Publikation International / Transnational Kalter Frieden, konstitutionelle Politik

Die schwierige Regierungsbildung in Nordirland: Regionalwahlen, Friedensprozess und Sinn Féin. Von Florian Weis

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Florian Weis,

Erschienen

März 2007

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Die schwierige Regierungsbildung in Nordirland: Regionalwahlen, Friedensprozess und Sinn Féin

Nordirland mangelt es nicht an Wahlen. Seit dem zu Recht als historisch gepriesenen Karfreitagsabkommen vom April 1998 haben die Bewohner der lange Zeit als „Unruheprovinz“ bezeichneten Region am 7. März 2007 nun bereits acht Wahlen (Kommunalvertretungen, Regionalparlament, britisches Unterhaus, Europaparlament) erlebt. Die Wahlbeteiligung liegt dabei in Nordirland zumeist über derjenigen in den anderen Teilen Großbritanniens. Das ist weniger Ausdruck eines Vertrauens in die politischen Institutionen, als vielmehr einer immer noch durch eine starke Abgrenzung zwischen den „Lagern“ gekennzeichnete Mobilisierung, einer Art des parteipolitischen Zensus bei gleichzeitiger Justierung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Lager.
Die Besonderheit der jüngsten Regionalversammlungswahlen liegt darin, dass ein Parlament wiedergewählt wurde, das überhaupt nur eine kurze Zeit (2000 bis 2002) aktiv war, dessen Abgeordnete aber gleichwohl fortlaufend nicht geringe Diäten erhielten. Diesbezüglich besteht Einigkeit über die Lagergrenzen (irisch-katholisch bzw. nationalistisch hier, unionistisch-protestantisch bzw. probritisch dort): Mehr als ¾ der Bürger/innen Nordirlands teilen die Auffassung der Regierungen in London und Dublin, dass eine weitere Bezahlung eines gelähmten, nicht aktiven Parlamentes in Zukunft unterbleiben soll, wenn sich nicht bis zum 26. März zumindest die grundsätzliche Bereitschaft zu einer Regierungsbildung gemäß den Vorgaben des Karfreitagsabkommen von 1998 und des St. Andrews-Agreements vom Oktober 2006 abzeichnet. Im Falle eines Scheiterns der Regierungsbildung sollen nicht nur die 108 frisch gewählten Abgeordneten künftig kein Geld  mehr erhalten, darüber hinaus soll die Verwaltung Nordirlands auf unbestimmte Zeit bei der britischen Regierung verbleiben. Da dies einen Teil der Unionisten nicht allzu sehr schreckt,  ist für diesen Fall eine noch stärkere Einbindung der irischen Regierung in die Verwaltung Nordirlands vorgesehen. Das ist nun wiederum für radikale Unionisten eine bedrohliche Vorstellung, auch wenn selbst ihr mittlerweile achtzigjähriger Anführer Reverend Ian Paisley heutzutage keine Schneebälle mehr auf irische Minister wirft, die katholische Kirche nicht mehr als „Hure Babylon“ und den Papst nicht mehr „Antichristen“ bezeichnet. So gesehen könnte es tatsächlich geschehen, dass Paisley, ein Prototyp des religiös-politischen Fundamentalisten, seine Karriere als First Minister der nordirischen Regierung beendet, mit Martin Mc Guiness, Sinn Féins „Nr 1b“ neben Gerry Adams, als seinem Stellvertreter. Der Katholikenhasser Paisley, dessen Motto lange Zeit „never, never, never“ und dessen Rufname „Dr No“ waren, an der Seite des Mannes, den viele Beobachter, trotz seiner Dementis, für den langjährigen IRA-Stabschef halten, es wäre in der Tat eine ironische Wendung der Geschichte. Auch wenn ein solches Szenario nach wie vor unsicher ist, unmöglich ist es nicht mehr. Denn im Unterschied zu den gescheiterten Regierungsbildungen der Jahre 1998 bis 2003, als noch die etwas gemäßigtere Ulster Unionist Party die Dominanz im unionistisch-protestantischen Lager inne hatte, dabei aber ständig von der extremen DUP bedrängt wurde, sobald sie auch nur zaghaft Kompromissbereitschaft andeutete, muss Paisley keine nennenswerte Konkurrenz „rechts“ von sich fürchten. Immerhin ging die DUP diesmal mit einer ambivalenten, zögerlichen Haltung in der Frage eines Kompromisses mit Sinn Féin in die Wahlen, nicht mehr mit einem kategorischen Nein. Noch radikalere Kandidaten/innen außerhalb der DUP, die sich gegen jeden Kompromiss aussprachen. Wenn es denn stimmt, dass nur Nixon nach China gehen, nur de Gaulle den Algerien-Krieg beenden konnte, dann stünde es um einen „historischen Kompromiss“ in Nordirland so schlecht nicht.  

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