Publikation Demokratischer Sozialismus Politikwechsel in Mecklenburg-Vorpommern?

Die SPD-PDS-Koalition fünfzehn Monate nach ihrem Amtsantritt (Explorationsstudie).

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Online-Publ.

Erschienen

Januar 2001

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Die SPD-PDS-Koalition fünfzehn Monate nach ihrem Amtsantritt

(Explorationsstudie).

Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Zum politischen und sozialwissenschaftlichen Reformdiskurs

1.1 Politische Diskurse um Reformstau und Modernisierung

1.2 Sozialwissenschaftlicher Modernisierungs- und Transformationsdiskurs

1.3 Zum Diskurs um politische Steuerungsfähigkeit und “Policy-Making”

1.4 Erfordernisse einer modernen Reformpolitik

2. Vorgeschichte und Ausgangssituation der “rot-roten” Koalition

3. Die Mühen der Ebene: ausgewählte Lernprozesse auf dem Wege zur politischen Gestaltungsfähigkeit

3.1 Finanzen: gestalten und konsolidieren

3.2 Land und Kommunen

3.3 Wirtschaft und Umwelt

3.4 Arbeit

3.5 Soziales

4. Akteurskonstellationen, politische Kultur und Akzeptanz

4.1 Wer gestaltet Landespolitik?

4.2 Hoffnungen und Befürchtungen

4.3 Koalitionsbeziehungen: Politische Kultur und politische Handlungsfähigkeit

4.4 Opposition vor neuen Herausforderungen

4.5 Politische Kultur und Demokratie im Lande

4.6 Zur Akzeptanz der neuen Koalition

4.7 Akteurskonstellationen und Machtbalancen

5. Zusammenfassung: Ansätze und Herausforderungen eines Politikwechsels in Mecklenburg-Vorpommern

6. Zur Fortsetzung der Studie

7. Nachweis der wissenschaftlichen Literatur

0. Einleitung

Nach den Landtagswahlen von 27. September 1998 in Mecklenburg-Vorpommern gelangte – zum ersten Mal in der deutschen Geschichte – eine SPD-PDS-Koalitionan die Regierungsmacht eines Bundeslandes. Von Anfang an trat sie mit dem Anspruch auf, einen “Politikwechsel” im Lande durchzusetzen. Diesem Gedanken gehen wir in dieser Studie nach, stellt sich doch die Frage, inwieweit auf der Ebene eines Bundeslandes überhaupt die Möglichkeit besteht, einen Politikwechsel durchzusetzen (siehe unser allgemeines Verständnis vom Begriff “Politikwechsel im Abschnitt 1.3) und wenn “ja”, in welche Richtung ein solcher Politikwechsel von den Voraussetzungen einer “rot-roten” Koalition her angestrebt wird bzw. realisierbar erscheint. Zieht man die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS sowie die Regierungserklärung von Ministerpräsident Ringstorff zu Rate, kann man daraus entnehmen, dass anfangs ein Politikwechsel in eine Richtung angestrebt wurde, die vor allem auf mehr Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie sowie auf eine Versöhnung im Lande abzielt.

Beinahe jeder Regierungswechsel – ob auf Bundes- oder auf Landesebene – wurde bisher dadurch legitimiert, dass ein Wechsel politischer Prioritäten erforderlich sei. Ganz besonders trifft dies dann zu, wenn die politisch tragenden Regierungskräfte infolge von Wahlen wesentlich oder gänzlich neu konstituiert werden. Der Hintergrund der Debatte um einen Politikwechsel ist heute jedoch weitaus grundsätzlicher als die Tatsache, dass es eben immer eine Verlagerung oder einen “Wechsel” politischer Prioritäten bei Regierungswechseln gibt. Denn heute wird aus allen politisch und sozial relevanten Richtungen Deutschlands ein tiefgreifender Reformbedarf der bestehenden institutionellen Regulierungssysteme angemahnt.[1] Vorherrschend verweist man auf die Zwänge wirtschaftlicher Globalisierung, die eine forcierte Freisetzung der Wettbewerbs- und Marktkräfte sowie eine entsprechende Anpassung von Staat und Gesellschaft erforderlich machen würden. Hierzu entgegengesetzt werden in Wissenschaft und Politik zunehmend differenziertere Positionen ausgearbeitet, die einen grundlegenden “Richtungswandel” bis hin zu alternativen Entwicklungspfaden gegenüber den neoliberalistischen Trends der Moderne-Entwicklung für notwendig erachten (vgl. Gliederungspunkt 1.).

Jeder Anspruch auf einen “Politikwechsel” ist daher unweigerlich in die Frage eingebunden, wie, in welcher Richtung der in Deutschland bestehende Reformstau aufgelöst werden soll, welche Rolle hierbei marktliberale bzw. sozialstaatliche, wertkonservative bzw. wertoffene Orientierungen spielen sollen. In keiner der großen politischen Parteien Deutschlands gibt es gegenwärtig hierfür klare oder gar einheitliche Orientierungen: Im christdemokratischen Lager Deutschlands gruppieren sich marktliberale, wertkonservative und christlich-sozialstaatliche Vertreter neu. Im sozialdemokratischen Lager steht die Auseinandersetzung um eine Neuaustarierung neoliberaler und sozialstaatlicher Werteorientierungen noch in den Anfangsschritten. Auch bei den “Bündnisgrünen” und im Lager der Sozialisten ringt man um Neuorientierungen – denn sowohl traditionell ökologische als auch traditionell “linke” bzw. “linkssozialistische” Positionen greifen nicht mehr, wenn sie mit den veränderten Realitäten konfrontiert werden.

Insofern ist der Anspruch eines Politikwechsels heute etwas anderes als er in der Geschichte immer war. Es geht nicht nur um Veränderungen von Akzenten oder Prioritäten in der Politik, sondern um die Suche nach neuen Entwicklungspfaden in einem gesellschaftlichen Umfeld, das tiefgreifender und komplexer Reformen bedarf.

Mit dem Projekt wollen wir mit Mitteln der empirischen Sozialforschung letztlich der Frage nachgehen, welche Ansätze es in diesem Sinne auf der Suche nach neuen Entwicklungspfaden gibt und welche tatsächlichen Chancen für ihre Realisierung auf der Ebene von Bundesländern bestehen. Untersucht werden soll, welche spezifischen Akteursgruppen und ‑koalitionen diese oder jene Reformansätze konstitutiv tragen, mit welchen Handlungsorientierungen, -mustern und -ressourcen sie agieren, welche institutionellen Strukturen sowie Steuerungs- und Orientierungssysteme für die Implementation von Reformprojekten daraus erwachsen und welche Rückwirkungen sich für die Veränderung der politischen Parteienlandschaft ergeben können.

Diesem längerfristigen Ziel unserer Arbeit stellen wir eine “Explorationsstudie” voran. Bei der Explorationsstudie handelt es sich um den Einstieg in das Untersuchungsfeld, um eine Problemskizze zum Handeln der politischen Akteure im Lande, bezogen auf die Implementation der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS. Ferner ist es das Anliegen der Explorationsstudie, einen auf erprobte empirische Erfahrungen und breite Feldkenntnis gestützten Plan für die Durchführung umfangreicherer wissenschaftlicher Untersuchungen zu erstellen, hierfür entsprechende Arbeitshypothesen und Grundkenntnisse zu gewinnen.

Dabei bietet sich Mecklenburg-Vorpommern vor dem Hintergrund der genannten “großen politischen Debatten” für eine solche wissenschaftliche Untersuchung aus mehreren Gründen an:

Erstens erfahren die allgemeinen Problemlagen der ostdeutschen Länder in Mecklenburg-Vorpommern eine besonders brisante Fokussierung, sind hier die wirtschaftlichen, sozialen und regional-strukturellen Umbrüche infolge des Transformationsprozesses zugespitzter und problembeladener als in anderen Ländern. Besonders große Reformbedarfe liegen allein schon deshalb auf der Hand, weil die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns die größten Strukturschwächen unter den neuen Bundesländern hat.

Zweitens ist es eben besonders interessant, die politischen Gestaltungsmöglichkeiten von Parteien in Regierungsverantwortung zu untersuchen, die explizit einen Politikwechsel, einen reformerischen Anspruch mit “richtungswandelnden” Ansätzen zum strategischen Ziel erhoben haben. Außerdem bezog die neue Landesregierung unter Ministerpräsident Harald Ringstorff ihren Anspruch auf einen Politikwechsels gewiss nicht allein auf eine Wechsel gegenüber der CDU-geführten Vorgängerregierung, sondern auch gegenüber einer Reihe bisher dominierender Denk- und Handlungsmuster der Bewältigung deutscher Einheit. Dies unterscheidet sich beispielweise von den Reformansprüchen im Land Sachsen oder auch im Land Bayern, die sowohl inhaltlich als auch von den Möglichkeiten her zum Teil andere Akzente ihrer Modernisierungspolitik setzen. Bei einer Fortsetzung des Projektes sollten allerdings diese und/oder andere Bundesländer in einen Vergleich stärker einbezogen werden.

Drittens: Spezifisch für die Erfahrungen Mecklenburg-Vorpommerns dürfte auf absehbare Zeit sein, welche Politik- und Reformansätze eine von SPD und PDS getragene Regierung entwickelt. Da eine Regierungskoalition aus SPD und PDS bislang in den deutschen Ländern einmalig ist, perspektivisch jedoch kein “Ausnahmefall” bleiben muss, steht diese ganz besonders im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit wie auch öffentlicher Kritik, ist es daher in besonderem Maße angebracht, mit wissenschaftlichen Methoden die Spannungsfelder und Prozessverläufe zwischen Ansprüchen und Wirklichkeit im Zusammenhang mit der Politik dieser Regierungskoalition zu untersuchen.

Dabei setzen wir nicht voraus, dass die Etablierung von Reformprojekten ausschließlich oder auch nur prioritär “von oben” bzw. von Regierungsparteien erfolgen kann. Vielmehr zeichnet sich nach unseren bisherigen Forschungserfahrungen ab, dass maßgebliche Reformimpulse auch aus Kommunen und Regionen unterhalb der Landesebene erwachsen und dass gerade dort neuartige Koalitionen von Reformakteuren entstehen können. Zudem ist zu untersuchen, welche Impulse nicht nur von Regierung, sondern auch von oppositionellen Parteien sowie von Verbänden, von Bürgerinitiativen und gesellschaftlichen Bewegungen hierfür ausgehen können. Auch in diesem Falle ist aber die politische Reaktionsfähigkeit der Regierung sowie der politischen Mehrheiten im Parlament hinsichtlich der institutionellen Etablierung von Reformprojekten in die Untersuchung einzubeziehen. Unser Interesse richtet sich insbesondere darauf, welche gesellschaftlichen Reformkoalitionen sich hierbei herausbilden können, welche Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Akteursgruppierungen stattfinden, ob und wie dabei gegebenenfalls über traditionelle Grenzen zwischen Parteien und anderen politischen Akteuren Kooperation stattfindet und/oder sich neue “Cleavages” (Trennungen, “Gräben”) zwischen maßgeblichen landespolitischen Akteuren entwickeln.

Der bisherige Verlauf des Regierungshandelns in Mecklenburg-Vorpommern seit Ende 1998 zeigt diese komplizierten Auseinandersetzungen und Konstellationsverschiebungen: Ausgangspunkt der neuen Regierung war das kulturpolitisch formulierte Ziel, Trennendes zu überwinden, Brücken zu bauen, Versöhnung zu befördern. Dazu gehöre Offenheit gegenüber neuen Argumenten, die Bereitschaft zu lernen und Aufgeschlossenheit für Veränderungen. Daneben nahm sich die Landesregierung das Ziel von mehr Gerechtigkeit als Richtschnur ihres Handelns vor. Es sind somit grundlegende Fragen der Veränderung politischer Kultur und der gesellschaftlichen Beziehungen, die die Regierung als Ausgangsprämisse und Leitidee eines Neuanfangs im Lande sah. Hierdurch sollte die politische Kapazität dafür geschaffen werden, grundlegende strukturelle Bereiche der Entwicklung des Landes schrittweise zu reformieren.

Das Ziel der Explorationsstudie besteht im engeren Sinne darin zu klären,

–        mit welchen Reformvorstellungen die Parteien SPD und PDS ursprünglich in die neue Regierung eintraten und wie bzw. durch welche Faktoren diese Reformvorstellungen realisiert, modifiziert, geändert oder verworfen wurden;

–        ob und wie mit dem Anstreben von Reformprojekten ein entsprechender Politikwechsel praktiziert wurde, worin dieser gegebenenfalls besteht, worin seine Chancen, Probleme und Barrieren bestehen sowie welche Ergebnisse im Verlaufe dessen Realisierung für die Regionalentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern bisher erkennbar sind;

–        welche Akzeptanz und welche neuen Konflikte in bezug auf die Regierungspolitik bei relevanten (parteipolitischen, verbandlichen und anderen) Akteurs- und Elitengruppen im Lande hervortreten; welche Folgen sich hieraus für eine Veränderung der politischen Akteurskonstellationen und insbesondere für SPD und PDS ergeben.

–        welche Chancen und Blockaden sich generell für die Handlungsfähigkeit von politischen Reformakteuren in Regierungsverantwortung und für eine Fortführung des Reformkurses im Lande anzeigen.

Hierzu wurden ca. 35 qualitative Interviews auf der Führungsebene von Ministerialverwaltungen, Parlamentsfraktionen, Landesverbänden der Parteien, Verbänden und anderer relevanter Organisationen durchgeführt, umfangreich Dokumente und Materialien analysiert. Das Interesse im Rahmen der Exploration richtete sich mithin noch nicht auf Erfahrungen und Sichten der Parteibasen, der Verbandsmitgliedschaften sowie der Gesamtbevölkerung des Bundeslandes. Nicht untersucht bzw. unterbelichtet wurde das außerparlamentarische Agieren der Parteien. Bei der Auswahl der Gesprächspartner legten wir Wert auf eine ausgewogene Präsentation der verschiedenen politischen und sozialen Akteure im Lande. Obwohl uns die Intensionen, die Orientierungen der maßgeblichen Akteure im Lande für unsere bisherigen und zukünftigen Untersuchungen wichtig sind, verzichten wir auf die Nennung der Interviewpartner, um die dargelegten Problemlagen von vornherein zu entpersonalisieren. Sofern in der vorliegenden Studie Gedanken aus diesen Interviews sinngemäß zitiert werden, erfolgt dies in anonymisierter Form.

Den qualitativen Interviews lag ein von uns ausgearbeiteter Leitfaden zugrunde, der mehr oder weniger entsprechend der konkreten Interviewpartner spezifiziert wurde. Die Interviews wurden frei geführt, d.h. sie orientierten sich in starkem Maße auch an den Fragen und Problemen, die die Interviewpartner von sich aus aufwarfen. Dieses Vorgehen erschien uns in der Explorationsphase notwendig, um die Darlegungen der Gesprächspartner nicht von vornherein durch eine zu eng begrenzte Fragestellung einzuengen. Allgemein lag folgender Leitfaden zugrunde:

1.      Welche Hoffnungen/Befürchtungen verbanden Sie mit Blick auf den Regierungswechsel vor gut einem Jahr?

2.      Worin sehen Sie Kontinuität und worin veränderte Ansätze in der praktischen Regierungspolitik gegenüber der CDU-geführten Koalition?

3.      Wie schätzen Sie die bisherigen Ergebnisse der Regierungskoalition ein – gemessen an den Zielen, einen Politikwechsel im Lande durchzusetzen? Welche Lernprozesse vollzogen sich? Worin liegen die Ursachen für Probleme;

§        in der schwierigen Haushaltssituation?

§        In Schwierigkeiten der Akteurskonstellationen?

§        Im Bereich der Kompetenzen der Regierung (oder der Politik usw.)?

4.      Worin sehen Sie in MV hauptsächlich Reformbedarfe (gemessen an dem, was innerhalb eines Bundeslandes möglich ist), darunter (aber nicht allein) in den Bereichen

§        Arbeit und Beschäftigungsförderung

§        Öffentliche Institutionen, Demokratie-Entwicklung und politische Kultur?

5.      Welche Aktivitäten hat Ihre eigene Organisation (Ihr Verband; Ihre Fraktion usw.) im Hinblick auf die Entwicklung der Landespolitik geleistet? Welche Vorschläge, Positionen usw.?

6.      Wie beurteilen Sie die öffentliche Atmosphäre, die Akzeptanz und die Stimmungen in Ihrer Mitgliedschaft sowie unter wesentlichen politischen, wirtschaftlichen und geistigen Verantwortungsträgern des Landes ein Jahr nach dem Regierungswechsel?

7.      Gibt es Veränderungen in den Konstellationen der politischen und verbandlichen bzw. anderen gesellschaftspolitischen Akteure im Lande (festgefügte “Blöcke” oder Offenheit von Position zu Position)?

8.      Auf welche politischen und sozialen Akteure soll(t)en und könn(t)en sich jene Reformvorschläge, die Sie selbst präferieren, im Lande stützen, welche stehen ihnen eher reserviert, abwartend, blockierend gegenüber?

9.      Gibt es Veränderungen im tatsächlichen Machteinfluss auf landespolitische Entscheidungen: Einfluss der Ministerialverwaltung und Landesbehörden, Einfluss der Parlamentsfraktionen, der Landesverbände der Parteien, der Verbände, Medien, der Wirtschaft usw.?

10.  Welche Konflikte sind Ihrer Meinung nach in der Landespolitik erkennbar? (zwischen Regierung und Opposition, zwischen den Koalitionspartnern, zwischen den Fraktionen und ihrem jeweiligen Landesverband, zwischen Regierung und der Kommunikation mit der Bürgerschaft, zwischen Interessen artikulierenden Verbänden und den Interessen bündelnden Parteien?)

An dieser Stelle wollen wir allen Gesprächspartnern sowie allen Personen danken, die uns durch ihre Kooperationsbereitschaft die Erarbeitung dieser Studie ermöglichten. Wir stießen in fast allen Fällen, bei denen wir uns um Gesprächskontakte bemühten, auf Offenheit, Bereitschaft und Interesse gegenüber unserem Anliegen. Wir hoffen unsererseits, mit unseren Ergebnissen ein wenig dazu beitragen zu können, die kritische Selbstreflexion seitens der verschiedenen landespolitischen Akteure zu qualifizieren.

1. Zum politischen und sozialwissenschaftlichen Reformdiskurs

1.1 Politische Diskurse um Reformstau und Modernisierung

Für die Bearbeitung des Projektthemas sind die politischen Diskurse – insbesondere die Reformdiskurse – von großer Bedeutung. In der Politik wird von allen Seiten darauf verwiesen, dass die heutigen kapitalistischen Industriegesellschaften vor der Herausforderung grundlegender Reformen ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen stehen. Sie ergeben sich aus radikalen Globalisierungs- wie auch neuen Regionalisierungstendenzen, aus tiefgreifenden Umbrüchen der Wirtschaftsstrukturen, der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, der Arbeitswelten, sozialen Verhältnisse, Lebenswelten und Wertesysteme. Zur Debatte und in kontroverseren Auseinandersetzungen stehen eine Neudefinition der Beziehungen von Staat und Markt, der Zukunft des Sozialstaates, des Verhältnisses von individueller Verantwortung und gesellschaftlicher Solidarität, der Stellung der Geschlechter u.v.a.m. – alle Bereiche der Bundes- wie Landespolitik werden hiervon tangiert.

