Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Globalisierung - Kapitalismusanalyse Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus – Herausforderung für die Linke

Beiträge zur politischen Bildung vom Institut für Gesellschaftsanalyse (IFG) der Rosa Luxemburg Stiftung, März 2009

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März 2009

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Zusammenfassende Thesen

  • 1. Erstmals in der Geschichte verbinden sich eine globale Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer globalen ökologischen Krise und der Krise der elementarsten Lebensgrundlagen der Menschheit. Staatenzerfall und imperiale Tendenzen führen zu Kriegen und erhöhen die Gefahr atomarer Konflikte. Die Krisen beschränken sich nicht nur auf die inneren und äußeren Peripherien – diesmal trifft es das Zentrum des neoliberalen Finanzmarkt-Kapitalismus. Die Tiefe der Krisen spricht nicht für eine zyklisch-konjunkturelle, sondern eine lang anhaltende strukturelle Krise.

  • 2. Die Krise des neoliberalen Finanzmarkt-Kapitalismus ist in seinem Zentrum ausgebrochen und hat eine zentrale systemische Ursache: Sie wurde ausgelöst durch eine bisher nicht gekannte Verselbständigung der Finanzsphäre gegenüber den anderen wirtschaftlichen Bereichen und die Einbeziehung aller gesellschaftlichen Bereiche in spekulative Finanzgeschäfte jenseits aller Möglichkeiten gesellschaftlicher bzw. staatlicher Gestaltung.

  • 3. Eine solidarische Mischwirtschaft kooperativ organisierter Eigentumsformen, eine Demokratie der Partizipation, soziale Sicherheit als Bedingung von Freiheit und Frieden durch gemeinsame Entwicklung sind überlebensnotwendige Alternativen. Sozialökologischer Umbau, radikale Demokratisierung und globale solidarische Kooperation sind entscheidende Herausforderungen im 21. Jahrhundert.

  • 4. Den aufbrechenden Krisenerscheinungen und ihrer Verschränkung hat der bestehende Block an der Macht keine produktiven Lösungen mehr entgegen zu setzen, die die Interessen der untergeordneten Gruppen und Klassen berücksichtigen und damit den aktiven Konsens zum neoliberalen Projekt wieder herstellen könnten. Er ist zur Veränderung gegenüber bisherigen neoliberalen Strategien gezwungen.

  • 5. Krisen sind geschichtliche Momente höchster Unsicherheit. Weder ist ihr konkreter Ausbruch, noch sind ihr Verlauf oder ihre Ergebnisse vorhersehbar. Aus partikularen Krisen einzelner Sektoren können umfassende strukturelle Krisen werden. Sie sind nicht beendet, wenn die Probleme gelöst sind, sondern wenn Verhältnisse entstanden sind, in denen die einen kein Interesse an weiteren grundlegenden Veränderungen mehr haben und die anderen keine Kraft mehr, sie durchzusetzen. Auf Krisen kann reaktionär, konservativ, progressiv oder transformatorisch geantwortet werden.

  • 6. Folgende Tendenzen innerhalb des Neoliberalismus, die zugleich über ihn hinausweisen, entwickeln sich zur Zeit parallel: (a) der Übergang vom (auch staatlich betriebenen) Marktradikalismus zum neuen Staatsinterventionismus, (b) der Kampf um die Regulierung der internationalen Finanzmärkte, (c) die Auseinandersetzung um einen New Public Deal, (d) die Strategien eines Green New Deal sowie (e) der Kampf um eine gerechtere Weltordnung im Rahmen der Milleniumsziele. Charakteristisch sind (f) die Entstehung einer ganzen Variationsbreite und die Konkurrenz von ‚postneoliberalen’ Entwicklungspfaden. Angesichts der unleugbaren Widersprüche und Konflikte, auf die alle diese Projekte stoßen und vor dem Hintergrund des Interesses der herrschenden Eliten, ihre Vormacht um fast jeden Preis zu verteidigen, wird (g) mit starken autoritäre Tendenzen zu rechnen sein. Auch zeichnen sich mit Blick auf den ‚globalen Süden’ parallel Tendenzen autonomerer Entwicklungsmodelle und internationaler Kooperation einerseits und vertiefte Formen neokolonialer Ausbeutung bei verschärfter globaler Konkurrenz andererseits ab.

