7. In elf Präsidentenwahlen, die zwischen November 2005 und Dezember 2006 in Lateinamerika durchgeführt wurden, setzten sich in einigen bedeutenden Ländern liberale und linksgerichtete Kandidaten durch.

Das Gesicht Lateinamerikas hat sich verändert. Nicht nur, dass sich zwischen den lateinamerikanischen Ländern andere Beziehungen entwickeln. Diese ergeben sich auch in ihren Beziehungen zu den USA, zur EU und anderen außerlateinamerikanischen Mächten. Es hat sich ein neues Kräfteverhältnis in Lateinamerika herausgebildet, das sich im Streben nach nationaler Unabhängigkeit und Ablehnung ausländischer Dominanz äußert.

Gegenwärtig scheint es, als ob von drei Staatengruppen ausgegangen werden kann:

  1. Brasilien und Argentinien, die sich stärker auf ihre eigene Entwicklung konzentrieren (dazu wären auch Chile und Uruguay – allerdings mit Abstrichen – zu zählen).
  2. Venezuela, Bolivien und Ecuador, die eine Neufassung ihres Staatswesens, bes. durch verfassungsgebende Prozesse, anstreben.
  3. Gefolgsstaaten der USA wie Kolumbien, Mexiko und eine Reihe mittelamerikanischer Staaten.

Diese Entwicklung wurde bes. im Ergebnis des Gipfeltreffens amerikanischer Staaten November 2005 in Mar del Plata (Argentinien) deutlich.

Die gegenwärtigen Prozesse verdeutlichen, dass die lateinamerikanischen Eliten, die sich bisher in den Beziehungen Staat – Gesellschaft der US-Hegemonie unterordneten, die sich in der Zeit der Systemkonfrontation auf antikommunistisch ausgerichtete Regime stützte, ihre Hoffnung auf eine für sie fruchtbarere Partizipation an den Prozessen der Globalisierung nicht erfüllt sehen. Sie werden im Gegenteil mit geopolitischen Modellen konfrontiert, die auf Kampf um Territorien und um Ressourcen ausgerichtet sind.

Gleichzeitig machen die lateinamerikanischen Gesellschaften einen umfassenden Transformationsprozess durch. Lateinamerikanische Soziologen sprechen von einem Paradigmenwechsel: Entgegen der früher von oben nach unten organisierten Gesellschaft wird ein gegenläufiger Prozess beobachtet. Diese Tendenz manifestiert sich in Bestrebungen, die Gesellschaft von unten nach oben zu gestalten. Es besteht die grundsätzliche Notwendigkeit, den Staat grundlegend zu reformieren. Ansätze für die Gestaltung basisdemokratischer Modelle haben sich in verschiedenster Form in Ländern Lateinamerikas etabliert (partizipativer Haushalt z.B. in Brasilien, in El Salvador, verfassungsgebende Versammlungen in Venezuela, Bolivien, Ecuador). Grundsätzliche Veränderungen werden sichtbar, wenn frühere Regime von Militärdiktaturen (ab den 70-er Jahren in Brasilien, später in Argentinien, Uruguay und vor allem Chile) mit heutigen Verhältnissen verglichen werden: Politische Entscheidungen werden in demokratischen Wahlen herbeigeführt, wobei diese - wie jüngst in Venezuela – unter den Bedingungen schärfster politischer Auseinandersetzungen, aber mit vorwiegend mit friedlichen Mitteln geführt werden.
Dieser den bisherigen Gegebenheiten entgegengesetzte Prozess demokratischer Willensbildung ist nicht mehr dem Staat untergeordnet. Die herrschenden Eliten werden gezwungen, sich im Rahmen demokratischer Verhältnisse zu bewegen. Der Prozess der Neufindung des Staates/ der Nation wie in Bolivien und Ecuador, wo es um die Sicherung der Rechte der großen Mehrheit der indigenen Bevölkerung geht, ist das Streben nach einer erneuerten Identität.

Keineswegs sind diese Entwicklungen durchgehend in Lateinamerika zu beobachten. Politische Reformprozesse werden z.B. in Brasilien bewusst von den herrschenden Eliten gebremst oder verhindert. Ihr Streben ist vor allem auf den Ausbau ihrer eigenen wirtschaftlichen und politischen Positionen ausgerichtet. Die „nationale Bourgeoisie“ solcher Länder wie Brasilien, Argentinien, Mexiko will am Globalisierungsprozess partizipieren. Die Weltkonjunkturlage begünstigt gegenwärtig diese Bestrebungen und sichert ihr hohe Gewinne und Einflussmöglichkeiten. Das schafft neue politische und soziale Spannungen in der Gesellschaft, da der Staat mit seinen Konflikten nicht verschwunden ist. Gleichzeitig entstehen in einem bisher nicht bekannten Maße Konflikte zwischen den Staaten.

Entwicklung des Kräfteverhältnisses in Lateinamerika

Wie bereits festgestellt, haben unterschiedliche Entwicklungswege zu politischen Differenzierungsprozessen geführt, die sich auf die Beziehungen einzelner Länder untereinander auswirken. Neben Tendenzen einer verstärkten Zusammenarbeit in Integrationsprojekten haben sich Konfliktlinien herausgebildet, die sich in zunehmenden Rivalitäten und gegensätzlichen politischen Positionen niederschlagen.

Brasilien

Brasilien ist weltweit der fünftgrößte Flächenstaat. Es erbringt 1/3 der Wirtschaftsleistung Lateinamerikas und nimmt den 11. Platz in der Welt ein. Es ist eine Regionalmacht, die in Lateinamerika der eigentliche Rivale der USA ist.

Brasilien hat nach Beendigung der Militärdiktatur außenpolitisch den Weg des Dialoges und der Kooperation beschritten, spielt eine Vermittlerrolle in Lateinamerika und hat sich unter der Regierung Lula einer verstärkten Süd-Südkooperation zugewandt (insbesondere zu den BRIC - Staaten). Brasilien trat auf der WTO – Tagung in Cancun als Wortführer der Gruppe der 20 auf und fordert den Abbau von Agrarsubventionen seitens der Industrieländer. Das Land setzt sich für eine Politik des Multilateralismus ein und strebt einen Sitz im UN - Sicherheitsrat an.