Die auf Bundes- und Landesebene agierenden politischen Akteure, insbesondere die Parteien bzw. parteinahe Stiftungen und Gremien, gehen auf diese Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft in unterschiedlicher Weise ein. Ihre in den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre entwickelten Gesellschaftsentwürfe greifen nicht mehr. Neue (im einzelnen sehr unterschiedliche) Ansätze wurden u.a. vorgestellt durch die Ergebnisse der Zukunftskommission der Bundesländer Bayern und Sachsen, der Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung[2], durch die Initiative UMDENKEN der Friedrich-Naumann-Stiftung, den Kommentaren zur Programmatik der PDS (Brie, A. et al. 1997; Rostocker Manifest der PDS[3]; Gysi 1999[4]; Klein u.a. 2000) u.a.m.

Das Thema “Ostdeutschland” nimmt im Zusammenhang mit den Reformdebatten einen besonderen Platz ein. Verdrängten zunächst die Aufgaben bei der Herstellung der deutschen Einheit in den 90er Jahren die bereits sichtbaren Reformbedarfe der bundesdeutschen Gesellschaft, wird heute immer deutlicher, dass die Probleme Ostdeutschlands und der deutschen Einheit nur dann gelöst werden können, wenn auch in den alten Bundesländern der angestaute Reformbedarf schrittweise Lösungen zugeführt wird. Ostdeutschland ist weniger denn je allein unter dem Gesichtspunkt der “Angleichung” gesellschaftlicher Strukturen und Lebensverhältnisse zu sehen, sondern als ein spezifischer Teil der deutschen Gesellschaft, in dem sich die allgemeinen Herausforderungen struktureller Wandlungen in Deutschland auf besonders markante Weise brechen. Ostdeutschland ist kein zeitlich befristeter “Sonderfall”, vielmehr überlagern sich die übergreifenden Fragen gesellschaftlichen Reformbedarfes in Deutschland mit ganz spezifischen Problemlagen des ostdeutschen Transformationsprozesses. Die Chancen für einen fortgeschrittenen Reformwandel in Ostdeutschland ergeben sich insbesondere daraus, dass die bestehenden Strukturen wie auch Besitzstände noch weniger festgefahren sind, die Erfahrungen fortschreitenden Wandels virulenter und Öffnungen eher möglich sind. Auch aus dem spezifischen Wertehaushalt der Ostdeutschen ergeben sich diesbezüglich Anknüpfungspunkte (Koch 1997, Koch/Woderich 1998, Reißig 1998a). Die Konzentration der Untersuchungen auf Reformprojekte und -erfahrungen in Ostdeutschland ermöglicht deshalb einen geeigneten Zugang, um generell einen Beitrag zur Reformdiskussion in Deutschland zu leisten. Gleichzeitig sollen die Reformerfahrungen in westdeutschen Bundesländern ebenso einbezogen werden wie auch Reformdebatten auf makrostaatlicher und internationaler Ebene. Bei den Analysen zu Ostdeutschland ist vorausgesetzt, dass sich die wirtschaftliche, soziale und politisch-kulturelle Entwicklung in und zwischen den neuen Bundesländern sehr differenziert vollzieht, andererseits aber relevante Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland insgesamt bestehen bleiben.

Neoliberale Tendenzen in den Reformorientierungen politischer Akteure bestimmen spätestens seit Mitte der 90er Jahre in stärkerem Maße den Modernisierungskurs. Sie laufen hauptsächlich darauf hinaus, günstigere (steuerliche und andere gesetzliche) Bedingungen für die Wettbewerbs- und insbesondere die Weltmarktfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu schaffen, weitgehende wirtschaftliche Deregulierungen zu ermöglichen, wirtschaftliches Wachstum und wirtschaftliche Expansion in globalen Dimensionen voranzutreiben und versprechen zum Teil auf diesem Wege – verbunden mit tiefen Einschnitten in das bisherige System sozialstaatlicher Regulierungen und staatlicher Verantwortungswahrnahme – einer Lösung der gravierenden Arbeitsmarkt-, sozialer, ökologischer, politisch-demokratischer und anderer Problemlagen näher zu kommen. Trotz der Dominanz und scheinbarer Alternativlosigkeit dieses neoliberalistischen Modernisierungskurses sind die Richtungsauseinandersetzungen unter den politischen Kräften in Deutschland nicht entschieden. Im Zentrum der anhaltenden Debatten und politischen Auseinandersetzungen steht heute der Konflikt zwischen dem vermeintlichen Anpassungszwang an die neue Phase wirtschaftlicher Globalisierung einerseits und der Frage andererseits, was unter diesen Bedingungen die Bewahrung und Neudefinition des Sozialstaates bedeuten können (Habermas 1999). Generell werden damit die Fragen nach dem Verhältnis von Markt, Staat und Gesellschaft neu gestellt, differenzieren sich die politischen Antworten aus: nicht nur zwischen den politischen Parteien, sondern in hohem Maße auch innerhalb der politischen Parteien wie deren Umfelder.

Die “strikte” Variante neoliberalistischer Modernisierungspolitik, die in Deutschland u.a. im BDI vertreten wird, sieht in der Freiheit des wirtschaftlichen Wettbewerbes, des Marktes (“Vision einer entfesselten Marktwirtschaft” – so der Chefvolkswirt der Deutschen Bank[5]) und günstigster Bedingungen für Gewinnmaximierung, wofür der Staat die Bedingungen zu schaffen habe, den Lösungsansatz auch für wirtschaftliches Wachstum und auf diesem Wege der Überwindung von Massenarbeitslosigkeit. Nur wenn sich das Wettbewerbs-(Konkurrenz-)prinzip voll entfalten kann, könne es Potentiale für die Lösung der sozialen Problemlagen zur Wirkung bringen. Gleichzeitig wird eine weitgehende Anpassung der sozialen Ansprüche und des sozialen Verhaltens der Bevölkerung an die Prinzipien des Marktes impliziert. Nur durch Wirtschaftswachstum und Steuererleichterungen für die Unternehmen könne Arbeit geschaffen werden. Der entscheidende Akteur des “neuen Zeitalters” sei der kreative, risikobereite, auf neue Technologien orientierte Unternehmer. Den Erfordernissen der Wirtschaft werden die anderen Gesellschaftsbereiche tendenziell zu- und untergeordnet: “Partizipation” und “Teilhabe” werden vor allem als “Vermögensbildung” und “Aktienbildung” gesehen, “Demokratie” wird in den Dienst radikaler “wirtschaftlicher Modernisierung” gestellt.

Kritischere, bedingungsvollere Varianten neoliberaler Modernisierungspolitik setzen ebenfalls auf eine stärkere Durchsetzung von Wettbewerb und Konkurrenz, schränken dies aber andererseits dadurch ein, dass sie deren negativen sozialen Folgen entgegenwirken wollen. Sie wollen den Staat zumindest als Garant für einen “fairen Wettbewerb” qualifizieren und betonen im Politikfeld “Arbeit” die Notwendigkeit staatlicher Förderung des Arbeitsmarktes, u.a. über die Schaffung staatlich teilgeförderter Arbeitsplätze im Bereich gemeinnütziger bzw. gesellschaftlich nützlicher Bürgerarbeit. Arbeit müsse auch als “Gegenleistung” für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verpflichtend sein. Von den parteipolitischen Positionen her werden letztgenannte Auffassungen nicht nur im Spektrum der “rot-grünen” Parteien, sondern zum Teil auch im christlich-demokratischen und christlich-sozialen Lager vertreten.[6] Die in der Sozialdemokratie geführte Debatte um einen “Dritten Weg”, die sich auch in der wissenschaftlichen Diskussion spiegelt (so z.B. Giddens 1999), ist ebenfalls weitgehend unter diesen “bedingungsvolleren Varianten” zu verorten. Ihre Ansätze sind äußerst heterogen, ihre Ausarbeitung verläuft kontrovers[7], und ihre Ergebnisse sind noch nicht abschließend zu beurteilen. Die Stichworte lauten: neue Ökonomie, neue Regulationsweisen, Sozialstaatsreform, neue Rolle des Staatsbürgers, neue Balance von Rechten und Pflichten, neue Mittelschichten. Das Akteursproblem vermittelt sich weitgehend über “neue mediale Politikdarstellung”; “Demokratie” wird stärker mit professionell organisiertem Marketing verknüpft. Einzelne (linke) Diskussionskreise in der Sozialdemokratie beziehen sich demgegenüber auch auf alternative Positionen.

Alternativen zum neoliberalistischen Modernisierungskurs bzw. auch zum “Dritten Weg” werden insgesamt allerdings nur in Ansätzen unter den auf Bundes- und Landesebenen agierenden politischen Akteuren deutlich (ohne in jedem Falle auf den Begriff “Modernisierung” zu verzichten). Eine der Schwierigkeiten liegt darin, dass im Unterschied zu den vorgenannten Richtungen nicht auf die uneingeschränkte Triebkraftwirkung des Konkurrenzprinzips gesetzt werden kann, andererseits kein “Substitut” zur Verfügung steht. Markt, Wettbewerb und Konkurrenz werden auch in alternativen Entwicklungspfaden für notwendig gehalten, jedoch im Rahmen eines generellen demokratischen Umsteuerns auf die Nachhaltigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung. Hierfür müssten prinzipiell neue politische Rahmenbedingungen gesetzt werden und einem stärkeren Gewicht langfristiger sozialer, ökologischer, demokratieorientierter Ziele Rechnung getragen werden. Neben dem Gedanken der “Nachhaltigkeit” sind es die Ideen der Gleichheit und Gerechtigkeit, die neu begründet werden (“gleiche Lebens- und Entwicklungschancen”). Im Politikfeld “Arbeit” verweist man vor allem auf die Notwendigkeit der dauerhaften Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors – nicht als “Sekundärlösung”, sondern aus prinzipiellen Gründen des Wandels der Arbeit. Im Bereich “Demokratie” werden u.a. vielfältige Formen direkten Bürgerengagements, unkonventionelle Beteiligungsformen wie “Runde Tische” und eine neue Rolle von Öffentlichkeit empfohlen.

Konzeptionell werden solche Ziele vor allem in der PDS[8], teilweise in der SPD (SPD-Linke, z.B. Frankfurter Kreis) und (minderheitlich) bei den Grünen vertreten. Innerhalb der sozialdemokratischen Linken spricht man von der Notwendigkeit einer “neo-realistischen Demokratietheorie”, einer “neo-etatistischen Politik” und der Neubegründung einer modernen Idee der Gleichheit (Rudolph 1998). Auch wenn sich nicht alle diese Vertreter in ein “Links-Rechts-Schema” einordnen lassen (wollen) und das Verständnis “Linker Politik” selbst debattiert wird (Unger/Wehr 1998), soll hier von Ansätzen einer “Neuen Linkspolitik” gesprochen werden. Im Rahmen des sog. “Crossover-Prozesses” bemühten sich z.B. Linke bei den Grünen, der PDS und der SPD, gemeinsame Konzepte für einen alternativen Umbau zu entwerfen.[9] Sie unterscheiden sich allerdings deutlich von Gesellschafts- und Reformkonzepten unter Vertretern traditioneller “marxistisch-leninistischer” Provenienz. Vor allem erkennen sie an, dass der Staat in seinen Strukturen, Aufgaben, Leistungen und Funktionsweisen selbst tiefgreifender Reformen bedarf, darunter auch im Bereich der sozialen Sicherungssysteme. So wurden in linken Kreisen der Sozialdemokratie und innerhalb der PDS beispielweise Konzepte einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung als “Alternativkonzeption zum Neoliberalismus” (Butterwegge 1999; Leitlinien der PDS zur Sozialpolitik 1998-2005[10]) entwickelt. Sie sind nicht darauf gerichtet, dass gegenwärtige System sozialer Sicherungen zu ersetzen, sondern dieses “armutsfest” und gleichzeitig entsprechend den sich verändernden Ansprüchen der Menschen entwicklungsfähig zu machen. “Radikale soziale Innovationen” (Gross 1997) würden durchaus in Interessen- und Besitzstände breiter gesellschaftlicher Gruppierungen eingreifen. Beansprucht wird aber, den anstehenden Strukturwandel mit einer Verringerung statt mit einer weiteren Öffnung der “Scheren” zwischen Arm und Reich, Unten und Oben, Mann und Frau, Natur und Gesellschaft, Gebildet und Ungebildet, Arbeitenden und Arbeitslosen usw. zu verknüpfen. Neuere Ansätze des “demokratischen Sozialismus” erachten es für notwendig, die Profitlogik des Kapitals diesen gesellschaftlichen Ansprüchen schrittweise und differenziert unterzuordnen.

Im Gegensatz zu (und auch verflochten mit) den verschiedensten Reformorientierungen sind die in der Politik zum Ausdruck kommenden Beharrungsinteressen zugunsten ihrer jeweiligen Klientele gerade in Deutschland stark ausgeprägt. Klientelistische Beharrungsinteressen, nicht selten verwoben mit traditionellen ideologischen Orientierungen, finden wir sowohl im Bereich des konservativen und liberalen Lagers – hier vorzugsweise verbunden mit einer Abwälzung der Reformlasten auf die sozial schwächeren Schichten – als auch im Bereich des sozial-engagierten Lagers – hier vorzugsweise verbunden mit älteren, nicht mehr zeitgemäßen linken Positionen der Sicherung des Status quo im Bereich der Staatspräsenz, des öffentlichen Sektors und staatlicher Sozialleistungen.[11] Die traditionelle Antwort “mehr Staat” ist jedoch heute genauso wenig zeitgemäß wie die neoliberalistische Antwort “mehr Markt” einen Ausweg aus gesellschaftlichen Verwerfungen und Stagnationserscheinungen zeigen kann.

1.2 Sozialwissenschaftlicher Modernisierungs- und Transformationsdiskurs

Wenn es um die Durchsetzung von Reformen geht, spiegeln sich im deutschen und angloamerikanischen sozialwissenschaftlichen Diskurs ähnlich divergierende Debatten wie auch in der Politik. Im folgenden können nur einige Eckpunkte sozialwissenschaftlicher Debatten im Zusammenhang mit dem Projektthema erörtert und unser eigenes Herangehen verdeutlicht werden.

Zunächst ist von Bedeutung, welche theoretischen Ansätze in bezug auf die Herausforderung tiefgreifend-struktureller Umbrüche der Moderne-Entwicklung vorzufinden sind. Grundlegend sind hierbei drei Richtungen feststellbar:

a)      Richtungskonstanz: Auf der Grundlage der dominierenden Strukturen und Institutionen ginge es um fortschreitende Modernisierung und Innovation, verbunden mit partiellen Reformen (so z.B. Zapf 1996). Diese Position bringt am ehesten den Mainstream sozialwissenschaftlichen Denkens in Deutschland, aber auch im anglo-amerikanischen Raum zum Ausdruck. Konkurrenzdemokratie, Marktwirtschaft und Wohlstandsgesellschaft mit Wohlfahrtsstaat und Massenkonsum seien die Basisinstitutionen, innerhalb derer um Innovation gerungen werden müsse (Zapf 1994: 125).

b)      Richtungswandel: Hier wird die Position einer “kritischen” bzw. “reflexiven” Modernisierung resp. das Projekt einer “Zweiten Moderne” entwickelt, das die Moderne sowohl annimmt als auch kritisch hinterfragt und auf neuartige wirtschaftliche, politische, soziale, ökologische u.a. Steuerungsmechanismen verweist, auf neue Herausforderungen, die in die Systemlogik der Moderne zu integrieren sind. Es handelt sich um einen Richtungswandel innerhalb der Moderne-Entwicklung. Er bezieht sich u.a. auf Begriffe wie “jenseits von links und rechts” (Giddens 1997 und 1999), des “Globalen Zeitalters” und des Regierens jenseits des Nationalstaates, “Zukunft der Arbeit”, “positive Wohlfahrt”, und “neue Teilhabemodelle”. Diese Positionen stehen teils auch komplementär zu den politischen Debatten um einen “dritten Weg”, so u.a. zum Label von einer “Demokratisierung der Demokratie”, eines “neuen demokratischen Staates”, der größeren Bedeutung von “Zivilgesellschaft” (Giddens 1999: 86, 93, 95).

c)      Alternativer Richtungswandel (“alternative Entwicklungspfade”): Eine spezielle Art des Richtungswandels; gemeint ist die Suche nach Entwicklungspfaden, die sich eher alternativ zur gegenwärtigen Systemlogik der Moderne-Entwicklung und vor allem zu einer fortwährenden Verbesserung der Rahmenbedingungen der Kapitalverwertung (Brie 1996) verstehen. Teilweise wird der Kernpunkt in einer Überwindung der fordistischen Regulationssysteme und einer Neuorientierung der Moderne-Entwicklung gesehen, was insofern auch dem Punkt “b” zugeordnet werden könnte. Einige stimmen auch in ihren Schlüsselkategorien mit jenen überein, die unter “b” entwickelt wurden (“Demokratisierung der Demokratie”; “ökologische und soziale Nachhaltigkeit”), verfolgen in ihren Inhalten aber deutlich marktkritische und institutionenkritische Ansätze, teilweise bis hin zur Orientierung auf eine Begrenzung der privaten Verfügungsmacht von großem Kapital, um diese Verfügung sozialen und ökologischen Entscheidungsmaßstäben unterzuordnen (Brie/Klein 1999; Klein u.a. 2000). Entwickelt wurden Vorstellungen über “modernen Sozialismus”, die sich explizit revisionistisch verstehen, an systemtheoretische Überlegungen anschließen, die kapitalistische Kapitalverwertungsökonomie bejahen und die Frage nach einer Gestaltung bzw. Richtungsbeeinflussung der Kapitalverwertung (u.a. in ökologischer Hinsicht) durch gesellschaftliche Institutionen (Land 2000) stellen. Aber auch philosophisch-soziologische Konzeptionen wie jene von Bourdieu (Bourdieu 1998) oder eine Reihe politikwissenschaftlicher Diskussionen im Rahmen der “Blätter für deutsche und internationale Politik” gehören in das geistige Umfeld alternativen Richtungswandels.

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass alle drei Richtungen dieser Moderne-Debatten in mehr oder weniger deutlicher Distanz zu einem Modernisierungskurs stehen, der allein auf die Freisetzung von Marktkräften als vermeintlich wichtigster Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklung setzt.

In unserem Projekt stellt sich die Frage nach der Art und Weise von Modernisierungsbestrebungen als empirisches Problem. Mit den Mitteln empirischer Sozialforschung ist herauszufinden, welche Wege angestrebt und gegangen werden. Dabei ist vorausgesetzt, dass es keinen der genannten Ansätze und Wege in “Reinform” gibt, dass vielmehr auch nach unerwarteten Übergängen und Mischformen zu suchen ist.

Die im sozialwissenschaftlichen Moderne-Diskurs hervortretenden Sichtweisen spiegeln sich auch in der Transformationsforschung. Bis heute werden im Transformationsdiskurs zwei unterschiedliche Perspektiven deutlich: Transformation als eher geschlossenes, zielgerichtet “machbares” Projekt nachholender Modernisierung bzw. Transformation als voraussetzungsvolle, prozessuale, eher offene, sich selbst organisierende Evolution, in der Eigenes und Neues entsteht. Im Transformationsdiskurs dominiert – bei den Vertretern der “Richtungskonstanz” am deutlichsten – die These von der relativ stabilisierten Transformation und gelungenen Vereinigung.