  • 7. Die Tiefe der gegenwärtigen Krise wird dazu führen, dass sich kurzfristig keine dauerhafte Lösung durchsetzen wird. Die noch ungebrochene Vormacht neoliberaler Kräfte des Finanzmarkt-Kapitalismus blockiert grundsätzliche Alternativen. Verschiedene Ansätze werden nebeneinander stehen. Es kommt zu einer Konstellation der Offenheit und des Übergangs, die vielleicht ein Jahrzehnt dauern kann. Da viele Grundprobleme nicht substantiell angegangen werden, wächst die Gefahr noch schlimmerer finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Krisen. Eine wirkliche ökologische Wende ist bisher nicht in Sicht.

  • 8. Hauptaufgaben einer erneuerten Linken werden sein,
    • Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Lohnabhängigen, sozial Schwächere und den globalen Süden mit der Entwicklung einer an den Werten globaler Solidarität orientierten Perspektive zu verbinden, soziale Kämpfe zu organisieren und zu vernetzen,
    • Räume für die Zusammenarbeit und Selbstorganisation der Akteure zu schaffen, die bereit sind, Alternativen zu entwickeln und zu leben,
    • reaktionären Antworten fortgesetzter Enteignung, Entdemokratisierung und neuer Kriege mit aller Entschiedenheit zu begegnen,
    • die konservative Fortsetzung des Neoliberalismus mit veränderten Methoden zu verhindern,
    • progressive Formen der staatlichen Intervention, der Erneuerung des Öffentlichen, des sozialökologischen Umbaus und solidarischer globaler Entwicklung zu unterstützen
    • und Ansätze der Transformation über den Kapitalismus hinaus zu entwickeln, sowie Schritte zu einem sozialökologischen Umbau einzuleiten und Elemente einer solidarischen Gesellschaft durchzusetzen.

  • 9. Die Linke kann auf drei Ebenen gleichzeitig eingreifen: Durch Protest, Kritik und Aufklärung, Kampf um die Deutungen der Krise und Ausarbeitungen solidarischer Bearbeitungsformen sowie durch Eingreifen in Entscheidungsprozesse und praktische Gestaltung. Sie muss sich im strategischen Dreieck linker Politik von sozialem Lernen, breitester Bündnispolitik und Veränderung gesellschaftlicher Eigentums- und Machtverhältnisse bewähren. Es geht um den Kampf von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen und linker parteipolitischer Kräfte für konkrete Einstiegsprojekte solidarischer Veränderung.

  • 10. Die Linke ist aus ihrer Minderheitenposition gefordert, das Handlungsmonopol der Herrschenden zu brechen und praktisch zu beweisen, dass überzeugende Alternativen möglich sind, durch konkrete Beispiele zu beweisen, dass es anders besser geht. Das Versagen des Neoliberalismus ist nur die Voraussetzung für eine andere Entwicklung. Erst der praktische Erfolg solidarischer Alternativen wird die Hegemonie des Finanzmarkt-Kapitalismus wirklich brechen. Das Konzept einer solidarischen Gesellschaft repräsentiert dabei nicht nur eine andere Art des Wirtschaftens, sondern auch von politischer Kultur und Lebensweise.

  • 11. Linke Bewegungen müssen insbesondere dort handeln, wo sie stark sind – und das ist vor allem auf der lokalen und kommunalen Ebene und in den Betrieben. Es sollten die politischen Aktionen in den Vordergrund gestellt werden, die auf die Durchsetzung von demokratischen Formen gesellschaftlicher Regulierung und gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Gesellschaft gleichermaßen gerichtet sind.

  • 12. Der Kampf gegen Armut, die Umverteilung von oben nach unten und von privat zu öffentlich, die Vergesellschaftung des Finanzsektors, Wirtschaftsdemokratie und Demokratisierung der Demokratie, eine Politik der Vollbeschäftigung und guten Arbeit, der Aufbau eines solidarischen Bildungssystems und die Erneuerung und Demokratisierung der Kommunalwirtschaft, die Entwicklung eines entgeltfreien Öffentlichen Personen-Nahverkehrs, sowie eine aktive Friedenspolitik und der Einsatz für eine solidarische und demokratische Erneuerung der Europäischen Union und globale solidarische Entwicklung sind Grundelemente linker Politik.

  • 13. Es ist Zeit, nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Europa und weltweit die Perspektive einer Transformation, die über den Kapitalismus hinausweist, das Ziel einer solidarischen Gesellschaft auf die Tagesordnung zu setzen.

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