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Fortschritt oder alles wie gehabt? Ökonomische und soziale Effekte technischer Innovation.

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Analysen (Archiv)

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Stephan Kaufmann,

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Digitalisierung, Industrie 4.0 – warum sollen sich Linke für solche Themen interessieren? Was ist an Vernetzung, Smart Factories, Home-Office, Crowdwork, Big Data von Bedeutung? Die Antwort hängt wesentlich davon ab, welche sozialen Veränderungen sich hinter diesen technischen Begriffen überhaupt verbergen. Und damit beginnt schon das Problem. Denn unter dem Schlagwort «Digitalisierung» wird alles Mögliche verhandelt: technische Neuerungen, die es bereits gibt, Neuerungen, die kommen werden, Neuerungen, die technisch bloß denkbar sind, Neuerungen, die zwar technisch denkbar, aber ökonomisch – also im kapitalistischen Sinne – fragwürdig sind, sowie Neuerungen, die technisch und ökonomisch denkbar sind, deren soziale Folgen aber im Dunkeln liegen. Industrie 4.0 ist Realität, Versprechen und Drohung zugleich, eine Ankündigung, von der niemand weiß, ob sie eintritt, und wenn ja, in welcher Form. Sie wirkt massiv und diffus zugleich.

Der Digitalisierungsdiskurs gleicht dem Globalisierungsdiskurs der 1990er Jahre. Die Digitalisierung sei eine «Herausforderung» für uns, heißt es, sie «verändert unser Leben», urteilt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA 2015). Politik und Unternehmen werben für diese neue Welt – und zwar wie üblich in widersprüchlicher Weise, sie preisen sie als Verheißung und erklären sie gleichzeitig zu einem Sachzwang: Sie bringe per saldo allen Vorteile, heißt es. Und selbst wenn nicht, so spiele das keine Rolle, denn sie sei unvermeidlich.

Der vorliegende Text geht davon aus, dass Digitalisierung und Industrie 4.0 keine subjektlosen Sachzwänge sind, sondern ein Projekt derer, die sich – Betonung auf «sich» – etwas davon versprechen. Von diesen Interessen hängt ab, was Wirklichkeit wird und was bloße Träumerei bleibt. Für Linke von Bedeutung ist dabei, dass die Lohnabhängigen in den 4.0-Szenarien als abhängige Variable eingeplant sind. Sie müssen sich an den «Wandel» anpassen. Sie leben im Passiv: Ihre Freizeit und ihre Arbeit werden digitalisiert. Daraus leitet sich die zentrale Anforderung an das Publikum ab: Flexibilität, sprich Biegsamkeit.

Im Folgenden soll zunächst kurz erklärt werden, was die Digitalisierung ist, was sich ihre Protagonist_innen von ihr versprechen, wo sie ihre Chancen, Risiken und Grenzen sehen. Zudem soll geklärt werden, warum die Digitalisierung in Deutschland in Form der «Industrie 4.0» beworben wird und ob es sich hier tatsächlich um eine vierte industrielle Revolution handelt.

Der zweite Teil des Textes konzentriert sich auf jene, die die Digitalisierung nicht machen, sondern von ihr betroffen sind: die Lohnabhängigen. An welchen Stellen machen sich die technischen Innovationen bereits ökonomisch und sozial bemerkbar? Was kommt auf uns zu? Was können wir dagegenhalten? Wie können wir dabei aus der reinen Defensive herauskommen und versuchen, die Neuerungen offensiv zu unserem eigenen Vorteil zu gestalten? Oder anders: Wie machen wir die Gesellschaft im Zeitalter der Digitalisierung besser anstatt nur weniger schlecht

Schon an den Fragen wird deutlich: Digitalisierung mag Chancen und Risiken beinhalten. Doch handelt es sich hier nicht um ein Menü, aus dem man Komponenten aus- oder abwählen kann. Für die Lohnabhängigen dominieren die Risiken. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die treibenden Subjekte des Prozesses nicht den sozialen Fortschritt im Blick haben, sondern ihr recht enges Interesse: mehr Wachstum, mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Marktanteile. Ihr Mittel dazu: mehr Arbeitsleistung und im Verhältnis dazu weniger Lohn. Zumindest in diesem Sinn steht keine Revolution an, vielmehr bleibt alles beim Alten: Was die Digitalisierung den Arbeitnehmenden an Fortschritt bringt, müssen sie sich erkämpfen.

Inhalt

Einleitung

I Die Sache, ihre Subjekte und ihre Botschaft
1 Was bedeuten Digitalisierung und Industrie 4.0?
2 Industrie 4.0: Was versprechen sich die Unternehmen?
3 Wachstum 4.0: Was verspricht sich die Politik?
4 Arbeit 4.0: Was droht den Lohnabhängigen?
5 Die Stellung der Bundesregierung zu den «Anforderungen der Digitalisierung»
6 Die Politik und die Arbeit: Grünbuch und Weißbuch Arbeit 4.0
7 Sachzwang 4.0: Die Botschaft der «vierten industriellen Revolution»

II Angriff und Gegenwehr: Klassenkampf und Digitalisierung
1 Defensive: Die kleinen großen Kämpfe
2 In die Offensive: Für eine bessere Gesellschaft

Schluss: Die großen Fragen wieder stellen

Literatur