Publikation International / Transnational - Afrika Mit der Dreierallianz in die sozialistische Zukunft?

von Arndt Hopfmann, Leiter des RLS-Regionalbüros Südafrika in Johannesburg

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Arndt Hopfmann,

Erschienen

Oktober 2006

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Arndt Hopfmann ist Leiter des Regionalbüros südliches Afrika der Rosa Luxemburg Stiftung in Johannesburg.Sicher, hin und wieder hat sich der 9. COSATU-Kongreß, der vom 18. bis 21. September diesen Jahres in Midrand, nahe Johannesburg tagte, auch mit den internen Angelegenheiten der mitgliederstärksten Föderation südafrikanischer Gewerkschaften befaßt. Aber im Kern war die Veranstaltung vor allem der Aufgalopp zum 52. Parteitag des African National Congress (ANC), der Ende 2007 stattfinden wird. Vorher wird im Frühjahr der ANC eine politische Strategiekonferenz veranstalten und im Juli nächsten Jahres noch ein Parteitag des Kommunistischen Partei (SACP) tagen. Der COSATU-Kongreß war also die erste in einer Reihe von Großveranstaltungen, in denen sich die regierende Dreierallianz aus ANC, SACP und COSATU auf den Ende 2007 zu erwartenden erbitterten Kampf um die »Seele des ANC«, die Besetzung der Führungspositionen und die Ausrichtung des Regierungsprogramms vorbereitet.

Insgesamt ließ der Kongreß, der zeitweise tumultartig verlief, keinen Zweifel daran, daß die Linken in der Allianz sich vom Schock erholt haben, der sie auf dem 51. ANC-Parteitag, im Dezember 2002 in Stellenbosch, faktisch paralysierte und der um Haaresbreite die Allianz gespalten hätte. Damals wurde unter Führung von Präsident Thabo Mbeki und mit tatkräftiger Unterstützung des Präsidialamtes sowie des Unternehmerflügels im ANC mittels einer Kampagne gegen »die Ultra-Linken« versucht, COSATU und SACP entweder auf Linie zu bringen oder zum Austritt aus der Allianz zu provozieren. Bei den seinerzeitigen Wahlen zu den ANC-Gremien, felen alle COSATU-Kandidaten durch und die SACP konnte ihre Positionen nur durch viel diplomatisches Geschick und den wiederholten Verweis auf das »unverbrüchliche Bündnis« im Anti-Apartheid-Kampf sowie auf die vielen personellen Opfer aus ihren Reihen behaupten. In der Folgezeit wurden COSATU und SACP mehr und mehr aus den politischen Entscheidungsprozessen in Regierung und Präsidialamt ausgeschlossen.

Die Wende kam schließlich im Juni vergangenen Jahres auf dem »Kleinen Parteitag«des ANC (National General Council), im Zusammenhang mit der »Zuma-Affaire«. Dort war es den Unterstützern von Zuma, zu denen sich in prominenter Position auch COSATU-Generalsekretär Vavi und sein SACP-Counterpart Nzimande bekannten, erstmals gelungen, die Position von Mbeki und seinen Anhängern ernsthaft zu erschüttern. Zuma wurde – obwohl im Prozeß gegen seinen Finanzberater Shaik schwer belastet und folglich von Mbeki als Vizepräsident entlassen – gegen den erklärten Willen der ANC-Führung um Mbeki mit allen Rechten und Pflichten wieder in sein Amt als Vize-ANC-Vorsitzender eingesetzt.

Seitdem ist der Kampf um die politische Orientierung des ANC und die Rolle der anderen Allianzpartner auf das heftigste entbrannt. Vavi erklärte unumwunden, jetzt sei es höchste Zeit für die Arbeiterklasse mit allen Mitteln den ANC als ihr Eigentum zurückzufordern. Die Arbeiter würden den ANC nie an die Reichen und Geschäftsleute preisgeben, die versuchten, die Führung der Organisation zu übernehmen.

