Zum mittlerweile 7. Werkstattgespräch des Kurt-Eisner-Vereins hatte dieser am 3.06. zwei Referenten einer der verdienstvollsten Initiativen in München eingeladen. Markus und Tobias von der antifaschistischen informations-, dokumentations-, und archivstelle München e.V., besser unter der Abkürzung aida-archiv bekannt, sollten ihre Arbeit und aktuelle Tendenzen in der extremen Rechten in Bayern darstellen.
aida-Archiv – Der Verein
Angesichts der Leistungen, die das aida-archiv für die antifaschistische Arbeit bislang erbracht hat, fiel die Selbstvorstellung ungewöhnlich bescheiden aus. Sie erfolgte durch einen fünfminütigen Film, der anlässlich der Verleihung des Preises „Münchner Lichtblicke“ gedreht wurde. Der Preis wird vom Verein Lichterkette e.V., dem Münchner Ausländerbeirat und der Landeshauptstadt alljährlich für besondere Verdienste um ein friedliches Zusammenleben in der Stadt verliehen.
Gegründet 1990 im Zuge des sich im Zusammenhang mit der Wende anbahnenden Wiedererstarken faschistischen Gedankengutes, sieht es der Verein v.a. als seine Aufgabe Hintergrundinformationen zu den agierenden Personen, Organisationen und Entwicklungen am rechten Rand zu recherchieren und dokumentieren. Hierfür sei die Mithilfe jedes Einzelnen notwendig. Auch scheinbar unbedeutende Dokumente, wie ein Nazi-Aufkleber, könnten helfen, neue Tendenzen in der rechtsextremen Theorie und Propaganda zu erkennen. So sei es nur durch Informationen einzelner Bürger gelungen, einer Naziband deren Übungsraum in München-Allach zu entziehen.
Die gewonnen Informationen werden Schulinitiativen, Jugendinstitutionen und sonstigen Multiplikatoren zur Verfügung gestellt. Besondere Aufmerksamkeit erlangte diese Tätigkeit im Zusammenhang mit dem geplanten Bombenanschlag auf die Eröffnungsfeier des Neubaus der Münchner Synagoge, der damals bundesweit durch die Schlagzeilen ging. Hier sei es gelungen die Presse mit Bildmaterial und Hintergrundwissen zu versorgen.
Bayerische Zustände – Unangenehme wissenschaftliche Studien
Wie wichtig die Arbeit des Archivs ist, wurde im Folgenden, mit Bildmaterial und Originaldokumenten untermauerten Referat deutlich, das die Planungen der NPD zum bevorstehenden Landtagswahlkampf skizzierte.
Im Gegensatz zu den vorangegangen Wahlkämpfen in Hessen und Niedersachsen, für die die NPD jeweils nur wenige Tausend Euro zur Verfügung stellte, sieht sie in Bayern eine reale Chance in den Landtag einzuziehen und hat daher Bayern zum Schwerpunktwahlkampf erklärt. Ihre Hoffnung kann die NPD dabei nicht nur historisch begründen, schließlich gelang ihr hier bereits 1966 mit einem Wahlergebnis von 7,4 % und dem damit erreichten Einzug eines der besten und mittlerweile fast in Vergessenheit geratenen Ergebnisse der faschistischen Bewegung in der alten BRD. Auch neuere, beunruhigende Studien belegen wissenschaftlich, dass rechtsextremes Gedankengut in Bayern auf besonders gut gedüngten Boden fällt. Sowohl die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitete und unter dem Titel „Vom Rand zur Mitte“ publizierte Arbeit von Oliver Decker und Elmar Brähler wie auch das im Suhrkamp-Verlag in der Reihe „Deutsche Zustände“ veröffentlichte Werk von Wilhelm Heitmeyer stellen eine unerwartet hohe Zustimmung zu typisch rechtsextremen Aussagen fest. So findet etwa die Behauptung „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“ bundesweit eine Akzeptanz von ca. 60%. Bemerkenswert für Bayern ist insbesondere die Häufung von Menschen mit geschlossen rechtsextremen Weltbild. Um ein solches anzunehmen mussten die Teilnehmer einer der Studie bei allen Indikatoren, worunter etwa auch das Bedürfnis, nach einer starken politischen Führerfigur fiel, jeweils den Höchstwert erreicht haben. Da die Befragungen in Form von Interviews durchgeführt wurden, konnte die Herkunft der Beteiligten ermittelt werden, wobei 800 Befragte aus Bayern kamen. Für sämtliche Bundesländer wurde auf eine repräsentative Auswahl geachtet, so dass mit der Zahl von 14,3 % Befragten mit geschlossen rechtsextremen Weltbild in Bayern gegenüber 8,6 % im Bundesgebiet ein tatsächliches Gefälle als erwiesen gelten kann. Lediglich einige ostsächsischen Provinzen hätten vergleichbare Ergebnisse erzielt. Ein Unterschied zu rechtsextremistischen Einstellungen im Osten, die wesentlich durch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geprägt seien, liegt jedoch im in Bayern deutlich stärker vorhandenem Antisemitismus. Es sei daher damit zu rechnen, dass die NPD hier einen Schwerpunkt auf antijüdische Hetze legen werde. Ansätze hierfür bestehen in der seit geraumer Zeit bestehenden Bezugnahme auf Befreiungsbewegungen im nahen Osten, etwa durch das Mitführen palästinensischer Fahnen auf Nazi-Demos, wie auch im Aufrechterhalten und Entwickeln typisch antisemitischer Verschwörungstheorien. So wurde etwa verbreitet, der Anschlag auf den Synagogenbau in München sei durch den damaligen Innenminister Beckstein selbst geplant worden, um von anderen Problemen abzulenken.