Die Entgegnungen zur These von der sich stabilisierenden Transformation und gelungenen Vereinigung sind vielgestaltig, in sich widersprüchlich und unterscheiden sich in ihrer theoretischen Ausrichtung (vgl. zu diesen und nachfolgenden Ausführungen: Reißig 1998: 301-28). So wird kritisiert, dass der erwartete selbsttragende wirtschaftliche Aufschwung in Ostdeutschland nicht eingetreten und wohl auch nicht in Sicht sei; weiterhin wird betont, dass auch die Angleichung der Lebensverhältnisse noch keineswegs vollendet und in absehbarer Zeit nicht gelingen werde (Hauser 1996: 486-495). Nachdrücklich werden in mehreren Arbeiten die Diskrepanzen zwischen der transferierten “fremden” Systemwelt und der “heimischen” Lebenswelt der Ostdeutschen (Offe 1994: 47, Kupferberg 1994: 45 ff, Woderich 1996: 81 ff) verdeutlicht. Und schließlich werden die zunehmenden kulturell-mentalen (Fuchs 1997) und auch sozialstrukturellen (Geißler 1994) Ost-West-Differenzen bzw. Spaltungen herausgearbeitet. Daneben hat sich eine sozialwissenschaftliche Kritik artikuliert, die nicht schlechthin einzelne Seiten und Fehlentscheidungen der Transformation in den Blick nimmt, sondern die das zugrunde liegende Modernisierungs- und Transformationsmuster, die Transformationsresultate und ihre theoretisch-konzeptionelle Fundierung überhaupt in Frage stellt (Müller 1995 und 1999). Die zugespitzteste Form dieser Kritik ist die These von der Kolonisierung Ostdeutschlands (Dümcke/Vilmar 1995).

Unsere eigene Position, die wir dieser Studie zugrunde legen und durch unsere bisherigen Forschungen gestützt wird, lautet: Das Transformations- und Einheitsprojekt war in zentralen Fragen des Institutionentransfers erfolgreich, andererseits bleibt die gesamtdeutsche Bundesrepublik zehn Jahre nach der Vereinigung entlang ihrer Ost-West-Achse in vielerlei Hinsicht gespalten: Ein Staat, aber zwei Teil-Gesellschaften, zwei Wir-Gruppen, zwei kollektive Identitäten. Cavalli spricht von der deutschen Gesellschaft als einer “dualistischen Gesellschaft” (Cavalli 1996: 552 ff). Die strukturellen Ungleichgewichte und kulturell-mentalen Unterschiede haben nicht ab-, sondern eher noch zugenommen. Ostdeutschland ist im Ergebnis des Ordnungswechsels einerseits fest in die Bundesrepublik integriert, andererseits aber auch nach zehnjähriger Transformationsphase ein besonderer Sozial-, Kommunikations- und Handlungsraum, eine Gesellschaft eigener Prägung geblieben (Koch 1997; Reißig 1998).

Die Transformation ist nicht beendet, sondern steht am Beginn einer neuen Phase. Die Perspektive Ostdeutschlands und seiner Regionen – so unsere Position – ist wieder offener als in den vergangenen Jahren. Mit dem Ende des Systemwechsels stehen wir am Anfang einer neuen Transformation Ost- und Westdeutschlands (Reißig 1998a). Diese neue Transformationsphase ist bislang nicht zielgerichtet erforscht. Die Bundesrepublik insgesamt ist eine Transformationsgesellschaft mit zwei in sich differenzierten Subgesellschaften geworden. Eine zukunftsfähige Entwicklung würde voraussetzen, den Aufbau Ost nicht länger als blinden Nachbau West und erweitertes Wirtschaftsgebiet westdeutscher Unternehmen zu vollziehen, sondern auch neue Modelle zu suchen, auf selbsttragende (Regional-) Entwicklung zu setzen und die Besonderheiten ostdeutscher politischer Kultur aufzunehmen. Die Chancen hierfür sind größer geworden.

Exemplarisch für die Transformationsdebatte ist der Bereich des politischen Institutionenwandels. Wurden in den Anfangsjahren des Transformationsprozesses vorrangig die Übertragung westdeutscher institutioneller Strukturen auf Ostdeutschland und die Anpassung, die Lernprozesse der ostdeutschen Akteure im Umgang mit diesen Strukturen hervorgehoben, so rückten etwa seit Mitte der 90er Jahre Zusammenhänge der Wechselwirkung zwischen Akteuren, politischer Kultur einerseits, institutionellen Strukturen andererseits in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen (so Offe 1997, Eisen/Wollmann 1996). Vor allem für die regionale Ebene politischen Institutionenwandels wurden diese Zusammenhänge sichtbar (Kaase et al. 1996). Hieran kann bei den empirischen Untersuchungen insofern angeknüpft werden, als herausgefunden werden soll, welche der beiden Dimensionen – die strukturelle und/oder die akteurseitig-kulturelle – für bestimmte Handlungsblockaden oder auch Öffnungen für Reformen maßgebend sind. Methodologisch bietet sich hierfür das Konzept eines “akteurszentrierten Institutionalismus” (Mayntz/Scharpf 1995) als sinnvoller und synthetisierender Dachbegriff an. Soll hierbei mit der “Doppelperspektive auf Akteure und Institutionen” einerseits eine “analytische Dichotomie” grundsätzlich überwunden werden, bleibt unsere Schwerpunktsetzung im analytischen, methodischen Herangehen eher akteurszentriert.

Die genannten theoretischen Ansätze korrespondieren mit einem heterogenen Trend vielfältiger neoinstitutionalistischer Konzepte (vgl. für das Spektrum Brinton/Nee 1998 einerseits und DiMaggio/Powell 1991 andererseits; vgl. auch Göhler/Kühn 1999; für einen Überblick: Hirsch/Lounsbury 1997). Statt “institutionelles Vakuum” oder “tabula rasa” rückte eine Vielfalt von institutionellen Persistenzen, von Netzwerken oder kollektiven Akteuren in den Blick (Campbell/Pedersen 1996; Pickles/Smith 1998; Stark/Bruszt 1998). An diese Positionen kann in unserem Projekt angeknüpft werden. Dieser Trend ist auch in Beiträgen der deutschen Sozialwissenschaft abzulesen: so bei einem großen Teil von Studien international vergleichender politikwissenschaftlicher Projekte (v. Beyme 1994; Merkel et al. 1996; Offe 1997; Wiesenthal 1996 AG TRAP) sowie Studien zum politischen System in Deutschland (Kaase et al. 1996; Lehmbruch 1995; Beiträge in Göhler 1994).

Bestandteil der Institutionendebatte ist die Debatte um Demokratie. Begrenzt sich die modernisierungstheoretische Auffassung im wesentlichen auf die Schaffung und Aktivierung traditioneller Demokratie-Elemente (so Konkurrenzdemokratie, handlungsfähiger Rechtsstaat – vgl. auch Linz 1998), werfen die “richtungswandelnden” Ansätze prinzipiell neue Fragen auf: so z.B. jene nach der Untergrabung demokratischer Kontrollmechanismen durch die globale Verflechtung moderner Gesellschaften (Kaiser 1998; v. Beyme 1998), der Problematik des “feindlosen Staates” (Beck 1992). Neuere demokratietheoretische Arbeiten gehen u.a. auf die Perspektiven, Probleme und Chancen der Demokratie im Zeitalter der Globalisierung (Berg-Schlosser/Giegel 1999; Weidenfeld 1996), auf Probleme der Entwicklung der direkten Demokratie (Schiller 1999; Blanke/Schridde 1999; Wollmann 1999; Dienel 1999) ein und beinhalten umfangreiche empirisch-kritische Analysen zur Demokratieentwicklung in diesem Jahrhundert (Berg-Schlosser 1999).

Im Rahmen der Diskurse um einen “alternativen Richtungswandel” wird tendenziell in Frage gestellt, dass die gegenwärtige politische Ordnung der Industrieländer noch eine ausreichende demokratieverbürgende Basisinstitution der Moderne sei. Mindeststandards demokratischer Entscheidungen würden von dieser Ordnung nur noch partiell und in abnehmendem Maße erfüllt (Brie 1996). Der beherrschenden Stellung global agierender Konzerne und ihrer naturverbrauchenden Massenproduktion müssten die Entwicklung der personal- und dienstleistungsintensiven Sektoren wie umweltgestaltenden Regionalwirtschaft entgegengestellt werden (vgl. auch Brüggen/Klein/Westphal 1998). Dies wäre auch mit der Frage nach der Entwicklung der Zivilgesellschaft, der Aufwertung ehrenamtlicher und gemeinnütziger Tätigkeit wie neuen Formen der Förderung der Arbeit verbunden. Eine prinzipielle Veränderung und Erweiterung der bestehenden institutionellen Formen der Demokratie, darunter die Weiterentwicklung bestehender Formen direkter Demokratie, wird gerade für die neuen Bundesländer angeregt (Reißig 1998b).

Ähnliches gilt für das Politikfeld Arbeit und Beschäftigungsförderung, wo eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur auf die Entwicklung neuer Formen der Arbeit verweist. Besonders interessant für unser Projekt sind dabei Analysen, die sich dem Thema der Grenzen von Erwerbsarbeit, der Grenzen marktwirtschaftlicher Steuerung der Arbeit, der Suche nach einem Umbau der Erwerbsgesellschaft zur “Tätigkeitsgesellschaft” widmen, in der Erwerbsarbeit mit bürgerschaftlicher Tätigkeit auf neue Weise strukturell verkoppelt ist (Kühnlein 1997; Mutz 1997).

1.3 Zum Diskurs um politische Steuerungsfähigkeit und “Policy-Making”

Die neue Koalition in Mecklenburg-Vorpommern trat mit dem Anspruch an, einen “Politikwechsel” zu wagen. Dies verheißt mehr als bloßen Regierungswechsel. Zudem drückt sich in dem Anspruch ebenso ein beachtlicher politischer Gestaltungswille aus wie das Vertrauen, beträchtliche Gestaltungsmöglichkeiten ausschöpfen zu können.

Seit Jahrzehnten stellt sich indes in der soziologischen und politikwissenschaftlichen Diskussion die Frage, inwieweit Gesellschaft steuerbar, wo hierfür die Grenzen liegen und wie sich das Verhältnis von politischer Steuerung und gesellschaftlicher Selbstregulierung darstellt. Ist ein “Politikwechsel”, wie er beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern beansprucht wurde, überhaupt “machbar”? Sind Reformen “installierbar”? Während in der sozialwissenschaftlichen Diskussion der 60er und auch noch der 70er Jahren die bejahenden Antworten dominierten, wurden diese Annahmen sukzessive korrigiert und wichen einer eher skeptischen Betrachtungsweise. In der soziologischen Systemtheorie wurde die Steuerungsfähigkeit gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse weitgehend verneint (“Tragik der toten Hände” – Luhmann 1989).

Auch im Bereich der Policy-Forschung wurden die Annahmen einer rational steuerbaren Gesellschaft verworfen. Während in der frühen Policy-Forschung eine dichotomische Sichtweise zwischen staatlichem Steuerungssubjekt und gesellschaftlichem Steuerungsobjekt vorherrschte, wurde diese dichotomische Sichtweise zunächst durch die Erkenntnis der Pluralität der Steuerungssubjekte, dann durch die differenzierte Betrachtung der Steuerungsobjekte als eigendynamische gesellschaftliche Regulierungssysteme aufgelöst (Mayntz/Scharpf 1995a: 9). Die Vorstellung, dass der Staat als direkte Steuerungsinstanz agieren könne, wurde fallen gelassen. Den früheren “Steuerungseuphorie” machte einer Sichtweise Platz, die auf die Nichtlinearität, Nicht-Determiniertheit gesellschaftlicher Prozesse, auf die Gleichzeitigkeit, Parallelität und Reflexivität von Politikformulierung und Implementation politischer Programme abhoben (Windhoff-Héritier 1993). Der politische Prozess wurde stärker in Abhängigkeit von den sich wandelnden objektiven (nationalen, europäischen wie globalen) Rahmenbedingungen, Akteursnetzwerken und Akteurssichten gesehen. Politikgestaltung vollzog sich im Rahmen von Politikverflechtung (Komplexität der Politikinhalte oder “Policies”), über horizontale Politiknetzwerke und Austauschbeziehungen (Benz u.a. 1992) statt über hierarchische oder staatszentrierte Steuerung. Gleichzeitig konnten Politikprozesse und besonders politische Reformansätze immer weniger aus einem finanziellen Überschuss getragen werden. Stärker denn je riefen sie die Konkurrenz um Umverteilungen der vorhandenen Mittel hervor. Die bereits in der frühen Policyforschung entwickelte Unterscheidung zwischen “distributiven” und “re-distributiven” Politikprozessen (Lowi 1994)[12] gewann neue Aktualität und begründete gegenseitige Blockierungen der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme und Interessengruppen beim Herangehen an Reformen. Wurde gesellschaftliche Steuerung via politisch-administrativer Systeme aus all diesen Gründen zunehmend skeptisch betrachtet, richtete sich andererseits die Aufmerksamkeit der sozialwissenschaftlichen Forschung auf die Eigendynamik und die Regulierungsmechanismen der gesellschaftlicher Teilsysteme.

Ein anderer Diskussionsstrang erkannte zwar ebenso die Blockierungstendenzen der gesellschaftlichen Teilsysteme, wandte sich jedoch gegen einen “Steuerungspessimismus” und widmete sich nunmehr dem Verhältnis von politisch-administrativen Steuerungsinterventionen und eigendynamischen, endogenen Entwicklungstendenzen gesellschaftlicher Teilsysteme. Als “eigendynamische” Prozesse wurden solche soziale Prozesse charakterisiert, bei denen “die Handlungsmotive der beteiligten Akteure durch die Interaktion zwischen ihnen verstärkt werden... Dabei reagieren die Beteiligten oft nicht auf das tatsächliche Verhalten anderer Akteure, sondern orientieren sich statt dessen an ihren Erwartungen über dieses Verhalten... Ob derartige eigendynamische Prozesse staatlichen Steuerungsabsichten zuwiderlaufen oder sie gerade unterstützen, ist offensichtlich kontingent, es hängt von der Kongruenz oder Diskrepanz zwischen beiden ab” (Mayntz/Scharpf 1995a: 11f.). Auf diese Weise suchte man den Schlüssel für einen Ansatz, der aus der These von der Nicht-Steuerbarkeit eigendynamischer gesellschaftlicher Teilsysteme und ihrer gegenseitigen Blockierung herausführt.

Der osteuropäische/ostdeutsche Transformationsprozess schien die Annahme zu bestätigen, dass es zu einem Verlust der Steuerbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse gekommen ist. Wie wir weiter unten darstellen, vertreten wir hierzu eine andere Position. Untersetzt wurde die steuerungspessimistische Variante in der sozialwissenschaftlichen Literatur jedoch mit ernstzunehmenden Argumenten und Befunden, so mit der These vom “Dilemma der Gleichzeitigkeit”[13], mit der These des Versagens der übertragenen Institutionen hinsichtlich Steuerungsfähigkeit, Legitimität und Akzeptanz, mit der These vom “kulturellen Voraussetzungsdefizit” der neuen Institutionen, ihren Funktionsmängeln u.a.m. (Wiesenthal 1997). Insbesondere durch erhebliche politisch-kulturelle Akteursdefizite und die faktische Übertragung der westlichen Regulierungssysteme erschienen eigenständige Reformalternativen nicht als realisierbar. Andererseits wurde im sozialwissenschaftlicher Diskurse in bezug auf die neuen Bundesländer immer wieder die Frage aufgeworfen, inwiefern sich solche Konstellationen herausgebildet haben, die eine Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung und die Realisierbarkeit von Reformansätzen wieder möglich erscheinen lassen. Hierfür würde eine prinzipiell offenere Akteurssituation sprechen, ein geringerer Grad der Verfestigung von organisationellen Interessensystemen, die Erfahrungen fortwährender struktureller Umbrüche, der geringere Grad der Politisierung und vorherrschende pragmatische Handlungsorientierungen. Eine Kombination von sachlicher Unsicherheit im Akteurssystem (gemeinsames Nicht-Wissen über künftige Entwicklungen), hohem Erfolgsdruck und kooperativem politisch-kulturellem Klima wären in den neuen Bundesländern entscheidende Bedingungen für kooperatives, institutionelles Lernen gewesen (Czada 1995: 319f.).

Der Diskurs über Möglichkeiten und Grenzen der Steuerbarkeit der Gesellschaft findet seine Fortsetzung und Spezifizierung in Debatten über die Handlungsspielräume des Nationalstaates (Bahr 1998), über Entwicklung und Perspektiven des deutschen Föderalismus[14] und die Gestaltungsmöglichkeiten subnationaler Einheiten (Kleger 1996; Bullmann/Heinze 1997) in einem “Europa der Regionen”. So vielgestaltig die Diskurspositionen auch sein mögen, lassen sich drei übergreifende Einsichten identifizieren, die auch den Möglichkeitsraum für Politikwechsel, noch dazu auf Landesebene abstecken:

“Die Hoffnung, die ‚gute Gesellschaft’ auf einen Schlag und aus einem Guss herstellen zu können, ist nachhaltig zerstört. Die Delegation aller Aufgaben an die etatistische Steuerung ist als genereller Problemlösungsmechanismus weder denkbar noch wünschbar. Damit ist auch der Weg, die ‚Machtfrage zu stellen’ und durch die Übernahme der Macht im Staat die Gesellschaft entscheidend verändern zu wollen und zu können, eine Illusion geworden.” (Kleger 1996: 33)

Kann von einem “Politikwechsel” – so unser Verständnis von diesem Begriff im Rahmen dieser Studie – nur dann gesprochen werden, wenn landespolitische Akteure in Regierungsverantwortung im Vergleich zur vorangegangenen Periode auf einer Reihe typischer Handlungsfelder der Landespolitik wesentlich andere Orientierungen und Methoden verfolgen, so stellt sich die Frage, welche Gestaltungsspielräume Parteien und Regierungen in der Landespolitik heute noch haben. Kann auf der Ebene eines Bundeslandes überhaupt, und wenn ja, in welcher Hinsicht, ein Politikwechsel von Landesakteuren eingeleitet werden? Mit der jeweiligen Antwort wird ein theoretischer Analyserahmen gesetzt, ohne den im Rahmen der Exploration beigebrachte Befunde weder in ihrer Bedeutung erschlossen, noch interpretiert und objektiviert werden können. Dies erscheint um so wichtiger, als sich aus zahlreichen Studien zu den Erwartungshaltungen der Ostdeutschen festhalten lässt: Die ostdeutsche Bevölkerung erwartet von den Ländern und Landesregierungen wie überhaupt vom Staat in der Regel sehr viel. Viele Beobachter meinen: mehr als sie zu leisten vermögen. Sie veranschlagt die Gestaltungsmöglichkeiten höher als sie real sind. Aus dieser überdimensionierten Staatserwartung der Ostdeutschen, die indes nicht allein in den historisch gewachsenen Sozialisationsprozessen begründet liegt[15], speist sich in der mecklenburg-vorpommerschen Bevölkerung ein gut Teil der Ernüchterung über die amtierende SPD-PDS-Koalition.

