Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Staat / Demokratie - Gesellschaftstheorie Positionen der IG Metall und des DGB in Fragen der Zuwanderung

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Erschienen

Mai 2002

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Arbeitspapier zur AG 4 Arbeit - Migration - Gewerkschaften

Man kann sagen, dass die Beschlusslage der IG Metall und auch des DGB zu Fragen der Ein- und Zuwanderung sowie zur Lage der illegalisierten Menschen eindeutig ist.

Am 11. September 2001 schreibt Manfred Schallmeier, zuständiges Vorstandsmitglied der IG Metall an den Vorsitzenden der Querschnittsgruppe Integration und Zuwanderung des SPD Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler:

 

Wir in den Gewerkschaften des DGB haben - wie viele befreundete Organisationen auch - nach dem Studium des Berichts der sog. Süssmuth-Kommission mit einer gewissen Befriedigung feststellen dürfen, dass nunmehr erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein schlüssiges, ausländerfreundliches, integratives, die eigene Bevölkerung nicht überforderndes Gesamtkonzept mit einiger Aussicht auf Verwirklichung auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde. Auch wenn der Kompromisscharakter des Berichtes an einigen Stellen zwangsläufig Deutlichkeit und Bekennermut zu klaren, unverwechselbaren Positionen vermissen lässt, so z.B. beim Problem der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Diskriminierung und Verfolgung oder der Legalisierungsangebote an Illegale, sind wir z.B. mit dem Interkulturellen Rat in Deutschland e.V. der Meinung, dass die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission als Einstieg in eine moderne Ausländer- und Zuwanderungsgesetzgebung möglichst zügig und im Konsens politisch und parlamentarisch umgesetzt werden sollten. ...

 

 

Umso enttäuschter mussten wir den ersten Referentenentwurf für ein neues Zuwanderungsgesetz aus dem Hause von Otto Schilly zur Kenntnis nehmen. Nach unserer Einschätzung ist dieser Referentenentwurf unter offensichtlicher Missachtung des Berichts der Unabhängigen Kommission und unter grober Vernachlässigung der Eckpunkte der SPD-Bundestagsfraktion zusammen geschrieben worden. Und insbesondere im Hinblick auf die Gestaltung der Arbeitsmigration und der Integration steht der Referentenentwurf sogar im Widerspruch zu den Vorschlägen der Zuwanderungskommission und von DGB/IG Metall, bzw. bleibt weit hinter ihnen zurück."

 

Der Brief endet mit 7 Forderungen:

 

"1. Die IG Metall spricht sich auch weiterhin für die Rückkehr zur ursprünglichen Fassung des Asylgrundrechtes aus und verlangt die Wiederherstellung des Art. 16.2 GG alte Fassung.

 

 

2. Die IG Metall spricht sich für die Gleichbehandlung der Einwanderer im Bereich der Familienzusammenführung insbesondere beim Nachzugsalter für Kinder bis zum 18. Lebensjahr aus.

 

 

3. Die IG Metall fordert eine Regelung, die hier geborene Kinder - wie z.B. im Fall Mehmet - vor der Ausweisung schützt.

 

 

4. Die IG Metall fordert außerdem Regelungen im humanitären Bereich, die einerseits einen effizienten Schutz für unbegleitet Kinder garantieren und andererseits Schutz vor nicht-staatlicher Verfolgung oder Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen bieten.

 

 

5. Die IG Metall fordert außerdem für alle in Deutschland länger als 5 Jahre lebenden Personen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, unabhängig von einer Sprachprüfung und dem Nachweis über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung. Dafür sollen Integrationsangebote gemacht werden, die eine Erlangung oder Erweiterung der Kenntnisse garantieren und an deren Kosten die Arbeitgeber zu beteiligen sind.