Der positive Bezug auf arabische Bewegungen, der auch in einer plakativen Unterstützung des iranischen Staatschefs Ahmadinedschad aufgrund dessen Holocaust-Leugnung und atomaren Bedrohung Israels zum Ausdruck kommt, wird die Nazis jedoch nicht hindern, auch weiterhin antiislamische Ressentiments zu nutzen und zu fördern. So wurden Flugblätter gegen den Moscheebau in München-Sendling mit Ausnahme des Ortsnamens unverändert bei vergleichbaren Projekten in Baden-Württemberg verwendet.
NPD sieht Zerfall des etablierten Parteiensystems als Chance
Bei Betrachtung der Studien fällt auf, dass bisherige Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien das tatsächlich vorhandene Potential, von Ausnahmen abgesehen, nie ausschöpfen konnten. Ein weiterer Grund für die NPD gerade in Bayern Hoffnung zu schöpfen liegt daher darin, dass sie in der vermeintlichen Krise der CSU eine Chance für sich wittert. Die CSU, der es bislang schließlich immer gelungen ist, äußerst rechte Potentiale zu binden, hat jedoch nicht nur durch eigene Zerfallsprozesse der NPD Auftrieb gegeben. Ihre rassistische Kampagne im Kommunalwahlkampf, in welcher sie den Angriff zweier Jugendlicher auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn, zur Stimmungsmache gegen Ausländer nutzte und den Startschuss für eine vergleichbare Hetze Roland Kochs in Hessen gab, hat den Einzug einer NPD-Tarnliste in den Münchner Stadtrat erst ermöglicht. Durch diese Kampagne wurde verdeckte Ressentiments hoffähig gemacht und die Unterschrift für die Faschisten von der Autorität der staatstragenden Partei in Bayern gedeckt. Der Kommunalwahlkampf der Rechtsextremen lehnte sich an die vorgegebene Stimmung durch einen ausgesprochen aggressiv-fremdenfeindlichen Wahlkampf an. So wurde auf Plakaten offen, mit der Parole „Kriminelle Ausländer raus“ vor dem Hintergrund eine Gruppe ausländischer Jugendlicher geworben.
Dass eben dies erfolgreich war, veranlasst die NPD diesen Stil auch im Landtagswahlkampf fortzusetzen, so dass mit einer unverblümt vorgetragenen ausländerfeindlichen Hetzte zu rechnen ist. Dafür spricht auch, dass der, durch diesen aggressiven Wahlkampf in den Stadtrat geschwappte Karl Richter, als Spitzenkandidat zumindest für Oberbayern vorgesehen ist.
