Publikation Die Sachzwänge der Frau Dr. Merkel

Die Atomlobby plant die Verlängerung des Nuklearzeitalters. Kredite aus Bayern und eine neue Bundesregierung können hier behilflich sein. Von Else Tonke

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September 2005

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Am 7.6.2004 meldete dpa aus Hamburg: Nach dem Vorstoß von CSU-Chef Edmund Stoiber hat sich auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel für eine fortgesetzte Nutzung der Atomenergie ausgesprochen. “Eine CDU/CSU-Regierung würde es den Betreibern ermöglichen, Kernkraftwerke so lange laufen zu lassen, wie sie es wollen” sagte Merkel der ‚BILD am Sonntag’. Karl-Heinz Florenz, CDU, Vorsitzender des Umweltausschusses im Europaparlament, ließ am 23.8.2005 wissen, dass er niemanden in Deutschland kenne, der die Neuerrichtung eines Kernkraftwerkes beabsichtige. Im Übrigen sollte man doch den Ausstieg aus der Atomenergie offen halten.

Dagegen veröffentlichte die Internationale Atomenergiebehörde IAEA (http://www.iaea.org) den Baubeginn des Meilers Olkiluoto3 mit 1600 Megawatt Leistung und einer Laufzeit von 60 Jahren für den 12. August 2005. Der Vertrag wurde am Ende des vergangenen Jahres zwischen dem finnischen Stromversorger TVO (zu 43 % in öffentlicher Hand) und dem Unternehmen Framatome ANP (ein französisch-deutsches Unternehmen, zusammengesetzt aus AREVA und Siemens) geschlossen. Dies geschah auf der Grundlage eines Beschlusses des finnischen Parlaments aus 2002 mit einem Stimmenverhältnis von 107 - 92. TVO und Framatome ANP haben einen Fixpreis für den schlüsselfertigen Meiler in Höhe von 3 Mrd. Euro und einen Fertigstellungstermin für Ende 2009 vereinbart (http://www.tvo.fi/index_eng.shtml). AREVA bezeichnet sich selbst als Weltmarktführer für den atomaren geschlossenen Brennstoffkreislauf.

Für Steuerzahler ist in diesem Zusammenhang besonders interessant (um nicht zu sagen pikant), dass Siemens Power nicht nur alle neueren Kernkraftwerke in Deutschland (außer Mühlheim-Kärlich) gebaut hat, sondern sich auch der Konzernsitz in München befindet.
Der Bau dieses weltgrößten und modernsten KKW in Finnland wird durch die Bayerische Landesbank  im Rahmen eines internationalen Konsortiums durch einen Kredit von 1,95 Mrd. Euro mit einem Zinssatz von 2,6 %  p.a. gefördert (siehe: http://www.bmu.de/atomenergie/doc/7022.php). Die Landesbank befindet sich zu je 50 % im Besitz des Freistaates Bayern sowie des bayerischen Sparkassenverbandes, in ihrem   Verwaltungsrat sitzen die Staatsminister für Finanzen sowie des Inneren und ein ranghoher Vertreter des Sparkassenverbandes. Die – im Vergleich zu der bisher bei Riesenvorhaben erreichten –  äußert kurz erscheinende Bauzeit von 4 Jahren und der moderate Zinssatz lassen den Schluss zu, dass eine Art von Amigo-Aktion stattgefunden hat. Und welcher Mittelständler in Bayern oder anderswo würde sich nicht über einen solchen Zinssatz freuen. So wird auch schon spekuliert, ob dieser Kredit nicht ein Fall für die Konzernaufsicht sei.

An dieser Geschäftskonstruktion wird schlaglichtartig deutlich, wie kurz die Leine ist, an welcher Politiker sich führen lassen. So hat der Ministerpräsident des Freistaates Bayern Edmund Stoiber am 9.9.04 dem Bundesrat einen Entschließungsantrag vorgelegt, der sich gegen das Energieeinspeise-Gesetz wendet und die weitere Nutzung der Kernenergie für unverzichtbar hält. (Bundesrats-Drucksache 545/04). Es geht also nicht darum, mit diesem Neubau dem viel beschworenen Gemeinwohl zu dienen, sondern der Kernkraft-Industrie ohne Rücksicht auf das eigene Risiko und selbstverständlich ohne Rücksicht auf die weltweit anstehende notwendige Energiewende hin zu erneuerbaren Energien den Freiraum für neue Investitionen zu schaffen. Durch die Theorie von der „Renaissance“ der Atomenergie sollen durch die zuständige Lobby die notwendig anstehenden gesellschaftlichen Prozesse hin zu einer geordneten Strukturveränderung der Energieversorgung hintertrieben werden.

Das von Framatome ANP in Kauf genommene Risiko besteht darin, dass es sich zum einen um einen neuartigen Meiler handelt, dem nicht schon eine Serienproduktion von mehreren Einheiten voran gegangen ist, dem also die „Kinderkrankheiten“ einer Null-Serie anhängen. Desgleichen ist kein Reaktor dieser Größe bisher gebaut worden bzw. in Vorbereitung und eine solch kurze Bauzeit scheint nach den bisherigen Erfahrungen äußerst zweifelhaft. Es ist also spannend, wer für die sich auf Grund des vereinbarten Fixpreises abzeichnenden finanziellen Unsicherheiten aufkommen wird. Bisher konnte die Atomindustrie immer auf Subventionen der öffentlichen Hand hoffen. Allein deshalb bleibt auch der wirkliche Preis für die Kilowattstunde Atomstrom im Dunkeln. Er muss dies wohl auch weiterhin bleiben, weil durch den Marktpreis für elektrische Energie die wachsenden Aufwendungen für die Kernkraftnutzung nicht wieder erwirtschaftet werden können – dies betrifft sowohl die
Urangewinnung (zur Zeit werden die Vorräte von Uran bei der derzeitigen Kernkraftkapazität auf ca. 60 Jahre geschätzt) als auch den Brennstoffkreislauf, die Übertragungskosten, die Versicherungskosten für die Abschirmung eines GAUs, die Aufwendungen für die faktisch unlösbaren Abfallbeseitigungsprobleme und die Baukosten.

Warum also wird seitens der Atomindustrie derzeitig ein solcher Druck auf die Gesellschaft ausgeübt? Die Betreiber von KKWs ließen wissen, dass die Lebensdauer der Meiler auf 60 Jahre erhöht werden soll und das sowohl in den USA als auch im Rest der Welt, was ein weiteres Herauszögern der Energiewende bewirken würde. So wurde auch sicher nicht zufällig im Jahre 2004 Heinrich von Pierer als Vorstandsvorsitzender des Siemens-Konzerns durch Klaus Kleinfeld abgelöst. Dieser hatte zuvor die Leitung der Siemens Corp. USA inne und war beteiligt an der Aushandlung der massiven Laufzeitverlängerungen beteiligt, die inzwischen für viele der US-Nuklearanlagen genehmigt wurden.  Am 30.8.2005 berief Frau Dr. Angela Merkel Herrn Dr. Dr. hc. Heinrich von Pierer, CSU (jetzt im Siemens-Aufsichtsrat) in ihr Kompetenzteam mit der Ziel, ihn später als wirtschaftspolitischen Chefberater der Regierung zu installieren. Dieser kleine Ausschnitt aus dem sich drehenden Personalkarussell gehört sicher zur Risikoabschirmung für die Durchführung des riskanten französisch-deutschen Atomprojektes, dessen Vorbereitung mit unübersehbarer Hektik vorangetrieben wird.