Von Vavi und Nzimande strategisch vorbereitet, sollte der 9. COSATU-Kongreß genau dafür die Weichen stellen. Und die verabschiedeten Resolutionen senden ein eindeutiges Signal. COSATU ist nach links gerückt und politisch radikaler denn je.

Offensichtlich inspiriert durch die politischen Entwicklungen in Lateinamerika (insbesondere in Bolivien und Venezuela) wird offensiv und mit Berufung auf die Freedom Charter, die noch immer das offizielle politische Programm des ANC ist, die Nationalisierung der Schlüsselindustrien (einschließlich und vor allem des Bergbaus) und die institutionelle Verankerung eines garantierten Mitspracherechts von COSATU und SACP bei allen Regierungsentscheidungen gefordert. Zudem soll sichergestellt werden, daß bei den Wahlen auf dem kommenden Parteitag eine ANC-Führung ins Amt kommt, die dem Endziel, der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, nicht ablehnend gegenüber steht. Die Mehrheit der ANC-Mitglieder seien schließlich Arbeiter und deren Interessen würden durch COSATU und SACP (»die Partei der Arbeiter«) in der Allianz repräsentiert – tatsächlich vertritt COSATU allerdings nur 20 Prozent der Arbeiterschaft (und dort vor allem die Beschäftigten im formellen Sektor) und die SACP hat nach eigenen Angaben gerade Mal 40.000 Mitglieder.

Um diese Zielstellungen auch nur partiell voranzubringen, braucht es daher geradezu eine Revolution in den Führungsämtern des ANC – es geht um nicht weniger als die Übernahme der Schaltstellen im ANC durch die »richtigen« Leute. Und diese Chance bietet der in jeder Hinsicht – politisch, moralisch und finanziell – angeschlagene gegenwärtige ANC-Vizepräsident Jacob Zuma (JZ); der von seinen Anhängern nahezu vergottete »Gegenspieler« von Präsident Mbeki.
Zwar hat Zuma bislang keinerlei besonders linke Gesinnung erkennen lassen, aber er wird durch seine persönlichen Schwächen nicht nur ein willkommenes Opfer von finanzieller (durch Schabir Shaik), sondern zunehmend auch politischer Korruption durch COSATU und SACP. Daran hat Vavi selbst keinen Zweifel gelassen, als er kürzlich freimütig bekannte, daß er später (wenn Zuma das Präsidentenamt erlangt hat) JZ sehr wohl daran erinnern werde, wer seine Helfer waren – »There are no free lunches in the political world« (Vavi).

Und dieser Plan ist mehr denn je vielversprechend. Zuma war der umjubelte Gastredner auf dem 9. COSATU-Kongreß, während die südafrikanische Vizepräsidentin, die in Vertretung Mbekis zu den Delegierten sprechen sollte, gnadenlos ausgebuht und niedergeschrieen wurde. Die Begeisterung kannte schließlich keine Grenzen mehr als noch während des Kongresses bekannt wurde, daß ein ordentliches Gericht den Korruptionsprozeß gegen JZ auf unbestimmte Zeit aussetzt.

Dies ist zweifellos ein Zwischenerfolg für Zuma, aber nicht mehr – auch wenn er von vielen Delegierten wie ein Sieg gefeiert wurde. Denn die Staatsanwaltschaft kann jederzeit durch eine verbesserte Version der Anklageschrift den Prozeß wieder aufrollen. Und dies läßt einiges an Spielraum offen, wenn der ANC-Parteitag im Dezember 2007 näher rückt. Gebraucht hätten die Zuma-Anhänger daher nicht die Aussetzung, sondern die Einstellung des Verfahrens. Aber die wurde vom Richter mit dem Hinweis abgelehnt, daß Zuma durch den Prozeß – wie von ihm einst selbst lautstark verlangt – die Möglichkeit erhalten soll, seine Unschuld zu beweisen.