Allerdings zeigen die Studien sehr deutlich, dass nicht nur das konservative Lager Potential für die Faschisten bereit hält. Vielmehr verteilten sich die Werte rechtsextremer Positionen fast gleichmäßig über die Wähler aller Parteien. Lediglich die Grünen verzeichneten bundesweit einen unterdurchschnittlichen Wert, für Bayern gilt dies für die FDP. Als besondere Herausforderungen wird von den Nazis der Erfolg der Partei Die LINKE gesehen, wobei sie davon ausgeht, dass es in den Überzeugungen der Wähler Berührungspunkte gibt. Mit bereits gedrucktem Infomaterial der NPD konnte gezeigt werden, dass die NPD mit sozialen Forderungen gezielt auch von der LINKEN Stimmen abwerben will. Ist die Parole „Sozial geht nur national“ als solche noch recht eindeutig zu identifizieren, dürfte manchem bei Forderungen nach Abschaffung der Leiharbeit eine Unterscheidung schwer fallen. Daneben ist auch mit Versuchen zu rechnen, die Friedensfrage in nationalistischer Hinsicht umzudrehen und durch antiamerikanische Propaganda Schnittpunkte herzustellen. So gab es bei den Nazis u.a. Diskussionen, sich am Erdinger Friedensmarsch zu beteiligen sowie Versuche, sich in die Bewegung gegen den Truppenübungsplatz in Grafenwöhr einzureihen, wobei durch die Forderung „fremde Truppen raus“ der Zusammenhang zur faschistischen Ideologie gebildet wird. Ein weiterer Anknüpfungspunkt findet sich, fast schon traditionell, in der Globalisierungskritik. Hier hat die NPD mit dem Slogan „Global dient dem Kapital“, eine geschickte Formulierung gefunden. Besonders beunruhigend in diesem Zusammenhang sind Planungen der NPD, auf eigene Veranstaltungen weitgehend zu verzichten und ihre Akteure auf Veranstaltungen der politischen Gegner zu schicken. Ob alle KandidatInnen, auch die der LINKEN theoretisch und praktisch hinreichend ausgebildet sind, um derartige Angriffe früh zu erkennen und abwehren zu können, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Jedenfalls stellt das Aida-Archiv auf seiner Website einen Leitfaden zum Umgang mit rechtsextremistischen Provokateuren zur Verfügung.
Praktisch gut aufgestellt
Neben den geschilderten guten ideologischen Bedingungen, ist die NPD in Bayern leider wohl auch praktisch gut aufgestellt. So bildet Bayern den größten Landesverband innerhalb der Partei. Es ist der NPD problemlos gelungen, in allen 91 Wahlkreisen Direktkandidaten aufzustellen. Kämpfe zwischen der Partei und den sich Umfeld bewegenden freien Kameradschaften wie sie aus anderen Bundesländern bekannt sind, gibt es so gut wie gar nicht und auch finanziell steht der Landesverband im Gegensatz zu anderen gesichert da. Lediglich die vor allem aus den östlichen Bundesländern bekannte Taktik, sich durch Kinder-, und Familienfeste einen bürgerlichen Anstrich zu geben, steckt in Bayern noch in den Kinderschuhen, auch wenn Ansätze vorhanden sind.
Kein Geheimnis ist, dass es den Nazis auch gelungen ist, sich hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes zu flexibilisieren. Auch in Bayern seien Nazi-Skinheads mittlerweile die Ausnahme. Vielmehr kopieren die Kameradschaften Elemente der Jugendkultur, wie sie von linken Autonomen geprägt wurden. So lassen sich bei Nazi-Aufmärschen nicht nur schwarze Kapuzenpullis, sondern auch Che-T-Shirts finden. Allgemein ist zu beobachten, dass die Nazis in ihr Auftreten aufnehmen, was nur irgendwie werbend wirkt. Mittlerweile gibt es nicht nur altbekannte Schmierereien an Wänden, vielmehr wird auch die Graffiti-Kultur vereinnahmt.
Persönliche Einschüchterung als politische Strategie
Wie sehr die NPD sich in die Tradition des historischen Nationalsozialismus stellt, wird nicht nur an der Verwendung des Begriffs „nationaler Sozialismus“ auf T-Shirts und Transparenten deutlich, sondern vielmehr auch in der historisch überkommenen Taktik der persönlichen Einschüchterung und des direkten Angriffs auf politische Gegner. So wurde eine Kundgebung abgehalten, die sich gegen die Person des Münchner Vorsitzenden des Kreisjugendrings richtete. Kann man diese noch als Misserfolg bezeichnen, da sie mit geringer Beteiligung und weitgehend ohne äußere Wahrnehmung ablief, steht nun anderes zu befürchten.
Für den 13.06. hat die NPD eine Kundgebung gegen eine Veranstaltung des aida-archivs im Kafe Marat unter dem Slogan „aida-Archiv verbieten“, unmittelbar vor dem Veranstaltungsort angekündigt um damit gleichzeitig zwei Institutionen fortschrittlicher Selbstorganisation anzugreifen (siehe Seite auch 1). Nicht nur aus diesem Anlass verdient das aida-archiv die vollste Unterstützung jeder Demokratin und jedes Demokraten.
J.K.