Publikation Gesellschaftstheorie Thesen zur Arbeitsmarktentwicklung und Arbeitsmarktspolitik in Sachsen-Anhalt

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Reihe

Online-Publ.

Erschienen

März 2002

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Die Linke und die Macht

Gestaltungsmacht - Gestaltungsspielraum linker Politik

22. und 23. Februar 2002 in Magdeburg

Thesen zur Arbeitsmarktentwicklung und Arbeitsmarktspolitik in Sachsen-Anhalt von Gerald Wagner, Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung Halle-Leipzig e.V. (isw)

  1. Die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt verharrt - mit saisonalen Schwankungen und einem insgesamt geringen Abwärtstrend - seit mehreren Jahren auf sehr hohem Niveau. In den letzten 3 Jahren ist der Bestand an Arbeitslosen selten unter ¼ Mio. gesunken.
  2. Festzustellen ist eine zunehmende Konzentration auf Problemgruppen (Jugendliche mit Bildungsdefiziten und aus sozial schwachen Verhältnissen, Ältere, gering Qualifizierte). In diesem Zusammenhang zeichnet sich eine zunehmende Verfestigung von Arbeitslosigkeit in diesen Problemgruppen (Phänomen Langzeit-Arbeitslosigkeit) ab.
  3. Darüber hinaus ist eine regionale Differenzierung des Problems Arbeitslosigkeit erkennbar, die im wesentlichen auf zwei Ursachen zurück zu führen ist:
    a) unterschiedliche Ausstattung von Regionen mit Arbeitsplätzen (Arbeitsplatzdichte)
    b) Begrenzung der räumlichen Mobilität von Arbeitslosen (durch familiäre Verpflichtungen, ÖPNV-Erreichbarkeit, Verfügbarkeit Kfz, subjektive Faktoren) und durch Mobilität von Arbeitslosen nicht ausgeglichen wird. Das höchste Niveau an Arbeitslosigkeit ist in Regionen (Kreisen) mit relativer Ferne zu wirtschaftlichen Agglomerationen (Oberzentren) und zu den alten Bundesländern zu finden.
  4. Überregionale Prognosen, die grosso modo auch für Sachsen-Anhalt gelten, lassen zumindest mittelfristig keine durchgreifende Verbesserung der Situation am Arbeitsmarkt in Ostdeutschland erwarten. Das Arbeitsplatzangebot (von Unternehmen, öffentlicher Verwaltung, Stellen im 2. Arbeitsmarkt) wird - sieht man von regionalen Differenzierungen ab - insgesamt kaum zunehmen, schon eine Stabilisierung ist als Erfolg zu betrachten.
  5. Es ist eine Illusion zu glauben, die "demographische Lücke", auf die wir fraglos zusteuern, wird unsere Arbeitsmarktprobleme "automatisch" lösen. Wenn es weniger Menschen im Erwerbsalter gibt, dann gibt es nicht nur weniger Arbeitnehmer, sondern auch weniger Arbeitgeber - sofern sich sonst nichts ändert.
  6. Vor diesem Hintergrund werden auch die "Segregationsprozesse" (zunehmende Ausgrenzung leistungsschwächerer Problemgruppen - siehe oben) anhalten, sofern hier nicht wirksam gegengesteuert wird.
  7. Auf der anderen Seite ist die Arbeitsmarktsituation im Fachkräfte-Segment durch zunehmende Defizite beim Arbeitsangebot gekennzeichnet. Eine wachsende Zahl von Firmen findet auf dem regionalen Arbeitsmarkt keine Fachkräfte, um kurzfristig auftretenden Personalbedarf zu decken. Die Situation in diesem Bereich wird durch Abwanderungstendenzen und in der Perspektive durch die geringere Zahl an Ausbildungsabgängern weiter verschärft. Handlungsmöglichkeiten
  8. Arbeitsmarktpolitik ist überfordert, kurzfristig einen Beitrag zur wesentlichen Verringerung der Arbeitslosigkeit insgesamt zu leisten. Was sie kann, ist:
    a) Chancen für Benachteiligte neu "verteilen"
    b) temporäre Auffanglösungen für Chancenlose entwickeln
    c) dem Fachkräfteproblem begegnen.