Auch wenn seine Anhänger gern so tun: Die Sache ist für JZ noch nicht gelaufen, und das weiß auch die Führung von SACP und COSATU. Deshalb hat der Kongreß auch eiligst eine Resolution angenommen, die unter dem Motto »Hände weg von Jacob Zuma« nichts anderes fordert, als daß die Staatsanwaltschaft keine weiteren Versuche unternimmt, die Korruptionsvorwürfe gegen Zuma mit neuen Beweisen zu stützen und das Verfahren doch noch in Gang zu setzen. Die Scheinheiligkeit des ganzen offenbart sich allerdings sofort, wenn daran erinnert wird, daß COSATU und SACP dereinst vehement forderten, Zuma müsse angeklagt werden, damit er seine persönliche Integrität vor Gericht wieder herstellen könne. Heute klingt das alles ganz anders; aber der geplante politische Coup braucht Personal und schließlich wurde in die Top-Figur JZ schon zuviel »investiert«, als daß ihr Schicksal noch dem Gutdünken eines Richters überlassen werden könnte.

COSATU und SACP sind jedoch selbst keineswegs fest in der Hand der Zuma-Anhänger. Vielmehr ist die Mitgliedschaft beider Organisationen tief zerstritten; nicht nur über Zuma, sondern auch über den Konfrontationskurs gegenüber Mbeki und der ANC-Führung. Besonders deutlich wurde dies während des Kongresses bei der Wahl des neuen COSATU-Präsidenten. Der bisherige Amtsinhaber Willie Madisha (Chef der Lehrergewerkschaft), dem Sympathien für Mbeki nachgesagt werden, sollte – wenn es nach Vavi und Nzimande gegangen wäre – von Zanoxolo Wayile, COSATU-Vorsitzender im Eastern Cape und entschiedener Zuma-Anhänger, abgelöst werden. In der Abstimmung setzte sich schließlich Madisha mit 1.194 zu 1.152 Stimmen durch, was den alten und neuen COSATU-Präsident faktisch handlungsunfähig macht, weil er stets 50 Prozent der Mitglieder gegen sich weiß. Alle anderen Funktionsträger – auch Vavi – wurden ohne Gegenkandidaten im Amt bestätigt.

Die starken Männer im Hintergrund haben auf dem 9. COSATU-Kongreß insgesamt nur einen – wenn auch wichtigen – Teilerfolg erreicht. Die angestrebte Übernahme der ANC-Führung (und später der Präsidentschaft im Lande) ist noch lange nicht in trockenen Tüchern. Das ist nicht zuletzt bedingt durch die Ungewißheit, ob ein (möglicher) Präsident Zuma am Ende wirklich gezwungen werden kann, sich »erkenntlich«zu zeigen. Möglich ist zudem, daß die Staatsanwaltschaft genau zum »richtigen« Zeitpunkt das Verfahren gegen Zuma wieder aufleben läßt oder daß im letzten Moment ein starker Alternativkandidat, gehandelt wird zum Beispiel der Tycoon Cyril Ramaphosa, seinen Hut in den Ring wirft. Denn auch die Repräsentanten des Big Business haben den Kampf um die politische Ausrichtung des ANC noch längst nicht aufgegeben.
Allein schon der Umstand, daß sich der Name ANC und seine Rolle im Anti-Apatheid-Kampf tief ins Bewußtsein vor allem der Schwarzen eingeprägt haben, macht es für jede der widerstreitenden Gruppen und Fraktionen schwer hinnehmbar, das Bündnis zu sprengen und damit der Gegenseite die Namensikone »ANC« zu überlassen. Auch deshalb hält schon solange zusammen, was schon so oft am Ende angelangt schien.

Für den 52. ANC-Parteitag zeichnet sich jetzt jedoch eine Art Entscheidungsschlacht ab – für Blade Nzimande und Zwelinzima Vavi es geht dort um alles oder nichts. Gewinnt ihre Fraktion, wird der Kurs auf mehr Sozialismus  für die kommenden Jahre festgeschrieben. Reifen diese Blütenträume jedoch nicht, ist das Ende der Allianz wohl besiegelt.