Tatsache ist hingegen: Unitarischer[16] und kooperativer Föderalismus (Schneider 1997) haben im Verlaufe der Geschichte der Bundesrepublik die eigenständigen Handlungsgrundlagen der Länder beschnitten und unkenntlicher, die Stellung des Bundes und die Zusammenarbeit der Länder gewichtiger werden lassen. Mehr noch: Darüber hinaus ist Landespolitik heute stärker denn je in die rechtlich und finanziell gesetzten Rahmenbedingungen der Europäischen Union eingebunden. “Die Länder finden sich in der Rolle eines Akteurs im europäischen Mehrebenensystem; entsprechend verringert sich die autonom gestaltende Funktion in der Landespolitik.” (Lenz/Johne 2000: 20)

Dennoch kann man davon ausgehen, dass Parteien auf Länderebene heute durchaus Gestaltungsspielräume im Sinne der Auswahl unter Alternativen, somit auch Gestaltungsmöglichkeiten für einen “Politikwechsel” haben. Weitgehender noch: wenn man akzeptiert, dass die “Entwicklung einer selbständigen und unabhängigen politischen Öffentlichkeit... der wichtigste Schritt zu einer wirksamen Reformpolitik (ist)” (Land 2000: 18) – schränkt zwar die Tendenz zum “Verflechtungszirkel” (Lehmbruch 1998: 179) die praktische Reichweite von Reformvorhaben von vornherein ein, verhindert aber keineswegs die Genese einer Reformperspektive in den verschiedenen Arenen öffentlicher Kommunikation. Die Spielräume für Alternativen in der Landespolitik liegen zunächst darin, unterschiedliche Koalitionsmodelle und damit unterschiedliche Politikgestaltungsoptionen auswählen zu können. Sichtbarster und deutlichster Indikator für einen tatsächlichen Politikwechsel in Mecklenburg-Vorpommern ist die Erprobung eines neuen Koalitionsmodells in der Bundesrepublik Deutschland in Gestalt der ersten und bislang einzigen rot-roten Koalition. Das Votum landespolitischer Akteure für eine neue Koalitionsarchitektur wurde vor allem zu Beginn in weiten Teilen Deutschlands als einschneidende Richtungsentscheidung, als Tabubruch und Grenzüberschreitung wahrgenommen, weil sie sowohl die Optionsräume der bisher in Deutschland bekannten Regierungsmodelle im allgemeinen, die Koalitionsoptionen der SPD wie auch der PDS im besonderen erweitert und zugleich die Handlungsoptionen anderer politischer Akteure tangiert. Es handelt sich somit um weit mehr als um einen “gewöhnlichen” Regierungswechsel. Die SPD-PDS-Koalition gilt sowohl aus der Sicht von befragten Landespolitkern der SPD als auch der PDS als “Wert an sich”. Das neue Koalitionsmodell ist allerdings mittlerweile für Beobachter von außen wie vor allem für Akteure und Betroffene im Lande selbst unspektakulär. Dies ist auch deshalb der Fall, weil der jeweils erwartete Politik-Output suboptimal erscheint oder auf sich warten lässt.

Doch in der Koalitionsstruktur erschöpfen sich die Spielräume der Landespolitik und damit die Möglichkeiten für einen Politikwechsel nicht. Im einzelnen beziehen sich die Spielräume der Landespolitik, soweit es in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben wird, auf folgende Bereiche (Schneider 1997):

-          die Länder verfügen über einen relativ autonomen Handlungsspielraum in bestimmten Politikfeldern: so z.B. Schule, innere Sicherheit, Hochschule, Kommunen, Medien, Staatsbeschäftigung;

-          sie gestalten Bundespolitik über den Bundesrat mit;

-          sie sind gefordert, EU-Richtlinien, Bundesrahmengesetze und Gemeinschaftsaufgaben auszugestalten und zu ergänzen;

-          sie sind in der Lage, politische und soziale Innovationen anderer zu übernehmen und auch eigene Innovationen hervorzubringen;

-          sie organisieren und kontrollieren die Verwaltung;

-          vertreten Länderinteressen gegenüber der Europäischen Union bzw. im Ausland.

Insoweit ist der in der Rede der Koalitionäre vom Politikwechsel enthaltene Anspruch auf politische Gestaltung und die Vorstellung von Gestaltungsoptionen keineswegs ungedeckt. Im Rahmen der Exploration haben wir jedoch den Eindruck gewonnen, dass die Ausgangsintention, einen “Politikwechsel” im Lande einzuleiten und zu bewirken, von den Akteuren sichtlich relativiert, partiell sogar zurückgenommen wurde.

Die Gründe hierfür sind jedoch eher im Akteursbereich, weniger in “objektiv gebundenen Händen” zu suchen. Gerade die Transformationsprozesse in den mittel-osteuropäischen Ländern einschließlich Ostdeutschland sollten u.E. zu einer kritischen Überprüfung der steuerungspessimistischen Denkansätze führen. Der deutsche Vereinigungsprozess und ostdeutsche Transformationsprozess wurden über komplexe Instrumentarien des Rechts, der Finanzen, des Personals und der medialen Vermittlung gesteuert, und zwar mit wesentlichen Erfolgen bei der Etablierung eines neues institutionellen Ordnungsrahmens, mit andererseits einem äußerst widersprüchlichen Verlauf der Wirtschaftsentwicklung, der Lebenswelten und politischen Kultur. Auch nach der Etablierung der Rechtsordnung der (westlichen) Bundesrepublik wurden Ostdeutschland innerhalb kurzer Zeit erfolgreiche Reformprozesse bewältigt – so z.B. Gemeindeverwaltungs- und Gebietsreformen, Funktionalreformen, Kreisgebietsreformen.

Wir gehen in dieser Studie und für deren Fortgang davon aus, dass politische Steuerung und somit auch Politikwechsel und Reformpolitik möglich sind, keine unrealistischen Ansprüche darstellen. Moderne politische Steuerung und Reformpolitik sind jedoch heute – unabhängig von den politischen Richtungen im einzelnen – in eine Reihe von grundsätzlich neuen Bedingungen, Kriterien, Anforderungen gestellt.

1.4 Erfordernisse einer modernen Reformpolitik

An dieser Stelle sollen eine Reihe von allgemeinen Erfolgsbedingungen für politische Steuerungsprozesse und für die Etablierung von Reformansätzen als Hypothesen formuliert werden, als methodisches und inhaltliches Orientierungsraster für die Analyse von Policy-Prozessen, von denen wir uns bei Fortführung der Studie leiten lassen:

1.      Reformpolitik, sofern sie auf Finanzierungen angewiesen ist, kann heute in der Regel nicht mehr als Verteilungspolitik überschüssiger Finanzen oder zusätzlicher Neuverschuldung angegangen werden, sondern in der Tendenz als die Suche nach neuen Akzenten der Gesellschaftsgestaltung, die sich auf eine Politik zu Herstellung konsolidierter Staatsfinanzen stützt (siehe hierzu auch Punkt 4 dieser Aufzählung). Daneben bleiben wichtige Bereiche der Gesellschaftsgestaltung, für die dieser Grundsatz nicht zutrifft, weil sie weniger auf eine Finanzierung angewiesen sind. Dies betrifft vor allem Bereiche der Demokratie und der politischen Kultur. Für die anderen Bereiche, so zum Beispiel die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Umwelt-, Sozial- und Bildungspolitik, für die Regionalentwicklung insgesamt gilt aber weitgehend ein Zusammenhang, den man politikwissenschaftlich könnte so ausdrücken könnte, dass distributive Politikprozesse immer häufiger durch re-distributive abgelöst werden. Die Ursachen hierfür liegen nicht allein in der komplizierten Haushaltslage der öffentlichen Finanzen, sondern – prinzipieller – in den Grenzen des fordistischen Reproduktionsmodells, in tiefgreifenden Veränderungen der Moderne-Entwicklung. Die einstige Koppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Wohlfahrt, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen, aber auch zwischen Wirtschaftswachstum und Wachstum der Staatsfinanzen ist zwar nicht völlig aufgehoben, aber brüchiger geworden.

2.      Wenn dies so ist, dann werden Reformvorschläge – aus welcher Richtung sie auch kommen – häufig mit Verteilungskonflikten und organisierten Interessenkonflikten verbunden sein. Hier setzen neoliberalistische wie auch kritische Modernisierungsvarianten an, formulieren unterschiedliche Politikmodelle. In bezug auf Steuerungsprozesse scheint uns aber folgendes allgemeine Prinzip wichtig zu sein: Erfolgreiche Steuerungsprozesse über das politisch-administrative System müssen einerseits danach suchen, die internen Antriebs- und Motivations- sowie die Kooperationskräfte der betroffenen gesellschaftlichen Teilsysteme bzw. Teilsektoren zu stärken – nicht durch ihre traditionelle Verfestigung, sondern durch Anregungen zu Öffnungen und Richtungsänderungen – gleichzeitig die Möglichkeiten zu beschneiden, sich auf Kosten anderer Nutzen zu verschaffen. Werden einerseits bestimmte Entwicklungsrichtungen beschnitten (z.B. Interessen der Wirtschaft bei den FFH-Gebieten; Sozialbürokratien bei freien Trägern), müssen nach Möglichkeit für diese Bereiche neue Entwicklungschancen eröffnet werden (z.B. ökologisch orientierte Wirtschaftsförderung; projektgebundene statt infrastrukturgebundene Sozialförderung).

3.      Der Haupthebel (und im Sinne von Punkt 1 ein weitgehend “kostenloser”) für das Anstreben von Reformprozessen ist die Herstellung einer neuen demokratischen Öffentlichkeit. Darunter sind sowohl Prozesse zu verstehen, die die beabsichtigten Reformprojekte von allen Seiten her öffentlich diskutieren, zugleich der Versuch, auf diese Weise längerfristig Werteorientierungen zu verändern (Stichworte: Lebensweisen, Konsum, regionale Wirtschaft, Ökologie, Nachhaltigkeit) und insgesamt neue Formen der Demokratie, der Bürgergesellschaft und der Öffentlichkeit zu unterstützen. Prinzipiell können die traditionellen Interessenstrukturen und ihre Blockierungstendenzen nur transformiert werden, wenn eine neue demokratische Öffentlichkeit entsteht, vor allem öffentliche Diskurse über Reform- und Entwicklungsperspektiven des Landes.

4.      Das politisch-administrative System kann in mittelfristiger Perspektive die anderen Teilbereiche der Gesellschaft nur dann steuern und neu orientieren, wenn es sich selbst neu orientiert. Dies betrifft sowohl die Erschließung finanzieller Mittel für Reformpolitik als auch deren Legitimität (öffentliche Unterstützung) und Handlungsfähigkeit. Sie muss also ihre finanziellen Quellen und ihre Legitimität tendenziell eher aus der Umorganisation der öffentlichen Hand selbst speisen. Die finanziellen Mittel für Reformprojekte müssen folglich zu einem guten Teil aus der Umorganisation der öffentlichen Förderpolitik und aus der Verwaltungsreform erschlossen werden. Hierbei stellt sich drängend die Frage nach einer Ergänzung der kameralistischen Haushaltsführung durch kaufmännische Haushaltsführung (Doppik). Allein die bisher übliche kameralistische Haushaltsführung ermöglicht keine hinreichenden Kosten- und Leistungsinformationen (einschließlich Abschreibungen, kalkulatorische Zinsen, Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden).

5.      Politische Steuerung, will sie erfolgreich sein, kann nur noch über Politiknetzwerke erfolgen, nicht über “Top-Down-Umsetzungen” politisch-administrativer Politikentwürfe. In Politiknetzwerken geht es nicht einfach um Verwaltungskontrolle, sondern um die Herausbildung von Handlungsorientierungen, Überzeugungen, Normen, Regeln, Leitideen, um Überzeugungsgemeinschaften (advocacy coalitions) – auch quer zu den traditionellen Organisationsstrukturen, um die Suche nach Kompromissen, Interessenausgleich, Wettbewerb um geistige Hegemonie. Das alles erfordert einen diskursiven, transparenten, sachorientierten Politikstil, der auch in der Öffentlichkeit Akzeptanz finden kann. Hier müssen sich die jeweiligen Politikentwürfe, wenn sie eine Durchsetzungschance haben wollen, einbringen, einen Platz erobern.

6.      So sehr heute die Notwendigkeit wie auch die Inhalte und Instrumentarien in nationale, europäische und globale Zusammenhänge eingebunden sind, spielt doch der Ansatz des Regionalen bei der Etablierung von Reformschritten eine, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Während die europäische Ebene als Handlungsarena nach wie vor schwerfällig ist, unter Demokratiedefiziten leidet und es vor allem an sozialem wie kulturellem Kitt der handelnden Akteure mangelt, während die nationalstaatliche Ebene in Deutschland auf der Akteursebene gegenwärtig noch durch strukturelle Reformblockaden, starke Vetomacht und Blockierungen der Interessengruppen gekennzeichnet ist, sind auf der regionalen Ebene die Innovationschancen besonders groß. Regionale Netzwerke sind im Vergleich zu den nationalen und supranationalen Entscheidungssystemen in der Regel lockerer strukturiert, eher offen und dynamisch. Wenn überhaupt, dann ist ein Einstieg(!) in Reformen hin zu neuen Entwicklungspfaden in subnationalen Einheiten, auf regionaler/lokaler Ebene in Institutionalisierungsformen möglich, die von “Entwicklungskoalitionen”, von regionalen und Politikfeldnetzwerken getragen werden. Die Frage ist, inwieweit sich solche Entwicklungskoalitionen in Mecklenburg-Vorpommern herausbilden werden und wie dies gefördert wird.

7.      Schließlich kann Ostdeutschland durchaus eine Vorreiterrolle spielen, und zwar nicht – wie dies schon beinahe die Regel ist – in bezug auf die Abkopplung von den Tarifregulierungen, sondern bei der Anbahnung struktureller und institutioneller Reformen hin zu einem neuen Modernisierungspfad. In Ostdeutschland überlagern sich die übergreifenden Fragen gesellschaftlichen Reformbedarfes in Deutschland mit ganz spezifischen Problemlagen des ostdeutschen Transformationsprozesses. Die Chancen für einen fortgeschrittenen Reformwandel in Ostdeutschland ergeben sich insbesondere daraus, dass die bestehenden Strukturen wie auch Besitzstände noch weniger festgefahren sind, die Erfahrungen fortschreitenden Wandels virulenter und Öffnungen eher möglich sind.

Sowohl für als auch gegen diese letztgenannte Hypothese sprechen eine Reihe von Erwägungen: Wende und Transformation qua Vereinigung haben systemisch bedingten Reformblockaden der DDR zwar hinweggefegt, aber letztlich zur modifizierten Übernahme und Ausbildung eines mittlerweile erneuerungsbedürftigen Regulationsrahmens geführt. Anders als in den alten Bundesländern ist diese Regulationsweise weniger durch Tradition, Gewohnheit und ein Set positiver Erfahrungen geheiligt. Vor allem ihre interne Schranke ist in den neuen Bundesländern deutlicher spürbar. Ausgeprägter sind überdies Krisenbewusstsein und die Einsicht in die Fragilität der je eigenen Existenzbedingungen – eine entscheidende Erfolgsbedingung institutionellen Lernens. Von daher tendieren relevante Minderheiten mit einiger Gestaltungsmacht, die sich sowohl aus Einheimischen als auch Zugewanderten rekrutieren, in den neuen Bundesländern dahin, zu experimentieren, andere Wege einzuschlagen. Obgleich Machtverteilung und demokratische Repräsentation auch für die neuen Länder charakteristisch sind, stoßen Experimente jeglicher Art und Richtung auf weniger Widerstände. Zwar ist die Neigung zur Verteidigung von Besitzständen auch in den neuen Ländern unverkennbar, aber die reale Interventionsmacht der Interessengruppen entschieden geringer: “Wir können – jedenfalls in größerem Umfang als im Westen – gestalten, ohne sogleich auf Besitzstände zu stoßen. Wir können entscheiden, ohne befürchten zu müssen, dass sich betroffene Besitzstände in jedem Fall verweigern oder Schutz vor Veränderungen oder finanziellen Ausgleich verlangen.”(Biedenkopf 1994: 151) Dies ist freilich nur deshalb der Fall, weil die Menschen zwischen Oder und Werra – vor dem Hintergrund von Wende, Transformation und Vereinigung – durch ihr Handeln wie ihr Unterlassen die aus der Rechtsordnung der DDR erwachsenen materiellen und immateriellen Ansprüche grundsätzlich zur Disposition gestellt und auf diese Weise irreversible Tatsachen geschaffen haben. Dennoch gilt die zitierte Beobachtung Biedenkopfs auch für Gestaltungsoptionen in der hier interessierenden Richtung.

Während die genannten Faktoren den Einstieg in Reformen in regionalen Zusammenhängen der ostdeutschen Teilgesellschaft eher begünstigen, erweist sich das, was Greiffenhagen “Unterschichtenautoritarismus” genannt hat, als große Unbekannte: Dessen soziale Träger haben “keine Reserven und keine Verbindungen, sondern Angst vor dem drohenden Ruin. Die Folge ist Bereitschaft zur Anpassung und zu einem häufig vorauseilenden Gehorsam.” (Greiffenhagen 1997: 396) Unterschichtenautoritarismus steht auch für Xenophobie, Schwierigkeiten beim Ertragen von Differenz und die gewaltsame Ausschaltung vermeintlich unlauterer Konkurrenten um Arbeitsplätze, Wohnungen, Sozialleistungen. Unterschichtenautoritarismus ist der Boden, auf dem Ruf nach Führung, Leadership gedeiht und eine gewisse Neigung, die aus Machtverteilung und demokratischen Repräsentationssystemen resultierenden Grenzen für Veränderungen durch Machtkonzentration und Ausschaltung der Demokratie zu überwinden. Aus dieser Perspektive wird freilich die Ambivalenz des Phänomens “Unterschichtenautoritarismus” all zu sehr eingeebnet, realistischer scheint uns der Fokus von Hradil (1995) zu sein, der von einem “Kulturvorteil” der Ostdeutschen ausgeht, der sich beim bevorstehenden Umbau der gesamtdeutschen Industrie-, Arbeits- und Konsumgesellschaft noch als “bessere Konditionierung” der Ostdeutschen erweisen kann.

Hiergegen lässt sich einwenden, dass die ostdeutsche Teilgesellschaft ohne eigene Öffentlichkeit (Land 1999: 18; Mühlberg 1998) dasteht, die einen Reformdiskurs trägt. Dies mag für die ostdeutsche Gesellschaft als solche zutreffen. Nur: wir vermuten ja nicht, dass die ostdeutsche Teilgesellschaft als Ganze den Einstieg in Reformen hin zu einem neuen Entwicklungspfad bahnt, sondern der Durchbruch über räumlich begrenzte soziale Pakte innerhalb der ostdeutschen Gesellschaft erfolgen könnte. Und in räumlich begrenzten Zusammenhängen sind die Ausbildung einer regionalen Öffentlichkeit und die Entwicklung innovativer Akteursnetzwerke immerhin eher möglich und wahrscheinlich. Das ist freilich eine empirisch zu überprüfende Frage. Zunächst jedoch lassen wir uns von der Hypothese leiten, dass Ostdeutschland sowohl unter dem Aspekt der Grenzen, mehr aber noch als möglicher Raum, in dem der Durchbruch zu strukturellen und institutionellen Reformen gelingen könnte, besonderes Interesse verdient. Zugleich ist von einer zunehmenden Wechselwirkung der Innovationsprozesse in ostdeutschen Regionen und jenen in westdeutschen Regionen sowie auf Bundesebene auszugehen.

2. Vorgeschichte und Ausgangssituation der “rot-roten” Koalition

Hinsichtlich des Entstehens der SPD-PDS Koalition kann auf eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen von Nikolaus Werz und Jochen Schmidt verwiesen werden (vgl. insbesondere: Werz/Schmidt 1999). Ohne dies hier auch nur annähernd replizieren zu können, wollen wir doch nicht darauf verzichten, einige grundlegende Aspekte der Vorgeschichte aufzugreifen und zu ergänzen.

Häufig wird das Zustandekommen der rot-roten Koalition auf den dezidierten politischen Gestaltungswillen landespolitischer Akteure sowie auf unüberbrückbare persönliche Animositäten zwischen Exponenten der Landes-CDU und der Landes-SPD zurückgeführt. Dieses Deutungsmuster wurde uns zumindest von mehreren Interviewpartnern, unabhängig von ihren jeweiligen politischen Präferenzen, benannt. Wenngleich diese Art subjektiver Faktoren, also die Unverträglichkeit von Führungspersonen der CDU und der SPD, gewiss eine wichtige Rolle spielt, scheint uns dennoch diese Erklärung für die Bildung der rot-roten Koalition zu kurz zu greifen. Die SPD-PDS-Koalition im Lande hat sowohl breitere als auch tiefere Fundamente.