Brasilien verfügt im Ort Rezende ( Bundesstaat Rio de Janeiro) über eine Uranwiederaufbereitungsanlage. In den siebziger Jahren wurden mit Unterstützung der deutschen Firmen Siemens und KWU in Angra dos Reis (Bundesstaat Rio de Janeiro) zwei Kernkraftwerke errichtet (gegenwärtig laufen Verhandlungen über den Bau von Angra 3). Es wird ein Ausbau der Nuklearindustrie angestrebt. Brasilien kann als potentielle Atommacht angesehen werden.

Brasilien verfügt über eine relativ gut entwickelte Rüstungsindustrie. Es besteht eine 300.000 Mann Armee, die nach Meinung von Experten allerdings nur über veraltetes Kriegsmaterial verfügt. Im Oktober 2007 wurde eine Erhöhung des Rüstungsbudgets auf 10 Mrd. U$-$ verkündet. Angestrebt wird eine Modernisierung der Armee, wofür Waffenkäufe in Russland und der Kauf von 36 Jagdflugzeugen vorgesehen sind. Dazu der Verteidigungsminister: „ Es soll gesichert werden, dass niemand es wagt, in unser Territorium weder in der Luft, noch zu Wasser oder am Boden einzudringen.“

Besondere Aufmerksamkeit wird dem Schutz des brasilianischen Amazonasbecken gewidmet. Die Armeeführung lehnt eine Übergabe der Militärbasis Alcantara an die USA ab (Verhandlungen der Regierung Fernando Henrique Cardoso darüber wurden gestoppt).

Seit einigen Jahren hat sich Brasilien der Entwicklung der Bioenergie gewidmet, worüber gegenwärtig im Lande heftige Auseinandersetzungen geführt werden. Von dieser Entwicklung profitiert vor allem der sog. Agrobussines. Vorrangiger Abnehmer des Biodiesels wollen die USA sein. Daneben hat Brasilien Partner in Mittelamerika und Afrika eingebunden.

Neue Erdölfunde im Amazonasgebiet (bis neun Mio. Fass werden geschätzt) machen das Land unabhängiger von Erdölimporten
Nach neuesten Angaben (November 2007) hat Brasilien seine Auslandsinvestitionen um 147% gesteigert, das sind insgesamt 265 Mio. US$. Diese wurden v.a. in Öl- und Gasprojekte in Bolivien, Argentinien, Ecuador investiert. Die PETROBRAS ist einer der führenden Erdölkonzerne auf dem Kontinent.

Brasilien setzt vor allem auf die Realisierung des sog. IIRSA-Projektes (Regionale Infrastrukturintegration) mit den Nachbarländern, für das 2,3 Mrd. US$ Investitionen in den nächsten fünf Jahren vorgesehen sind. Es umfasst ein Transportintegrationsprogramm, das Zugang zu den Märkten und Ressourcen der Nachbarländer schaffen soll (Bekannt wurde gerade eine Vereinbarung mit Chile und Bolivien, eine transkontinentale Trasse vom Atlantik bis zum Pazifik zu bauen).

Venezuela

Die in Venezuela vor sich gehenden Veränderungen wurden auf demokratischem Weg eingeleitet. Präsident Chavéz setzte sich sowohl in den Präsidentschaftswahlen wie auch im Referendum mit der Unterstützung der Mehrheit der Wähler durch. Die bolivarianische Revolution, die mit friedlichen Mitteln eingeleitet und durchgeführt wird, hat direkte Auswirkungen auf die Entwicklung in Lateinamerika. Sie ist Bestandteil der ebenfalls auch in anderen Ländern des Kontinents sich vollziehenden Transformationsprozesse.

Im Mittelpunkt der Veränderungen steht die Bekämpfung der Armut, die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten und des Gesundheitswesens. Erste Ergebnisse auf diesem Wege wurden erzielt: Der Anteil der armen Bevölkerung wurde von 40 auf ca. 30% verringert. Ebenfalls ist die Arbeitslosenquote auf 15% gefallen. Eingeleitet wurde ein solides Wirtschaftswachstum, das allerdings noch nicht wesentlich zur Senkung der Inflationsrate führte. Es gelang auch noch nicht, die Versorgungslage der Bevölkerung wesentlich zu verbessern.

Die durch den Streik im Jahre 2004 stark beeinträchtigte Erdölförderung konnte noch nicht wieder auf normale Fördermengen zurückgeführt werden. Trotzdem erarbeitete das Land beachtliche Devisenreserven, die in bestimmtem Umfange in die Förderung des Bildungs- und Gesundheitswesens investiert werden.

Außenpolitisch engagiert sich Venezuela in verstärktem Maße auf die Entwicklung der Beziehungen zu den lateinamerikanischen Nachbarn und baut seine Kontakte vor allem zu wesentlichen Schwellenländern (China, Russland) und den Mitgliedstaaten der OPEC (einschließlich Iran) aus. Von Venezuela geht die „Bolivarianische Alternative Amerikas“ (ALBA) aus. Sie stellt ein alternatives Integrationsprojekt zur US-amerikanischen Freihandelszone ALCA dar. Bislang ist jedoch noch kein ausgearbeitetes Projekt zu erkennen, wie diese Initiative langfristig verwirklicht werden soll. Im Mittelpunkt stehen Werte wie Komplementarität, Kooperation und Solidarität. Ihr gehören Venezuela, Kuba, Bolivien und Nikaragua an. Erkennbar sind konkrete Schritte, die gegangen werden: Geschaffen wurde die Petrocaribe, der 13 Länder angehören, Petroandina und Petrosur, wobei vorgesehen ist, diese Unternehmen in einem Petroamerica zusammenzuführen. Realisiert werden über diese Unternehmen gemeinsame Projekte, vergeben werden günstige Kredite und verkauft werden Erdölprodukte zu günstigen Preisen und Bedingungen. Im Rahmen der ALBA strebt Venezuela die Zusammenarbeit seines Staatsunternehmens PVDSA mit denen Brasiliens und Argentiniens an.

Das Staatsunternehmen PVDSA ist mit 51% im nationalen Besitz und bildet mit ausländischen Unternehmen wie Exxon, British Petrol u.a. gemischte Unternehmen.