 

 

6. Die IG Metall fordert die Gewährung eines sicheren Aufenthaltstitels an der Stelle der Duldung.

 

 

7. Die IG Metall ist außerdem mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union der Meinung, dass die Legalisierung der Einwanderer, die bisher ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung sind, wie in der EU auch in Deutschland Teil des neuen Migrationkonzepts sein muss. Wichtig ist gleichzeitig die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der Ausbeutung von Einwanderern. Nach Meinung der IG Metall bedarf die Legalisierung keiner außerordentlichen Verfahren oder Amnestie, sondern kann schrittweise unter bestimmten Bedingungen wie Arbeitsbeziehungen, familiären Bedingungen, erfolgreicher sozialer Integration, humanitären Gründen u.a. vollzogen werden."

 

Die vom Kollegen Schallmeyer vertretenen Positionen decken sich im Bezug auf Illegalisierte weitgehend mit Ausführungen der "Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft" in ihrer Stellungnahme zur "Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der illegalen Einwanderung" vom 16.April 2002. Dort heißt es auf S. 4 unter 2.1:

 

"Der Wirtschafts- und Sozialausschuss möchte zunächst einige terminologische Anmerkungen vorbringen. Der Ausdruck ‚illegal' sollte vornehmlich im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Schleusens, des Handelns mit oder der Ausbeutung von Menschen verwendet werden, und zwar um diejenigen zu qualifizieren, die für die Aktivitäten verantwortlich sind oder aus ihnen Nutzen ziehen. Hingegen ist der Terminus ‚illegale Einwanderung', wenn er sich auf die emigrierten Personen bezieht, in bestimmter Hinsicht zu präzisieren. Obwohl es nicht legal ist, ohne Papiere und vorherige Genehmigung in einen Staat einzureisen, liegt hier keine Straftat vor. Die Gleichsetzung von illegaler Einwanderung und Kriminalität, so wie sie von zahlreichen Massemedien praktiziert wird, entspricht nicht der Realität und schürt Ängste und die fremdenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung. Ein illegaler Einwanderer ist kein Krimineller, auch wenn seine Situation nicht rechtmäßig ist."

 

In der Stellungnahme wird weiterhin klar gestellt, dass in einigen Sektoren der europäischen Wirtschaft eine starke Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften besteht und die gegenwärtige restriktive Migrationspolitik weitgehend dafür verantwortlich ist, dass zahlreiche Menschen ohne Papiere in Europa leben. So heißt es u.a.:

 

"Die illegale Einwanderung ist kein Problem, das nur die Polizei oder die Gerichte tangiert." (S. 5, 3.1.1)

 

 

"Die illegale Beschäftigung irregulärer Menschen, welche gegen die arbeitsrechtlichen Vorschriften verstößt, muss als Ausbeutung bezeichnet werden." (Seite 6, 3.2.1)

 

 

"Eine kleine Gruppe von Arbeitgebern nutzt die illegale Situation der Einwanderer aus. Diese Arbeitgeber werden zu Ausbeutern, indem sie diese Personen mit Arbeits- und Leistungsbedingungen konfrontieren, die gegen jegliche Arbeitsvorschrift und/oder jeglichen Tarifvertrag verstoßen." (Seite 6 3.2.3)

 

 

"Deshalb darf die Strafe für die Ausbeutung von Arbeitnehmern nicht auf wirtschaftliche Sanktionen beschränkt bleiben, sondern muss auch im Strafrecht der Mitgliedsstaaten verankert werden." (Seite 6, 3.2.4)

 

 

"Der Vorschlag der Beschlagnahme aller finanziellen Gewinne aus Straftaten im Zusammenhang mit illegaler Einwanderung verdient die Unterstützung des Ausschusses." (Seite 6, 3.2.1)

 

 

"Einwanderer, die in einem illegalen Beschäftigungsverhältnis stehen und sich Extremsituationen ausgesetzt sehen, müssen als Opfer von Ausbeutern betrachtet werden. Deshalb muss klar gestellt werden, dass diese Opfer, wenn sie im Rahmen von Ermittlungen gegen ihre Ausbeuter mit der Justiz zusammenarbeiten, eine gesetzliche Aufenthaltserlaubnis erhalten - so wie dies für die Opfer von Menschenhändlern vorgesehen ist." (Seite 6, 3.3.1)

 

