Dieser Tag würde die Welt verändern, hieß es nach dem 11. September 2001. Vor ein paar Tagen begegnete uns dieser Satz erneut, geäußert von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in der Regierungserklärung zur Finanzkrise in den USA. Der Dollar, so Steinbrück, würde seinen Status als unangefochtene Leitwährung verlieren.
Jedoch geht es für die Bundesregierung diesmal nicht um „uneingeschränkte Solidarität“. Eine Regierung, die sonst nicht müde wird, auf die globalen Verflechtungen der Finanzmärkte hinzuweisen, ließ über ihren Bundeswirtschaftminister Glos verkünden, „jeder möge vor seiner Tür kehren“. Steinbrück nutzte die Regierungserklärung für Systemkritik an den USA und ein Lob des deutschen Universalbankensystem. Der Finanzminister hat mit seinem Satz Fluchthilfe aus dem Dollar geleistet. Er hat jedoch nicht beantwortet, was dies für die Euro-Zone bedeutet.
Hypo Real Estate – Too big to pay?
Nur wenige Tage später holte ihn die Wirklichkeit ein. Vor Eröffnung des Börsenhandels unterrichtete der Finanzminister die Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag über die drohende Zahlungsunfähigkeit des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE) bzw. dessen irischer Tochter DEPFA. Er warb für die Zustimmung zu einem (zu diesem Zeitpunkt) 35 Mrd. Euro teuren Rettungspaket[i].
Die Rettungsaktion sei eine „nationale Aufgabe“, da die Gläubiger der Hypo Real Estate staatsnah sind. Wenige Tage zuvor hatten die übrigen Fraktionen einen Antrag der Linken für die Einrichtung eines Sicherungsfonds unter Beteiligung des privaten Bankensektors im Finanzausschuss mit dem Hinweis abgelehnt, der bestehende Einlagensicherungsfonds sei völlig ausreichend um Liquiditätsprobleme abzufangen.
Das Modell der LINKEN
Die LINKE beabsichtigt die Privatisierung der Gewinne bei Verstaatlichung der Verluste abzuwenden. Ein Sicherungsfond solle mit Hilfe einer Sonderabgabe deutscher Banken die „faulen Eier“ (z.B. Wertpapiere) mit einem angemessenen Abschlag übernehmen und im Gegenzug Liquidität gewähren. Sobald die betroffenen Kreditinstitute wieder Gewinne erwirtschaften, müssen sie ihre Werte zurück erwerben und die übrigen Banken für ihre Sonderabgabe entschädigen.
Eine Alternative kann auch in der unmittelbaren Verstaatlichung durch den Erwerb von Aktien liegen, wie sie in den USA praktiziert wird. Dort ist sogar beabsichtigt den Präsidenten zu ermächtigen, eventuelle Verluste aus einem späteren Verkauf der Wertpapiere über eine Sonderabgabe zu repatriieren (Troost 2008: 3). Der New Yorker Finanzkrisen-Experte Nouriel Roubini fordert darüber hinaus die Unterlegung von Hedge- und Private Equity-Fonds mit den Baseler Eigenkapitalrichtlinien sowie konjunkturstützende Maßnahmen der EZB („Der Anfang vom Ende des US-Imperiums“ 2008: 7). Beide Vorschläge greift auch der kurzfristige Forderungskatalog der Linken auf[ii].
Das Modell Steinbrück – Wall Street statt Main Street
Die Antwort des Finanzministers auf die Krise sieht anders aus. Die Hypo Real Estate soll liquidiert und in eine Zweckgesellschaft überführt werden. Der Staat bürgt für die Wertpapiere und verschafft ihnen auf diese Weise das benötigte Triple A - Rating. Sie werden notenbankfähig und die Zentralbank sorgt für die benötigte Liquidität. Die Papiere können dann zukünftig zu vernünftigen Marktbedingungen wieder veräußert und die Zweckgesellschaft liquidiert werden.
