Publikation Demokratischer Sozialismus - Rosa Luxemburg »Rosa Luxemburg und die Diskussion der Linken in der Gegenwart«

Bericht zur Internationalen Konferenz am 3. und 4. März 2006 in Berlin

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Reihe

Online-Publ.

Erschienen

März 2006

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135 Jahre Rosa Luxemburg. Dieser Gedenktag und der erreichte Stand der Diskussionen in mehreren internationalen Tagungen und Konferenzen der letzten Jahre war für die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein guter Anlass zu dieser internationalen Konferenz nach Berlin einzuladen. Gekommen waren zahlreiche in- und ausländische Gäste, u. a. aus Argentinien, Brasilien, Mexiko, Venezuela, Italien, Schweiz, Niederlande, Schweden, Norwegen und Russland, um über Rosa Luxemburg in ihrem historischen Kontext und ihre Bedeutung heute zu diskutieren. Bei ihrer Eröffnungsrede sah Evelin Wittich, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der RLS, dies als ein Beleg dafür, dass »Rosa Luxemburg nichts an ihrer Ausstrahlung verloren hat«.
In den beiden Konferenztagen spiegelte sich die enge Verbindung Rosa Luxemburgs zu den Künsten wieder. Heidrun Hegewald, die ein bekanntes Bild von Rosa Luxemburg gemalt hat, las zu Beginn aus ihren Texten und wurde von der Solotänzerin Angela Reinhardt mit einer gelungenen Darbietung begleitet.
Gerade dieses Zusammenspiel von Musik, musikalisch-szenischen Elementen, Referaten und Diskussion machte die Qualität der Konferenz aus. Am Abend des ersten Tages bewies Hans-Eckardt Wenzel seine Fähigkeit, mit Sprache und Musik zu jonglieren. Sein Programm, das er wortgewaltig und ohne Ermüdungserscheinungen absolvierte, war für viele KonferenzteilnehmerInnen ein besonderer Genuss.
Exklusiv für diese Konferenz hatten Carolina Kahmann, Jörg Mischke, Klaus Stephan und Sonny Thet, unter der Regie von Andreas R. Bartsch ein musikalisch-szenisches Programm konzipiert, welches sehr gut angenommen wurde. Alle Diskussionsmodule begannen mit einer Aufführung aus diesem Programm.
Diese Konferenz war keineswegs nur auf die Würdigung Rosa Luxemburgs ausgerichtet. In den vier Modulen und sieben Foren wurden verschiedene inhaltliche Komplexe diskutiert. Besonders Jörn Schütrumpfs Beitrag im ersten Modul eröffnete den eindringlichsten Blick auf jene Rosa Luxemburg, die von vielen so nicht erkannt wird. Zu lange war sie auf ihre Rolle als Märtyrerin reduziert worden. Schütrumpf: »Sie wurde als Dekoration des Sozialismus missbraucht, während über ihrem Denken fast bis zum Ende der DDR ein Verdikt schwebte.« Denunziert, verleumdet und von ihrem Werk gereinigt sei sie heute noch vielen nur als stumme Ikone erträglich und nützlich. Dabei sei Rosa für die Debatten der Linken aktueller denn je.
Das zweite Modul wurde von vielen TeilnehmerInnen als einer der Höhepunkte der Konferenz empfunden. In dem von Dorothea Schmidt moderierten Modul stellten sich Georg Fülberth und Michael R. Krätke den neun Fragen zum Kapitalismus. Dieses Gespräch entwickelte sich zu einer qualitativ hochwertigen Bildungsveranstaltung. Georg Fülberth („Ein Narr antwortet mehr, als zehn Weise fragen können“) konstatierte am Ende dieses Moduls: »Was bleibt von Rosa Luxemburg? Viele Fragen, die sie nicht beantwortet hat«.
Im Mittelpunkt des dritten Moduls stand eine eben dieser unbeantworteten Fragen, nämlich die Frage der Spontaneität und Selbstbeteiligung der Massen. Gilberto Lopez y Riva, Andreas Trunschke und Dieter Schlönvoigt versuchten unter dem Titel »Mit lebendigen Klassenverhältnissen rechnen. Strategie und Taktik politischen Kampfes in der Tradition Luxemburgs« sich dieser Frage zu nähern.
»Eine neue Linke ist möglich! Rosa Luxemburgs Vision einer demokratisch-sozialistischen Linken«. Dieser Titel des vierten Moduls war sicherlich Anlass genug für Michael Brie, um ein aktuelles Thema nicht unbeantwortet zu lassen. In seinem Vortrag behandelte Brie die aktuelle Kubadiskussion aus der Sicht der Frage »Was hätte Rosa uns gesagt?« und stellte fest, dass die Zeit der Beliebigkeit und abstrakter Erklärung für die Linke vorbei ist. Sie müsse sich angesichts der wachsenden Bedrohungen der Grundlagen menschlicher Zivilisation radikalisieren, ohne in Extremismus zu verfallen. Und sie müsse die Machtungleichheit beachten. »Die Linke ist nur links, wenn sie vom Standpunkt derer auf die Gesellschaft blickt, die durch die herrschenden Verhältnisse unterdrückt, ausgebeutet, ausgegrenzt und entwürdigt werden« so Brie. Eine Partei, die sich nach 1989 für die Rehabilitierung von Dissidenten eingesetzt habe, dürfe nicht schweigen, wenn andere Staaten mit den gleichen Mitteln eine gleiche Verfolgung politisch Andersdenkender vornähmen. Es dürfe nicht vergessen werden, dass soziale und partizipative Demokratie nur zusammengedacht werden können. Brie: »Für Rosa Luxemburg war der Kampf für den Sozialismus vor allem ein Kampf gegen die Barbarei. Sozialismus war für sie die notwendige Bedingung, um dem Untergang in die Barbarei zu entgehen. Niemals wäre es für sie hinnehmbar gewesen, selbst zu den Mitteln der Barbarei zu greifen. Rosa Luxemburg war Sozialistin, weil sie radikale Humanistin war. Dieser Bezug ist es, der sie über so viele andere ihrer sozialistischen Zeitgenossen stellt.«
Diese kleine große Frau, um es mit Jörn Schütrumpfs Worten zu sagen, die radikale Demokratin und unbestechliche Sozialistin, wird sicherlich auch in der Zukunft weiterhin ein Thema für die Linken sein. Weder als Ikone, noch als Märtyrerin, sondern als Stichwortgeberin für die Debatten der Linken und für das Ziel des Sozialismus. Schon 1915 schrieb Rosa Luxemburg »… wir sind nicht verloren und wir werden siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben«. Es wird mir sicherlich niemand übel nehmen, wenn ich das als die Quintessenz der Konferenz bezeichne.