Ein Bericht vom ESF 2006 in Athen
Betrachtete man das vergleichsweise geringe Interesse, das dem Forum vom Seiten des internationalen Publikums zuteil wurde – zumindest gemessen an den subjektiven Erfahrungen von London und Paris drängt sich die Frage nach den Gründen auf. Hat sich der Prozess der Vergrößerung und Institutionalisierung in Form weltweiter, kontinentaler, regionaler und kommunaler Foren der globalisierungskritischen Bewegung in sein Gegenteil verkehrt? The final overstretch der Bewegung? Ist die Euphorie der ersten Jahre, die Hoffnung auf das Entstehen herrschaftsfreier Räume, in denen sich Gleichberechtigte aller Herren Länder und aller noch so verschiedenen kritischen Bewegungen und Strömungen versammeln, um sich kennen und voneinander zu lernen verflogen? War denn alles nur eine Illusion?
Nein. Die Realität hat sich verändert und dabei verschiedene Tendenzen erzeugt:
Tendenz eins: Aus dem Ort der herrschaftsfreien Kommunikation Gleicher, den Bewegungen und soziale Organisationen prägen und von dem politische Parteien ausgeschlossen sein sollten, ist ein Ort geworden, wo sich (zumindest in Athen) vornehmlich die Vertreter von Parteien versammelt haben und an dem die Bewegungen und sozialen Organisationen fehlten. Welche Bedeutung diese Tendenz für die politischen Inhalte hat, ist die entscheidende strategische, hier jedoch nicht zu klärende Frage.
Tendenz zwei: Es nehmen weniger Menschen, Aktivisten, Delegierte an den Foren teil. Zumindest an diesem Forum, denn zeitgleich fand in Athen ein Antisozialforumsforum statt, das antiimperialistische antikapitalistische Forum des radikaleren Spektrums der globalisierungskritischen Bewegung. Die Bewegung ist offensichtlich gespalten, in mindestens drei Bestandteile: die moderaten Kräfte des offiziellen ESF, die radikalen Kräfte des Antiforums und den Teil, der sich diesen von Parteien dominierten Veranstaltungen enthält.
Tendenz drei: Die Bewegung kommuniziert nur untereinander, kaum in die Gesellschaft. Obwohl die Demonstration vergleichsweise gut besucht war, fand ein Einbinden oder ein Austausch mit den Athenern nicht statt. Seit Florenz hat sich einiges geändert. Ist der Bewegung paradoxerweise das mobilisierende Thema abhanden gekommen? Obwohl die sozio-ökonomischen, vornehmlich neoliberal geprägten Entwicklungen anhalten?
Tendenz vier: die Bewegung hängt von den Partnern vor Ort ab. Eine zerstrittene Linke ist kaum das geeignete Terrain, auf dem man ein erfolgreicheres und vor allem friedliches Forum errichtet. Gelingt es den Kooperationspartnern vor Ort nicht, mit den verschiedenen Segmenten der Linken – im Falle Griechenlands hauptsächlich die KKE und die militanten radikalen Gruppen – eine gemeinsame Vorgehensweise zu verabreden, dann ereignen sich schon erwähnte Spaltungsszenarien, Boykottandrohungen oder militante Ausschreitungen.
Tendenz fünf: Es existiert ein manifestes Kommunikationsproblem. Neben der Herausforderung, die jeweilige Bevölkerung zu involvieren, muss es irgendwie gelingen, den negativen Tenor der bürgerlichen Berichterstattung in einen positiven Grundtenor zu verwandeln. Gewaltakte lassen solche Bemühungen von vornherein scheitern.
Tendenz sechs: Bei aller Kritik: das ESF bleibt ein Ort der Debatte und des Austauschs. Nur treffen sich häufig diejenigen, die sich und ihre Positionen schon kennen.
Seattle 1999 war das Fanal der Bewegung. Athen 2006 wird kaum das Finale gewesen sein. Dafür jedoch ein markanter Schritt ihrer Transformation.