  9. Chancenverbesserung für Benachteiligte verlangt eine konsequente Konzentration von arbeitsmarktpolitischen Hilfen auf die jeweiligen Problem- bzw. Zielgruppen. Hierfür gibt es verschiedene Instrumente, die geeignet sich, über Qualifizierung, Praktika, Job-Rotation o.Ä. die Beschäftigungsfähigkeit insbesondere von Langzeit-Arbeitslosen schrittweise zu verbessern. Die Förderung der Arbeitsmarktintegration durch finanzielle Einstellungshilfen (Lohnkostenzuschüssen) ist als flankierendes Instrument für Benachteiligte zu sehen. Wenn es nicht gelingt, dem z.Z. noch sehr verbreiteten Einsatz von LKZ bei der Vermittlung Arbeitsloser - und damit verbunden auch die Erwartungshaltung bei Arbeitgebern - wirksam zu begrenzen, haben die eigentlichen Problemgruppen des Arbeitsmarktes nur wenig Chancen auf Wiedereingliederung.
  10. Für einen nicht geringen Anteil der heute Arbeitslosen sind die Chancen auf Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkts als sehr gering einzuschätzen. Dies gilt insbesondere für die Gruppe der älteren Langzeit-Arbeitslosen. Um diese Gruppe nicht dauerhaft sozial auszugrenzen, sollten auch in Zukunft Beschäftigungsprojekte im geförderten Arbeitsmarkt eingerichtet werden. Dies kann vor dem Hintergrund der Situation in der Zielgruppe ausdrücklich nicht mit dem Anspruch verbunden werden, für solche Personen über ABM, SAM etc. den Übergang in reguläre Beschäftigung zu erreichen. Das wird nur in Einzelfällen funktionieren. Insofern ist dieser Ansatz in seiner Wirksamkeit auch nach anderen Kriterien zu bewerten als die auf Wiedereingliederung gerichteten Förderinstrumente. Letztlich wird es hier darum gehen, mit einem gegebenen Budget möglichst viele Arbeitslose zeitweilig "aufzufangen".
  11. Zu bestimmen, in welcher Art von Projekten das sinnvoller Weise geschehen kann, ist auf kommunaler Ebene viel eher möglich als auf der Landesebene. Insofern sollten hier für die Zukunft Lösungen angestrebt werden, die auf eine Stärkung der kommunalen Handlungskompetenzen in der Arbeitsmarktpolitik gerichtet sind. Dass könnte bedeuten, dass das Land den Kommunen Budgets zur Mitfinanzierung von Beschäftigungsprojekten zur Verfügung stellt. Im Gegenzug blieben beim Land die Aufgaben, - die Verteilung des Gesamtbudgets auf die Regionen nach Grad der Schwere der Arbeitsmarktprobleme zu bestimmen, - Richtlinien für die Konzentration dieser Förderung auf bestimmte Zielgruppen zu erlassen, - die Einhaltung der Vorgaben und die finanzielle Effizienz der Umsetzung zu überwachen (Controlling) - die Abrechnung der Mittel (z.B. gegenüber der Europ. Kommission) zu sichern und - für die Verbreitung positiver Erfahrungen ("best practice") zu sorgen.
  12. Um dem Fachkräfteproblem der regionalen Wirtschaft und seiner absehbaren Verschärfung zu begegnen, ist auch künftig ein Engagement im Bereich der beruflichen Erstausbildung und der Qualifizierung von Beschäftigten (insbesondere von KMU) erforderlich. Im Bereich der beruflichen Erstausbildung geht es darum, die Ausbildungsplatzlücke, die auch in den nächsten Jahren zu erwarten ist, durch zusätzliche Angebote zu schließen. Dabei sollten künftige Angebote noch stärker auf die späteren Beschäftigungsmöglichkeiten der Ausbildungsabsolventen abstellen.
  13. Schließlich besteht für die Zukunft eine wichtige Aufgabe auch darin, vor dem Hintergrund der begrenzten Ressourcen der Unternehmen konkrete Bedarfsanalysen und innovative Modelle der berufsbegleitenden Qualifizierung ihrer Beschäftigten zu entwickeln und zu verbreiten. In diesem Zusammenhang müssen insbesondere KMU auch stärker für eine vorausschauende Personalplanung und -entwicklung befähigt werden.