Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Globalisierung - Kapitalismusanalyse Bretton Woods II fand nicht statt.

Von einer Neuordnung der Weltfinanzmärkte war das Washingtoner G20-Treffen weit entfernt. Kommentar von Mario Candeias

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Mario Candeias,

Erschienen

Dezember 2008

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Die Ausgangssituation war widersprüchlich: Die Tiefe der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre inzwischen globalen Folgen machten internationale Maßnahmen unumgänglich. Als Hauptverursacher der Krise hatten jedoch die USA im Besonderen und die G7/G8 im Weiteren ihre Legitimation in diesen Fragen verloren. Für die Schaffung einer neuen globalen Finanzarchitektur musste der Kreis der Beteiligten erweitert werden.

Der scheidende US-Präsident George Bush lud daher die G20 zum Treffen nach Washington ein: zu dieser Staatengruppe gehören Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, die Türkei und die USA. Auch wenn es der G20 nach wie vor an einer demokratischen Legitimation, etwa durch die UNO, fehlt, ist dies gegenüber der kleinen Gruppe der G7/G8 doch ein erheblicher Fortschritt: immerhin stellen die G20 nicht nur fast 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, sondern vor allem 63 Prozent der Weltbevölkerung und ca. 50 Prozent der Armen dieser Welt, schließen ehemalige Kolonien ein oder auch ein Land wie Südafrika, dass noch vor zehn Jahren unter der Apartheid litt.

IWF-Chef Strauss-Kahn und der britischen Premier Brown riefen das historische Treffen im Vorfeld dann auch als »Bretton Woods II« aus. Die Ergebnisse des Gipfels lassen daran zweifeln. Bislang ist noch kein Kompromiss erkennbar, der eine wirkliche Neuorganisierung der Weltfinanzmärkte erahnen ließe. Klar scheint, dass die USA nach diesem Debakel nicht mehr länger allein die Regeln des »Spiels« dominieren können. Ökonomisch wird sich das Modell hoher Konsumraten, auf Pump finanziert durch massive Kapitalimporte aus aller Welt, nicht restaurieren lassen. Der »Washington Consensus« für freien Kapitalverkehr nach US-Vorbild ist diskreditiert. Die Europäer wiederum sind sich uneinig: Vor allem die Deutschen bleiben immer noch weitgehend den neoliberalen Vorstellungen verhaftet, während die Franzosen für autoritäre Staatseingriffe plädieren. Darüber hinaus werden nun die neuen kapitalistischen Zentren China, Indien, Brasilien und die arabischen Öl-Staaten ein Wort mitreden - sie alle plädieren auf unterschiedliche Art für offene, aber kontrollierte Finanzmärkte.Mit ihrer offiziellen Einbeziehung erkennt der Westen endlich die veränderten ökonomischen und politischen Machtverhältnisse in der Welt an.

Ansonsten sind die »Beschlüsse« des Treffens bescheiden: Noch bevor ernsthafte Maßnahmen gegen die Krise ergriffen werden können, legt die G20 eine »Verpflichtung auf die Grundsätze des freien Marktes« ab und warnt vor »Überregulierung«. Eine Analyse und Anerkennung der Krisenhaftigkeit der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftsordnung fehlt dagegen. Stattdessen wird auf einen schnellen Abschluss der WTO-Doha-Runde zur weiteren Handelsliberalisierung gedrängt und ein »Verzicht auf Protektionismus« unterstrichen. Abgesehen davon bleibt es bei Appellen an eine »Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit« nationaler Aufsichtbehörden, einer folgenlosen Befürwortung freiwilliger »fiskalischer Maßnahmen zur raschen Stimulierung der Binnennachfrage« und einer Absichterklärung zur »Unterstützung« des Wachstums in den so genannten Entwicklungsländern. Letzteres soll durch eine bessere Mittelausstattung der multilateralen Entwicklungsbanken (MDB) erfolgen.

Alle darüber hinausgehenden Maßnahmen sind lediglich »Prüfaufträge«: Diskutiert werden Änderungen der Bilanzierungsregeln, Stärkung der Einlagensicherungsfonds, Erhöhung der Eigenkapitalvorschriften und des so genannten Selbstbehaltes bei der Verbriefung von Krediten, Verbesserung der Transparenz, Prüfung der Regulierung des außerbörslichen Geschäfts mit Kreditderivaten, Überprüfung von Abfindungspraktiken und Bonussystemen bei Managern, strengere Regeln für Ratingagenturen und Finanzinnovationen, schärfere Kontrollen von Off-Shore-Zentren usw. Es bleibt abzuwarten, was davon beim Folgetreffen am 31. März 2008 tatsächlich in Angriff genommen wird.

