Publikation Globalisierung Die politische Verantwortung der EZB

Die Europäische Zentralbank - Macht außer Kontrolle. Gemeinsame internationale Konferenz der Fraktion GUE/NGL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Reihe

Online-Publ.

Erschienen

November 2001

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Materialien zur Konferenz

Konferenz im Offenen Kanal Berlin (Sonderkanal 8 im Berliner Kabelnetz):

5. November 2001, ab 10:00 Uhr (Teil 1)

16. November 2001, ab 10:00 Uhr (Teil 2)

eine Wiederholung wird gesendet am

13. Dezember 2001, ab 21:00 Uhr (Teil 1)

14. Dezember 2001, ab 21:00 Uhr (Teil 2)

Die Europäische Zentralbank - Macht außer Kontrolle?
Gemeinsame internationale Konferenz der Fraktion GUE/NGL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Meine Damen und Herren,

Als mein Freund Helmuth Markov mir die Einladung zur Teilnahme an dieser Konferenz übergab, war ich zunächst unschlüssig, da ich kein Experte für Währungspolitik bin. Schließlich habe ich mit großem Interesse der Idee zugesagt, die mit der EZB zusammenhängenden Probleme in enger Verbindung mit der den Kern der Debatte über die Zukunft der Europäischen Union ausmachenden strategischen Frage zu diskutieren: Welche Ziele verfolgen wir für Europa?

Ich konnte nicht an allen Ihren Arbeiten teilnehmen, aber ich denke, dass wir alle hier einer Feststellung zustimmen: die EZB ist mit ihrer gegenwärtigen Konzeption nicht in der Lage, den Schwierigkeiten zu begegnen, vor denen Europa heute steht. Die Initiatoren des Maastrichter Vertrages haben die EZB so konzipiert, dass sie sich nicht für Wachstum und Beschäftigung verantwortlich fühlt. Auf dieses Mandat beruft sich Herr Duisenberg, um seinen monetären Fundamentalismus zu rechtfertigen. Seine Vision begrenzt sich darauf, ein niedriges Inflationsniveau zu gewährleisten, die soziale Mäßigung zu predigen und die öffentlichen Ausgaben zu verringern. Indem er das tut, hofft er darauf, zur Glaubwürdigkeit der Bank an den internationalen Finanzmärkten beizutragen, und er wacht deshalb eifersüchtig über seine Unabhängigkeit gegenüber den politischen Kräften. Die Fragen, die unter diesen Umständen ganz legitim von den Bürgerinnen und Bürgern gestellt werden, lauten: Wofür brauchen wir die EZB?

Sie hat uns ein starkes weltweites Wachstum versprochen, aber die Rezession droht. Sie hat versprochen, dass die Euro-Zone gegen die Auswirkungen der amerikanischen Krise geschützt sein wird, aber im Gegenteil, wir unterliegen ihr in vollem Maße. Sie wiederholt beständig, dass die Grundlagen der europäischen Wirtschaft gesund sind, während wir einem neuen Massaker an den Arbeitsplätzen beiwohnen, darunter auch an hochqualifizierten wie im Bereich der Telekommunikation. Diese wiederholten Niederlagen der EZB rufen jedoch keinerlei kritischen Geist in den eigenen Reihen hervor. "Business as usual" . Es erheben sich also mehr und mehr Stimmen, um Veränderungen einzufordern. Ja, aber welche?

Wir sind alle gewohnt, darauf hinzuweisen, dass im Unterschied zur EZB die amerikanische Notenbank FED unter ihren vorrangigen Aufgaben durchaus die Sicherung eines hohen Niveaus der Beschäftigung vorzuweisen hat. Ich glaube, dass das ein stichhaltiges und effektives Argument ist, um den Ultraliberalismus der EZB zu illustrieren, und um so mehr die Revision seines Statuts zu rechtfertigen. Es besteht ebenfalls die Versuchung, die Unbeweglichkeit der EZB mit der Reaktionsbereitschaft der FED zu vergleichen. Die Erstere hat nur ein einziges Mal in diesem Jahr ihren Zinssatz gesenkt, - und das war, um den Zusammenbruch der New Yorker Börse nach dem Schock des 11. September zu verhindern. Die Zweite hingegen hat während des gleichen Zeitraumes mindestens neun Mal das Ausleihen von Geld verbilligt.

In unserer Fraktion gibt es viele, die denken, dass dem Modell des Herrn Greenspan nicht zu folgen ist. Das Idol der Wall Street verweigert den Finanzmärkten nichts. In diese Richtung möchten wir Europa nicht drängen. Es ist hierbei sowieso schon zu stark einbezogen. Und die Verantwortung der EZB darf sich unserer Meinung nach nicht darauf begrenzen, den Zeiger der Zinssätze nach Art der FED zum Ausschlag zu bringen.