Kuba

Das Land befindet sich im Zustand eines Transformationsprozesses, in dessen Verlaufe sowohl die Auswirkungen des langjährigen US-Embargos überwunden wie auch die inneren Strukturen verändert werden. Die Debatte über den kubanischen Entwicklungsweg ist eröffnet. Die kubanischen Erfahrungen werden in die Diskussion über den „Sozialismus des XXI. Jahrhunderts“ mit einfließen. Es ist offensichtlich, dass die Veränderungen in Lateinamerika keinen geringen Einfluss auf die Entwicklungsprozesse in Kuba haben. Venezuela unterstützt Kuba mit Erdöllieferungen, womit die Energiekrise des Landes überwunden werden kann. Die außenpolitische Isolierung Kubas in Lateinamerika ist weitgehend aufgehoben. Kuba spielt in den lateinamerikanischen Beziehungen nach wie vor eine bedeutende Rolle. Kubanische Ärzte und Lehrer sind in einigen Ländern Lateinamerikas solidarisch tätig. Eine Reihe außeramerikanischer Staaten beginnen, ihre Beziehungen zu Kuba neu zu gestalten. Die inneren wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden sukzessive überwunden. Wesentliche äußere Partner für den Prozess der wirtschaftlichen Stabilisierung sind Venezuela und China.

Argentinien

Argentiniens natürliche Einflusszone sind seine Nachbarstaaten Chile, Bolivien, Paraguay und Uruguay, mit dem es wegen des Baus eines Zellulosefabrik im heftigen Streit liegt. Argentinien hat die Wirtschaftskrise Anfang des Jahrtausends weitgehend überwunden. Gegenwärtig erreicht das Land beachtliche wirtschaftliche Zuwachsraten. Argentinien erhebt Anspruch auf einen Teil der Antarktis und fordert die Rückgabe der Falklandinseln. Eine gewisse Rivalität baut sich mit Chile auf, das sich mit einer zunehmend  größer werdenden Armee stark macht.

Chile

Nach Beendigung der Militärdiktatur wurde von den Regierungen der „concertación“, einschließlich der von Sozialisten geleiteten, der neoliberale Wirtschaftskurs verstärkt fortgesetzt. Der Ausverkauf der nationalen Bodenschätze erreichte bisher nicht da gewesene Ausmaße: Die chilenische Kupferproduktion wird fast ausschließlich von transnationalen Unternehmen beherrscht. Obwohl die chilenische Wirtschaft wesentliche Wachstumsraten aufweist, wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer.
Chile beherrscht mit seiner Kriegsflotte faktisch die Pazifikküste, von der das Land über die 3.000 km besitzt. Das chilenische Militär ist voll auf die USA orientiert. Die Aufarbeitung der Diktaturzeit und die Verfolgung der Täter gehen nur schleppend voran. Nach wie vor garantiert die nach Beendigung der Militärdiktatur angenommene Verfassung den Militärs Sonderrechte.

Mexiko

Mit einer fast 2000 km langen Landgrenze steht das Land in engster Beziehung zu den USA. Seit Inkrafttreten (1994) der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) wird Mexiko vor allem wirtschaftlich von den USA dominiert. Gemeinsam mit den USA realisiert Mexiko den Plan Puebla - Panama, mit dem es seinen Einfluss in Mittelamerika ausdehnt, was es als sein Einflussgebiet betrachtet.

Diese Darstellung gestattet eine Übersicht über die Beziehung der lateinamerikanischen Staaten untereinander. Das Maß ihrer Einordnung sind zweifellos zwei Kriterien:
Einmal das Verhältnis zu den USA wie zum anderen der von einzelnen Ländern gegenwärtig eingeschlagene Entwicklungsweg:

In Bezug auf Kriterium Nummer eins muss festgestellt werden, dass sich Lateinamerika in zwei Lager gespalten hat. Das zeigte sich nach dem Gipfeltreffen der Präsidenten 2006 in Mar del Plata, auf dem durch die Ablehnung der ALCA seitens Brasilien, Argentinien, Venezuela diese Spaltung deutlich sichtbar wurde. Die drei Länder erwirtschaften zusammen ca. 2/3 des BSP Lateinamerikas. Das Lager der Befürworter der ALCA, einschließlich Mexiko und Kolumbien, hat deutlich weniger Gewicht. Die Bush – Administration erlitt beim Versuch der Durchsetzung der ALCA eine eindeutige Niederlage.

Die Bedeutung der Länder, in denen stärker nationale Ziele verfolgt werden, hat zugenommen.

Kriterium zwei: Die durch den Widerstand gegen neoliberale Politik erreichten Veränderungen bewirken Differenzierungen zwischen einzelnen Ländern. Obwohl in Brasilien und Uruguay, z.B., linksgerichtete Regierungen gewählt wurden, setzen sie im Wesentlichen neoliberale Politik fort. Die Veränderungen, die in Venezuela, Bolivien und Ecuador vor sich gehen, tragen dagegen antineoliberalen Charakter. Von Venezuela vorgeschlagene Projekte finden nicht in jedem Falle die Unterstützung der südlichen Nachbarn. Die Eliten dieser Länder sind bestrebt, selbst an den Prozessen der Globalisierung in geeigneter Weise zu partizipieren. Sie sind in solcher Weise erstarkt, dass sie als Konkurrenten bisheriger Nutznießer auftreten und von der für sie günstigen Weltwirtschaftslage profitieren. Brasilianische Unternehmen, z.B., haben ihre Wirkungsbereiche sowohl in Lateinamerika wie auch in Afrika und Asien stark ausgeweitet. Diese Entwicklung mindert kaum die im Inneren vorhandenen sozialen Konflikte, noch trägt sie dazu bei, zwischen den lateinamerikanischen Ländern ausgeglichene Verhältnisse zu schaffen, bzw. Disparitäten abzubauen. Das schafft Rivalitäten, die in dieser Art für Lateinamerika neu sind. Zweifellos versucht Brasilien, einen bestimmten Führungsanspruch in Lateinamerika zu verwirklichen, begegnet dabei aber den Bestrebungen Venezuelas, seinen Einfluss auszuweiten.

Angestrebte Integrationsprozesse werden dadurch durch unterschiedliche Interessen bestimmt. Brasilien sucht Absatzmärkte, stärkt seinen Einfluss im Mercosur und orientiert sich auf Sicherung seiner Energieversorgung. Dagegen verhält es sich zurückhaltend, wenn es um das Integrationsprojekt ALBA geht, dem es bisher noch nicht beigetreten ist. Nach wie blockieren andererseits rechte Kräfte im brasilianischen Senat die Aufnahme Venezuelas in den Mercosur.