Im Vergleich der ostdeutschen Bundesländer fällt zunächst die wählerstarke Stellung der PDS an der Küste auf, die in der ersten Hälfte der 90er Jahre weitaus bessere Wahlergebnisse erzielte als in anderen neuen Bundesländern. Der entscheidende Grund dafür liegt gewiss in einem “überdurchschnittlich” hohen “Anteil von mit der DDR verbundenen Bevölkerungsgruppen” (Werz/Schmidt 1998: 262); deren Hintergrund kann man jedoch in der unterschiedlichen regionalen Modernisierungsgeschichte zu DDR-Zeiten vermuten. Sowohl die Bodenreform in einem agrarisch geprägten Raum als auch der Umstand, dass im Verlaufe der DDR-Geschichte auf Kosten und zu Lasten des Südens Industrialisierungs- und Modernisierungsvorhaben in den nördlichen und mittleren Territorien realisiert worden waren, veranlasste Menschen an der Küste, in andere Weise als etwa in Sachsen 40 Jahre DDR zu bilanzieren.Detailseite (Publikation)[17] Davon profitierte die PDS, aber auch Wählern anderer Parteien waren die in der Region zwischen 1945 und 1989 unternommenen Modernisierungsbemühungen mehr oder weniger bewusst. Andererseits ist die Frage zu stellen, ob/inwieweit sich in Mecklenburg-Vorpommern über das 20. Jahrhundert hinweg ein ausgeprägtes strukturkonservatives bzw. wertkonservatives Potential erhalten hat. Hierüber liegen u.E. keine hinreichenden Forschungsergebnisse vor.

Jedenfalls kam es in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern früher zu einer Polarisierung des politischen Wettbewerbs zwischen CDU und PDS.[18] Von dieser Polarisierung profitierten beide Parteien 1990 und 1994 insofern, als ihre anderen Konkurrenten FDP, Grüne und auch die SPD es schwerer hatten, Spielräume und Profil zu gewinnen, weil die konträren Positionen bereits von CDU und PDS besetzt waren (Werz/Schnmidt 1998: 263f.). Die Positionierung der SPD zwischen den Fronten von CDU und PDS impliziert aber auch das Existieren einer gemeinsamen Schnittmenge in politischen Zielen und inhaltlichen Positionen zwischen SPD und PDS (wie freilich auch zwischen CDU und SPD).

Diese gemeinsame Schnittmenge in programmatischen Positionen und Politikfeldern zwischen SPD und PDS hat in dem Maße zugenommen, wie sich im Zeitverlauf die Felder und Themen der politischen Auseinandersetzung von der Bewältigung der DDR-Vergangenheit zu den Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Region verschoben:

Tabelle 1: Rahmenthemen der landespolitischen Auseinandersetzung in M-V 1990, 1994, 1998

Wahljahr

Themen/Kontexte

Konfliktlinien

Ergebnisse der LTW

1990

Bilanz von 40 Jahren DDR und SED-Herrschaft in der Region

Optionen und Tempo der Vereinigung (Vereinigungsbefürworter u. -skeptiker)

CDU-FDP-Koalition
CDU 38,3%; FDP 5,5%; SPD 27%; PDS 15,7%

1994

Teilweise noch wie 1990 / Gewinne und Verluste der deutschen Einheit

Sicherung und Ausbau des Erreichten versus Kritik an der Bonner Politik und ihren regionalen Vollstreckern

CDU-SPD-Koalition
CDU 37,7%, SPD 29,5%; PDS 22,7%

1998

Vereinigungskrise/ Auswirkungen der Globalisierung auf die Region und Antworten der Region

Wunsch nach politischem Wechsel im Bund und in der Region / Erfahrung der Großen Koalition zweier ungeliebter Partner

SPD-PDS-Koalition
CDU 30,2%, SPD 34,3%; PDS 24,4%

Für die Entwicklung von Mecklenburg-Vorpommern hat sich sodann in verschiedener Weise ausgewirkt, dass die Eliten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft “...bis auf wenige Ausnahmen aus der Region selbst...” (Werz/Schmidt 1998: 100) stammen. Auch in unser Exploration, die indes keinen repräsentativen Ausschnitt der Interviewpartner anstrebte, kamen nur knapp 20% der befragten Funktions- und Entscheidungsträger aus den alten Bundesländern. Die überwiegende Rekrutierung der politischen und wirtschaftlichen Eliten aus der Region hat sich zunächst einmal dahin gehend ausgewirkt, dass die politischen Rationalitäten der alten Bundesländer und insbesondere deren antisozialistischer, die PDS stigmatisierender und tabuisierender Grundkonsens weniger wirksam waren als anderen Orts in Ostdeutschland. Sie ermöglichten einen pragmatischen, weniger ideologisierten Umgang miteinander. Auf der andere Seite konnten sich dadurch Defizite in der politischen Kultur der neuen Bundesländer – das fehlende “Bewusstsein über gegenseitig akzeptierte Regeln des politischen Streits” (Land 1999:18) – ungebremster entfalten und das politische Klima im Lande wie auch in der von 1994-1998 agierenden CDU-SPD-Koalition nachhaltig beeinflussen. Die Beziehungen zwischen der CDU und der SPD gehören mithin ebenso zur Vorgeschichte der rot-roten Koalition wie Wandlungen innerhalb von SPD und PDS. [19]

Nach der ersten Landtagswahl 1990 zogen vier Parteien in den Landtag ein (vgl. Tab. 1). CDU und FDP, die sich auf die Bildung einer Koalition verständigten, verfügten über 33 Sitze, SPD und PDS/LL über 32. Die Mehrheit für die CDU-FDP-Koalition kam dadurch zustande, dass ein fraktionsloser Abgeordneter, ursprünglich ein von der SPD aufgestellter Direktkandidat, einen Monat vor der Landtagswahl die SPD verließ und die CDU-FDP-Koalition unterstützte. In die Position der Opposition gedrängt, konnte vor diesem Hintergrund bei der SPD von Anfang an der Eindruck nähren, nur knapp und durch unlautere Manöver von der ihr “eigentlich” zustehenden Regierungsverantwortung verdrängt worden zu sein. Andererseits wurde von der SPD zu dieser Zeit eine große Koalition in Schwerin für opportun gehalten. Eine Koalitionsbindung mit der PDS kam für die SPD damals nicht in Frage.

Die CDU-FDP-Koalition verfügte indes sowohl von der Qualität ihrer Fraktionen und Landesverbände, ihrer politischen Verwurzelung im Lande als auch von der Qualität ihrer Führungspersönlichkeiten über kein gesichertes politisches Fundament. Anders als in Sachsen und in Thüringen, deren CDU-Regierungen von erfahrenen und verbindungsreichen “West”-Politikern geführt wurden, erwies sich die Dominanz von “Neupolitikern” der CDU (ähnlich wie in Sachsen-Anhalt) als problematisch. Für die SPD traf dies in ähnlicher Weise zu, was jedoch für ihren Einfluss im Lande nicht so schwer wog, da sie in den Anfangsjahren nicht die Regierungsverantwortung auf sich nehmen musste. Bei den sehr knappen Mehrheitsverhältnissen im Parlament kam es schon 1992 zu innerparteilichen Auseinandersetzungen in der CDU über die Privatisierung der Werften. Nachdem Ministerpräsident Gomolka zunächst den Justizminister entlassen hatte, wurde er von seiner eigenen Fraktion zum Rücktritt gezwungen und Seite zum Ministerpräsidenten gewählt.

“Bei den wichtigsten Bereichen der Landesgesetzgebung entzündeten sich auch die kontroversesten Diskussionen im Parlament. Die Auseinandersetzungen ... wurden in aller Härte geführt und zeugen von der hohen Konfliktbereitschaft der Kontrahenten im ersten Landtag. Von dem viel beschworenen konsensorientierten ostdeutschen Politikstil war zumindest hier kaum etwas zu spüren.” (Werz/Schmidt 1998: 110) Die knappen Mehrheitsverhältnisse und die angedeutete Art und Weise der parlamentarischen Auseinandersetzung in der ersten Wahlperiode haben das Verhältnis zwischen den Fraktionen von CDU und SPD nachhaltig belastet. Dazu hat ohne Zweifel beigetragen, dass die CDU in der ersten Wahlperiode bei ihren Attacken auf ihre politischen Kontrahenten – das Selbstverständnis der SPD (wie auch der PDS) missachtend – zwischen SPD und PDS nicht zu differenzieren wusste. Die SPD wiederum konfrontierte die CDU mit ihrer Vergangenheit als Blockpartei.

Nach den Landtagswahlen 1994 verfügten SPD und PDS über die rechnerische Mehrheit der Parlamentssitze. Aber sowohl die politische Großwetterlage als auch die innerparteiliche Situation von SPD und PDS schlossen eine Koalition aus. Immerhin kam es zum ersten Mal formal zu Gesprächen zwischen SPD und PDS über die Frage der Bildung einer Regierung.[20] Die SPD entschied sich schließlich für die Bildung einer großen Koalition mit der CDU, obwohl sich beide Koalitionspartner eher in einer Zwangsbindung sahen.

Seit 1995/96 formierten sich in der SPD zwei Lager – der “Warener Kreis” linker Sozialdemokraten um Rudolf Borchert und der “Güstrower Kreis” um den damaligen Justizminister Rolf Eggert. Beide “Lager” vertraten SPD-Minderheiten, jedoch mit beachtlichem Einfluss. Die Mitglieder des “Warener Kreises” lehnten die große Koalition in Schwerin ab, wandten sich gegen Einschnitte in den Sozialstaat und standen einer Zusammenarbeit mit der PDS aufgeschlossen gegenüber. Der “Güstrower Kreis” hingegen thematisierte eher Wirtschaftsfragen und Probleme des Rechtsstaates. Seine Mitglieder waren gegen eine Annäherung an die PDS.

Im Frühjahr 1996 eskalierten die Spannungen in der Landesregierung in einer zweiten Werftenkrise, an der die Koalition beinahe zerbrochen wäre. Anlass war aus Sicht der SPD das eigenmächtige Vorgehen der CDU-Finanzministerin in Verhandlungen mit dem Bund über die Werften, das das Land einige hundert Millionen DM kostete. Der Wirtschaftsminister und SPD-Landesvorsitzende Harald Ringstorff forderte deren Entlassung und schloss die Bildung einer Koalition mit der PDS nicht mehr aus. Zu einer Koalition mit der PDS kam es freilich 1996 nicht. Zwar waren Vertreter des SPD-Landesvorstandes zu dieser Zeit ein wenig vorgeprellt, indem sie die große Koalition “platzen” lassen wollten, jedoch setzte sich innerhalb der SPD die Auffassung durch, dass die Zeit für eine Koalition mit der PDS nicht reif sei. Auch einflussreiche Personen der Bundes-SPD rieten von einer Koalition mit der PDS ab (was in der SPD MV teilweise als störend empfunden wurde). Andererseits war auch die PDS zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine Regierungsmitverantwortung vorbereitet und im Grunde eher erleichtert, dass die SPD nicht wollte. Die Regierungskrise wurde schließlich durch Kabinettsumbildung entschärft. Die SPD übernahm das Finanzministerium; Ringstoff schied aus der Landesregierung aus und wurde SPD-Fraktionsvorsitzender. Das Wirtschaftsministerium übernahm die CDU. Im Rückblick verweisen mehrere Gesprächspartner darauf, dass zwischen den Trägern der großen Koalition zu keinem Zeitpunkt Vertrauen und ressortübergreifende Zusammenarbeit bestand. Zudem häuften sich ab 1996/97 die strittigen Sachkonflikte zwischen den Koalitionspartnern. Am Ende der Legislaturperiode (1998) gab es faktisch auf allen Fachebenen erheblich Konflikte zwischen SPD und CDU.

Hintergrund dieser Konflikte war aber auch der Meinungsumschwung in der Bevölkerung, der sich immer mehr gegen die Vereinigungspolitik der Bundesregierung richtete. Seit 1995 ließ sich “ein Meinungsumschwung in der Bevölkerung konstatieren, was die Zukunftszuversicht und die Einstellungen bei den Themen Arbeit und Gerechtigkeit anbelangt. In den neuen Bundesländern wurden die Härten der Transformation vor allem der Regierungskoalition im Bund angelastet bzw. der CDU als Partei der deutschen Einheit. Dagegen gelang es der SPD auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie seit 1994 in einer großen Koalition mitregiert, sich als eine Quasi-Opposition darzustellen. Hinzu trat der personelle Faktor: nach 16 Jahren Amtszeit geriet die Entscheidung zur Anti-Kohl-Wahl, zumal die Begleiterscheinungen der Globalisierung und einer Wirtschaftspolitik mit neoliberalen Ansätzen der Regierung angerechnet wurden.” (Werz 1998: 421f.)

Innerhalb der Landes-SPD wurde die Option einer Zusammenarbeit mit der PDS zunächst kontrovers diskutiert, aber sie hielt sich auf der Tagesordnung. 1996 kritisierte die Bürgermeisterin von Wismar, Rosemarie Wilcken, den Annäherungskurs an die PDS. In gleicher Richtung wirkte Rolf Eggert mit seinem “Güstrower Kreis”. Gottfried Timm, MdL und Mitglied des SPD-Bundesvorstandes, trat mit einem Thesenpapier hervor. Weil die PDS ähnliche Wählergruppen gewinnen wolle wie die SPD, sei sie “strategisch der Hauptgegner der SPD”. Anders als die nur im Osten verankerte PDS sei die SPD gesamtdeutsche Linkspartei, die vor der Aufgabe stehe, den gesamtdeutschen Reformstau aufzulösen. Daher müsse die Devise lauten: “keine Ausgrenzung , aber eine klare Abgrenzung von der PDS” (zit. n. Werz/Schmidt 1998: 93).

Auf dem Kühlungsborner Parteitag der SPD MV (November 1996) wurde ein Leitantrag verabschiedet, der keine Koalitionsaussage für den Wahlkampf 1998 enthielt. Grundsätzlich wurden damit beide Parteien (CDU und PDS) aus der Sicht der SPD für koalitionsfähig gehalten. In Wirklichkeit war allerorts klar, dass die Möglichkeit einer Koalition mit der PDS vorbereitet werden sollte, sofern die SPD bei den nächsten Wahlen keine absolute Mehrheit erreicht. Hierzu gab es heftige Diskussionen in allen Ortsvereinen. Die Meinungen waren geteilt. Aber die Fronten waren bei weitem nicht mehr so hart wie Anfang der 90er Jahre; auch die Gegner einer möglichen Koalition mit der PDS diskutierten sachlich und nicht konfrontativ. Dies war eine neue Qualität der Diskussion innerhalb der SPD, dass es nunmehr zu diesem Thema eine offene, sachliche Diskussion gab. Es ging beim Streit um diese Frage kein Riss durch die Partei; man akzeptierte die unterschiedlichen Meinungen.

Eine wichtige Rolle in dieser Auseinandersetzung spielte, dass der Parteivorsitzende der SPD im Februar 1997 durch einen Mitgliederentscheid und anschließend im Mai 1997 auf einem Parteitag bestätigt wurde. Bei der Wahl gab es zu Ringstorff, der dafür eintrat, eine Koalition mit der PDS nicht mehr auszuschließen, keine ernstzunehmende Alternative. Mit seiner Wahl (fast 80% der gültigen Stimmen) durch die SPD-Parteibasis wurde somit eine bestimmte Richtungsentscheidung getroffen.

Bei der Vorbereitung der Landtagswahlen wurde dann durch den SPD-Parteivorsitzenden Lafontaine signalisiert, dass man der Bildung einer Koalition mit der PDS nicht entgegenstehen würde, wenn dies die SPD in MV so wünsche. Diese “Rückendeckung” von der Bundes-SPD änderte zwar nichts an den Entscheidungen des Landesverbandes in MV, schuf hierfür jedoch ein freundlicheres Außenklima.

Das entscheidende inhaltliche Dokument zur Vorbereitung der SPD auf eine neue Regierung (wie sie auch immer zusammengesetzt sein sollte) war das “Regierungsprogramm 1998-2002”[21]. In diesem Papier sind – im Unterschied zu den eher pragmatischen Mitgliederorientierungen der mecklenburg-vorpommerschen SPD[22] – traditionelle sozialdemokratisch-linke Positionen und der Wille zu einem politischen Wechsel erkennbar: “Es ist höchste Zeit, dass in Deutschland die Menschen wieder an einer sozial gerechten Gesellschaft teilhaben können. Das bedeutet, dass der Stillstand auf dem Arbeitsmarkt überwunden und der grassierende Sozialabbau beendet wird.”[23] Auch die Idee eines öffentlichen Beschäftigungssektors (ÖBS), die später in den Medien zu Unrecht allein der PDS zugeschrieben wurde, wird seitens der SPD unterbreitet. Offizielle Kontakte zwischen SPD und PDS gab es in der Zeit vor der Regierungsbildung hingegen nicht. Es gab aber vielfältige inoffizielle Kontakte und – aus Sicht von Vertretern der SPD-Fraktion – vielfältige Annäherungsversuche seitens der PDS.

Auch die PDS blieb nicht die Partei, die sie 1990 war. Ab Mitte der 90er Jahre erklärte der Landesvorsitzende der PDS, Helmut Holter, dass er eine Regierungsbeteiligung der PDS nicht ausschließe. Er votierte dafür, die bei der PDS bisher gültige Orientierung “Veränderung beginnt mit Opposition” durch eine “neue integrative Strategie der Konkurrenz und Kooperation” zu ersetzen. Wenngleich diese Wendung in der Landtagsfraktion und im Landesverband ein geteiltes Echo fand, wurde die strategische Partnerschaft von SPD und PDS zu einer festen Größe im Optionenbewusstsein maßgeblicher Politiker des Landesverbandes. In der PDS MV wurden seit 1996 – auch unter dem Eindruck der Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt – verstärkt über die Optionen von Opposition/Tolerierung und Regierungsbeteiligung diskutiert. Während in der Gesamtpartei noch immer die Position verbreitet war, dass Veränderung mit Opposition beginne, preschte der Landesvorsitzende Holter weiter vor und vertrat zunehmend dezidiert die Auffassung, dass die PDS auf jeden Fall zur Regierungsverantwortung bereit sein müsse. Wenngleich sich diese Auffassung nur schrittweise in den PDS-Führungsgremien und im Landesverband durchsetzte und bis heute nicht ungeteilt ist[24], begann man doch mit dem Blick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung, Konzepte für verschiedene Politikbereiche auszuarbeiten.

Seit März 1998 wurden in der PDS-Fraktion die sogenannten “Mindestanforderungen” bzw. “Maßstäbe” ausgearbeitet – das waren Forderungen, die die PDS bei einer Regierungsbeteiligung an den möglichen Koalitionspartner SPD stellen würde. Zur Kommission, die dies ausarbeitete, gehörten Holter, Schoenenburg, Muth, Leuchter u.a. Im weiteren organisierten 7 Arbeitskreise in der PDS-Fraktion die Vorbereitungsarbeiten. Am 17. August 1998 wurde die “Mindestanforderungen” an die Presse gegeben und später (am 10. Okt.) auch vom Landesparteitag in Sternberg beschlossen.[25] Entgegen der Meinung des Landesvorstandes[26] wurde auf dem Parteitag der Beschluss gefasst, dass der Fraktion das Mandat für Gespräche zur Regierungsbildung erteilt wird, dass dabei aber sowohl die Beteiligung als auch die Tolerierung als Option offengehalten werden sollten. Dabei war klar, dass die SPD eine verlässliche Partnerschaft haben wollte und mit einer Tolerierung nicht einverstanden gewesen wäre. Innerhalb des PDS-Landesverbandes waren also bis zu diesem Zeitpunkt die Meinungen über eine mögliche Regierungsbeteiligung geteilt – und dies, obwohl bereits am 2. und am 8. Oktober 1998 erste Sondierungsgespräche zwischen SPD und PDS für eine Regierungsbildung stattgefunden hatten. Letztlich setzte sich jedoch die politische Linie von Holter innerhalb der PDS klar durch.