Hier stellt sich die strategische Frage, die ich eingangs meiner Darlegungen aufgeworfen habe: Welche Ziele verfolgen wir für Europa? Diese Frage wird angesichts der kolossalen Herausforderungen bei dem tumultartigen Beginn des 21. Jahrhunderts brennend und unausweichlich. Die Rezession droht fast überall, und zum ersten Mal seit fast 20 Jahren treten die USA, Japan und Europa zur gleichen Zeit in eine Krise ein. Das Fehlen einer demokratischen Kontrolle der Globalisierung und der technologischen Revolution schafft weltweit immer mehr destabilisierende Effekte. Schließlich bringen in diesem Zusammenhang die Tragödie des 11. September und alles, was danach folgt, und insbesondere der Krieg in Afghanistan, der Welt beträchtliche Risiken. Die Europäische Union ist vielleicht so grundlegend, wie nie zuvor seit ihrer Gründung, gefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Welche Lehren sind unserer Meinung nach aus der schmerzhaften Erfahrung der letzten 2 Monate zu ziehen? Vor allem diejenigen, die noch daran zweifelten, müssten heute überzeugt sein: Wir leben heute alle in einer einzigen und gleichen Welt. Wenn wir nicht alle auf die eine oder andere Art harte Gegenschläge erleiden wollen, haben wir alle die Verpflichtung, angesichts des schwerwiegenden Nichtfunktionierens der "globalen Regierung" Aktionen zu entfalten. Schließlich unterstützen wir den Aufbruch der Völker, der Gesellschaften und der Bürger in die internationale politische Szene. Keinerlei Konstruktion der Gipfeltreffen wird lange Bestand haben, wenn die die Menschheit drückenden grundlegenden Probleme nicht dem Beginn einer dauerhaften Lösung zugeführt werden. Das trifft insbesondere für die gegenwärtige Koalition gegen den Terorrismus zu: Wenn man nicht schnell und entschlossen die strukturellen Ungleichheiten, die angestauten Frustrationen, die andauernden Konflikte in Angriff nimmt, wird diese Koalition auseinanderbrechen, weil die Benachteiligten sie verwerfen werden. Und es werden die gefährlichen Fischer im schwierigen Wasser sein, die gewinnen werden.

Schließlich, besteht eine dritte große Lehre, die unserer Meinung nach in dieser schwierigen Zeit zu ziehen ist, in der großen Rückkehr der Politik. Die Kritiker erheben sich gegen die Ideologie des "Alles-ist-Markt", der allmächtigen Technologie, der Unantastbarkeit der freien Zirkulation des Kapitals. Die Idee greift um sich, dass eine politische Wahl getroffen, der politische Wille überprüft und die politische Verantwortung übernommen werden müssen, wenn man aus der gefährlich chaotischen Situation herauskommen will, in die uns die Politik des Sich-treiben-lassens gebracht hat.

Es ist die Gesamtheit dieser neuen Aspekte, die man meiner Meinung nach im Kopf haben muß, wenn man über die Rolle nachdenkt, welche die Union ihre Zentralbank in Zukunft spielen lassen will.

Heute werden an die Europäische Union Ansinnen einer unbestreitbaren Gerechtigkeit und einer großen zivilisatorischen Reichweite herangetragen. Ich denke z.B. an das lebenslange Lernen und die Vollbeschäftigung für Jede und Jeden. Aber da die Europäische Union nicht die Mittel für eine solche Politik bereitstellt, zeigt sie sich unfähig, diese zu konkretisieren. Schlimmer noch, die Situation verschlechtert sich erneut, wie man sieht.

Das Problem, das es in dieser Hinsicht zu lösen gilt, ist die zu große Abhängigkeit der Finanzmärkte, um solche Projekte zu finanzieren. Die Europäische Zentralbank ist heute aufgerufen, mit dem Dollar zu rivalisieren, um das Kapital anzuziehen. Es handelt sich also für sie darum, für die Finanzhaie so attraktiv wie möglich zu sein, denn die Erfordernisse der Rentabilität sind einfach nicht kompatibel mit den notwendigen Investitionen in die menschlichen Fähigkeiten: qualifizierte Arbeitskräfte, lebenslanges Lernen, Forschung, und alle Bestandteile einer ausnahmslos dauerhaften Entwicklung. Die neoliberale Strategie der EZB ist in jeder Hinsicht gescheitert: das Kapital ist weit davon entfernt, nach Europa zu strömen, es geht massiv in die einträglichsten äußeren Märkte, vor allem in den USA. Was den Preis anbetrifft, um Europa für dieses flüchtige und Feinschmecker-Kapital attraktiv zu machen, vor allem in sozialer und ökologischer Hinsicht, und besonders stark in der Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Südens, so ist er immer höher geworden. Um das zu ändern, ist die Aufnahme der Frage der Beschäftigung in die Richtlinien der EZB erforderlich, aber noch nicht ausreichend. Es sind tiefgreifende Veränderungen erforderlich.