Die Schaffung der gemeinsamen Banco del Sur zeigt aber, dass Brasilien sich in nicht nur auf den Mercosur konzentriert, sondern sich auch punktuell am ALBA – Projekt beteiligt. Schwerpunkt für Brasilien bleibt aber die Suche nach eigenen Lösungen, die es ihm gestatten, sich gleichberechtigt mit den Industrieländern zu bewegen. Brasilien hat nach der Energiekrise 1973/74 auf die Entwicklung der Biokraftstoffe gesetzt, Erfahrungen gesammelt und setzt sie gegenwärtig gezielt zur Schaffung einer Alternative zum Erdöl ein.

Wachsendes nationales Selbstbewusstsein bestimmen nicht nur das Verhältnis der lateinamerikanischen Staaten untereinander neu, sondern verändern auch ihr Verhältnis zu den USA und außerlateinamerikanischen Mächten. Einige Länder Lateinamerikas verweigern den USA ihre Gefolgschaft, entwickeln eigene Projekte und lehnten mit breiter Unterstützung der sozialen Bewegungen – wie oben gezeigt - die ALCA ab. In Venezuela wurde der Putschversuch gegen Präsident Chavéz, der mit aktiver Unterstützung der USA erfolgte, verhindert. Geschwächt wurde die Position der USA durch das einseitig von Präsident Kirchner (Argentinien) 2002 erklärte Moratorium. Versuche der USA, die Streitkräfte einzelner Länder in Polizeieinheiten umzuwandeln, um sie unter US-Führung in den sog. Terrorkampf einzubeziehen, wurden von der Mehrheit abgelehnt.

Neue Konstellationen ergeben sich durch die verstärkten Aktivitäten Chinas in Lateinamerika und die wachsende Zusammenarbeit mit aufstrebenden Mächten wie China und Indien. Im Rahmen der Gruppe der 20 vertreten diese Länder gemeinsame Auffassungen im Rahmen der WTO und der Doha- Runde.

Die Lage auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu Beginn des XXI. Jahrhunderts hat sich verändert.


Die Beziehungen Lateinamerikas zu den USA

Seit Mitte der 90-er Jahre verfolgen die USA eine Strategie der „Beherrschung des gesamten Spektrums“, d.h. Prävention von möglichen Krisen und Unruhen, Politik der Abschreckung, Verfolgung von progressiven Kräften und Kontrolle sozialer Bewegungen und, wenn erforderlich, ihre Beseitigung. Nach Brzezinski streben die USA die Beherrschung des gesamten Planten an, weil „die geografische Situation der Ausgangspunkt für die Bestimmung aller äußeren Prioritäten ist.“ Es ist eine Strategie des Strebens nach der Weltherrschaft, das nicht ausschließlich nur auf die militärische Variante setzt. Die Neubestimmung der USA – Position schließt auch Lateinamerika ein.

Lateinamerika als spezielle Interessenzone

Wurde Lateinamerika schon seit jeher als Hinterhof der USA betrachtet, so kann festgestellt werden, dass es in seiner Bedeutung für die USA keineswegs hinten angestellt wird.

In der März 2006 veröffentlichten „Nationalen Sicherheitsstrategie der USA“ wird der Platz der „westlichen Hemisphäre“ eindeutig bestimmt: Sie stellt die Hauptlinie in der „Verteidigung der nationalen Sicherheit“ der USA dar.

Erkennbar wird die neoliberale Orientierung, wenn „die Schaffung offener Märkte, Finanzstabilität und die weitere Einbeziehung des Kontinents in die Weltwirtschaft“ postuliert werden. „Unsere Strategie zielt auf die Vertiefung der Beziehungen zu Kanada und Mexiko, die Durchsetzung gleicher Werte und einer kooperativen Politik, die auf die gesamte Region ausgedehnt werden kann.“ „In unserer Hemisphäre wollen wir die Vision einer amerikanischen Freihandelszone durchsetzen“, wie sie schon in der Gestalt der Nordamerikanischen (NAFTA) und der Mittelamerikanischen (CAFTA) existiert. Weiter geht es um die Vertiefung der Zusammenarbeit „mit regionalen Führungsmächten“, um ihr Engagement für Demokratie zu stärken. Und faktisch drittens und deutlich: „Wir wollen versuchen Einfluss auf Überlegungen zu nehmen, auf Grund derer sie ihre Entscheidungen treffen. Wir müssen entsprechend reagieren, wenn Staaten unkluge Entscheidungen treffen.“

Im eigentlichen Sinne ist das die Neuauflage der Monroe-Doktrin für das XXI. Jahrhundert und bedeutet, dass die USA den gesamten Kontinent zu ihrem Einflussgebiet erklären. Veränderte Kräfteverhältnisse in der Welt und größere Eigenständigkeit der Staaten Lateinamerikas bedrängen diese Politik und beschwören Gefahren herauf, die den Einfluss der USA auf dem Kontinent einschränken. Die historisch entstandene vor allem wirtschaftliche Abhängigkeit hat zu einer engen Verflechtung der Volkswirtschaften mit den USA geführt.

Lateinamerika ist nach den arabischen Staaten die Bezugsquelle für Erdöl. Aus Mexiko und Venezuelas beziehen sie täglich ca. 4 Mio. Fass Erdöl., das ist ein Drittel des gesamten Imports, Lateinamerika verfügt über enorme Wasserressourcen (Amazonasbecken, Wasserreservoir Guarani mit ca. 50 Mrd. m³ Wasser und einer Ausdehnung von 1,2 Mio. km². Strategisch wichtig sind ebenfalls die genetischen Reserven des Kontinents mit der großen Biodiversität. In Lateinamerika ist ein erheblicher Teil der Auslandsinvestitionen konzentriert. US-amerikanische transnationale Unternehmen erzielten seit Öffnung des mexikanischen Marktes 17,2 Mrd. US$ (1997) Gewinne (1980 waren es 180 Mio. US$). Ein großer Anteil des Außenhandels wird mit den südlichen Nachbarn realisiert.

Nach der Schaffung der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (USA, Kanada, Mexiko) nahmen die USA schon unter der Clinton – Administration Kurs auf die Schaffung eine gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA. Mit dem Scheitern dieser Politik liegt der Schwerpunkt auf dem Abschluss von Freihandelsverträgen mit einzelnen Ländern u.a. mit Chile, Kolumbien, Peru u.a. Diese Verträge sind auf die Öffnung der Märkte dieser Länder für Waren und Kapital der USA ausgerichtet und verfolgen das Ziel, Lateinamerika der US-Wirtschaftskontrolle unterzuordnen. Pläne wie der Plan Colombia, Plan Puebla – Panama (PPP), Plan Andino verfolgen neben der Ausweitung der militärischen Kontrolle den Ausbau der Infrastruktur zu Gunsten transnationaler US-Unternehmen, den Bau von Staudämmen, der Kontrolle der Kommunikationswege und der Sicherung von Rohstoffvorkommen.
Die mexikanische Soziologin Ana Esther Cecena kommt nach detaillierten Untersuchungen zum Schluss, dass besonders dort, wo sich Widerstand gegen die Einschränkung des Lebensraumes indigener Völker und ihrer Vertreibung entwickelt, wo Energieressourcen und Wasserreserven vorhanden sind, Militärbasen entstehen, eine striktere Kontrolle ausgeübt und der Widerstand bekämpft wird. Die sichtbar werdende enge Verknüpfung von geopolitischen Interessen und der Sicherung der Märkte und Naturressourcen ist eng mit einer zunehmenden Militarisierung des Kontinents verbunden.

Die zentrale Zone der US-Interessen umfasst das Gebiet der Karibik und des Amazonasbeckens in seiner ganzen Ausdehnung. Zu verfolgen ist das am Ausbau US-amerikanischer Militärbasen von Guantánamo bis Feuerland.

Das Epizentrum dieser kritischen Zone ist Kolumbien. Nach dem Ausbleiben von Erfolgen einer Strategie „mit niedrigen Kosten“ wurde mit dem Plan Columbia 2000 ein Strategiewechsel eingeleitet, der das Schwergewicht auf die Kombination politischer und militärischer Mittel legt. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Drogenhandel wird ein Antiterrorismuskampf geführt.
Der Plan Columbia II weitet diese Strategie auf den gesamten Andenraum aus. (Schaffung der Basis Manta, Ecuador, kolumbianisch - ecuadorianische Grenze San Miguel – Putumayo am Amazonas). Der Aufbau der Militärbasis Arauca mit Nähe zu Venezuela verdeutlicht den Versuch, eine Destabilisierung Venezuelas einzuleiten. Begleitet werden diese Maßnahmen mit einer verstärkten militärischen Aufrüstung Kolumbiens, das damit auch zukünftig das instabile Zentrum der Zone des Nordens des Kontinents und der Karibik bleibt.

Plan Columbia II zielt aber auch auf den Ausbau der militärischen Präsenz im Raum Paraguay. Die US- Strategie betracht Paraguay als Schlüsselposition im Südkegel des Subkontinents. Strategisch wichtig, weil im Länderdreieck Brasilien, Argentinien, Paraguay der Zugang sowohl zu den Andenländern (Bolivien, Ecuador) wie auch der Zugang zu Südbrasilien und dem Amazonasbecken gegeben ist. In Paraguay wird seit Januar 2006 die Basis Santa Cruz de la Sierra ausgebaut.
Nach der erzwungenen Aufgabe des Panamakanals haben die USA somit neue Basen in El Salvador, Ecuador, Aruba-Curacao, Haiti geschaffen und über den gesamten Kontinent Radar- und Beobachtungsstationen verteilt. Dazu gehört auch ein Vertrag über den Bau einer Basis in Feuerland. Der Griff nach der brasilianischen Militärbasis in Alcántara scheiterte, weil Regierung und Militär den Abschluss eines Vertrages verhinderten (Alcántara ist die Raketenversuchsbasis Brasiliens).

Die von der Bush-Administration eingeleiteten politischen Initiativen, sich stärker den lateinamerikanischen Ländern zuzuwenden, blieben Einzelaktionen. Die Lateinamerikareise Bush´s (März 2007) stellte einen späten Versuch dar, Einfluss auszuüben. Bezwecken sollte die Reise vor allem, Venezuela zu isolieren. Im State Department unterscheidet man gegenwärtig nach „guten“ und „schlechten“ Verbündeten und versucht, mit den „guten“ eine neue Allianz aufzubauen, die vor allem mit Kolumbien und Mexiko gebildet wird. Es wurde ein Medizinschiff entsandt, das Hilfe für Arme in Belize, Guatemala und Panama brachte und ca. 85.000 Patienten versorgte. Weiterhin wurden 75 Mio.$ für die Ausbildung von Jugendlichen, 385 Mio.$ für Eigenheimbauten zur Verfügung gestellt.

In die gleiche Richtung zielte die Reise Bush´s 2007 nach Brasilien, wo Einzelverträge über die Lieferung von Bioalkohol abgeschlossen wurden. Der angestrebte Abschluss von Freihandelsverträgen mit Kolumbien, Peru und Chile ist der Versuch, die Ablehnung der ALCA auf dem Wege bilateraler Abkommen zu umgehen.

In der nach 1990 neuen strategischen Situation nahmen die USA Kurs auf die Neuordnung ihrer Beziehungen zu Lateinamerika. Seine Bedeutung ist in keiner Weise geringer geworden. Es stellt im Gegenteil im Hinblick auf die neuen Entwicklungen auf dem Kontinent eine Bedrohung der USA – Interessen dar. Das selbstbewusstere Auftreten Brasiliens, Argentiniens, die progressiven Entwicklungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador beunruhigen die US – Politik. Allerdings verzichteten die USA auf Einmischungsversuche, wie sie vormals aktuell waren. Möglicherweise bedingt durch die In Afghanistan und im Irak geführten Kriege, ist die USA-Politik als zurückhaltend zu beurteilen. Stärker als je zuvor sind die USA mit einer gewachsenen internationalen Konkurrenz in Gestalt der EU und auch Chinas in Lateinamerika konfrontiert.

 

Die Beziehungen Lateinamerikas mit der Europäischen Union

Im „Medienhandbuch der Entwicklungspolitik 2006/2007“ des BMZ wird ausgeführt:
„Wir können in der Zusammenarbeit mit Lateinamerika an die kulturelle Nähe und die gemeinsamen Werte anknüpfen.“
Die Realität relativiert diese Aussage: Zwischen Europa und Lateinamerika existieren erhebliche politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede. Die wirtschaftliche Situation ist durch eine tiefe Asymmetrie geprägt. Die gravierende Armut in den Ländern Lateinamerikas verbietet es, von „gemeinsamen Werten“ zu sprechen. Diese Aussage verwischt die real existierenden Unterschiede und ist Ausdruck eines unhinterfragten Eurozentrismus.