Bei der Koalitionsvereinbarung ergab sich aus der Sicht der SPD das Problem, die “Wünsche” der PDS herunterzuhandeln. Mit der Koalitionsvereinbarung konnte dann tatsächlich auch der Eindruck entstehen, dass die PDS eine ganze Reihe ihrer konkreten Zahlen, die in den “Maßstäben” standen, nicht durchzusetzen vermochte, weil sie zusätzlich Geld gekostet hätten. Seitens der SPD hatte man ausgerechnet, dass die Vorstellungen der PDS zu dieser Zeit, hätte man sie realisieren wollen, ca. 2 Milliarden Mark zusätzlich gekostet hätten.[27] Die SPD, die vor den Wahlen keine konkrete Zahlen als politische Zielvorstellungen anvisiert hatte, beharrte jedoch auf ihrem Ansatz der Haushaltssanierung. Diesen Ansatz trug die PDS in den Verhandlungen frühzeitig mit und musste so selbst von einigen ihrer Forderungen Abstand nehmen. Übrig blieben in der Koalitionsvereinbarung seitens der PDS vor allem die Forderungen nach Schulsozialarbeitern und überhaupt einige Punkte zur Arbeitsmarktpolitik. Ein Gesichtsverlust, den man durch die Preisgabe unrealistischer Zahlen für die PDS hätte annehmen können, entstand im Ergebnis der Koalitionsvereinbarungen jedoch nicht. Denn viele der Punkte, die die PDS in ihren “Mindestanforderungen” bzw. “Maßstäben” angesprochen hatte, stimmten mit dem Tenor der Koalitionsvereinbarung überein, wurden hier teilweise konkreter dargestellt [28] oder selbst erst durch die Ausarbeitungen der PDS-Seite präzisiert.[29] Die “gemeinsame Schnittmenge” der Vorstellungen von SPD und PDS war groß genug, um für eine von beiden Seiten akzeptable Koalitionsvereinbarung Bestand zu haben.

Nicht nur für die PDS, sondern auch für die SPD war die Koalitionsbildung eine Herausforderung für den Landesverband. Innerhalb der SPD wurden die gegen ein rot-rote Koalition gerichteten Auffassungen noch weitaus deutlicher vorgetragen als innerhalb der PDS. Insbesondere das Umfeld des Güstrower Kreises[30], darunter Eggert (jetziger Wirtschaftsminister) und Hacker (SPD-Bundestagsabgeordneter), war gegen eine Beteiligung der PDS. Rolf Eggert bekannte sich nach den Landtagswahlen vom 27. September dann doch zur Möglichkeit einer Koalition mit der PDS. Ähnlich wie bei der PDS, setzte sich der Landesvorsitzende Harald Ringstorff mit seiner politischen Linie eines Neubeginns durch. Er verstand es – so auch der Eindruck mehrerer unserer Interviewpartner – einen Großteil der Gegner des Projektes einer Zusammenarbeit mit der PDS in den neuen Kurs einzubinden.

Von unseren Gesprächspartnern aus der SPD wurde der Anteil der SPD-Mitglieder, die erhebliche Bedenken oder grundsätzliche Einwände gegenüber der Koalitionsbildung mit der PDS hatten, auf ein Drittel geschätzt. Beim Sonderparteitag, bei dem es um die Zustimmung zur Koalition ging, sei dies nicht ganz so zum Ausdruck gekommen, weil auf die Zusammensetzung der Delegierten Einfluss genommen worden sei. Aber auch dort stimmte immerhin knapp ein Viertel der Delegierten gegen die Bildung der Koalition (63 Stimmen ja, 22 nein, 6 Enthaltungen). Die Reaktionen der Koalitions-Gegner im SPD-Landesverband lassen sich in Anlehnung an Albert O. Hirschman (1970) mit Hilfe der begrifflichen Werkzeuge “Abwanderung/Austritt” (Exit), “Widerspruch/Widerstand” (Voice) und “Loyalität” (Loyalty) erfassen. Die Mehrzahl der Gegner entschied sich für die Loyalitätsoption. Loyalität wird bei Hirschman als eine Kraft beschrieben, die Austritt und Widerspruch verzögert. Es kam ferner zu einer begrenzten Zahl von Parteiaustritten im Vorfeld bzw. im Zuge der Koalitionsbildung.[31] Einige Ex-SPD-Mitglieder gründeten als Reaktion auf die Zusammenarbeit von SPD und PDS im Lande am 27. Februar 1999 in Schwerin die Sozialliberale Partei (SLP). 21 Personen trugen sich als Gründungsmitglieder ein. Zum Bundesvorsitzenden der Partei wurde der Kommunalpolitiker Bruno Schuckmann gewählt. Die SLP ordnet sich politisch zwischen SPD und FDP ein. Die Koalitionsbildung mit der PDS wird als “Verrat” an den Idealen der SPD gewertet.[32] Bei den Kommunalwahlen im Juni 1999 stellte sich die SLP erstmals zu Wahl.[33]

Die sich abzeichnende Koalitionsbildung in Schwerin war schließlich Anlass für eine Reihe Sozialdemokraten aus Ost und West (Erhard Eppler, Klaus Böger; Richard Schröder, Markus Meckel), in einem Memorandum vor den Folgen der Zusammenarbeit mit der PDS zu warnen. Gefordert wurde eine Diskussion in der SPD über Voraussetzungen und Folgen dieser Zusammenarbeit mit der PDS für die SPD im Ganzen.[34] Die Gegner einer SPD-PDS-Kooperation begnügten sich indes nicht mit der beachtlichen Publizität, die sie in den überregionalen Medien mit ihrem Anliegen fanden. Die Beteiligten entschlossen sich vielmehr, ihren Widerstand innerhalb der Bundes-SPD gegen eine Zusammenarbeit mit der PDS zu institutionalisieren, um zu verhindern, das es zu weiteren SPD-PDS-Landesregierungen kommt. Am 09. Januar 1999 gründeten sozialdemokratische Politiker aus Ostdeutschland in Blankenfelde bei Berlin den Arbeitskreis “Neue Mitte”. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Markus Meckel, Stephan Hilsberg, Rolf Schwanitz, Willi Polte, Alwin Ziel und aus Schwerin Hans-Joachim Hacker (MdB).[35] Die publizistischen Aktivitäten gegen jede Art von Kooperationen mit der PDS sowie die Gründung des Arbeitskreises “Neue Mitte” innerhalb der SPD stehen für die Voice-Option der überregionalen und regionalen Kontrahenten einer Zusammenarbeit in Schwerin und anderen Orts.

Alles in allem verlangte die Koalitionsbildung mit der PDS den Architekten im Landesverband der SPD eine beträchtliche Beharrlichkeit und ebenso großen Mut zum Risiko ab.

Die neue Regierungskoalition hatte mit knapp 59% der Stimmen einen deutlichen Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung, eine klare Mehrheit im Parlament und mit der Koalitionsvereinbarung eine klare Regierungsgrundlage, die neben Einzelmaßnahmen vor allem eine neue Vision enthielt: die Gräben im Lande zu überwinden und einen neuen Aufschwung des Landes anzustreben. Dies waren klare, günstige Voraussetzungen für die Regierung am Beginn der neuen Legislaturperiode.

Andererseits – so unsere These – trat die neue Koalition ihre Arbeit mit erheblichen Akteursdefiziten an, bei denen abzusehen war, dass sie entweder in mühseligen Arbeits- und Lernprozessen abgebaut werden oder früher oder später zur Quelle des Scheiterns würden:

-          So lag der entstandenen Mehrheit – insbesondere, soweit dies den Stimmenanteil der SPD betraf – keine langfristige politisch-strukturelle Mehrheit in der Bevölkerung zugrunde, sondern ließ sich zum erheblichen Teil auf den SPD-freundlichen Bundestrend zurückführen. Und in der Bevölkerung trat immerhin noch kurz vor den Wahlen eine relative Mehrheit eher für eine SPD-CDU-Koalition als für eine SPD-PDS-Koalition ein. Von vornherein entstand somit die Herausforderung, diese durch die äußeren Umstände beförderte Mehrheit in eine Mehrheit zu verwandeln, die sich auf die inneren Entwicklungsprozesse in Mecklenburg-Vorpommern gründen konnte.

-          Weiterhin zählen wir zu den Defiziten oder zumindest zu den problematischen Erscheinungen die Tatsache, dass beide Koalitionsparteien zwar einer Koalition zugestimmt hatten und dass dem auch in beiden Parteien demokratische Diskussionsprozesse an der Parteibasis vorausgingen, dass aber letztlich für die Entscheidung der Parteien die jeweiligen Führungspersonen (Ringstorff und Holter) und ihre jeweiligen politischen Umgebungen eine überproportionale Rolle, die Landesverbände hingegen eine zu geringe eigenständige Rolle spielten. Nicht allein, dass man annehmen kann, dass die Gegner und Zweifler gegenüber der Koalition in beiden Parteien nicht “verschwunden” sind (wenngleich es den Anschein hat), sondern mehr noch die Tatsache, dass man in beiden Parteien in der Folge nicht offen ausdiskutierte, unter welchen Bedingungen man diese Koalition will und unter welchen vielleicht nicht mehr, könnte im Streitfalle bzw. unter Belastungsproben der Koalition zum Problem werden.

-          Zu den akteursseitigen Defiziten gehört auch, dass die inhaltliche und personelle Vorbereitung auf die Regierungsübernahme – insbesondere seitens der PDS – unzureichend war.[36] Während sich die SPD bei der Besetzung von Führungspositionen in den Ministerialverwaltungen sowohl auf ihre Erfahrungen in der Vorgängerkoalition als auch prinzipiell auf die Hilfe der Bundes-SPD stützen konnte, gab es diese Voraussetzungen bei der PDS nicht. Die PDS musste erstmalig Regierungsverantwortung in einem Bundesland übernehmen. So stellte sich – mit Ausnahme Holters – zunächst erst die Frage, welche Minister, Staatssekretäre und andere Führungspersonen sie denn in die Verantwortung schicken konnte. Ein Reservoir hierfür gab es nicht. Auch die inhaltliche Vorarbeit war – seitens beider Parteien – unzureichend. Die Koalitionsvereinbarung beinhaltet zahlreiche Allgemeinformulierungen und Formelkompromisse, die ganz offensichtlich erst Schritt um Schritt ausgefüllt und konkretisiert werden mussten. Insbesondere die PDS stand vor dem Problem, ihre bis dahin ausgearbeiteten “Maßstäbe” mit den Realitäten in Vereinbarung zu bringen, gegebenenfalls neu zu definieren und hierbei die Führungsgremien sowie die Parteibasis “mitzunehmen”. Demgegenüber konnte sich die SPD auf ihre bisherigen Erfahrungen in der Regierung sowie auf ihre Kontakte zur Ministerialverwaltung stützen.

Nur der Wille beider Partner, gemeinsam zu handeln und einen neuen Anfang zu suchen, konnte eine Chance dafür bieten, diese Defizite schrittweise zu kompensieren. Von Anfang an war klar, dass komplexe Lernprozesse durchlaufen werden müssen, bevor die Arbeit der neuen Koalition positive landespolitische Wirkungen entfalten kann. Die Bedingungen hierfür waren kompliziert, da es mit dem Kurs der Haushaltssanierung faktisch keinen finanziellen Spielraum gab, um sich politische Unterstützung “einzukaufen”. Zusätzlich schwand sehr bald der bundespolitische Rückenwind der SPD-Unterstützung. Die Möglichkeit des Scheiterns der Koalition stand deshalb von Anfang an im Raume; sie konnte nur gemindert werden, wenn in hinreichend schnellem Tempo gemeinsame Lernprozesse vollzogen und sichtbare Handlungsfähigkeit erreicht würden. Ob/inwieweit dies gelang, soll in den nächsten Abschnitten dargestellt werden.

3. Die Mühen der Ebene: ausgewählte Lernprozesse auf dem Wege zur politischen Gestaltungsfähigkeit

3.1 Finanzen: gestalten und konsolidieren

Politikwechsel und die Suche nach Reformperspektiven hat zweifellos viel mit Finanzen zu tun. Und das ist den Koalitionspartnern durchaus bewusst. Von den der Koalition nahestehenden Interviewpartnern wurde in der Regel auf die enger gewordenen (finanziellen und rechtlichen) Spielräume verwiesen; von den der Koalition eher kritisch gegenüberstehenden Akteuren wurden zumeist die Defizite landespolitischer Gestaltung beklagt. Beiden Argumentationsmustern war in der Regel gemein, dass sie die Spielräume politischer Gestaltungsfähigkeit vom Umfang der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängig machten. So überwiegt von der erstgenannten Seite her das Argument, dass die finanziellen Mittel für diese oder jene gewünschten Maßnahmen fehlen würden[37], von der zweitgenannten Seite beklagt, dass für die gewünschten Schwerpunkte nicht ausreichend Mittel ausgegeben würden.[38]

Als begrenzende Gegebenheiten wurden dabei benannt, dass

-          Mecklenburg-Vorpommern das ärmste und strukturschwächste Bundesland ist;

-          die Haushaltssanierungspolitik des Bundes infolge des Verbundsystems von Bund und Ländern auf das Land durchschlägt;

-          die von der Koalition beschlossene Sanierung des Landeshaushaltes selbst Gestaltungsspielräume minimiert;

-          nur bis etwa 2004 hinlängliche Sicherheit über die Finanzspielräume der neuen Bundesländer, so auch Mecklenburg-Vorpommerns besteht.

Weniger entwickelt war bei den von uns befragten Akteuren ein Denkansatz, Gestaltungs- bzw. Reformpolitik langfristig unter den Bedingungen von Haushaltskonsolidierung, Begrenzung oder gar Verringerung der seitens des Landes zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zu entwickeln. Dies dürfte aber der Kernansatz (besser: die entscheidende Voraussetzung) jeglicher Reformpolitik in unserer Zeit sein, gleich welche Ziele sie im einzelnen verfolgt, ob sie sich z.B. eher als neoliberalistisch, wertkonservativ, pragmatisch oder linksdemokratisch definiert. Dieser Ansatz ist freilich umstritten, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik. Auch in Mecklenburg-Vorpommern neigen Teile der Koalition – vor allem in der PDS – dazu, den Haushalts-Konsolidierungsansatz nicht zu verabsolutieren, in begründeten Situationen eine Erhöhung der Neuverschuldung nicht auszuschließen. Auch wenn es bislang nicht dazu kam, ist mit Sicherheit mit weiteren Auseinandersetzungen um dieses Thema zu rechnen. Unseres Erachtens gibt es jedoch objektiv einen tiefgreifenden Paradigmenwandel für jede moderne Reformpolitik: Reformpolitik kann heute in der Regel nicht mehr als Verteilungspolitik überschüssiger oder auf Kosten nachfolgender Generationen “geborgter” Finanzen angegangen werden, sondern muss sich tendenziell als die Suche nach neuen Akzenten der Gesellschaftsgestaltung verstehen, die sich auf eine Politik zu Herstellung konsolidierter Staatsfinanzen stützt. Wie immer, muss auch hier die Regel nicht ohne Ausnahme bleiben; wirkliche reformerische Ansätze erfordern aber von der Gesamtrichtung her die Einhaltung dieser Regel. Zusätzlich muss in Betracht gezogen werden, dass die bisherige Haushaltsführung auf dem kameralistischen System der Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben beruht. Sie ermöglicht beispielweise nur unzureichend, Vermögen und Schulden miteinander in Bezug zu setzen. Die Ergänzung dieses Systems durch Aspekte einer kaufmännischen Haushaltsführung würde zu einer differenzierteren Betrachtungsweise der Schuldenproblematik führen. Schuldenabbau wäre dann z.B. insofern unwirtschaftlich, wenn mittel- oder längerfristig auf diesem Wege höhere Kosten entstünden. Umgekehrt könnten Neuverschuldungen dann wirtschaftlich sein, wenn mittelfristig dadurch Kostensenkungen bzw. finanzielle Zugewinne entstünden. Zudem würden Abschreibungen und kalkulatorische Zinsen in die Kostenrechnung einbezogen. Der Hauptschlüssel, um für eine auf Haushaltskonsolidierung gestützte Reformpolitik politische Mehrheiten zu gewinnen, ist allerdings selbst durchaus nicht kostenaufwendig: hier geht es um demokratische Öffentlichkeit, um öffentliche Diskurse, um die Entfaltung bürgerschaftlichen Engagements, um politische Kultur und die Entwicklung einer geistig-kulturellen Hegemonie, die reformerische Ziele umzusetzen vermag.

Von einem Teil der Befragen aus der Koalition wurde bekannt, dass man selbst zunächst unzutreffende Vorstellungen über die bestehenden Möglichkeiten gehabt hätte, die von der Exekutive und der eigenen Einsicht in die Handlungsoptionen korrigiert wurden. Überdies wurde vereinzelt von Befragten aus dem der Koalition nahen Lager selbstkritisch reflektiert, man habe immer von einem Politikwechsel gesprochen, sich aber vielleicht zu wenig Gedanken gemacht, was das sein könnte und verlange. Heute scheint indes klarer, dass der Übergang zur Haushaltskonsolidierung zwar noch nicht an sich den Politikwechsel ausmacht, dass er aber dessen unabdingbarer Bestandteil ist und hierin vor allem eine notwendige, wenn nicht gar die wichtigste Voraussetzung für einen Politikwechsel und für langfristig angelegte Reformprojekte in Mecklenburg-Vorpommern besteht. Denn angesichts der möglichen und vorerst nicht kalkulierbaren Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik einerseits und der ebenso schwer absehbaren Europäischen Föderalismus-Perspektiven sowie der sich abzeichnenden Umorientierungen in der Regionalpolitik der EU andererseits, scheint ein konsolidierter Landeshaushalt die nötige Sicherheit für die Fortexistenz Mecklenburg-Vorpommerns als eigenständiges Bundesland und dessen Handlungsfähigkeit zu bieten. Die im Diskurs befindlichen Vorschläge zur Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung sehen vor, die Eigenstaatlichkeit der Länder zu stärken, die Aufgabenverantwortung und die Ausgabenverantwortung zusammenzuführen, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern (u.a. Länderfinanzausgleich) neu zu ordnen, durch Neugliederung des Bundesgebietes größere, lebens- und leistungsfähige Einheiten zu schaffen.(Münch 1999; Luthard 1999; König 1999; Kropp/Sturm 1999) Gravierende Veränderungen im Vergleich zum Status quo zeichnen sich auch in der Regionalförderung und Regionalpolitik der EU ab, nämlich die Aufgabe der bisher leitenden Ausgleichsorientierung und der Übergang zur “wettbewerbs- und effizienzorientierten Regionalpolitik”, die die starken Regionen stärker machen will (Gorzelak 1998).

Während in Mecklenburg-Vorpommern die Frage nach der Haushaltskonsolidierung mittlerweile von allen wesentlichen Akteuren bejaht wird – wenngleich nicht immer ohne Vorbehalte – ist der nächste Schritt, nämlich auf dieser und nur auf dieser Grundlage politische Gestaltungsfähigkeit zu erlangen, noch wenig zu erkennen.

