Publikation Kultur / Medien - Geschichte Von der Kraft der Literatur

Zur Wirkung des Romans „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner. Beitrag für den Internationalen Workshop "100 Jahre Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner – 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005", Prag 8./9. September 2005

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Sigrid Bock,

Erschienen

September 2005

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Beitrag für den Internationalen Workshop "100 Jahre Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner – 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005", Prag 8./9. September 2005
Zur Wirkung des Romans „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner

I.
Es war ein Roman, der Bertha von Suttner in die erbarmungslose Arena öffentlicher Tätigkeit drängte. Selten tritt die Kraft der Literatur so leuchtend hervor wie in diesem Fall. Der Roman veränderte vieles: das persönliche Leben der Autorin, öffentliches Denken, das Feld gesellschaftlicher Bewegungen.
     Als Bertha von Suttner 1887 bis 1889 in Wien das Buch vorbereitete, am Manuskript schrieb, war ihr Aktionsradius nicht klein, aber begrenzt. Sie wußte sich in einer Welt zu bewegen, die der geborenen Gräfin Kinsky von Kind an vertraut war. In den Salons waren Adlige, Wissenschaftler, Politiker, Schriftsteller, Künstler ihre Gesprächspartner. Mit ihnen korrespondierte sie, traf sie auf Reisen ins Ausland zusammen. Doch diese althergebrachte Lebensweise einer gebildeten, weltoffenen Adligen hatte sie in ungewohnter Weise durchbrochen. Selbständigkeit, geistige und materielle Unabhängigkeit waren erworben worden. Durch das Studium moderner naturwissenschaftlicher, philosophischer und historischer Schriften - von Charles Darwin, Ernst Haeckel, Herbert Spencer  z. B. und vor allem Henry Thomas Buckles „History of Civilisation“ - erarbeiteten Suttner und ihr Mann sich eine eigene Lebensphilosophie, und seit beinahe zehn Jahren verdienten beide ihren Lebensunterhalt durch schriftstellerische Tätigkeit. Bertha von Suttner schrieb Novellen und Romane, die in Wien als Fortsetzungsdrucke in den Feuilletons von Tageszeitungen, aber auch in deutschen und Schweizer Journalen und als Bücher erschienen. Und ihre Adressaten - 1883 in einem Roman genau beschrieben -, „Offiziere, Landedelleute, Rentiers, Industrielle, Künstler, Beamte und unsere schönen eleganten Damen und unsere lesenden und denkenden Haufrauen“, nahmen diese Arbeiten mit Freuden auf. Denn die Autorin plauderte von dem, was ihr gut bekannt war, erzählte unterhaltsam, heiter und kritisch vom Dasein in den Kreisen der Adligen. „Plaudern wir!“ hieß z. B. eines ihrer Feuilletons, „Die Fürstin Kathi“ ein anderes, und „High Life“ und  „Neues aus dem High Life“ nannte sie zwei ihrer frühen Bücher. Salongespräche - überführt in Literatur.
     Doch die Autorin begann auch, anderes zu versuchen. Nutzte Schreiben nicht nur zur Unterhaltung. Wollte auch belehren, ihre Leser zur „Denkpflicht“ ermahnen. Was sie selbst an neuen Erkenntnissen  sich angeeignet hatte, gab sie sofort an interessierte Leser weiter. 1883 erschien „Inventarium einer Seele“, und unmittelbar vor dem Roman, der alles verändern sollte, schloss sie ein Manuskript ab mit dem Titel „Maschinenalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit“ - beides Bücher, in denen sie kenntnis- und geistreich Betrachtungen über Natur und Leben, Wissenschaft, Politik und Philosophie, Vergangenheit und Zukunft anstellte. Weltanschauliche Bekenntnisschriften, in denen sie nach den geistigen Voraussetzungen eines sinnerfüllten Lebens fragte.