So schöne klare Worte in einer Stellungnahme einer Fachgruppe der EU, wer hätte das vermutet. Diese Stellungnahme wird von der IG Metall sehr begrüßt und in der politischen Auseinandersetzung genutzt. Auch zu den Themenbereichen Legalisierung und Rückkehrpolitik findet die Fachgruppe klare Worte: Unter der Überschrift "Legalisierung der Situation irregulärer Menschen" ist zu lesen:

 

"Eine weitere, grundsätzliche Kritik des Ausschusses am Inhalt der Mitteilung betrifft die Art und Weise, wie Einwanderer, die sich in der EU illegal aufhalten, behandelt werden sollen. Die Kommission erwähnt in diesem Zusammenhang lediglich die Rückkehrpolitik, die zwar notwendig ist, die aber nicht die einzige Reaktion auf die Situation irregulärer Migranten sein darf. ... Die Kommission muss den Mitgliedsstaaten im Rahmen der Koordinierung der Maßnahmen die Möglichkeit zur Erarbeitung von Legalisierungsmaßnamen geben. ... Bei der Legalisierung der Situation irregulärer Migranten muss auch das soziale und berufliche Umfeld der Betroffenen berücksichtigt werden." (Seite 7, 3.5)

 

Eine solche klare Haltung würde der Bundesregierung gut zu Gesicht stehen. Aber es ist offensichtlich, dass diese Bundesregierung - wie auch jede der möglichen neuen Bundesregierungen nach der Bundestagswahl - nur durch massiven öffentlichen Druck in diese Richtung zu bewegen sein wird.

Der DGB hat bereits in seinem Kommentar zum Kabinettsentwurf des Zuwanderungsgesetzes vom 7. November 2001 zur Frage der Illegalisierten Stellung bezogen und beruft sich dabei auf Empfehlungen der Zuwanderungskommission:

 

"Die Kommission empfiehlt, in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz eindeutig klarzustellen, dass Schulen und Lehrer nicht verpflichtet sind, den Behörden ausländische Schüler zu melden, die sich illegal in Deutschland aufhalten. ... Die Kommission empfiehlt daher klarzustellen, dass Personen und Organisationen, die sich aus humanitären Gründen um Illegale kümmern, nicht unter dem Gesichtpunkt des §2a AuslG - Beihilfe - in Strafverfahren gezogen werden." (Zuwanderung sozial gestalten, Teil 2, Seite 7)

 

So weit zur formalen Seite. Wie in vielen Bereichen ist hier die Beschlusslage der IG Metall die eine Seite, die reale Bedeutung dieser Beschlüsse in der Organisationswirklichkeit eine andere.

Gewerkschaften bilden, wie andere Massenorganisationen auch, einen Querschnitt durch die Bevölkerung. Das bedeutet, dass es zwar eine qualifizierte Mehrheit für diese Positionen gibt, aber auch andere Meinungen. In den Betrieben ist auch unter den Mitgliedern der IG Metall nahezu jede Meinung des Spektrums in der Bundesrepublik vertreten, und die reale Zusammenarbeit mit Gruppen, die sich um die Situation Illegalisierter kümmern, ist schwierig.

Es werden immer Einzelne sein, die innerhalb der Gewerkschaften für Zusammenarbeit und Unterstützung ansprechbar sind. In der gewerkschaftlichen Jugendarbeit und überall dort, wo Menschen mit der Problematik der Illegalisierten in direkte Berührung kommen, wird Zusammenarbeit möglich.

Gewerkschaften sind auf Grund ihrer Aufgaben und ihrer historischen Entwicklung keine revolutionären Organisationen. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist zuallererst die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen. Die Erkenntnis, dass dazu auch die Migrationspolitik und erst recht die Situation der Illegalisierten gehört, ist nach meiner Auffassung bei den im DGB vertretenen Gewerkschaften unterschiedlich tief in der Mitgliedschaft verwurzelt.Konferenz: Kommen und bleiben. Migration und interkulturelles Leben in Deutschland. am 24./25. Mai 2002 in Köln, in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen.