Publikation Krieg / Frieden - International / Transnational Warum eskaliert die Gewalt in Kenia?

Eine Analyse der politischen Krise nach den Wahlen von Claus-Dieter König.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Claus-Dieter König,

Erschienen

Februar 2008

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Die Wahl

Die Zeitungsmeldungen sind erschreckend: Seit der Wahl nun schon 500 Tote und 250000 Flüchtlinge. Menschen, die in eine Kirche geflüchtet waren, sind dort verbrannt worden. Die Polizei schießt auf Demonstranten.

Kenia hat am 27. Dezember gewählt, das Parlament und den Präsidenten in Direktwahl am selben Tag. Für das Amt des Präsidenten bewarb sich Raila Odinga gegen den Amtsinhaber Mwai Kibaki. Raila kandidierte für die Partei Orange Democratic Movement (ODM), Kibaki für die Party of National Unity, die er erst kurz vor der Wahl zusammengeführt hatte. Die Partei, die vor fünf Jahren hinter seiner Präsidentschaftskandidatur stand, war inzwischen zerfallen.

Nach der Wahl wurde ausgezählt. Alles deutete auf einen Sieg der ODM und ihres Kandidaten Raila Odinga hin. Die Parlamentsabgeordneten werden, wie in Großbritannien, direkt gewählt. Eine Verhältniswahl gibt es nicht. Wahlkreis für Wahlkreis fiel an die ODM, die jetzt mit 99 von 207 der Abgeordneten im Parlament Kenias vertreten ist. Die Partei Kibakis gewann lediglich 43 Sitze. Zusammen mit den der ODM nahe stehenden Abgeordneten kleinerer Parteien ergibt sich eine komfortable Mehrheit für die ODM im Parlament. Auch im Rennen um das Präsidentenamt lag Odinga vorn. Doch dann stockte das weitere Auszählverfahren. Beim Leiter der Wahlkommission gingen keine Zählmeldungen der Mitarbeiter in den Wahlkreisen mehr ein. Als nach einer längeren Pause weitere Wahlkreisergebnisse veröffentlicht wurden, staunten aufmerksame Beobachter nicht schlecht: das in Nairobi präsentierte Ergebnis unterschied sich oft substanziell von dem Ergebnis, das vor Ort im Wahlkreis verkündet worden war, nicht selten um mehr als 20000 Stimmen zugunsten von Mwai Kibaki. Kibaki fing Odinga auf der Schlussgeraden ab und gewann die Wahl um das Präsidentenamt mit 40400 Stimmen Vorsprung. Die Verkündung des offiziellen Ergebnisses und die noch am selben Tag stattgefundene Vereidigung Kibakis lösten die Unruhen aus.
 
Die Gewalt

Warum eskaliert die Gewalt? Weil in Kenia die Politik die verschiedenen Ethnien in den Konflikt gegeneinander treibt. Ethnische Gewalt ist ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts und es versteht sie falsch, wer sie als altertümliche Stammeskonflikte abtut. Die politische Kultur, geformt durch die Wahlkämpfe konkurrierender Politiker, trägt maßgeblich dazu bei, dass ethnische Unterschiede zur Begründung von Gewalt werden.
In schwächerer Form kennen wir das gleiche Phänomen aus Deutschland: Politiker hetzen im Rahmen von Wahlkämpfen gegen eine Bevölkerungsgruppe, z.B. jüngst Roland Koch im hessischen Landtagswahlkampf. Das heizt dann die rassistische Gewalt gegen Ausländer an.

In Kenia allerdings ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Politiker, politische Koalitionen werden als Koalitionen der wichtigsten Ethnien gedacht. Der Luo Odinga tritt gegen den Kikuyu Kibaki an. Zudem hat Odinga hat es geschafft, mit den politischen Führungspersonen kleinerer Ethnien eine breite Koalition gegen die Kikuyu und Kibaki aufzustellen.

Dort, wo jetzt die Gewalt am schärfsten zu Tage tritt, im Rift Valley, hat Odinga mit seinem engen Vertrauten William Ruto besonders erfolgreich die Minderheitenethnien hinter sich geschart: In diesem Gebite kann man auch geschichtlich nachvollziehen, dass hinter den ethnischen Konflikten handfeste materielle Konflikte um Landbesitz stehen. Während der Kolonialzeit war das Rift Valley das Hauptgebiet der des Siedlungskolonialismus. Hier sind die großen Farmen, die früher den kolonialen Siedlern gehörten, und die sich heute nicht selten Politiker widerrechtlich angeeignet haben. Eine nennenswerte Landreform hat es nach dem Ende der Kolonialzeit nicht gegeben. Land wurde verkauft, Kaufkraft hatten die Kikuyu aus Nairobi und Umgebung. Die im Rift Valley die Mehrheit stellenden Ethnien wie die Kelenjin, die national aber in der Minderheit sind, waren weniger wohlhabend und sahen sich betrogen um Land, das nach ihrer Vorstellung ihnen gehören sollte.

Dieser Landkonflikt schwelt bis heute im Rift Valley und ist eine Hauptursache der in dieser Region besonders eskalierenden ethnischen Konflikte. In den neunziger Jahren hat der langjährige Diktator und Präsident Daniel arap Moi diese Konflikte durch seine politischen Interessen besonders verschärft. Er gehört den Kalenjin an und mobilisierte die Rift-Valley-Ethnien gegen die Kikuyu, woraufhin es zu gewaltsamen Landvertreibungen kam. In einem Mehrheitswahlrecht lässt sich ein Wahlkreis einfach gewinnen, indem man die WählerInnen des politischen Gegners vertreibt. Die Akteure, die gewalttätig vertreiben, interessiert sich dabei allerdings weniger das Wahlergebnis als das Land. Politiker verleihen der Landvertreibung Legitimität, wenn sie in ihren Reden behaupten, dass die anderen das Land nicht rechtmäßig besäßen und in dieser Region keine traditionellen Rechte besäßen. Diese Methode haben beide Präsidentschaftskandidaten auch im Vorfeld dieser Wahlen angewandt.
 
Die Zukunft

Kenia ist politisch ein „Winner-takes-it-all-System“, man gewinnt oder verliert alles. Die politische Macht des Präsidenten ist deutlich größer als etwa die der deutschen Kanzlerin. Das Kabinett ist relativ unbedeutend gegenüber dem Präsidialamt (Office of the President), das faktisch ein Superministerium ist, in dem die Fäden der Macht zusammen laufen. Das nationale Parlament ist schwach. Da das Präsidialamt auch die regionalen und lokalen Verwaltungen stellt, ist der parlamentarische Einfluss auf diesen Ebenen gering.

2005 scheiterte eine Verfassungsreform, weil der letztlich vorgelegte Verfassungsentwurf die Stellung des Präsidenten nicht abschwächte. Die Bevölkerung lehnte diese Verfassung ab. Langfristig wäre eine andere Verfassung allerdings ein notwendiges Element einer politischen Lösung für Kenia. Und eine Bevölkerung, die ihre Rechte als soziale Rechte und nicht als ethnische Rechte von den Politikern einfordert. In dieser Angelegenheit ist die kenianische Bevölkerung in den letzten 15 Jahren schon einen gehörigen Schritt weiter gekommen. Politische Bildung und Interessenorganisation sind der Schlüssel zum Entstehung einer differenzierten Zivilgesellschaft, die als Basis für eine funktionierende Demokratie notwendig ist.

Seitens Europas wird jetzt zwar politischer Druck auf die Konfliktparteien ausgeübt, der Spielraum für dauerhafte politische Lösungen wird durch das Handeln der europäischen Staaten jedoch  eingeengt. Denn mit den Economic Partnership Agreements, dem Drängen auf Handelsliberalisierung, wird Armut in Kenia verschärft. Die Liberalisierung des Handels, die Kenia 1993 vornahm, führte dann auch bis 1997 zu einem Rückgang der industriellen Produktion. Das weitere Öffnen der Märkte gegenüber subventionierten landwirtschaftlichen Produkten aus der EU wird ländliche Armut noch verschärfen, da die Kleinbauern nicht mit den Importen konkurrieren können.

Wie weiter 2008?

Beim Verfassen dieses Artikels steht das Treffen der Gruppe afrikanischer Persönlichkeiten um den ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan mit den Konfliktparteien in Kenia noch aus. Zuvor hat Kibaki noch einmal den Konflikt eskaliert, indem er Schlüsselpositionen seines Kabinetts besetzte. So verschließt er sich einer Kompromisslösung. Zu hoffen ist, dass in den nächsten Tagen eine Vermittlungslösung gefunden wird. So wäre eine Übergangsregierung, die baldige Neuwahlen ansetzt, eine mögliche Lösung.

Wird keine Lösung gefunden, kann sich der Konflikt auch verschärfen. Odinga hat für die nächste Woche zu Massendemonstrationen in fünfzehn Städten aufgerufen, sollte sich bei den Verhandlungen kein Fortschritt ergeben. Diese können gewaltfrei verlaufen, wenn die Polizei ihrerseits keine Gewalt anwendet. Es ist aber durchaus auch möglich, dass Odinga und sein Partner Ruto im Rift Valley die Gewalt wieder anheizen, denn dort schwelt sie auch momentan weiter.

 

Claus-Dieter König ist Mitglied der Jenny-Marx-Gesellschaft. Er hat über Zivilgesellschaft und politische Macht in Kenia promoviert und arbeitet mit NGOs in Kenia zusammen. Diesen Text verfasste er als Praktikumsbericht für den Kurs »Politikmanagement« der RLS, an dem er momentan teilnimmt.