Eine Wende zur Haushaltskonsolidierung und insbesondere zur Absenkung der jährlichen Kreditbedarfe wurde schon seit 1997, nachdem die SPD in Folge der Regierungskrise das Finanzressort übernommen hatte, eingeleitet. Während sich das Land in den Jahren 1995 und 1996 noch jeweils mit über 2 Md DM jährlich neu verschuldete, wurde seitdem der Kreditbedarf konsequent zurückgefahren: 1997 auf knapp 1,5 Md DM, 1998 auf knapp 1,3 Md DM, 1999 auf 924 Mio. und im Jahr 2000 auf ca. 650 Mio. DM. Im Jahre 2002 soll die Kreditaufnahme höchstens noch 450 Mio. DM betragen. Die Verschuldung des Landes war in den neunziger Jahren steil angestiegen und hatte bis zum Jahre 1998 die Summe von 13,7 Md DM erreicht. Im Jahre 2000 sind es etwa 15,2 Mio. DM Schulden. Dafür müssen im Jahre 2000 ca. 880 Mio. DM an Zinsausgaben zur Verfügung gestellt werden; in den nächsten Jahren wird diese Ausgabenlast noch nicht sinken können. Eine sukzessive Absenkung der Nettokreditaufnahme – vorerst geplant bis zum Jahre 2002 – stoppt noch nicht das Anwachsen des Schuldenberges (im Jahre 2003 voraussichtlich 16,6 Md DM[39]), jedoch wird ein Weg in diese Richtung, zur Bewahrung bzw. Wiedererlangung politischer Gestaltungsfähigkeit, beschritten. Konsequent orientiert man damit auf eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik. Eine Absenkung der absoluten Verschuldung und eine Absenkung der jährlichen Zinslasten können dabei erst nach einer Senkung der Neuverschuldung auf “Null” in Angriff genommen werden; erst dann kann der Schuldenberg tatsächlich abgebaut werden.

Die Finanzpolitik hat mit der neuen SPD-PDS-Koalition neue Akzente, eine neue Qualität erreicht. Sie kommt in den finanzpolitischen Leitlinien für die laufende Legislaturperiode zum Ausdruck, die vom Finanzministerium vorgestellt wurden. Sie richten sich auf das Ziel, verlässliche und auf Dauer finanzierbare Rahmenbedingungen für die nachhaltige Entwicklung des Landes zu schaffen. Die Ausgaben sollen auf zukunftsgestaltende und zukunftssichernde Maßnahmen konzentriert werden. Mittel der europäischen Strukturfonds werden so breit wie möglich eingesetzt.[40] Die allein aus Landesmitteln finanzierten Förderprogramme sollen auf ihre Wirksamkeit hin kritisch überprüft werden. Eingeschlossen in dieses mittelfristige Finanzplanungskonzept ist auch das Ziel, die Gesamtzahl der vom Land finanzierten Personalstellen bis zum Jahre 2002 auf unter 46.000 zu bringen (Ende 1999: noch ca. 47.800; längerfristiges Ziel: unter 40.000 Stellen).[41]

Die Absenkung der Kreditaufnahmen war bereits im Jahre 1999 verbunden mit gleichmäßigen Kürzungen in allen Ressorts. Ein Ende der Kürzungen bei den Ausgaben ist nicht in Sicht. Die neue Regierung kann jedoch auf Grund der kooperativen Atmosphäre in der Regierungskoalition besser als zuvor bestimmte Ressortegoismen überwinden und ressortübergreifende Zusammenarbeit organisieren.[42] Das bietet künftig die Chance, deutlichere Prioritäten zu setzen und ressortübergreifende Vorhaben zwischen den Ministerien in Angriff zu nehmen, Förderprogramme entsprechend komplex anzulegen.[43] Zugleich stellt sich damit die Frage, nach welchen Kriterien, nach welchen politischen Orientierungen soll diese Setzung von Prioritäten vorgenommen werden.

Hierzu hat sich tatsächlich eine Diskussion entwickelt. Ist die Haushaltssanierung selbst unstrittig, so bietet ihre konkrete Umsetzung reichlich Konfliktpotentiale, weil soziale und politische Akteure je andere Prioritäten setzen. Die strategischen Überlegungen sind dabei weder innerhalb der drei Fraktionen, geschweige denn zwischen ihnen oder auch nur zwischen den beiden Koalitionspartnern übereinstimmend und zudem bislang auch noch wenig entwickelt. Besonders innerhalb der PDS-Fraktion wird die Position bekräftigt, dass es im Sozialbereich – weder bei Krankenhäusern, im Bereich Behinderten/Rehabilitation, bei der Jugendförderung noch bei Kindertagesstätten – weitere Einsparpotentiale gebe. Die in der Fraktion vorhandene Meinung, man müsse deshalb die staatliche Förderung von der Wirtschaft stärker auf soziale und kulturelle Bereiche umverlagern, hat sich jedoch nicht als verbindliche Position innerhalb der PDS-Fraktion etabliert und wird zudem von der SPD-Fraktion wie auch von der CDU abgelehnt. Im Gegenteil – so auch die Position der Fraktionsvorsitzenden Gramkow – gehe dies gerade nicht, sondern müssten die Struktur und Effizienz der Förderprogramme des Landes generell – wie dies auch in der SPD-Fraktion betont wird – auf den Prüfstand. Auch die bisherige pauschale Kürzung je Ministerium um 4,5 Prozent im Jahr lehnt Gramkow ab. Die Analyse und Neuordnung der staatlichen Förderprogramme wolle man in einem ersten Schritt bis Mitte des Jahres 2000 vornehmen.[44] Innerhalb beider Koalitionsfraktionen werden solche Punkte wie die Einrichtung eines Risiko- und Eigenkapitalhilfefonds für kleine und mittelständische Unternehmen und die Einrichtung eines “Vorpommern-Fonds” unterstützt. Aus der CDU-Fraktion wurden bislang keine Vorstellungen an die Öffentlichkeit gebracht, wie eine Haushaltssanierungspolitik inhaltlich umgesetzt werden könnte. In unseren Interviews wurden jedoch zwei wichtige Punkte angesprochen: Reduzierung der Förderung des Schiffbaus (zugunsten der Entwicklung der Infrastruktur sowie kleiner und mittlerer Unternehmen); Verwaltungsreform auf Landesebene.

Während im Bereich der politischen Parteien somit die Diskussionen über eine nachhaltige Neuorientierung der staatlichen Finanzierungs- und Förderpolitik angelaufen sind, musste das Finanzministerium mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 bereits praktische Vorschläge unterbreiten. Nach dem Grundsatz “Gestalten und Konsolidieren” sieht der Haushalt 2000 solche Gestaltungspunkte vor wie den forcierten Ausbau der Infrastruktur (Straßenbaumittel, Rügenzubringer, A 241 Schwerin-Wismar), eine Erweiterung von Fördertatbeständen (u.a. Erweiterung von Risikokapitalfonds und Aufstockung der Mittel für Technologieförderung), Erhöhung der Mittel für Forschungsförderung, Sicherung der Ausbildungsplatz- und der Arbeitsförderung, der Kulturförderung, der ländlichen Räume, des Naturschutzes usw. Andererseits mussten die Mittel beispielweise für die Sach- und Fachausgaben, für die Wohnungsbauförderung, in geringem Maße auch für Investitionsmaßnahmen gekürzt werden.[45]

Insgesamt zeigt sich in der Finanzpolitik des Landes, dass – beginnend durch die SPD-Ministerin schon in der Vorgängerkoalition, grundsätzlicher jedoch seit Beginn der SPD-PDS-Koalition – eine tiefgreifende Neuorientierung eingeleitet wurde. Von hier aus stellen sich in den nächsten Jahren gravierende Herausforderungen für eine Präzisierung und Neubestimmung der strategischen Orientierungen der Parteien, erwächst die Chance zu tiefgreifenden Reformprozessen, bleibt aber auch die Gefahr, traditionelle Denkweisen und Wege mit proportional regressiven Mitteln fortzuschreiben. Wenngleich die Auseinandersetzungen um diese Fragen begonnen haben, steht die Suche nach entsprechenden politischen Konzepten in allen drei Parteien wie auch in den Verbänden und erst recht in der Öffentlichkeit des Landes noch am Anfang.

3.2 Land und Kommunen

Im Verhältnis von Land und Kommunen gibt es seit Beginn der neuen Koalition zwar eine Reihe von Veränderungen, von einem “Politikwechsel” kann man aber auf diesem Gebiet nicht sprechen. Es ist auch die Frage, ob und inwiefern ein “Politikwechsel” auf diesem Gebiet angebracht erscheint, hängt doch eine gedeihliche kommunale Entwicklung erheblich von einer kontinuierlichen Politik des Landes gegenüber den Kommunen ab. In Mecklenburg-Vorpommern setzte man frühzeitig, schon zu Beginn der 90er Jahre, eine Reihe richtiger Ausgangspunkte der kommunalen Entwicklung, die spätere Turbulenzen, wie wir sie beispielweise aus Brandenburg kennen[46], verhinderten.

Gemeindefusionen

Dies zeigt sich vor allem bei den kleinen Gemeinden: Im ländlichen Raum orientierte man sich am schleswig-holsteinischen Amtsmodell. Die meisten Berater auf diesem Gebiet kamen aus Schleswig-Holstein und konnten ihre Erfahrungen mit dem Amtsmodell mitbringen.[47] In Mecklenburg-Vorpommern wurde von Anfang an (seit der Kommunalverfassung vom 12.6.1993) der gesamte “übertragene Wirkungskreis” auf die Amtsebene gelegt. Das betrifft zum Beispiel die Aufgaben der Ordnungsverwaltung, des Meldewesens, der Umweltverwaltung, der Gewerbeangelegenheiten. Von Anfang an war damit Klarheit geschaffen. Das ist bis heute so, und man hat damit keine besonderen Probleme. In § 10 des FAG (Finanzausgleichsgesetz) wurden die Kosten hierfür immer ausgewiesen. Man erfand auch nicht wie in Brandenburg die Position Amtsdirektors sondern übernahm jene des Amtsvorstehers als Primus inter pares. Die “Macht” des Amtes gegenüber der “Macht” der Gemeinden erscheint so möglicherweise relativierter, was wiederum den Umgang mit Problemen der Aufgabenübertragung von der Gemeinde- auf die Amtsebene wie auch umgekehrt erleichtern kann. Das alles ist in den neunziger Jahren gewachsen, ohne dass in der Regierung Mecklenburg-Vorpommerns angestrebt wurde oder wird, Gemeindefusionen per Gesetz zu beschleunigen.

Zur Zeit ist man im Innenministerium dabei, über die weiteren Strukturen der Gemeinden nachzudenken. Bisher gab es 3 Varianten:

a)      Gemeinden, die relativ klein sind, mögen sich freiwillig zusammenschließen, vor allem innerhalb der Ämter. Dies wurde bisher mit Fusionsprämien von 0,5 Mio DM pro Fusionsfall bedacht.

b)      Bei kleineren Ämtern strebt man die Umwandlung in Einheitsgemeinden an, auf freiwilliger Grundlage. Bei 10 Gemeinden und ihrer Umwandlung in eine Einheitsgemeinde bedeutete dies beispielsweise nach dem bisherigen Modell eine Fusionsprämie von 4,5 Mio DM (Beispiele: Amt Sahnitz, Kreis Bad Doberan; Amt Feldberger Seenlandschaft, Amt Marlow).

c)      Der Zusammenschluss einer Stadt mit einem umliegenden Amt (z.B. Sternberg-Land). Hier ist z.B. die Stadt Sternberg Mitglied des Amtes geworden.

Diese 3 Varianten sollen auch so weiterbeschritten werden (insbesondere auch Stadt-Umland-Verwaltungen).

Durch das neue FAG wird es allerdings Veränderungen der Förderungen geben. Zwar gibt es weiterhin für alle Gemeinden, die sich zusammenschließen, eine Prämie, aber die genaue Höhe wird eine Verordnung festlegen. Beim Fall a) ist daran gedacht, weiterhin eine Prämie zu geben, aber in geringerer Höhe. Beim Fall b) ebenso, aber mit einem zusätzlichen Bonus, beim Fall c) ebenfalls mit einem zusätzlichen Bonus. Auf diese Weise werden Fusionen also differenzierter gefördert.

Bisher gab es den größten Schub für Gemeindefusionen bei den Kommunalwahlen. Die Kommunalwahlen waren ausschlaggebender für Fusionen als die “Hochzeitsprämien”. Mecklenburg-Vorpommerns Strukturen der kleinen Gemeinden verändern sich kontinuierlich auf der Grundlage des Amtsmodells – eine langfristig angelegte und im übrigen auch von der konkreten Regierungsform unbeeinflusste Politik, bei der gemeindliche Selbstverwaltung wachsen kann. Weitgehender Konsens zwischen den politischen und verbandlichen Organisationen ist, sich auf einen langfristigen, freiwilligen Weg der Fusionen einzustellen. Die Politik wird den Weg einer gesetzlichen Fusionierung der amtsangehörigen Gemeinden in dieser Wahlperiode nicht aufgreifen, wenngleich es immer wieder hierzu Diskussionen gibt. Diese Entwicklung soll evolutionär erfolgen. Für die Perspektive wird jedoch ein neuer Anlauf für eine Gemeindegebietsreform nicht ausgeschlossen.

Insgesamt ergeben sich aus der Gesamtsituation des Landes neue Herausforderungen für das Verhältnis von Land und Kommunen, die sich nicht einfach unter dem allgemein anerkannten Formelkompromiss verdecken lassen, dass das Land starke Kommunen brauche und die Kommunen ein starkes Land.

Kommunaler Finanzausgleich

Die neuen Herausforderungen betreffen u.a. das Finanzausgleichsgesetz (FAG). Der Landtag beschloss Im November 1999 das 4. Änderungsgesetz zum FAG. Hier wurde der kommunalen Ebene eine Mindestausstattung von 2,5 Md DM zugesichert. Das Wort “mindestens” wurde, anders als noch im Entwurf zum FAG, zusätzlich eingeführt. Diese Änderung wurde durch die PDS in die Diskussion gebracht, aber auch durch die Anhörungen seitens des Landkreistages, des Städte- und Gemeindetages. Der Ausgangspunkt für die ganze Diskussion um die Mindestausstattung lag in der Koalitionsvereinbarung (§ 187 der Koalitionsvereinbarung). Dort wurde festgelegt, dass die Kommunen 2,5 Milliarden DM jährlich aus den Finanzausgleich erhalten sollen. Ansonsten wären es 27,36% der “Verbundmasse” (also der Anteil an den allgemeinen Steuereinnahmen) gewesen, wäre man vom bisherigen Finanzierungsmodell ausgegangen. Man hatte nach damaliger mittelfristiger Finanzplanung hochgerechnet, dass diese 27,36% im Jahr 2000 etwa 2,7 Milliarden DM bedeutet hätten. Angesichts der Notwendigkeit, die Kreditaufnahme zurückzufahren, stand eine solche Summe nicht zur Verfügung. In der Folge gab es Diskussionen zwischen dem Innen- und dem Finanzministerium. Während das Innenministerium – wie auch Städte- und Gemeindetag und Landkreistag – eher davon ausgingen, dass es sich bei diesen 2,5 Md DM um eine Garantie- bzw. Mindestsumme handele, ging das Finanzministerium hierbei eher von einer Obergrenze aus. Schon bei den Aushandlungen zur Koalitionsvereinbarung setzte sich das Finanzministerium mit seiner Position durch.[48] Sowohl vom Städte- und Gemeindetag als auch vom Landkreistag wurde die Festlegung der Koalitionsvereinbarung (Punkt 187) von Anfang an kritisch gesehen, weil man eine längerfristige “Deckelung” befürchtete, die den allgemeinen Grundsätzen des kommunalen Finanzausgleiches widerspricht.[49] Nach dem nunmehr beschlossenen FAG ist die Finanzausstattung (in begrenztem Maße) wieder ergebnisoffener. Finanzministerium wie auch SPD-Fraktion gingen – zumindest was die verbale Formulierung der “Mindestausstattung” betrifft – auf die kritischen Erwägungen, die es hierzu in verschiedensten politischen, verbandlichen und Verwaltungsebenen des Landes gab, ein.

Eine Veränderung der Finanzierungsbedingungen gibt es über das FAG hinsichtlich des Verhältnisses von Landkreisen und kreisfreien Städten infolge des sog. “Drei-Säulen-Modells” (1. Gemeinden, 2. Landkreise, 3. kreisfreie Städte) bei der Kommunalfinanzierung. Der Effekt des 3-Säulen-Modells besteht darin, dass die Finanzierungssumme für die kreisfreien Städte auch dann gewahrt wird, wenn die Einwohnerzahl zurückgeht. Das Drei- Säulen-Modell enthält mindestens drei Optionen: Ausgleich von Entwicklungsunterschieden; die gleichberechtigte Förderung und schließlich die verstärkte Förderung von Wachstumspolen, d.h. der größeren Städte. Auf diese Weise werden die kreisfreien Städte relativ zu den Landkreisen und anderen Gemeinden gestärkt. Dies ist seitens des Innenministeriums so gewollt, weil die kreisfreien Städte als Wachstumsmotoren betrachtet werden.[50] Perspektivisch können auf diese Weise (nach Berechnungen der Kommunalverbände) etwa 15 Mio. DM aus den ländlichen kommunalen Bereichen in die kreisfreien Städte verlagert werden.[51] Indirekt wurde hiermit eine strukturpolitische Entscheidung bezüglich der Landesentwicklung dahingehend getroffen, eher auf eine Förderung der wirtschaftlich stärkeren Regionen (kreisfreien Städte) zu setzen und weniger einem Prinzip des Ausgleichs zwischen stärkeren und schwächeren Regionen zu folgen. Explizit wurde ein solches Prinzip der Landesentwicklung, das zweifellos Diskussionen hervorrufen würde, bislang jedoch nicht vertreten noch ausgearbeitet. So waren bei der Wirtschaftsförderung die Fördersätze für die wachstumsschwachen Regionen bislang höher als für die wachstumsstarken – ein Prinzip, das aus den Bereichen der Interessenvertretung der Wirtschaft eher kritisch gesehen wird. Insgesamt zeigt sich hierin im Land ein Diskussions- und Aushandlungsbedarf, der bislang von den politischen Kräften im Landtag noch nicht aufgegriffen wurde, sondern der Initiative der Ministerialverwaltung überlassen blieb.