Die eingesetzten Steuermittel seien hinreichend geschützt, da es sich im Prinzip um erstklassige Wertpapiere handle, so die Argumentation des Finanzministeriums. Dessen Staatssekretär Asmussen betonte jedoch, der Bankensektor sei im Unterschied zum Staat nicht in der Lage, im größeren Umfang für die Hypo Real Estate zu bürgen, da er sich ansonsten der Untreue schuldig mache. Dabei bleibt es ein Rätsel, wieso die irische DEPFA sich mit einer solch erstklassigen Gläubigerstruktur nicht direkt bei der EZB Liquidität verschaffen kann. Mittlerweile hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) auch wieder dementiert, dass Hypo Real Estate liquidiert werden soll.
Der wesentliche Unterschied zum Modell der Linken besteht also in der völlig unzureichenden Beteiligung des privaten Bankensektors.
Bemerkenswert sind am Modell Steinbrück fünf Dinge:
- Erstens ist es erstaunlich, wie die selbsternannten Staatssanierer über Nacht ein Prozent des Sozialprodukts aufbringen, um die Fieberkurve des Finanzsystems zu drücken. Beim maroden Bildungssystem oder der Bekämpfung der Kinderarmut kommt hingegen niemand auf die Idee, es handle um eine nationale Aufgabe.
- Zweitens soll der Staat Risiken abdecken, ohne jedoch im nennenswerten Umfang an Entscheidungen über das Unternehmen beteiligt zu werden. Es ist nicht nachzuvollziehen, wieso die kollektiven Versager der Finanzbranche besser geeignet sein sollen das Geschäft zu beaufsichtigen als Staatsbeamten. Oder mit den Worten Lafontaines: „Man beauftragt den Chef eines Drogenhändlerrings mit der Rauschgiftbekämpfung“.
- Drittens ist nicht nachzuvollziehen, warum der private Bankensektor nicht stärker an der Finanzierung beteiligt werden kann. Vor der Krise hieß es, der Staat sei den Kapitalmärkten hilflos ausgeliefert. Jetzt brauchen die Kapitalmärkte den Staat. Die einzige Rechtfertigung dass der Staat den privaten Bankensektor nicht stärker zur Kasse bittet wäre, dass dieser unmittelbar vor dem Kollaps steht. Dies würde aber eine Verstaatlichung des Sektors notwendig machen.
- Viertens fehlt jeder Plan für eine zukünftige Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Transparenz kann Marktversagen aufdecken, aber nicht verhindern. Die Standards zur Behandlung außerbilanzieller Aktivitäten (Hedge Fonds etc.) sollen lediglich „gestärkt“ werden.
- Fünftens fehlt jede Perspektive, die realwirtschaftlichen Ursachen der Krise unterhalb des Schleiers der Finanzmärkte anzugehen. Die Bundesregierung verweigert sich sowohl einem europäischen Konjunkturprogramm wie auch einer Stärkung des Binnenmarktes.
Nach dem Dollar - Die realwirtschaftlichen Ursachen der Krise
Der Finanzkrise in den USA und Europa gingen deutlich eingetrübte Konjunkturerwartungen voraus. Die USA waren schlichtweg überfordert, angesichts der massiven globalen Handelsbilanzungleichgewichte und des „militärischen Engagements“ weiterhin ihrer Rolle als globale Wachstumsmaschine gerecht zu werden. Die EU und die EZB haben bislang nicht erkennen lassen, dass sie diese Verantwortung in Zukunft übernehmen wollen.
Das Leitwährungsland genießt das Privileg, sich in eigener Währung verschulden zu können. Da die Leitwährung eine bedeutende Rolle bei Handel- und Rohstoffgeschäften spielt, richten die wichtigsten Zentralbanken ihre Wechselkurspolitik danach aus. Daher kann ein Leitwährungsland Inflation exportieren. Die USA haben diesen Umstand lange dafür genutzt, eine aktive Konjunkturpolitik zu betreiben. Ein Leitwährungsland trägt aber auch Verantwortung: Seine Aufgabe ist als „lender of last resort“ das globale Finanzsystem mit Liquidität zu versorgen. Die EZB hat sich bislang (ganz nach dem Vorbild der Bundesbank) geweigert, Verantwortung für das eigene sowie das globale Wachstum zu übernehmen.
