Politikwechsel in der Wissenschaftspolitik?
von Benjamin Hoff und Petra Sitte
Schriften-Reihe der RLS, Bd. 7
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
TORSTEN BULTMANN: Vom öffentlichen Bildungsauftrag zur privaten Dienstleistung – hochschulpolitische Wende in Deutschland
ANDREAS KELLER: Ordinarienuniversität – Gruppenhochschule – Dienstleistungsunternehmen
PEER PASTERNACK: Die aktuelle deutsche Hochschulreform
MORUS MARKARD: Wissenschaft – Macht – Hochschule
HEIKE WEINBACH: Gender-mainstreaming: mehr geSCHLECHT als geRECHT?
DAGMAR SIMON: A long and winding road?
INGRID KURZ-SCHERF, ALEXANDRA SCHEELE UND MAIKE WEERTS: Von Quotenfrauen und männlichen Emanzipationsdefiziten – Studierende und die Geschlechterfrage an der Philipps-Universität Marburg
OLAF BARTZ: Die politischen Funktionen und Wirkungen von Studiengebühren MARITTA BÖTTCHER/ANDREAS KELLER: Der Kampf um die Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums als Fallbeispiel rot-grüner Wissenschaftspolitik
ROLF WEITKAMP: Der BAföG-Ausverkauf geht weiter
FRANK HERMANN: Der sich permanent bildende „Arbeitskraftunternehmer“ – Entgrenzungen der Ware Arbeitskraft und ihre Auswirkungen auf den Bildungssektor
MANFRED SUCHAN: Raus aus der Leibeigenschaft
BARBARA HÖLL/DANIELA TROCHOWSKI: Die Bundesfinanzen und die rot-grüne Regierung: ein Politik-Wechsel?
BENJAMIN HOFF: Hochschulfinanzausgleich – ein Weg zur Neuordnung der Hochschulfinanzen?
WOLFGANG ADAMCZAK: Forschungs- und Technologiepolitik 2000 – Thesen
MANUEL KIPER: Technologieprogramme, Forschungsinfrastruktur
STEFAN MERETZ: „GNU/Linux ist nichts wert – und das ist gut so!“
HEIKE BELITZ/FRANK FLEISCHER: Staatliche Förderung stützt den Neuaufbau der Industrieforschung in Ostdeutschland
GOTTFRIED SEIFERT: Das Wissenschaftler-Integrationsprogramm
Memorandum Forschungs- und Technologiepolitik 1994/1995: Gestaltung statt Standortverwaltung
BENJAMIN HOFF/FELIX STUMPF: Anforderungen an linke Bildungspolitik und das Projekt Sozialer Gerechtigkeit
Die AutorInnen
VORWORT
Die erste rot-grüne Bundesregierung ist nach sechzehn Jahren konservativ-liberaler Koalition mit dem Versprechen angetreten, „nicht alles besser, aber vieles anders“ machen zu wollen. Nach zwei Jahren Amtszeit ist die Bilanz trotz der Warnung des Kanzlers vor überschwänglicher Hoffnung auf einen Politikwechsel auf den entscheidenden Feldern des sozial-ökologischen Umbaus ernüchternd.
Auch der Bundesbildungsministerin ist es aufgrund fehlender Unterstützung innerhalb von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht gelungen, entscheidende Reformprojekte in Wissenschaft, Forschung und Technologie voranzutreiben. Vier Beispiele seien genannt: Noch unter dem Eindruck der studentischen Streikbewegung des Winters 1997/98 verweigerten SPD und Grüne ihre Zustimmung zum Hochschulrahmengesetz, weil der Gesetzesentwurf des damaligen Bildungsministers Jürgen Rüttgers (CDU) kein Studiengebührenverbot enthielt. Mittlerweile hat eine Reihe von Bundesländern damit begonnen, für bestimmte „Ausnahmetatbestände“ („Langzeitstudiums“- oder „Zweitstudiums-Gebühren in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen) oder mit „Verwaltungs“- bzw. „Immatrikulations- und Rückmeldegebühren“ (Berlin, Brandenburg, Niedersachsen) die Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums aufzuheben. Die Bundesbildungsministerin versucht, über einen freiwilligen Staatsvertrag ein Verbot zu erreichen, da auch unter den sozialdemokratischen Bildungsministern kein Konsens über ein Studiengebührenverbot im Hochschulrahmengesetz zu erreichen scheint.
Die Auseinandersetzung um Studiengebühren ist deshalb ebenso ein Fallbeispiel rotgrüner Regierungspolitik wie die gescheiterte BAföG-Reform. Mit einem „Machtwort“ beendete der Bundeskanzler zum Beginn des Jahres 2000 die angestrebte Trendwende in der BAföG-Gesetzgebung und inszenierte damit den Anfang vom Ende einer bedarfsgerechten, elternunabhängigen Ausbildungsfinanzierung ohne Rückzahlungspflicht durchzusetzen.
Das Bundesbildungsministerium hat kein integriertes Konzept zur Reform des Dienstrechtes und der Personalstruktur an Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Die Regierung orientiert sich vor allem am Ziel internationaler Konkurrenzfähigkeit der Spitzenforschung und setzt daher folgerichtig an Berufungskriterien und der Besoldung von ProfessorInnen an. Dadurch geraten nicht unmittelbar professorale forschungsbezogene Tätigkeiten an Hochschulen ebenso aus dem Blick wie die Mehrheit des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals. Es besteht die Gefahr problematischer Disproportionen, wenn unbestreitbare Verbesserungen im Bereich des promovierten wissenschaftlichen Nachwuchses mit einer Höherbelastung und Statusabwertung nachgeordneter Personalkategorien einherginge. Dieser Effekt einer „Umverteilung von unten nach oben“ wird insbesondere durch das Paradigma der „Kostenneutralität“ gestärkt. Mit den vorgelegten Maßnahmen zur Dienstrechts- und Personalreform wird es nicht gelingen, eine Personalstruktur zu etablieren, die sich an einer rationalen, fachlich wie politisch legitimierbaren Arbeitsteilung der an den Hochschulen konkret anfallenden Aufgaben in Forschung, Lehre und Dienstleistungen zu orientieren hat.
Der Wechsel des Technologieressorts an das Bundeswirtschaftsministerium führte dazu, dass die auf Bundesebene verantwortete Innovationspolitik nach wie vor überwiegend auf die Steigerung technologischer Leistungsfähigkeit und industrieller Konkurrenzfähigkeit im globalisierten Standortwettbewerb fixiert blieb. Ein Umbau der Forschungs- und Technologieförderung im Sinne der Bewältigung sozialer und ökologischer Zukunftsaufgaben sowie der Reflexion möglicher Folgen neuer Technologien ist bislang bestenfalls randständig umgesetzt worden.
Vor diesem Hintergrund hat der vorliegende Band eine doppelte Aufgabe. Die Beiträge sollen die Analyse und Bewertung rot-grüner Wissenschaftspolitik anregen und zur Belebung der Debatte über eine demokratische und sozial-ökologische Neuausrichtung der Forschungs- und Technologiepolitik in der Bundesrepublik beitragen.
Das Buches soll als Lesebuch vor allem aber all jenen in die Hand gegeben werden, die sich einen ersten Überblick über die Bandbreite und Positionen kritischer Wissenschaftspolitik verschaffen wollen.
Benjamin Hoff/Petra Sitte