     Die Autorin scheute sich nicht, Anregungen erfolgreicher Schriftsteller aufzunehmen, bereits erarbeitete künstlerische Mittel und Erzählmuster für eigene Zwecke nutzbar zu machen. In „Maschinenalter“ z. B. führte sie weiter, was Edward Bellamy mit seinem Buch „Looking Backward: 2000 - 1887“ begonnen hatte. Sie war nicht vorrangig an artistischen Neuerungen interessiert. Suchte nicht in erster Linie nach eigenwilligen literarischen Darstellungsformen. Sie wollte sich mitteilen, andere informieren über Erlebnisse und Erfahrungen, über wissenschaftliche Entdeckungen und philosophische Ansichten. Wollte dem Leser Vergnügen bereiten durch das Kennenlernen neuer Gedanken und Theorien. Vergnügen durch Denken. Der Herausgeber ihrer ersten Arbeiten in der „Neuen Freien Presse“ zu Wien erinnerte sich später, dass ihre Texte „von merkwürdiger Tiefe und Feinheit und ganz unvergleichlicher Anmut der Darstellung“ waren, es zugleich „eine wissenschaftliche und philosophische Beschlagenheit“ gab „wie nur bei einem Universitätsprofessor, dabei aber eine Grazie und über alles triumphierenden Humor - nein wahrhaftig, ein Universitätsprofessor war das nicht.“ Er veranlasste „sofort schleunige Honorarsendung, um den neuen Mitarbeiter in guter Stimmung zu erhalten“, bat ihn „unter „rückhaltloser Anerkennung der ersten Arbeit“ dringend „um weitere Beiträge“. (Da Bertha von Suttner ein Pseudonym benutzte, wusste er anfangs nicht, dass es eine Frau war, deren Texte er publizierte.)

II.                                                  
Das neue, 1889 fertiggestellte Manuskript jedoch stieß auf den Widerstand der Redakteure und Verleger. Diesmal weigerten sie sich, es zu veröffentlichen. Keine Zeitung brachte einen Vorabdruck. Von einer Fortsetzungsreihe ganz zu schweigen - bis auf zwei Ausnahmen. Aber davon später. „Dieser Gegenstand interessiert unser Publikum nicht“, schrieben ihr die Verleger und sandten das Manuskript zurück, „für diesen Roman haben wir keine Verwendung“, er würde „viele unserer Leser verletzen“, es sei ganz ausgeschlossen, „dass der Roman in einem Militärstaate veröffentlicht werde“. Man riet der Autorin sogar, den Titel zu ändern, den Text „einem erfahrenen Staatsmann zur Durchsicht“ zu schicken „mit der Bitte, alles zu streichen, was Anstoß geben könnte“. Was war geschehen?  
     Schon beim Schreiben des Buches „Maschinenalter“ hatte Bertha von Suttner ein düsteres Bild ihrer Zeit entworfen. Die Hauptfigur, ein Historiker aus dem dritten Jahrtausend, der Vorlesungen hält über das 19. Jahrhundert, blickt zurück auf das Jahr 1885/86 und sagt: „Das Europa des neunzehnten Jahrhunderts war in Barbarei noch tief versunken. Bis an die Zähne bewaffnet standen die Völker da, stets bereit, über einander herzufallen. Der höchste zu erlangende Ruhm war der militärische und der größte Stolz einer Nation war auf ihr Kriegsglück gegründet. Feindschaft und Hass, Rachsucht und Raubsucht - diese aus dem Zustand der Wildheit überkommenen [...] Affekte - bildeten zur Zeit noch den Untergrund des internationalen Verkehrs.“ In Kriegen erblickte die Autorin das größte Hindernis auf dem Wege der Menschheit zur „Vervollkommnung“. Als sie während einer Reise nach Paris von der Existenz der 1880 in London begründeten „International Peace and Arbitration-Association“ erfuhr, arbeitete sie in die bereits vorliegenden Druckfahnen ihres Buches kurzerhand eine Information über diese junge Organisation ein, montierte sie in das letzte Kapitel ein historisches Dokument: Der Historiker verliest Auszüge aus dem Aufruf der Londoner Friedensliga „An alle, welche den internationalen Frieden wollen“. Denn - so begründete sie später in ihren „Memoiren“ diesen Schritt - „wie ich nichts davon gewusst hatte, setzte ich auch bei meinen Lesern Unkenntnis dieser Zeiterscheinung voraus“.
