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Polens Linke in Zeiten der politischen Krise. Text der Woche 28/2007 von Holger Politt

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Holger Politt,

Erschienen

Juli 2007

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Polens Linke in Zeiten der politischen Krise

Holger Politt

  1. Zu den aktuell wichtigsten innenpolitischen Aufgaben der linken bzw. linksgerichteten Kräfte Polens gehört zweifellos die Verteidigung der geltenden demokratischen Verhältnisse. Das rechtskonservativ dominierte Regierungslager und die rechtsliberale Opposition liebäugeln seit 2005 mit der Option, das Verhältniswahlrecht in ein System zu überführen, in dem möglichst nur noch zwei politische Optionen oder Blöcke sich durchsetzen könnten. Der unabwendbare Niedergang der bis dahin die linke Seite fast uneingeschränkt beherrschenden SLD schien diesem Wunsche entgegenzukommen. Polens Linke sollte nunmehr für immer von den Schalthebeln der Macht ferngehalten werden.
  2. Als Antwort auf diese Herausforderung und auf das Ansinnen der Kaczynski-Brüder, den Runden Tisch von 1989 und seine Folgen als einen durchweg faulen Kompromiss zu entstellen, fanden sich die politischen Erben der einstigen Kontrahenten am Runden Tisch in einem Bündnis zusammen, welches unter der Bezeichnung "Die Linke und die Demokraten" (LiD) künftig zusammenwachsen soll. Sozialdemokratisch gefärbte "Postkommunisten" und Freidemokraten, die in den 1990er Jahre die einflussreichsten politischen Kräfte waren, orientieren auf ein sozialliberales Lager, welches den Gegnern auf der rechten Seite Paroli bieten kann. Das Trennende, die gegensätzliche Stellung in den politischen Kämpfen der jüngeren Vergangenheit, soll im Interesse der gemeinsamen politischen Zukunft überwunden werden. In Zeiten, in denen Polens Regierende an allen möglichen und unmöglichen Ecken historisch bedingte Hindernisse erblicken, kein vergeblicher Fingerzeig.
  3. Die Kritiker verweisen aber mit Recht darauf, dass "Postkommunisten" und Freidemokraten ihren politischen Zenit längst hinter sich gelassen haben. Es ist so gesehen auch eine Notgemeinschaft, insbesondere aber für die Freidemokraten, die 2005 das zweite Mal hintereinander nicht ins Parlament einziehen konnten. Sie bringen als Mitgift einen weithin als untadelig geltenden Ruf mit, der noch aus der Zeit der demokratischen Opposition in der Volksrepublik stammt. Ihnen zur Seite steht mit der "Gazeta Wyborcza" außerdem Polens wichtigste Tageszeitung, ein gleichwohl liberales wie meinungsbildendes Blatt, welches im Zweifelsfall immer als hartnäckiger Gegner der "Postkommunisten" sich auswies. Die Tageszeitung wird in veränderter politischer Umgebung die bisherige liberale Ausrichtung zu behaupten wissen. Sie wird den Schwerpunkt bis zum Ende der Kaczynski-Zeit stärker auf die Verteidigung bürgerlicher Freiheiten legen.
  4. Polens großer politischer Rückkehrer heißt Aleksander Kwaśniewski, der Staatspräsident von 1995-2005. Er leitet künftig den Beirat von LiD, in dem u. a. die Vorsitzenden der beteiligten Parteien zusammengeschlossen sind. Er sieht sich als einen Garanten für die demokratische Ausrichtung des Bündnisses und setzt vor allem auf jene Wählerschichten, die sich positiv auf die Zeit zwischen 1990 und 2005 beziehen. Und er rechnet mit einem Potential von 20% der Wählerstimmen. Der Tatsache, dass sein Amtsnachfolger Lech Kaczyński zu einem überraschenden Wahlerfolg kam, weil er öffentlich einen Skandal nannte, wenn nach 16 Jahren Transformation die Hälfte der Bürger des Landes ihrem Einkommen nach nicht über das soziale Minimum kommt, schenkt er wenig Aufmerksamkeit. Nach dem Untergang des osteuropäischen Staatssozialismus, so seine Überzeugung, gäbe es nur wenig Alternative zu dem eingeschlagenen Entwicklungsweg.
  5. Während Polens "große Linke" sichtlich in die Mitte der politischen Landschaft zieht, öffnen sich Räume für Alternativen – etwa für die nichtparlamentarische Linke, die in den zurückliegenden Jahren aus dem Schattendasein nicht herauskam. Ein erster Schritt wurde mit der "Verständigung der Linken" Ende Juni 2007 unternommen. Bisherige Versuche, Linkskräfte alternativ zur SLD zu einen, scheiterten immer gründlich an inneren Zwistigkeiten oder eigenem Unvermögen. Deshalb wurde im Vorfeld durch die Organisatoren viel Wert gelegt auf gemeinsame Ziele. An erster Stelle steht die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, die in den Jahren der Transformation und flächendeckenden Privatisierung unter allen Regierungen auf der Strecke geblieben ist. Das 2005 durch die Rechtskräfte geschickt genutzte soziale Argument soll wieder zurückgeholt werden in die Reihen der Linken.
  6. Hervorgehoben wurde im Vorfeld feierlich, dass es unter den Linken künftig keine Gegner mehr geben solle. Doch als es um die Frage ging, ob die SLD noch links sei, geriet die "Verständigung" schnell an ihre Grenzen. LiD – so unüberhörbar die radikale Position – sei doch nichts anderes als der endgültige, wenn auch verschämte Abgesang auf alle linken Positionen. Um die Zehntausenden einfachen Parteimitglieder müsse gerungen, mit der Führung indes dürfe nicht mehr gekungelt werden. Eine unzumutbare Position für jene, die in der "Verständigung" eher eine Möglichkeit sehen möchten, um die SLD wieder in linkes Fahrwasser zu manövrieren. Unter ihnen sind sehr viele SLD-Mitglieder, die trotz Mitarbeit in der "Verständigung" ihrer Partei die Treue halten möchten.
  7. Mit den ersten Schritten der "Verständigung" wurden auffallende Defizite sichtbar: Keine einzige der linksgerichteten Jugendorganisationen war vertreten. Emanzipatorische Initiativen, Vertreter globalisierungskritischer Zusammenhänge sitzen nicht mit am Tisch, an dem künftig Entscheidungen fallen sollen. Frauen sind in erdrückender Minderheit. Um wirklich eine Alternative zu LiD auf die Beine zu bringen, bedarf es einer breiten Verankerung in die Gesellschaft hinein. Diese aber steht nach den "wilden" Jahren der Kaczynski-Herrschaft nicht vor einer revolutionären Situation. Im Gegenteil – die Sehnsucht zielt auf "europäische", also "normale" Verhältnisse und auf absehbare Zukunft.

Eine Schlüsselrolle kommt den OPZZ-Gewerkschaften zu. Da "Solidarnosc" sich bereits frühzeitig für das "solidarische Polen" der Kaczynski-Brüder entschieden hat, steht die zweite große Zentrale in besonderer Verantwortung. Frühzeitig wurde das LiD-Projekt ob seines wirtschaftspolitischen Einschlags kritisiert. OPZZ wäre folglich ein natürlicher Bündnispartner für die "Verständigung". Sie könnte etwa eine entscheidende Brücke zur SLD sein, die bisher immer mit der stillen Unterstützung durch die OPZZ-Gewerkschafter rechnen konnte. Einstweilen aber hält sich die Gewerkschaft auffallend zurück, wofür es genügend einsehbare Gründe gibt.