Der Blick auf die Situation der Standorte und die Altersstruktur der Atomkraftwerke erhellt einiges:

  • Von den 440 zurzeit laufenden Kernkraftwerken befinden sich 430 in den USA und dem eurasischen Raum, also dem bedeutendsten Wirtschaftsraum der Atomindustrie.
  • Lediglich ca. 16 % haben ein Alter unter 15 Jahre, das sind 70 KKWs. Der Anteil mit einem Baujahr vor 1980 beträgt 84 %, die meisten Meiler – 65 % - liegen in der Gruppe über 20 Jahre, das sind 298 KKWs. Ein Fünftel des Gesamtbestandes besitzt bereits ein Alter über 30 Jahre. Rekonstruktion bzw. Abschaltung stehen schon bald an.
  • Für einen geordneten Ausstieg aus der Kernenergienutzung ist jetzt also unbestreitbar ein wichtiges Zeitfenster erreicht, jedoch sind die Energiepreise infolge der sich ständig verknappenden Ressourcen bereits so hoch, dass sich Atomstrom „rechnet“ – trotz der riesigen Aufwendungen für Rohstoffgewinnung, Unsicherheit, Müllproblem, horrendem Wasserverbrauch am Standort usw.

So versucht die weltweit wirkende Atomlobby zurzeit durch massiven Druck auf Öffentlichkeit, Wirtschaft und Regierungen künstlich das Atomzeitalter zu verlängern auf Kosten (und das ist auch wörtlich zu nehmen) der unausweichlich notwendigen Energiewende. Denn durch die für neue und zu rekonstruierende KKWs in Aussicht genommenen öffentlichen und privaten finanziellen Mittel wird dem Prozess der Entwicklung der Erneuerbaren Energien das Wasser abgegraben. Das ist des Pudels Kern.

Man sollte ebenfalls an die in der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Kernkraftwerks-Betreibern festgelegten (steuerfreien) Rückstellungen in Höhe von derzeitig 30 Mrd. Euro denken, vorgesehen für Rückbau von Anlagen und die Endlagerung. Die derzeitige Rückstellungspraxis, ein Ergebnis des Ausstiegskompromisses und nicht gerade ideal, vielleicht sogar den Wettbewerb verzerrend, ist an die Umsetzung des Ausstiegs aus der Atomenergie gebunden. Bei Änderung der gesetzlich geregelten Laufzeit für die KKWs können diese Mittel für den vorgesehenen Zweck verloren gehen und die finanzielle Belastung für das Betreiben und den Abbau von Kapazitäten der Atomindustrie würde wieder auf die Gesellschaft zurückfallen. (Vergleiche Irm Pontenagel, EUROSOLAR-Presseerklärung vom 17.8.2005).

Dass eine Veränderung der Grundlagen der Energiegewinnung unumgänglich ist, kann man nicht nur bei den Verfechtern der Erneuerbaren Energien nachlesen, sondern –  infolge der erkannten Endlichkeit der fossilen Rohstoffvorräte –  ebenfalls bei der Atomindustrie selbst (z.B. in Advanced Nuclear Power, Heft 11/Nov.04,  http://www.framatome-anp.com). Dieses Argument wird sogar für die Wiederbelebung der Kernenergieanwendung benutzt ohne Rücksicht darauf, dass Rohstoffe für Atomenergie ebenfalls absehbar erschöpft sein werden. Wieder sind die Lobbyisten der konzerngesteuerten Energiewirtschaft mit allen Kräften bemüht, den notwendigen Einstieg in das Solarzeitalter und die Herstellung der Energieautonomie von Bürgern, Städten, Gemeinden, Ländern, Produzenten zu verhindern, wie es ihnen bereits vor 25 Jahren schon einmal gelungen ist. (Siehe zur Machbarkeit: Studie in Solarzeitalter 1/05.)

Für die Betreiber von KKWs geht es selbstverständlich nicht um notwendige gesellschaftliche Anliegen und Ziele oder gar das Gemeinwohl, sondern um ihren Profit und die Aufrechterhaltung ihrer Macht durch eine von wenigen Konzernen beherrschte zentralisierte Netzstruktur der Energiewirtschaft. Koste es, was es wolle.


Die Umweltaktistin Else Tonke war  Teilnehmerin der Sommerschule der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Erneuerbaren Energien im Solarzentrum Mecklenburg-Vorpommern 2005