     Doch die Weitergabe einer sachlich-nüchternen Mitteilung reichte ihr nicht aus. Sie beschloss, ein Buch zu schreiben, das den Nerv ihrer Zeit attackierte, weitaus mehr Leser erreichte, als eine kulturphilosophische Abhandlung es vermochte. Vor allem: „ich wollte nicht nur, was ich dachte, sondern was ich fühlte - leidenschaftlich fühlte -, in mein Buch legen können, dem Schmerz wollte ich Ausdruck geben, den die Vorstellung des Krieges in meine Seele brannte; - Leben, zuckendes Leben - Wirklichkeit, historische Wirklichkeit wollte ich vorführen, und das alles konnte nur in einem Roman, am besten in einem in Form der Selbstbiographie geschriebenen Roman, geschehen. Und so ging ich hin und verfasste ‘Die Waffen nieder!’“ Die  Schriftstellerin wagte den literarischen Aufstand gegen ein Denken, das Kriege als unentbehrlich für den Menschheitsfortschritt ausgab, die Heerführer - von ihr „Schlachtenlenker“ genannt - als die „vorzüglichen Träger der Geschichte, die Lenker der Länderschicksale“ pries. Dieser öffentlich vorherrschenden und in den Medien immer aufs neue propagierten Meinung stellte sie eine andere Auffassung entgegen. Schon durch den Einsatz der Sprache zerstörte sie die Gloriole. Das Wort Krieg ersetzte oder umschrieb sie mit Wendungen, die seinen wirklichen Charakter als „anbefohlenen Völkermord“ enthüllten. Sie sprach von „Schlacht“ oder „Schlachten“, von „Mordarbeit“, „Mordpflichten“, „Blutarbeit“, und schon mit dem Titel ihres Romans verkündete sie ihr Gegen-Programm, das all dem ein Ende setzen sollte: Die Waffen nieder! Kriege waren als Verbrechen am Menschen zu verstehen. Die Regierungen, so fügte sie 1892 einer Neuausgabe des Romans dem Text unmissverständlich hinzu, sollten veranlasst werden, „des Volkes Willen zur Geltung zu bringen“, denn „das Volk will die produktive Arbeit, will die Entlastung, will den Frieden“.

III.                                                
Um ihr Ziel zu erreichen, nutzte Bertha von Suttner weit verbreitete Lesererwartungen, entschied sie sich für eine fiktive Autobiographie. Sie knüpfte  an das Erzählmuster eines Frauen-, Liebes- oder Eheromans an, das vor allem in den von ihr angesprochenen Kreisen beliebt war und in den Zeitungen, den Salons, „am Theetisch, im Klub, beim Jagddiner, im Freundes- und Familienkreis“ diskutiert wurde. Sie berichtet - natürlich! - von einer österreichischen Gräfin, die aus der Perspektive des Jahres 1889 auf ihr Leben zurückblickt. In der Ich-Form erzählt Martha Althaus vor allem von der Liebe zu ihrem zweiten Mann, Baron von Tilling, sie beschreibt aber auch die vier zeitgenössischen Kriege 1859, 1864, 1866 und 1870/71, die sie erleben muss, in denen sie Mann und Kind verliert. Szenen des individuellen Glücks stehen neben Kriegsbildern. Die Autorin, die ihre Heldin auch als Krankenschwester unmittelbar am Kriegsgeschehen teilnehmen lässt, konfrontiert ihre Leser mit naturalistischen Elendsschilderungen, mit Schreckensszenen, die sich auf Schlachtfeldern und Sanitätsplätzen zutragen, die das Leiden der Soldatenfamilien in der Heimat beschreiben, die Kriegsepidemien und Seuchen vorführen. Der Kontrast verstärkt abschreckende Wirkungen und alternative Fragen. Nachdenken wird provoziert über die „Kräfte“, die die Liebenden immer wieder auseinander reißen, sie in Verzweiflung stürzen, der Trauer aussetzen.
