Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Gesellschaftstheorie - Globalisierung Mit Keynes zu einer „anderen Wirtschaft“. Zur Langfristperspektive keynesianischer Ökonomie

Beitrag zum Workshop "Keynesianische Ökonomie als alternative Ökonomie?" der Rosa Luxemburg-Stiftung (Berlin, 24.-26.2.2006)

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Februar 2006

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Beitrag zum Workshop "Keynesianische Ökonomie als alternative Ökonomie?" der Rosa Luxemburg-Stiftung (Berlin, 24.-26.2.2006)


Die folgenden Ausführungen sollen darlegen, daß Keynes´ Theorie entgegen vorherrschender Interpretation sehr wohl auch die langfristige Entwicklung kapitalistischer Marktwirtschaften erfaßt. Unser Hauptbeleg hierfür ist Keynes´ Stagnationstheorem, das vornehmlich mit dem Namen Alvin H. Hansen  assoziiert und in der Sekundärliteratur häufig auf die Große Depression hin relativiert oder einfach bagatellisiert wird. Hierfür sind sowohl ideologische Ressentiments als auch Unkenntnis der einschlägigen Quellen verantwortlich. Daher wird hier der Darlegung der langfristigen Perspektive im Gesamtwerk Keynes´ angemessen Raum gegeben. Denn nur auf dieser Grundlage lassen sich die Überlegungen zu einer „anderen Wirtschaft“ aus dem Geiste Keynes´ plausibel begründen. Für Keynes stellte die künftige Stagnationswirtschaft ein Eldora, einen Zustand dar, in dem das Jahrtausende alte ökonomische Problem der Menschheit überwunden sein würde.  Wie ärmlich erscheint dem gegenüber die Stagnationsfurcht der in Politik und Wirtschaft herrschenden Wachstumsprediger.


Keynes hat die im Stagnationstheorem implizierten Systemkonsequenzen nicht explizit ausgeführt. Vielmehr vertrat er die optimistische Erwartung, daß die Politik letztlich aus richtiger Einsicht in die Wirkungszusammenhänge fortgeschrittener kapitalistischer Marktwirtschaften und in Anerkennung der Notwendigkeiten des auf stabile Vollbeschäftigung gerichteten Regierungshandelns seinen Vorschlägen folgen werde. Keynes hielt bekanntlich die von Politikern während ihrer Ausbildung internalisierte falsche (neu)klassische Theorie für den entscheidenden Grund für wirtschaftspolitische Irrwege. Dieser Aufklärungsoptimismus weist insofern gewisse Berechtigung auf, als das Keynessche Instrumentarium bis zu einem erheblichen Grad systemneutral ist, somit auch – das entsprach durchaus Keynes´ Absicht - für die Stabilisierung des Kapitalismus eingesetzt werden kann – und sei es für einen Rüstungskeynesianismus wie beispielsweise in den 1980er Jahren in den USA oder gar für die quasi Keynessche Politik im faschistischen Deutschland. Keynes konzentrierte seine Aufmerksamkeit völlig zu Recht auf die brennenden Probleme seiner Zeit – auf die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit der Großen Depression und später auf die Stabilisierung der britischen Kriegswirtschaft. Gegenwärtig würde eine konsequente Anwendung des Keynesschen Instrumentariums höheres Wachstum und eine massive Reduktion der Massenarbeitslosigkeit ermöglichen. Allerdings bedürfte es dazu eines fundamentalen Kurswechsels in der Finanzpolitik.  Auf diese aktuellen Fragen soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden – nicht nur wegen des begrenzten Umfangs dieses Beitrags, sondern vor allem wegen  des Themas, das die langfristige Entwicklung des Kapitalismus aus Keynesscher Sicht betrifft.

Ungeachtet Keynes´ eigener Einschätzung der langfristigen Verträglichkeit seiner wirtschaftspolitischen Vorstellungen mit dem kapitalistischen System ergeben sich u. E. aus dem Stagnationstheorem derart weit reichende Konsequenzen, daß von einer Systemtransformation gesprochen werden darf. Nicht wenige Anhänger der Keynesschen Theorie und wohl die Mehrzahl seiner Kritiker erkennen in seinen Vorstellungen sozialistisches Gedankengut und  sehen bei ihm eine deutliche Tendenz nicht nur zum wirtschaftspolitischen Etatismus, sondern zur gesamtwirtschaftlichen Planung.  Es geht somit weit über eine plausible Vermutung hinaus, der Keynesschen Theorie ideelle Sprengkraft für den Kapitalismus zu attestieren.  Allerdings bestehen, wie darzulegen ist, verschiedene historische Optionen für die politische Instrumentalisierung der Keynesschen Wirtschaftstheorie; Optionen, die sich  zwischen den Polen demokratischer, ökosozialer Wohlfahrtsstaat und Totalitarismus bewegen. -  Die hier von uns vertretene Interpretation scheint etwas über den üblichen Rahmen der Keynesdeutungen hinaus zu gehen, aber sie setzt lediglich eine Linie fort, deren Beginn relativ weit zurück liegt.

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