Private-Equity- und Hedgefonds werden lediglich zur Selbstkontrolle aufgerufen in Form der »Entwicklung von einheitlichen empfohlenen Verfahrensweisen« – eine Regulierung soll hier offenbar vorerst vermieden werden. Deutlich wird, dass eine grundsätzliche Neuausrichtung der Finanzmärkte – weg von reinen Finanzgeschäften (finanzieller und fiktiver Akkumulation) hin zur Finanzierung produktiver Investitionen in Projekte ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit – nicht beabsichtigt wird. Wesentliche Bereiche wie die Spekulation mit Währungen, Nahrungsmitteln und Rohstoffen werden nicht thematisiert. Auch Maßnahmen oder Empfehlungen im Bereich der Corporate Governance (Unternehmensführung), der Sicherung sozialer Infrastrukturen (etwa im Bereich der Ernährung, Renten- und Gesundheitssysteme) und der Rechte von Beschäftigten, Bauern und Natur bleiben außen vor. Lediglich die Milleniumsziele zur Bekämpfung von Hunger, Armut, Krankheit und Bildungsarmut bis 2015 wurden noch einmal bekräftigt.  Deren voraussichtliche Verfehlung musste die UNO jedoch bereits konstatieren.

Besonders problematisch ist, dass über die Reaktionen auf die Krise erneut nur die Mächtigen entscheiden werden – also die Finanzminister und -beamten, die hochrangigen Banker und Ökonomen, die das Debakel zuvor verursacht haben. Weder werden die von der Krise besonders betroffenen ärmeren und kleineren Länder einbezogen, noch die internationale Zivilgesellschaft oder die internationalen Organisationen der Gewerkschaften, nicht einmal die Institutionen der UNO, die noch am ehesten für eine wirkliche Repräsentation der Weltgemeinschaft stehen könnten. Statt dessen bekommen in der neuen Architektur der Märkte mit dem Financial Stability Forum und dem IWF ausrechnet zwei Institutionen eine zentrale makroökonomische und regulatorische Rolle zugewiesen, deren bisherige Aktivitäten zum Teil verheerende Wirkung hatten, deren Glaubwürdigkeit durch zahlreiche Krisen bereits verbraucht war und die nun re-legitimiert werden sollen. Unklar bleibt, inwiefern diese Institutionen selbst reformiert werden sollen, etwa durch verbesserte Vertretung der armen Länder, demokratische Entscheidungsverfahren etc. Unabhängig davon jedoch scheitert die den beiden Institutionen zugedachte neue Rolle am Widerstand einiger neuer Mächte.

Die Unwägbarkeiten der Weltwirtschaftskrise 2009 lassen allerdings erwarten, dass es nicht bei diesen ersten reservierten und tastenden Versuchen der G20 bleiben wird. Der Druck, die leichten Verschiebungen hin zur Re-Regulierung weiter voran zutreiben wird zunehmen, ebenso wie die Widersprüche zwischen den beteiligten Staaten und Kapitalgruppen. Das erste G20-Treffen zur Krise war auch die letzte Amtshandlung der Bush-Regierung. Dass die Notwendigkeit einer Finanzmarkt-Regulierung grundsätzlich anerkannt wird, gleichzeitig die Konkretisierung der notwendigen Maßnahmen aber wachsweich bleibt, ist ein klassischer Kompromiss – noch haben die Neokonservativen und Neoliberalen ausreichend Kraft, weitergehende Beschlüsse zu blockieren. Doch deuten sich bereits die nächsten Schritte an, sobald Bush und die Seinen die Bühne verlassen haben. Ob die neue US-Regierung dabei treibende oder getriebene Kraft sein wird, ist noch offen. Die Signale sind widersprüchlich, vieles spricht für nur leichte Modifikationen des Clintonschen Neoliberalismus, manches für Initiativen in Richtung eines »New New Deal« oder eines »Green New Deal«. Dies ist das Feld der Möglichkeiten für Interventionen emanzipativer Gruppen und Bündnisse.