     Die Wahl einer am Krieg leidenden, durch das Leid geläuterten Frau schafft dem Roman das Besondere, das Fluidum: Der Leser kann am Erleben und Leiden der Martha Althaus teilnehmen. Versteht, dass sie sich von den herrschenden Denkmustern befreien, Konsequenzen ziehen muss, sich der Friedensbewegung zuwendet. Der Friedensgedanke wird nicht nur durch „abstrakte Verstandesgründe“ vermittelt. Er kann zum Erlebnis werden, Gefühl und Leidenschaft wecken. Die Schlussfolgerung Marthas steht auch dem Leser offen - auch wenn er über das heute ungewohnte Pathos lächeln mag, mit dem so manches Erlebnis dargestellt oder bewertet wird. Erzählt wird nicht ohne Sentimentalität und Rührseligkeit. Das zum Unterhaltungsroman tendierende Muster wurde voll ausgeschritten.
     Und umgebaut. Weiterentwickelt.
     Schon mit der Anlage des Romans wird das gängige Romanschema aufgehoben. Die alternde Hauptfigur Martha Althaus erzählt ihre Lebensgeschichte von ihrem Ende her. Sie erinnert sich, unterstützt durch Tagebuchaufzeichnungen, an Kindheit und Jugend, an den Vater, General a.D., der am Mittagstisch von seinen Kriegsabenteuern zusammen mit „Vater Radetzky“ schwärmt, und von dessen Einfluss und Prägung sie sich befreien muss. Erzählend durchdenkt sie ihren Lebensweg, wertet sie Erlebnisse, forscht sie nach den Ursachen ihrer Wandlung, fragt sie nach dem, was sie voranbrachte oder hemmte. Erzählen als Selbstklärung. Reflektierendes Erzählen. Vorwegnahme einer Erzählweise, die mehr als sechzig Jahre später „modern“ werden sollte.
     Vorwegnahme, Modernität auch in anderer Hinsicht. Mit ihrem reflektierenden Erzählen legt Suttner zugleich Wert darauf, ihre individuelle Lebens- und Liebesgeschichte in real-historische Vorgänge einzubetten. Wissenschaftliche Studien gingen der literarischen Darstellung voraus. Die Schriftstellerin sammelte Material und Dokumente, studierte historische Werke, Zeitungen und archivalische Quellen, Berichte von Kriegskorrespondenten und Militärärzten, ließ sich von Kriegsveteranen und anderen Augenzeugen Erinnerungen erzählen. Arbeit also mit authentischem Material. Bemühte Rekonstruktion historischer Wirklichkeit. Montage von Zeitgeschichtszeugnissen findet statt: historische Dokumente unterschiedlicher Art, Briefe, Proklamationen, Ausschnitte aus Zeitungsartikeln, Zitate wissenschaftlicher und historischer Werke werden in den Erzählfluss einmontiert.
      Durch die enge Verquickung der fiktiven Gestalten mit historischen Vorgängen verändert die Autorin das gewohnte Romanschema. Sie baut den Unterhaltungsroman um, weitete ihn zum Gesellschaftsroman. Damit ging ein Funktionswandel einher: Diente der beliebte Ehe-, Frauen-, Liebesroman in der Regel dazu, festgefügte und anhaltend tradierte Auffassungen, Gewohnheiten, Lebensweisen zu bestätigen und zu bestärken, so nutzt Suttner ihren Zeitgeschichts- und Gesellschaftsroman, um mit dem Althergebrachten zu brechen, neue Lebensvorstellungen zu entwickeln und in die Öffentlichkeit zu tragen. In seinem „Handbuch der Friedensbewegung“ von 1913 nannte Alfred Hermann Fried „Die Waffen nieder!“ ein „epochemachendes“ Buch, „das wie eine Explosion gewirkt“ habe: „Es war, als ob sich den Lesern eine neue Welt auftat, und in Hunderttausenden von Gemütern mochte es zum erstenmal die beschönigende Vorstellung des Krieges, welche die Schule zu verbreiten sich Mühe gibt, zerstört und den Gedanken an die Notwendigkeit und an die Möglichkeit einer Beseitigung dieses Übels hervorgerufen haben.“

IV.                                              
Ein solcher Roman musste 1889 im militaristischen Kaiserreich Deutschland und  in der österreichischen k. u. k.-Monarchie für die Verlage zur Herausforderung werden. Nach langem Zögern gab Edgar Pierson, der bereits einige Romane der Suttner mit Erfolg herausgebracht hatte, dem hartnäckigen Drängen der Autorin nach. Er druckte wenigstens 1000 Exemplare - und beide, Suttner wie  Pierson in Dresden, erlebten eine große Überraschung: Wenig später lagen Hunderte von Bestellungen vor. Der anfangs so skeptische Verleger musste der Autorin vorschlagen, sofort neue Auflagen herauszubringen. Und 1896 fügte er der zweibändigen Buchausgabe eine broschierte „Volksausgabe“ - Vorläufer der späteren Taschenbücher - für nur eine Mark hinzu. Denn wenige Jahre zuvor hatte ein anderer dafür gesorgt, dass dem Roman ein Massenpublikum zuwuchs,  Leser erreicht werden konnten, die sich scheuten, die Schwelle eines Buchladens zu übertreten, Geld für Lektüre auszugeben.