Im Januar 1999 fand das erste Gipfeltreffen der Staatschefs der EU und Lateinamerikas in Rio de Janeiro statt. Verkündet wurde die Orientierung auf eine „strategische Partnerschaft“.

Ausgestaltung der Beziehungen Europäische Union - Lateinamerika

Auf der politischen Ebene stehen die Wahrung der Menschenrechte, die Durchsetzung demokratischer Grundsätze und die Führung einer Politik des Multilateralismus im Mittelpunkt. Die erweiterte EU ist ein wichtiger wirtschaftlicher und politischer Partner für Lateinamerika und die Karibik: Sie ist führend im Bereich der Entwicklungshilfe und der Auslandsinvestitionen und ist für manche lateinamerikanischen Länder der wichtigste Handelspartner.

Die Politik der EU gegenüber Lateinamerika konzentriert sich aufspezialisierte Dialoge. Im Rahmen dieser breiten Partnerschaft finden zwischen der EU und spezifischen Subregionen (Andengemeinschaft, CARIFORUM, MERCOSUR, Zentralamerika) beziehungsweise der EU und einzelnen Ländern (Chile und Mexiko) Verhandlungen statt. Es wurden inzwischen eine Reihe Handelsverträge (Mexiko, Chile) abgeschlossen. Es existieren auf verschiedenen Ebenen eine Vielzahl von Kooperationsabkommen zwischen Ländern und Ländergruppen Lateinamerikas. Auf dieser breit angelegten Grundlage gibt ein institutionalisierter politischer Dialog zwischen der EU und Lateinamerika die strategische Richtung vor. Die EU-Kommission beschrieb etwa den Abschluss des dritten Gipfeltreffens in Guadalajara (Mexiko) im Mai 2004 und Wien Mai 2006 als große Erfolge und wichtige Schritte zur Armutsbekämpfung.

Die EU hat jedoch mit der Lissabon-Strategie nicht Armutsbekämpfung und Verbesserung der Sozialstandards als ihr oberstes Ziel definiert, sondern die globale Wettbewerbsfähigkeit. Vorrang hat der Kampf um die Vormachtstellung im lateinamerikanischen Raum, die angesichts der Bestrebungen der USA Freihandelsverträge abzuschließen und dem US-Kapital freie Märkte zu schaffen, in Frage gestellt wird. In den Verhandlungen zum Abschluss von Freihandelsabkommen bietet die EU 90% Zollfreiheit auf einige Produkte, ausgeschlossen allerdings eine Reihe wichtiger Agrarprodukte.

Hier stoßen die lateinamerikanischen Länder auf die Grenzen der europäischen Agrarsubventionspolitik Europas.

Das besondere Interesse der EU gilt den Verhandlungen mit der südamerikanischen Handels- und Zollvereinigung Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Venezuela, mit assoziierten Mitgliedern Bolivien, Ecuador, Chile, Perú). Er ist der viertgrößte Wirtschaftsblock der Welt, erbringt ca. 75% des BSP Lateinamerikas und hat eine Bevölkerung von 235 Mio. Menschen. Mercosur ist weltweit der größte Lebensmittelproduzent. Seine Mitglieder verfügen über reiche Rohstoffvorkommen. 26% seines Außenhandels werden mit der EU (USA – 20%) realisiert. Darin sind enthalten ca. neun Mrd. € Agrarprodukte (das sind 17,9% der gesamten Agrarimporte der EU) jährlich. Davon werden nur 60% zollfrei in Europa eingeführt. Neben Agrarprodukten nimmt der Rohstoffimport den größten Umfang ein. Im Gegenzug umfassen die Exporte der EU in die Länder des Mercosur nur 1,85%.

Das Interesse der wichtigsten Mitglieder am Abschluss eines Freihandelsabkommens mit dem Mercosur wird bestimmt durch die starke Präsenz ihrer transnationalen Unternehmen. Ca. 2000 deutsche Unternehmen sind in Lateinamerika tätig, die mit 42 Mrd.$ Direktinvestitionen einen führenden Platz unter den EU-Staaten einnehmen. Mit 65 Mrd.$ Produktionsvolumen dieser Unternehmen liegt es viermal höher als die Exporte der BRD nach Lateinamerika. Im Zuge der Privatisierung staatlicher Unternehmen der lateinamerikanischen Länder waren bes. spanische, französische und niederländische Unternehmen aktiv und erfolgreich. Diese Unternehmen haben ein besonderes Interesse am Abschluss des Freihandelsabkommens mit dem Mercosur, da den in den Mercosur - Ländern tätigen Ablegern große Vorteile daraus erwachsen.

Auf dem Gipfeltreffen 2006 in Wien wurde allerdings deutlich, dass es kaum Fortschritte in den Verhandlungen zum Abschluss eines Freihandelsabkommens gab. Die Länder des Mercosur lehnen die Forderungen der EU nach kompletter Öffnung ihrer Märkte für den freien Kapitalfluss, nach Fischerei-, Produktions- und Handelsrechte, bes. in der 200 – Meilenzone, ab. Besonderer Streitpunkt sind die Beschränkungen im Agrarexport und die von den EU realisierte Agrarsubventionspolitik. Forderungen der Mercosur – Länder nach Schutzmaßnahmen für ihre nationale Industrie stoßen auf Widerstand der europäischen Verhandlungspartner. Gleichfalls sind die Verhandlungen über die Auslandsschulden ins Stocken geraten. Die angestrebte Zusammenarbeit der Parlamente und auch der zwischen ihnen geführte politische Dialog sind schwach entwickelt. Störend wirkt sich ebenfalls noch die Zurückhaltung der EU in der Entwicklung ihrer Beziehungen zu Kuba aus.