Die USA haben nach dem 2. Weltkrieg den ökonomischen Aufstieg Japans und Deutschlands über den Welthandel ermöglicht. Dies hatte im Kalten Krieg zunächst politische Gründe. Der Vietnam-Krieg, die OPEC-Krise und der ökonomische Aufstieg der Wettbewerber bedrohte die Stellung der USA im internationalen Handelssystem. Luft zum Atmen verschaffte in dieser Situation die Aufgabe des Systems fester Wechselkurse und die folgende Abwertung des Dollars. In Zukunft sollte der überragende Finanzsektor der USA deren Privilegien auch unter den Bedingungen freier Märkte sichern.
Die FED unterlegte diesen Anspruch mit dem monetaristischen Experiment des FED-Chairman Paul Volcker und bezahlten dies mit einem Wachstumseinbruch. Da die japanische und die deutsche Zentralbank an ihrem aggressiven Wettbewerbsnationalismus festhielten, wurde die FED ihre globale Verantwortung nicht los. Das Plaza und das Louvre-Abkommen waren zaghafte Versuche, politische Wechselkurse gegen die Märkte festzulegen.
Wenn Steinbrück jetzt den USA in der Finanzkrise Lektionen erteilt, macht er den Bock zum Gärtner. Die Bundesregierung war shareholder in der Liberalisierung der Kapitalmärkte. Schwerer aber wiegt, dass sie in der Vergangenheit jede Verantwortung für das globale Wachstum abgelehnt und den Dollar über aggressiven Wettbewerbsnationalismus in die Knie gezwungen hat.
Die Ursachen der Finanzkrise liegen tatsächlich in der Realwirtschaft. Als die dot.com Blase platzte, flüchtete das Kapital in Hypotheken. Als die Immobilienblase platzte, waren die Rohstoffmärkte und damit die Achillesferse der Weltwirtschaft an der Reihe. Der Flucht ging aber jedes Mal ein ganz realer Abschwung voraus. In den USA brach vor der Finanzmarktkrise der Umsatz des Automobilsektors ein und der Rückgang des Ifo-Geschäftsklimaindex in Deutschland spiegelte die Zukunftserwartungen der Unternehmen noch vor der Panik an der Wall Street wieder.
Nach dem 11. September 2001 hieß es, die Welt würde nie wieder sein wie zuvor. Seitdem führt Deutschland Krieg. Wer nicht will, dass sich die Farce des Dollars in Euro wiederholt, muss ein globales Finanzsystem ohne Leitwährung und Wirtschaftskrieg wollen. Ein erster Schritt wären Wechselkurszielzonen, eine globale Zentralbank zur Verwaltung der Devisenreserven und Sanktionen gegen Exportweltmeister. Die Idee einer International Clearing Union stammt aus den 1940er Jahren. Sie ist aktueller als alles, was Peer Steinbrück im Jahr 2008 zur Welt nach dem Dollar zu sagen hatte.
Fabio De Masi, Diplom-Volkswirt und Masters Candidate in Internationalen Beziehungen ist Alumni des Studienwerkes der Rosa Luxemburg Stiftung.
Quellen:
„Der Anfang vom Ende des US-Imperiums“ (2008), Tagesspiegel Nr. 20 039 (28. September 2008), S. 7.
Troost, A. (2008) ‚Hintergrund, Positionierung und Fragen zur Rettungsaktion der Hypo Real Estate (HRE) und zu staatlichen Rettungsaktionen allgemein’, RLS Standpunkte No. 21, S. 1-3.
[i] Der Beitrag des privaten Bankensektors an der Rettungsaktion beschränkt sich nach den Plänen der Bundesregierung auf 15 Mrd. €. Bei einem Zahlungsausfall haften für die ersten 14 Mrd. € zu 40 Prozent beteiligte Privatbanken, zu 60 Prozent der Staat. Die restlichen 21 Mrd. € sind volles staatliches Risiko (Steuerausfälle durch Abschreibungen der Banken nicht berücksichtigt) (Troost 2008: 1).
[ii] Die Finanzmarktkrise und der drohende wirtschaftliche Abschwung in Deutschland - Argumente und Forderungen, 30.9.2008 (http://www.axel-troost.de/serveDocument.php?id=772&file=1/1/6c1.pdf)