     Sein Name fiel schon im Romantext. Bei der Wiedergabe ihres Zeitbildes nannte die Erzählerin ihn als Unterzeichner eines „aus Volkskreisen stammenden Manifestes“, das 1870 den „Gedanken“ an einen deutsch-französischen Krieg als „Verbrechen“ verurteilt habe. Ihm sandte Suttner das fertige Buch mit einer persönlichen Widmung - und Wilhelm Liebknecht antwortete in besonderer Weise: Als Chefredakteur des Zentralorgans der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bat er im April 1892 die Autorin, den Roman abdrucken zu dürfen. So erschien „Die Waffen nieder!“ vom August bis Dezember 1892 endlich auch in einer Zeitung. Der „Vorwärts“, das einzige deutschsprachige Blatt, das sich einen Abdruck zutraute, erschloss dem Werk einen Leserkreis, an den die Autorin beim Schreiben nicht gedacht hatte. Die Zeitung mit der wahrscheinlich größten Auflagenhöhe organisierte das Zusammentreffen von Arbeiterleser und Roman, schuf  für den Verleger Pierson die Voraussetzung dafür, eine preiswerte „Volksausgabe“ zu wagen.
     Die Schriftstellerin dagegen nannte in einem Brief an einen Freund eine weitere Seite der Romanwirkung. Sie hatte sich über Liebknechts Bitte gefreut, schrieb am 14. April 1892:  Ich bin “sogar sehr stolz darauf, dass die Sozialdemokraten, die die Friedensgesellschaft bisher als bourgeois und als ohnmächtig verächtlich beiseite schoben, uns durch mein Buch jetzt näher gebracht werden - dass zu Marthas Eroberungen nun auch das Haupt der großen Volkspartei gehört. In dieser - Hinsicht, der Frage des Völkerfriedens nämlich - gehen wir ja mit dieser Partei zusammen, und es wäre ja wunderbar, wenn auf unserer Plattform sich wirklich alle (mit Ausnahme der rückschrittlichen) Parteien zusammenfänden.“ Nicht allein aufklärend wirkte der Roman. Auch zusammenführend. Integrierend. Er  ließ das in unterschiedlichen Klassen und Schichten vorhandene Interesse am Völkerfrieden als verbindendes Element hervortreten, machte Gemeinsamkeit bewusst, konnte Partnerschaften im Friedenskampf vorbereiten. 1905, als Bertha von Suttner als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt, war für die Buchform die 37. Auflage erzielt, der Roman im deutschen Sprachraum als Bestseller verbreitet, in weitere europäische Sprachen übersetzt und auch auf dem amerikanischen Kontinent bekannt - ein Erfolg, der um die Jahrhundertwende in der deutschsprachigen Literatur einmalig blieb. 1913 wurde „Die Waffen nieder!“ sogar verfilmt; und am 20. April 1914 - zwei Monate vor dem Tod der Autorin - drehte die Nordisk-Filmgesellschaft in ihrer Wiener Wohnung ein Interview, das dem Film vorangestellt wurde. Am 17. September 1914, anlässlich der Eröffnung des Weltfriedenskongresses in Wien, sollte beides zur Uraufführung gelangen.
     Der erste Weltkrieg durchkreuzte alle Pläne.