Obwohl es beiderseits Interesse am Ausbau der Beziehungen gibt, sind die gegensätzlichen Verhandlungspositionen das Haupthindernis. Illusionen, die auf lateinamerikanischer Seite hinsichtlich des „guten Partners“ EU existieren, wurden durch die Realität des Vorgehens der EU abgebaut. Deren dezidiertes Interesse an regionaler Integration in Lateinamerika erweist sich mehr und mehr als ein Versuch, mit moderateren Mitteln als die USA die Vormachtstellung im lateinamerikanischen Raum zu erobern. Ein Assoziationsabkommen EU – Mercosur soll helfen, die subalterne Einbindung in die internationale Arbeitsteilung abzusichern. Das bedeutet: Fortführung des ungleichen Handelsaustausches, Sicherung der Direktinvestitionen und des Kapitalexportes, des Importes der im Handel überwiegenden Rohstoffe und Export von Technologie und moderner Technik.
Die EU ist bestrebt, ihre führende Stellung im Außenhandel, im Kapitalexport und der Entwicklungshilfe beizubehalten und ist ein direkter Konkurrent US-amerikanischer Wirtschafts- und Kapitalinteressen.

Politisch folgen die EU – Staaten aber im Wesentlichen den Vorgaben der nordamerikanischen Politik (Beispiel: Isolationspolitik gegenüber Kuba), bestimmt durch die Interessen des Nordatlantischen Bündnisses, weniger durch eine Politik gleichberechtigter auf gegenseitigen Vorteil beruhender Beziehungen. Die Entwicklungen in Venezuela, Bolivien und auch in Ecuador werden mit Argwohn verfolgt. Versucht wird, zwischen den lateinamerikanischen Ländern zu differenzieren, wobei Brasilien die Rolle eines ausgleichenden Faktors spielen soll.

Die Entwicklung in Lateinamerika, bes. In Südamerika, stellt sich für EU (auch für die Bundesrepublik) zunehmend komplizierter dar:

  1. Seit Beginn der Verhandlungen 1999 wurden keine Fortschritte im Abschluss eines Assoziierungsabkommen mit Mercosur erreicht,
  2. Die USA sind mit der Durchsetzung des Planes ALCA gescheitert,
  3. Die Veränderungen in Brasilien und Argentinien in ihrer Haltung zum Mercosur bedeuten, dass Südamerika auf stärker auf die Entwicklung des Mercosur setzt und sich dem Abschluss von Freihandelsverträgen mit den USA widersetzt,
  4. Mit den Veränderungen in Venezuela, Bolivien und auch Ecuador steht jetzt ein eigenes Integrationsprojekt mit die „Bolivarianische Alternative Lateinamerikas“ (ALBA) auf der Tagesordnung, was auf die Verstärkung der Kooperation zwischen lateinamerikanischen Ländern und eigene Anstrengungen setzt und erst dann Assoziierungen anstrebt.

Nach hiesigen Einschätzungen bildet sich im südlichen Teil des Doppelkontinents ein Gegengewicht zum nordamerikanischen Hegemon heraus.

Die EU muss ihre bisheriger Politik gegenüber Lateinamerika überdenken, denn neue Akteure und Tendenzen sind auf der politischen Ebene hervorgetreten, die im Rahmen ihrer Zivilgesellschaften, bes auch der sozialen Bewegungen, mehr Transparenz und soziale Forderungen stellen, die von den regierungen nicht mehr umgangen werden können.

Chinas Position in Lateinamerika

Schon 1988 unternahm Deng Xiaoping eine Lateinamerikareise, die er zum Beginn des „Pazifischen Jahrhunderts“ erklärte und mit der eine neue Etappe der Süd-Südbeziehungen eingeläutet werden sollte. Realisierte China 1990 mit Lateinamerika einen Handelsaustausch in Höhe von drei Mrd.$, so waren es 2005 ca. 50 Milliarden US$ im Im - und Export. Gleichzeitig steigerte China seine Kapitaldirektinvestitionen auf ca. fünf Milliarden US$. Ebenfalls steigerte Lateinamerika seine Exporte auf 56 Mrd. US$ (2004). Davon sind 80% Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Brasilien (Soja), Peru, Chile und Argentinien. Zustande gekommen sind eine Reihe gemeinsamer Projekte in Form von joint-ventures. Diese bestehen vor allem in der gemeinsamen Ausbeutung von Rohstoffen, z.B. Kupfer mit Chile und Peru, Eisen mit Peru, Eisen und Stahl mit Brasilien, Nickel mit Kuba oder Aluminium mit Jamaika. Inzwischen hat sich eine Zusammenarbeit auf technologischen Gebieten mit Brasilien entwickelt, die sich auf die Luftfahrt, die Raumtechnik und den gemeinsamen Bau von Satelliten konzentriert.

Nach den Besuchen hochrangiger Vertreter der chinesischen Seite besuchten sowohl Lula da Silva und Hugo Chavéz die Volksrepublik China. Mit dem Präsidenten Brasiliens wurde der Abschluss eines Freihandelsabkommens eingeleitet und Schritte zum Abschluss eines Vertrages mit dem Mercosur eingeleitet. Vereinbart wurde mit Brasilien ein 10 Mrd.-Investitionsabkommen in Energie- und Infrastrukturprojekte vereinbart. Mit Chavéz wurden chinesische Investitionen von 350 Mio. US$ in der Aufschluss von Erdölfeldern und 60 Mio. in die Gasförderung vereinbart. China importiert täglich 100.000 Fass Erdöl, drei Millionen Tonnen Benzin und 1,8 Mio. Tonnen Ölemulsionen. Chinas Führung erklärte, dass sie bereit ist, in den nächsten Jahren 100 Mrd. US$ in Projekte in Lateinamerika zu investieren.

China tritt in Lateinamerika immer stärker als direkter Partner auf und setzt auf die Sicherung seiner Rohstoffinteressen und den Export seiner Billigwaren, d.h. Textilien, Elektronik und Haushaltswaren. Realisiert wird diese Politik mit der direkten Investition von Kapital.

Im politischen Bereich haben beide Seiten oft identische Interessen und Standpunkte. China unterstützte die Errichtung der 200-Meilen-Zone, setzte sich für die Souveränität des Panamakanals ein (dort nimmt China inzwischen einen bedeutenden Platz bei Investitionen und dort tätigen chinesischen Unternehmen ein), vertritt gemeinsam mit den lateinamerikanischen Ländern das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. China unterhält zu 24 Staaten diplomatische Beziehungen und dringt auf Abbruch diplomatischer Beziehungen mit Taiwan. Konzentriert hat sich China zuerst auf die Länder der Karibik und Mittelamerikas, da diese mit Präferenzabkommen Zugang zum US-amerikanischen Markt bieten.

