Publikation Staat / Demokratie - Gesellschaftstheorie Soziale Differenzierungen und politische Strukturen

Analysen zur Ermittlung von Zielgruppen für sozialistische Politik und Bildung. von Dietmar Wittich Manuskripte 14 der RLS

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Reihe

Manuskripte

Autor

Dietmar Wittich,

Erschienen

Februar 2001

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Nur online verfügbar

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Analysen zur Ermittlung von Zielgruppen für sozialistische Politik und Bildung. von Dietmar Wittich

Manuskripte 14 der RLS

Inhalt

0. Gradwanderung – statt einer Einleitung

1. Zu Ausganspunkten moderner Sozialstruktur- und Klassenanalyse

2. Veränderungen in der Sozial- und Klassenstruktur der Bundesrepublik Deutschland

2.1. Veränderungen in der Struktur sozialer Gruppen

2.2. Erwerbstätige und andere

2.3. Soziale Gruppen in der Klassenlandschaft im modernen Kapitalismus

2.4. Reproduktion von Klassenstrukturen

3. Politische Potenziale, sozialistische Politik und Bildung vor den Wahlen

3.1. Politische Potenziale, Umfeld sozialistischer Politik und Bildung und deren soziale Merkmale

3.2. Wechsel- und Nichtwähler und sozialistisches Umfeld

4. Politische Kräfteverhältnisse in den Wahljahren 1998 und 1999

4.1. Veränderungen in den politischen Strukturen

4.2. Veränderungen im Umfeld sozialistischer Politik

5. Zu aktuellen Möglichkeiten sozialistischer Politik und Bildung

5.1. Politische Meinungen und politische Potenziale

5.2. Zum politischen Verhalten

5.3. Zum Image sozialistischer Politik

5.4. Soziale Differenzierungen im politischen Verhalten

6. „Hinterm Horizont geht’s weiter ...“

Anhang

Gradwanderung – statt einer Einleitung

Bei der Analyse der Wahlergebnisse und des Wahlverhaltens zu den Wahlen zum 14. Deutschen Bundestag am 27. September 1998 stellte sich heraus, dass für die PDS am Wahltag insgesamt rund 100.000 Frauen mehr gestimmt hatten, als aus den diversen Untersuchungen in den Wochen vor den Wahlen hatte vorausgesehen werden können. Diese Stimmen machten am Ergebnis der PDS 0,2 Prozent der real erreichten 5,1 Prozent aus. Ohne diesen Zuwachs wäre die PDS bei 4,9 Prozent geblieben, sie hätte ihr Wahlziel nicht erreicht, in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen. Es war eine Gradwanderung.

Ich verwende gern in Vorträgen und Gesprächen diesen Sachverhalt als Beispiel dafür, wie notwendig es ist, nicht nur einfach zu zählen, wie viele Frauen und Männer, Jüngere und Ältere usw. sich für diese oder jene Partei entscheiden, sondern auch ihre gesellschaftlichen und politischen Erfahrungen, ihre Meinungen, ihre Zukunftsvorstellungen und -ängste in diesem Zusammenhang zu untersuchen. Ohne Analyse der Hintergründe kann es keine Sicherheit geben, dass sich der Vorgang so oder gar noch besser wiederholen wird.

Das ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Grund, warum Forschungen zu den sozialen Wirkungsbedingungen für sozialistische Politik und Bildung auf den Weg gebracht wurden. Der wichtigste Grund ist, dass diese Gesellschaft Sozialistinnen und Sozialisten und sozialistische Politik als wirkungsvollen Faktor in den politischen Kräfteverhältnissen, die ja zugleich Gestaltungsverhältnisse sind, braucht. Die herrschenden Fraktionen der politischen Eliten dieses Landes könnten noch viel ungestörter ihre Politik durchsetzen und sich dabei zur „Standortsicherung“ dem internationalen Finanzkapital andienen. Ohne sozialistische Politik gibt es in dieser Gesellschaft keine Chance für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Solidarität und mehr Emanzipation und keinen Widerstand und schon gar keine Umkehrung der Umverteilung von unten nach oben.

Die Untersuchungen, für die diese Studie einen Zwischenstand dokumentiert, sind Teil des Projekts „Analysen zur politischen Meinungsbildung“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie sollen dem legitimen Anliegen sozialistischer politischer Bildung dienen, sich über Adressaten und mögliche neue Partner in der Gesellschaft zu informieren. Sie knüpfen an das Projekt „Gesellschaftskritische Potenziale“ an, das von 1996 bis 1999 durchgeführt wurde. Es handelt sich um eine empirisch angelegte Studie, ausgewertet werden Daten soziologischer Untersuchungen.

Es handelt sich also um eine Zielgruppenanalyse. Wenn man zielt, ist man gut beraten, wenn man sich im Zielgebiet auskennt. Deshalb sind Veränderungen in  der Sozialstruktur der Gesellschaft Gegenstand der ersten Abschnitte der Studie. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, sie gehört zu den kapitalistischen Metropolen in unserer Epoche. Es handelt sich um eine moderne kapitalistische Gesellschaft, die eben beides hat: Modernisierungspotenziale und – kurz gesagt – den Widerspruch von Kapital und Arbeit.

Dem muss der Ansatz einer solchen Untersuchung konzeptionell entsprechen. Die Analyse konzentriert sich auf sozialstrukturelle Veränderungen im letzten Jahrzehnt. Untersucht werden Veränderungen in sozialen und demografischen Gruppen, soziale Differenzierungen, Verdrängungen aus sozialen Gruppen, aber auch die Herausbildung neuer Elemente der Sozialstruktur im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen sowie sozialer Benachteiligungen und neuer sozialer Ungerechtigkeiten.

Die folgenden Abschnitte, die den Veränderungen in den politischen Kräfteverhältnissen und speziell der Zielgruppenanalyse gewidmet sind, folgen in ihrer Gliederung der Datenlage, aber auch die ist von Schwerpunktsetzungen abhängig entstanden. Ein Abschnitt beschäftigt sich mit der Situation im Vorfeld der Wahlen von 1998 und 1999, verwendet werden aggregierte Datensätze von eigenen Untersuchungen dieser Zeit. Eine Besonderheit des Abschnittes ist, dass die Menge der Daten eine relativ differenzierte Analyse der Wechselwähler und Nichtwähler ermöglicht. Ein weiterer Abschnitt steht im Kontext der Wahlen von 1998 und 1999, dabei werden vor allem Ergebnisse der Wahlstatistik und der Wahltagsbefragungen ausgewertet. Eine Besonderheit dieses Abschnittes ist die Darstellung von Veränderungen im sozialen Umfeld sozialistischer Politik und Bildung, die zu diesem Zeitpunkt in Erscheinung getreten sind. Dem folgt schließlich ein Abschnitt zur aktuellen Situation, der auf eigenen Daten vom Ende des Jahres 2000 beruht, dabei wurde versucht, neue Phänomene  in der Sozialstruktur mit einzubeziehen.

Nahe an der Empirie angelegte Texte, die Fakten darstellen und interpretieren, bereiten vielen Schwierigkeiten. Es ist wie eine mühsame Wanderung durch knöcheltiefen Sand, um dann vielleicht einen Bernstein zu finden. Ich wünsche vielen Leserinnen und Lesern, dass sie auch auf Bernsteine stoßen.

Berlin, 1. Februar 2001