     Ihn zu verhindern, dazu hatte die Kraft des Romans nicht ausgereicht. Aber noch im November 1914 erschien eine Neuauflage der „Volksausgabe“: Auf    210 Tausend stieg damit die Anzahl allein der Exemplare, die gerade diejenigen erreichen konnten, die in dem begonnenen Völkermorden die meisten Blutopfer zu zahlen hatten. Und gleich nach Beendigung des Krieges kam das Buch in einer Neuauflage auf den Markt, erschien das 225. Tausend der Volksausgabe. Die Stafette wurde weitergereicht: Der Roman „Die Waffen nieder!“ hatte vor einem  Völkermorden gewarnt. Jetzt half er einer jüngeren Schriftstellergeneration, die Wunden bloß zu legen, die ihnen der „erste“ Weltkrieg zugefügt hatte. Bücher von Bruno Vogel „Es lebe der Krieg! Ein Brief“ (1925), Ernst Friedrich „Krieg dem Kriege“ (1925), Arnold Zweig „Der Streit um den Sergeanten Grischa“(1927), Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ (1928), Ludwig Renn „Krieg“ (1928), Theodor Plivier „Des Kaisers Kuli“ (1928), Adrienne Thomas „Katrin wird Soldat“ (1930) und andere führten weiter, was eine Frau begonnen hatte. Eines der glänzendsten Kapitel deutscher Literaturentwicklung im 20. Jahrhundert, die deutsche Antikriegsliteratur, war am Ausgang des 19. Jahrhunderts vorbereitet worden. Kam von Bertha von Suttner her.

V. 
„Nicht als literarisches Werk, sondern als politische, redlich und menschenliebend gedachte Tat“ wollte Suttner, wie sie 1889 in einem Brief schrieb, ihr Buch verstanden wissen. Dieses Eingreifen-Wollen in bedrückende  gesellschaftliche Verhältnisse griff tief ein in ihr persönliches Leben. Der Roman zog sie über die Grenzen kleiner Freundeskreise und Salons hinaus in die große Welt internationaler Politik. Sie wurde verlacht, verhöhnt, wo der militaristische Status quo unangetastet bleiben sollte. Auch in der eigenen Familie, bei ihren „Vettern und Cousinen, [...], Generäle, Höflinge, Kämmerer, Frauen von Offizieren“, galt sie zumindest als „Abtrünnige“. Als Verbündete jedoch begrüßten sie diejenigen, die sich „Friedensfreunde“ nannten. (Der Begriff „Pazifist“ war noch ungebräuchlich.) Und die Autorin erfüllte ihre Erwartungen.  Im September 1891 veröffentlichte sie einen Aufruf zur Gründung einer „Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde“ - einen Monat später existierte diese bereits, war Suttner Präsidentin einer zweitausend Mitglieder umfassenden Vereinigung.
     Im November desselben Jahres tagte in Rom der dritte Weltfriedenskongress, und zum erstenmal sprach auf dem Kapitol, wo bislang nur Männer auftreten durften, eine Frau, die - wie sie selbst meinte - „weiter keine Verdienste hatte, als ein aufrichtiges Buch geschrieben zu haben“. Die Autorin wurde zur Vizepräsidentin des neu geschaffenen Internationalen Friedensbüros gewählt, das von Bern aus künftig alle Friedensinitiativen koordinieren sollte. Wie ein Symbol musste es wirken, dass die ersten privaten Gelder, die zu seiner Finanzierung gespendet wurden, von einem Zeitungsverleger kamen. Denn der Besitzer der römischen Tageszeitung „Fanfulla“ druckte eine Übersetzung des Romans „Die Waffen nieder!“ in seinem Blatte ab, gab die Einnahmen in die Kasse der Berner Vereinigung. Auch an der Gründung von Friedensgesellschaften in Deutschland und Ungarn hatte Suttner einen Anteil, und ab Februar 1892 erschien dank ihrer Mitarbeit in Berlin eine neuartige Zeitschrift „Die Waffen nieder! Monatsschrift zur Förderung der Friedensidee“. Die internationale Friedensbewegung erfuhr einen ungeahnten Aufschwung, konnte auch in den militaristischen Staaten Deutschland und Österreich Einfluss gewinnen. Bertha von Suttner entwickelte sich zu ihrer führenden Persönlichkeit. Angefangen hatte all das mit einem Roman, den sie schrieb, um der Friedensbewegung „einen Dienst zu leisten“.