In der Entwicklung der Beziehungen zu den lateinamerikanischen Ländern stellt China keine politischen Bedingungen. Es tritt ein für Multilateralismus  und Anerkennung gleichberechtigter Handelsbeziehungen. Mit der Annäherung an Venezuela steht ein Land im Mittelpunkt, dessen antiimperialistische Haltung bekannt ist. Mit der Entwicklung der Beziehungen zu China schafft sich Lateinamerika ein Gegengewicht zur Minderung der Abhängigkeit vom den USA und der EU. Im Falle Mexikos ist China dabei, mit Erdölderivaten und Textilien amerikanische Firmen vom Markt zu verdrängen. China ist zum echten Konkurrenten anderer Mächte auf dem lateinamerikanischen Kontinent herangewachsen. Die Befürchtungen in den USA über die wachsenden Anteile chinesischer Unternehmen und des politischen Einflusses wachsen.

Einige Schlussbemerkungen

Die deutlich hervortretenden Veränderungen in Lateinamerika haben das Erscheinungsbild des Kontinents. Lateinamerika ist dabei, sich aus historischer Abhängigkeit zu lösen und setzt neue Maßstäbe für eine Entwicklung im Zeitalter vertiefter kapitalistischer Globalisierung. Es hat den Anschein, dass sich zwei Prozesse parallel zu einander abspielen. Einerseits eine vertiefte kapitalistische Entwicklung in den Hauptländern, die den jeweiligen Eliten Möglichkeiten erschließt, sich selbstständiger in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht in die Weltvorgänge einzuschalten. Entwicklungsmodelle in Brasilien und Argentinien, auch Chile, sind nicht in jeder Weise nachholende kapitalistische Entwicklung. Sie weisen Besonderheiten auf, die sowohl die Zufriedenheit der neuen und alten Eliten mit den Regierungen widerspiegeln als auch Versuche kennzeichnen, einen „humaneren Kapitalismus“ (z.B. Argentinien) oder „sozialeren Kapitalismus“ (Brasilien) zu gestalten.

Andererseits sind die Linksentwicklungen Ausdruck des wachsenden Widerstandes breiter Volksmassen und ihrer Unzufriedenheit mit den neoliberalen Verhältnissen und stellen einen neuen Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Modelle (u.a. Debatte „Sozialismus des XXI. Jahrhunderts“) dar. Sowohl die Wahlerfolge linksgerichteter Parteien wie der PT in Brasilien und der Frente Amplio in Uruguay wie auch die tiefer gehenden Entwicklungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador sind Ausdruck einer neuen politischen Situation. Hegemonieverhältnisse scheinen sich umzukehren. Die verfassungsgebenden Prozesse in diesen Ländern sind eine Hinwendung zu einer Demokratie von unten, in denen nicht mehr die alten herrschenden Kräfte den Ton angeben, sondern soziale Bewegungen (indigene, demokratische, Volkskräfte) sich als hegemoniale Akteure bewegen. Das geschieht in heftiger Auseinandersetzung mit alten Strukturen und Kräften. Insofern sind diese Prozesse nach vorne hin offen und reversibel. Dauerhaftigkeit und Überlebenschancen hängen von der Fähigkeit der neuen Akteure ab, sich in dieser Auseinandersetzung zu behaupten.

Die neue Situation in Lateinamerika wird aber ebenfalls von zunehmender politischer „Konkurrenz“ gekennzeichnet. Kuba ist nicht mehr alleiniger Bezugspunkt politischer Veränderungen. Präsident Hugo Chavéz diktiert mit seinen Ideen und Maßnahmen das politische Bild und die Tagesordnung Lateinamerikas. ( s. Vermittlerrolle Chavéz in Kolumbien). Die Reaktion anderer Staaten darauf ist zögerlich und zurückhaltend wie das Beispiel Brasiliens zeigt (u.a. kein Beitritt zur ALBA). Gleichzeitig agiert Brasilien gemeinsam mit Venezuela auf internationaler politischer Ebene vorwiegend im Gleichklang, was die Entwicklung der Süd-Südbeziehungen betrifft. Brasilien als regionale Macht wird im Verbund mit anderen Ländern Lateinamerikas zu einem „global player“, der sich selbstbewusst und zielstrebig der Entwicklung auf dem Kontinent und außerkontinentaler Beziehungen widmet (BRIC, WTO) und eigene Ziele in diesem Rahmen verfolgt. Genutzt wird die gegenwärtige Konjunktur der Nachfrage nach Rohstoffen, die den Ländern Spielräume für wirtschaftliche Entwicklung eröffnet. Nicht wenige Gegensätze existieren im Rahmen der WTO und Doha – Runde mit den Interessen der Industrieländer.

Die Beziehungen der USA zu einem Teil der Länder Lateinamerikas ist in eine Krise geraten. Sie haben ihre Beziehungen zu Lateinamerika in die generelle Zielstellung des Ausbaus ihrer Vormachtsstellung eingebaut und versuchen, ihre politischen Vorstellungen den Ländern aufzuzwingen. Dagegen entwickelte sich sowohl moderater wie auch radikaler Widerstand. Sie sind nicht mehr in der Lage, mit alten Methoden zu herrschen. Sie reagieren mit einem breitem Arsenal von Herrschaftsmethoden.
Die von der EU offerierte „Alternative“ stellt eine abgeschwächte Variante der amerikanischen Freihandelszone dar, was durch die in den Verhandlungen auftretenden Schwierigkeiten von einem Teil der lateinamerikanischen Länder mehr und mehr erkannt wurde. Die EU als politischer Akteur wirkt vor allem über die existierenden Wirtschaftsbeziehungen und versucht, ihre Position über bilaterale Abkommen und Verträge auszubauen.

Andere, außereuropäische Kräfte wurden in Lateinamerika tätig, die nicht nur wirtschaftlich Alternativen bieten, sondern auch in einigen politischen Fragen der Süd-Südkooperation mit lateinamerikanischen Positionen übereinstimmen.
Die geopolitische Situation Lateinamerikas hat sich zu Beginn des XXI. Jahrhunderts grundlegend verändert. Es beginnt, weltweit eine aktivere, unabhängigere Rolle zu spielen.