Publikation Geschlechterverhältnisse Neue Chancen – alte Kämpfe. Teil II: Bausteine linker Politik und Geschlecht – linke Politik »gendern«

Thesen/Abstract von Corinna Genschel

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Corinna Genschel,

Erschienen

März 2006

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Thesen/Abstract von Corinna Genschel

„Die Linke“ ist in Bewegung, so sagt die Ankündigung dieses gesellschaftspolitischen Forums. Was aber ist in Bewegung und mit welcher Perspektive?
In meinem Beitrag möchte ich vor dem Hintergrund meiner „Sprechposition“ - an der Schnittstelle zwischen Geschlechterforschung und –lehre an einer Universität, meiner 25 jährigen Geschichte in linken (einschließlich feministischen und queeren) Bewegungen und nun in der „Kontaktstelle gesellschaftliche und soziale Bewegungen“ der Linkfraktion im Bundestag - die Frage von In-Bewegung-Sein kritisch hinsichtlich des: „Wer“ ist eigentlich unter welchen Voraussetzungen in Bewegung und „Wohin“ ist diese Bewegung gerichtet, aufwerfen. Nur so lassen sich dann im gemeinsamen Gespräch mögliche „Bausteine“ linker Politik und Geschlecht bestimmen.

  1. Die letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass sich Bedingungen politischer Handlungsfähigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe massiv verändert haben. Es gilt zu konstatieren, dass sich Herrschaftsformen gewandelt haben und diese nicht nur zu einer „Zerklüftung des Sozialen“ sondern sich auch die Bedingungen der Möglichkeit von Politik radikal verändert haben (durch „Globalisierung“ und die dazugehörigen Herrschaftsformen ebenso wie durch die Prozesse, die als Ökonomisierung und Privatisierung öffentlicher Entscheidungsverfahren beschrieben werden). Der „Aufbruch“ der „neuen Linken“ ist diesbezüglich als potentieller (nach wie vor schwacher) Bruch mit der Hegemonie neoliberaler Politik und Praxis der letzten Jahre zu charakterisieren, dennoch bleiben hier viele Fragen eines „Aufbruchs“ offen, wenn nicht genauer nach dem „wer bricht wohin auf“ und womit wird gebrochen zum Thema wird.
  2. Bezogen auf Geschlechterpolitik muss beispielsweise die Frage gestellt werden, wo feministische Politik ansetzen kann, wenn auch die Geschlechterverhältnisse radikalen Transformationen unterworfen sind und sich Geschlechterpositionen nicht vereindeutigen lassen, wo ansetzen wenn in diesem Kontext zudem „Frauenpolitik“ (reduziert auf Gleichstellung und Vereinbarkeit) zum ideologischen Bestandteil von Regierungspolitik geworden ist und damit „geschlechterpolitischen Anliegen“ eine enge Form und Inhalt gibt?
  3. Dennoch, feministische Geschlechterpolitik hat unmissverständlich in den letzten 3 Jahrzehnten deutlich gemacht, dass „das Soziale“ mehr ist als nur eine sozialpolitische Ordnung im fiskalischen Sinne. „Gesellschaft“ ist nicht lediglich geordnet durch materielle Verteilungsfragen, sondern bezeichnet eine kulturell –symbolische Ordnung, die Fragen der Verteilung definiert und ordnet, die festlegt, was zu verteilen ist (z.B. Arbeit) und welche Bedürfnisse wie anzumelden sind (Frage der Anerkennung als legitimes Subjekt).
  4. Gerade vor diesem Hintergrund – dem feministischen Wissen um die Verknüpfung von Ökonomie und Kultur in der Konstruktion sozialer Ordnung, symbolischer Gewalt und Sozialität – hat (emanzipatorische) Geschlechterpolitik viel einzubringen (und konflikthaft zu machen) in den „Aufbruch der neuen Linken“ und sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Denn die gegenwärtigen Transformationen (von oben) – so geschlechtslos sie auch immer dargestellt werden – sind vergeschlechtlicht und wirken vergeschlechtlichend (Geschlecht als Ordnungsfaktor und Platzanweiser in Prozessen der Individualisierung, Privatisierung und Ökonomisierung).
  5. Dennoch muss auch emanzipatorische Geschlechterpolitik sich mit den veränderten Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe und den nicht „einfach nur“ an den Geschlechterlinien entlanglaufenden massiven Spaltungen auseinandersetzen. Wer kann und zu welchen Bedingungen teilhaben an „Politik“ (d.h. an der gemeinschaftlichen Gestaltung der aktuellen und zukünftigen Lebensverhältnisse, denn nichts anderes ist Politik)? Wie und an welchen Punkten kann der neoliberalen Definition von „Lebensgestaltung“ und „Gesellschaft“ entgegengearbeitet werden und Politik in diesem Sinne wieder angeeignet werden? D.h. auch wenn es weiterhin notwendig sein wird, „klassische“ feministische Forderungen nach Quotierung einerseits und „Staatsaufgaben“ andererseits zu stellen, wird dies nicht reichen, Feminismus und die Linke im heutigen Kontext in Bewegung zu setzen: „Bausteine“ (oder vielleicht besser Probiersteine) lassen sich nur da entwickeln, wo es eine Trias gibt von praxisrelevanten Überschreitungen gebotener Lösungen, symbolträchtigen Interventionen in wirkmächtige Konstruktionen von Wirklichkeit und dem Herstellen von Orten für Reflexion, Streit und Austausch.
  6. Welche Aufgabe die Kontaktstelle-  als Kommunikationsknotenpunkt zwischen unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Politikformen - genau für diese linken geschlechterpolitischen Interventionen übernehmen kann, ist ein Punkt, den ich gerne in diese Kreis diskutieren möchte.