Äußerst stimulierende Ideen sind in den Arbeiten von zahlreichen Ökonomen enthalten. Sie verdienen es, ausführlich diskutiert und erprobt zu werden. Zum Beispiel diejenige einer selektiven Verringerung des Zinssatzes der EZB. Sie würde nur Investitionen zur Schaffung stabiler Arbeitsplätze, der Aus- und Weiterbildung, Ausgaben zugunsten des Umweltschutzes, der Kultur, der Lebensqualität betreffen. Eine solche Entwicklungsstrategie könnte in meinen Augen nicht der Verschwiegenheit eines Direktoriums der Zentralbanken überlassen bleiben. Sie müßte mit genau festgelegten Zielen und einem von den Regierungen und der Union in Verbindung mit dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten festgelegten Zeitplan aufgestellt werden. Ebenfalls müßte sie Gegenstand einer möglichst nahen Begleitung durch die Bevölkerung, die Gewerkschaften, die NRO's und die gewählten Vertreter der Bürger sein. Dabei würde es sich um eine wahrhafte Mobilisierung im Maßstab der gesamten EU handeln, deren Ziel es letztendlich wäre, jeder Frau und jedem Mann während ihres gesamten aktiven Lebens eine Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation oder eine Aus- und Weiterbildung, die den Weg zu einem besseren Arbeitsplatz eröffnet, garantieren zu können. Die Europäische Union könnte sich angesichts dieses alternativen Modells zum All-Liberalen auf der internationalen Bühne sehr offensiv zeigen und sich zum Anwalt eines weit ausholenden Versuches zugunsten der Entwicklung aller Völker der Erde zu machen: Der Zugang einer Jeden und eines Jeden zu Trinkwasser, zu angemessener Gesundheit, zu einer Grundbildung, zur Arbeit....

Sie würde dabei die Unterstützung der verschiedenen Verbündeten, die in jeder Region der Welt so unter der exorbitanten Last der Finanzmärkte und der Dominanz des Dollars leiden, genießen. Es ist symptomatisch, dass der Nobelpreis für Wirtschaft in diesem Jahr an einen ehemaligen hohen Verantwortlichen der Weltbank ging, der aus dieser Institution entlassen wurde, weil er das vorherrschende Wirtschaftsmodell kritisiert hatte. Er plädiert dafür, dass Investitionen in das Human-Kapital Priorität eingeräumt wird. Das ist auch das, was wir vorschlagen.

Dieser neue Weg verläuft über den mächtigen Aufschwung der Zusammenarbeit auf dem ganzen Planeten, darunter im monetären Bereich. In Frankreich hat Prof. Boccara vor kurzem in "Le Monde" die Idee der "zinslosen Kredite und der Spenden in Euro (eine Art Marshall - Plan)", die unseren Partnern im Süden und im Osten "für ein reales Wachstum, für Beschäftigung, Bildung, Forschung" zur Verfügung gestellt werden sollten. Diese Kredite und Spenden würden es ihnen erlauben, günstig bei den Ländern der Europäischen Union einzukaufen, dabei ihre eigenen Arbeitsplätze zu fördern und gleichzeitig die Euro-Reserven der Zentralbanken zu vergrößern. Das könnte in die Schaffung eines gemeinsamen Weltgeldes einmünden.

In den letzten Tagen hat eine auf die Risiko-Einstufung von Investitionen in den Ländern der Welt spezialisierte Firma eine wahrhaftes Bild der weltweiten Unsicherheit gezeichnet. Insbesondere auf Asien, Afrika und den Nahen Osten wurde hingewiesen. Man weiß ja darüber hinaus, dass Argentinien dabei ist, unter der Last seiner Schulden zusammen zu brechen, mit dem Risiko, Brasilien in seinen Fall hineinzuziehen; dass das große Indonesien ebenfalls droht einzustürzen; dass der Iran und die Türkei eine tiefe Krise durchlaufen. Die Internationale Organisation für Arbeit (ILO) beziffert die in den kommenden 10 Jahren in der Welt zu schaffenden Arbeitsplätze auf 1 Milliarde.

Angesichts solcher Herausforderungen ist jeder vor eine schwere Verantwortung gestellt. Das vorgeschlagene neue Leben stellt in diesem Zusammenhang ein anderes, überzeugenderes Herangehen an die internationale Sicherheit als das gefährliche Versinken im Krieg in Afghanistan dar. Zumindest verdient das ein Nachdenken.

Vielleicht habe ich mich ein wenig zu weit von unserem Thema, der politischen Verantwortung der EZB entfernt. Aber um ehrlich zu sein, glaube ich das nicht.

Vielen Dank