Konnexitätsprinzip

Eine weitere Frage, die das Verhältnis von Land und Kommunen betraf, war die geplante Verankerung des (“strikten”) Konnexitätsprinzips in der Verfassung.[52] Das Land würde damit in die Pflicht geraten, bei allen gesetzlichen Festlegungen die finanziellen Folgen, soweit sie die kommunale Ebene betreffen, einzukalkulieren und hierfür einzutreten. Dieser Vorschlag wird seitens der Kommunalverbände seit mehreren Jahren als ein zentrales Anliegen vertreten, wurde aber von der Vorgängerkoalition nicht auf den Weg gebracht. In der Koalitionsvereinbarung (Punkt 192) wurde dieses Vorhaben festgeschrieben. Heute gibt es quer über alle drei Landtagsparteien Einigkeit über eine Verankerung des Konnexitätsprinzips in der Verfassung. Die prinzipielle Einigkeit schließt aber Befürchtungen und Diskussionen über die konkrete Ausführung bzw. Handhabung nicht aus.[53] Bereits im März 1999 hatte die CDU einen Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung eingebracht, in der das Konnexitätsprinzip verankert ist.[54] Erst ein dreiviertel Jahr später, im Januar 2000, nahmen SPD und PDS darauf Bezug und brachten einen ähnlichen Gesetzentwurf ein, der allerdings differenzierter und auch professioneller ausgeführt war, u.a. die Gleichzeitigkeit des finanziellen Ausgleichs mit der Aufgabenverpflichtung sowie die Möglichkeit der Verrechnung mit einem gesetzlich oder durch Rechtsordnung verursachten Abbau von Aufgaben enthielt. Kostenfolgeabschätzung sollten unter Beteiligung der kommunalen Verbände erfolgen. Der Gesetzentwurf von SPD und PDS sprach nicht nur von der Verpflichtung “bestimmter Aufgaben” (wie beim CDU-Entwurf), sondern von der Verpflichtung zur Erfüllung “einzelner Selbstverwaltungsaufgaben”. Eingeschlossen sind damit nicht allein die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, sondern auch die pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben (z.B. ÖPNV). Diese Position wurde seit längerem im Innenministerium vertreten. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese und andere Fragen der konkreten Ausführung des Konnexitätsprinzips bis zum Zeitpunkt ihrer Niederlegung in der Kommunalverfassung noch Auseinandersetzungen hervorrufen werden. Am 15. März 2000 wurde jedoch erst einmal im Landtag einstimmig die Verankerung des Konnexitätsprinzips in der Landesverfassung beschlossen. Es wurde ein konsensorientiertes Verfahren festgelegt, die Mehrkosten transparent als Saldo festzustellen und vom Land im betreffenden Gesetz bzw. der betreffenden Rechtsverordnung anzuerkennen, sofort bzw. im folgenden Finanzausgleich zu begleichen. Die kommunalen Spitzenverbände sind bei der Ermittlung der Mehrkosten beteiligt. Die daraus folgende Veränderung der Kommunalverfassung steht noch aus.

Funktionalreform

Auch die Frage nach einer Fortführung der Funktionalreform betrifft das Verhältnis von Land und Kommunen: Der wichtigste “Schub” waren die Veränderungen, die zu den Wahlen am 12.6.94 in Kraft traten. Hier gab es die meisten Übertragungen von der Ebene des Landes auf die Ebene der Kreise. Das waren vor allem die Kataster- und Vermessungsämter, aber auch einiges andere. Der 2. “Schub” kam dann in der 2. Legislaturperiode. Hier stand weniger die Frage, was von der Landes- auf die kommunale Ebene übertragen wird, sondern es ging um strukturelle Veränderungen bei den Landesbehörden. So wurden im Bereich Umwelt und Landwirtschaft “Großämter” eingerichtet. Seitdem gibt es nur noch punktuell Veränderungen. Man will im Innenministerium zunächst entsprechende Ansätze suchen. Seitens der Kommunalverbände werden schon seit Jahren Überlegungen über eine Fortführung der Funktionalreform angestellt.[55] Zu Ergebnissen ist es bislang diesbezüglich nicht gekommen.

Verwaltungsreform

Einer der wichtigsten und schwierigsten Punkte des Verhältnisses von Land und Kommunen betrifft die Frage der Verwaltungsreformen. Über das in der Koalitionsvereinbarung dokumentierte Bekenntnis der Koalitionspartner, hierbei entschieden weiterzukommen, ist die Realität noch nicht weit hinausgegangen. Aus der Sicht der Kommunalverbände gibt es hierzu vom Land zu wenig Anregungen. Immerhin gibt es auf kommunaler Ebene eine Reihe positiver Ansätze, so z.B. in Greifswald, Rostock, Schwerin, zum Teil auch bei Ämtern. Der Städte- und Gemeindetag hat eine kommunale Tochter-GmbH, die sich mit der Verwaltungsreform befasst.

Das Land hat insoweit frühzeitig Voraussetzungen für Verwaltungsreformansätze geschaffen, dass in § 42a der Kommunalverfassung (Fassung vom November 1997) die Möglichkeit für Experimentieransätze enthalten ist. Hier wurden Erfahrungen aus den Kommunal­verfassungen von NRW und Hessen aufgenommen. Auch in der Gemeinde-Haushalts-Verordnung sind seit 1993 bereits Möglichkeiten zum Experimentieren im Sinne von Verwaltungsreformprozessen enthalten. Das Innenministerium ist die Genehmigungsbehörde für solche Experimentierverfahren und begleitet solche Experimentierprozesse durch Beratung. In diesem Rahmen wäre es auch denkbar, eine “Sonderbedarfsförderung” zu ermöglichen. Generell zeigt sich auch hier eine langfristig angelegte Konzeption des Innenministeriums. Sie geht davon aus, dass Veränderungen nur dann einen Sinn machen, wenn die Betroffenen hierin einen Vorteil für sich erkennen können. Administrative Veränderungen “von oben” sollen nicht angestrebt werden. Neue Akzente bestehen evtl. darin, dass das Innenministerium jetzt mehr darauf drängt, zwischen den Landkreisen und kreisfreien Städten zu kooperieren, vor allem bei den Verkehrsanbindungen, auch bei den Schulstandorten und auch bei den Gemeindefusionen.

Innenministerium wie auch Kommunalverbände scheinen heute durchaus bewusst die Tatsache zu nutzen, dass die Koalitionsparteien SPD wie auch (vielleicht noch sichtbarer) die PDS für Angelegenheiten der Kommunen generell sehr ansprechbar sind. Sie bringen dabei kontinuierlich ihre Vorstellungen und Forderungen an die Politik, werden initiativ. In jüngster Zeit tritt zunehmend auch die PDS-Fraktion mit eigenen Vorstellungen über die Fortführung der Kommunalpolitik an die Öffentlichkeit, ergreift eigenständige Initiativen gegenüber ihrem Koalitionspartner SPD und der kommunalen Ebene. Dies lässt einen interessanten Diskussionsprozess erwarten. Immerhin geht es bei den PDS-Vorschlägen um eine grundlegendere Novellierung der Kommunalverfassung von Mecklenburg-Vorpommern und hierbei vor allem um einen Ausbau der Rechte der Bürgerinnen/Bürger sowie der kommunalen Vertretungen.[56]

Auch auf Ebene der Landesverwaltung wurden erste Verwaltungsreformprozesse eingeleitet. Seit Anfang 1999 gibt es eine sogenannte Lenkungsgruppe zur Kosten-Leistungsleistung. Ihr gehören die Staatssekretäre der Ressorts, Vertreter der Staatskanzlei, der Personalvertretungen, des Landesrechnungshofes an. Diese Gruppe tritt nach Bedarf zusammen (im Jahre 1999 ca. dreimal). Ihr zugeordnet ist eine Projektgruppe, die sich in der Abteilung Haushalt und Finanzwirtschaft des Finanzministeriums befindet. Auch ein privates Institut ist einbezogen. Diese Gruppe erarbeitet Grundlagen für die Kosten-Leistungs-Rechnung (KLR) in der Landesverwaltung. Bereits jetzt bestehen Projekte, die eine mehr oder weniger entwickelte KLR eingeführt haben: so im Landeshygieneinstitut, z.T. in Medizinischen Fakultäten, im Statistischen Landesamt (auch im Rahmen bundesweiter Versuche), in Straßen- und Autobahnmeistereien, in der Landesbauverwaltung (seit 1. Januar 2000 über KLR gesteuert), in der Fachhochschule Neubrandenburg (Aufbau eines Hochschulinformationssystems), Teilaspekte auch im Sozialministerium (Controlling) und im Innenministerium (Ausgabenanalysen). Insgesamt soll die KLR, in Verbindung mit Controlling, unter Federführung des Finanzministeriums in mehreren Stufen in die Landesverwaltung eingeführt werden: zunächst die Erarbeitung des Grundkonzepts (bis Mai 2000), dann die Weiterentwicklung des Grundkonzepts in den Pilotbehörden, schließlich die breitere Einführung in jenen Behörden, bei denen es sinnvoll und wirtschaftlich ist.

Bereits in der alten Legislaturperiode gab es eine Landtags-Vorlage mit dem Titel: “Kostensenkende Strukturmaßnahmen”. In diesem Zusammenhang wurden zum Beispiel die Gerichtsstrukturen verändert, die Zahl der Amtsgerichte verkleinert, bestimmte Ausbildungskapazitäten am Standort Güstrow konzentriert. Generell – so aus CDU-Sicht – “versickerten” jedoch die damaligen Vorschläge auf dem Verwaltungswege.[57]

Tatsächlich gibt es keine sensationellen Veränderungen im Bereich der Organisations- und Ablaufprozesse der Landesverwaltung. Der damalige Vorschlag der CDU-Fraktion, das veraltete kameralistische System zu überwinden, wurde – wenn überhaupt – nur in wenigen Ansätzen realisiert, war aber offensichtlich auch nicht hinreichend fundiert. Beispielweise wird heute die Frage nach einer Budgetierung von Sachkosten weitaus systematischer angegangen, mit einem grundsätzlicherem, sorgsam eingeführten Ansatz: Es soll keine neue Budgetierung ohne Kosten-Leistungsrechnung geben. Ansonsten hätte Budgetierung tatsächlich nicht viel Sinn. Aber die Grundlagen für die Einführung von KLR müssen zunächst erarbeitet und pilothaft eingeführt werden. Für das Jahr 2000 werden deshalb – wie oben beschrieben – innerhalb der Landesverwaltung Pilotprojekte ausgesucht, die sich auf Kosten-Leistungsrechnung beziehen.

Ein weiterer, durchaus komplizierter Punkt der Verwaltungsmodernisierung sind Maßnahmen im Bereich der Personalpolitik des Landes. Die Personalführung unterliegt den einzelnen Ministerien, nur in bezug auf die Beamten gibt es Koordinierungsfunktionen seitens des Innenministeriums. Hier wird beispielweise bei Neueinstellungen angestrebt, dass Teilzeitverhältnisse erreicht werden – eine Maßnahme, die die veränderten bundesrechtlichen Regelungen für Beamte (seit 1997) nutzt.

Generell gibt es heute keine für die Landesverwaltung bzw. gar insgesamt für die Landesbediensteten übergreifendes Konzeption einer Verwaltungsreform. Wichtige Denkansätze einer komplexen Konzeption zur Modernisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern wurden allerdings im September 1999 im Innenministerium entwickelt. In der Praxis geht man heute einzelne konkrete Schritte, wie sie z.B. in den Pilotprojekten zur KLR oder auch in einer Verbesserung der technischen Infrastruktur ihren Ausdruck finden. Weder die Regierung noch die Koalitionsfraktionen haben sich jedoch bisher dem Thema einer Landesverwaltungsreform systematisch gewidmet. Vor allem im politischen Bereich fehlen hierfür ganz offensichtlich auch Kompetenzen, ist man sich andererseits über dessen politische “Sprengkraft” bewusst. Beide Koalitionsparteien haben in der Verwaltung nicht nur wichtige Klientele, sie sind zudem durch ihre Selbstbindungen (und durch ein personalfreundliches Bindungen der Vorgängerregierung) zu einem sorgsamen Umgang mit Verwaltungsreformfragen verpflicht. Bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit ließen sich beispielweise kaum alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Landesbedienstete finden. Bei der Verwaltungsreform handelt es sich jedoch nicht allein und nicht in erster Linie um Personalabbau, sondern mehr um die Ausprägung der Funktionen als Dienstleister, um die Privatisierung bestimmter Funktionen, um kreative Anwendungen des Beamtenrechts, um kostensenkende Veränderungen von Strukturen und Abläufen usw. Es handelt sich vor allem um eine Schlüsselfrage, die auf Dauer nicht zu umgehen ist und die politischen wie Verwaltungsakteure des Landes vor völlig neue Herausforderungen stellt. Eine komplexe Verwaltungsmodernisierung wird von beinahe allen Interviewpartnern, die wir befragten, als dringlich und zugleich als recht kompliziert eingeschätzt.

Dass die Verwaltung hingegen gelegentlich ihre eigene Politik macht, ist keine Besonderheit dieses Bundeslandes, sondern gründet in der starken Stellung der Verwaltung auf Landesebene schlechthin. Zweifelhaft sind indes Einwände, die darauf abheben, dass ein Politikwechsel kaum möglich gewesen sei, da die Koalition ihre Möglichkeiten ausschlug, die ihr der zulässige Austausch politischer Beamter geboten hätte. Die Furcht vor negativen Schlagzeilen wie auch die dünne Personaldecke mögen diese ungewöhnliche Zurückhaltung der Koalitionäre erklären – indes erweist sich nach unseren bisherigen Befunden die Landesverwaltung eher als ein unabdingbarer und professioneller Stabilisator der landespolitischen Entwicklungen denn als Bremsklotz. Reformbestrebungen – das zeigen alle Erfahrungen in Bund und Ländern – kommen immer auch aus der Verwaltung selbst, stützen sich auf die Problemkenntnis und die professionelle Handlungsfähigkeit der Beamten und Angestellten. Andererseits – das zeigen ebenso alle Erfahrungen – bedürfen sie entsprechender politischer Rahmenbedingungen und sollten vor allem politisch angestoßen und abverlangt werden.

3.3     Wirtschaft und Umwelt

Zu den nicht hintergehbaren Kontinuitäten, unter denen die neue Koalition operiert, gehören historisch gewachsene und nach 1989 entstandene Wirtschaftsstrukturen (die geschrumpfte maritime Wirtschaft, das überdurchschnittliche Gewicht des Agrarsektors und die Abhängigkeit vom Fremdenverkehr, die anhaltende Exportschwäche sowie die ausgesprochen kleinteiligen Betriebsgrößen außerhalb der Landwirtschaft), regionale Disparitäten wie das West-Ost-Gefälle[58], eine im Vergleich überdimensionierte Verwaltung, das Verbundsystem von EU, Bund und Ländern, der Zwang zur Haushaltskonsolidierung. Diese Restriktionen sind durch die Sparpolitik des Bundes in ihren Auswirkungen auf MV noch verschärft worden. Diese Gegebenheiten begrenzen den wirtschaftspolitischen Gestaltungs- und Veränderungsspielraum der neuen Koalition erheblich und legen in vieler Hinsicht Kontinuität nahe. Wie unsere Gesprächspartner aus beiden Koalitionsfraktionen übereinstimmend feststellten, wurden in wirtschaftspolitischer Hinsicht neue Akzente in der Förderpolitik und -praxis gesetzt. Dazu gehört, dass die Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur “Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur” an Arbeitsmarkteffekte gekoppelt wurde; die verstärkte Förderung von innovativen Firmen, die Ausbildungsförderung von Schulabgängern, das “Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm”[59] sowie das vorgesehene Zukunftsprogramm.

Immerhin erreichte aber die Wirtschaft im verarbeitenden Gewerbe im Verlaufe des Jahres 1999 einen Zuwachs der Bruttowertschöpfung um 5,4%. Stolz wird vermeldet, dass dies (nach Thüringen) die zweithöchste Zuwachsrate im Vergleich der neuen Bundesländer ist. Die Tourismuswirtschaft vermeldete einen Rekord bei Gästeankünften und Übernachtungen. Dennoch besteht wohl kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen positiven wirtschaftlichen Effekten (ähnliches gilt für den Arbeitsmarkt) und einer bestimmten Politik. Intendierte Veränderungen – darauf wiesen uns unsere Gesprächspartner ausdrücklich hin – bedürfen aufgrund der Bewilligungs- und Genehmigungsverfahren im Bund und in der EU mehrerer Jahre, ehe sie sich auswirken können.

War für die erste Landesregierung (1990-1994) und mit Abstrichen für die CDU-SPD-Koalition (1994-98) die Ansiedelung von Großinvestoren der Königsweg zur Lösung auch der Arbeitsmarktprobleme, so ist für die SPD-PDS-Koalition eine stärkere Orientierung auf kleinere und mittlerer Unternehmen (KMU) sowie auf im Lande existente (endogene) Modernisierungs- und Transformationspotenziale charakteristisch. Diese Akzentuierung wird von Gesprächspartnern beider Fraktionen hervorgehoben. Während sich der Wandel unseren Gesprächspartnern aus der SPD eher als “fließend” darstellte, habe man bei der PDS relativ früh auf kleine und mittlere Unternehmen gesetzt. Im Wirtschaftsministerium des Landes erfolgte die Hinwendung zu den KMU peu à peu. Gradmesser der Orientierung auf KMU sind nicht zuletzt die Förderrichtlinien und -programme. Das zeigt sich nicht zuletzt im mittlerweile verabschiedeten und via Berlin nach Brüssel gesandten “Operationellen Programm MV. Förderperiode 2000-2006 ”. Federführend bei der Ausarbeitung des Programms war das Wirtschaftsministerium. Obwohl beim Umsetzen dieses Programms erhebliche Ressourcen eingesetzt werden und Politik gemacht wird, waren unserem Eindruck nach die Parlamentsfraktionen nicht immer ausreichend in den Abstimmungs- und Diskussionsprozess eingebunden. Hierin zeigt sich die bereits erwähnte starke Stellung der Verwaltung auf Landesebene im Vergleich zur Politik. Dabei ist freilich zu bedenken, dass die EU-Kriterien keine parlamentarische Begleitung vorsehen.

Die Koalition versucht zudem durch die Übernahme bisher in MV nicht praktizierter wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen (etwa aus Bayern oder Berlin), die veränderte Kombination bewährter Instrumentarien und das Überprüfen nicht passfähiger Maßnahmen Fortschritte zu erzielen. Die angekündigte größere Evaluierung der Förderprogramme ist für das Jahr 2000 vorgesehen; allerdings findet eine Evaluierung auch laufend statt, wie etwa die neuen Akzente in der Tourismusförderung zeigen. Aus unseren Gesprächen haben wir den Eindruck gewonnnen, dass sich mit der vorgesehenen Evaluierung zwei sehr unterschiedliche Intentionen innerhalb und zwischen den Koalitionsfraktionen verbinden. Das Volumen der Fördermasse im Wirtschaftsbereich weckt zum einen Begehrlichkeiten anderer Ressorts. Von der Evaluierung verspricht man sich Mittel für “außerwirtschaftliche” Bereiche. Die konkurrierende Vorstellung von Evaluierung der Förderprogramme zielt auf Umverteilungen/neuartige Kombinationen innerhalb der Wirtschaftsförderung selbst. Wenngleich diese Konflikte noch auszufechten sind, lässt sich zumindest eines festhalten: Die neue Koalition setzt auf die Diffusion und Kreation sozialer Innovationen.

In der Kombination mit Bundesmitteln wurde ein “Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm” aufgelegt, das für diese Unternehmen 50 Mio. DM Beteiligungs- und Darlehenskapital zur Verfügung stellt. Ferner wurden die zu erwartenden arbeitsmarktpolitische Effekte zu einem Kriterium bei der Vergaben von Mitteln im Rahmen verschiedener Förderprogramme.

Aus der Perspektive der Träger von Wirtschaftsinteressen wird diese Wendung indirekt bestätigt, wenngleich kritisch reflektiert: die neue Landesregierung schichte vorhandene Mittel vergabefremd um und neige zu Landesgesetzen und Verordnungen, die der Wirtschaft Lasten aufbürden (wie z. B. das geplante Bildungsfreistellungsgesetz).

Das vorgesehene Bildungsfreistellungsgesetz entspringt indes nicht allein der Selbstbindung beider Koalitionsparteien an Bildung und Qualifizierung als Wert; es ist auch im Kontext mit Problemdiagnosen des “Operationellen Programms...” zu sehen. Danach besteht in vielen kleinen und mittleren Betrieben ein von den Geschäftleitungen unerkannter und folglich unabgegoltener Weiterbildungsbedarf.

Eine interessante, vom Wirtschafts- wie vom Arbeitsministerium unterstützte Initiative verbirgt sich hinter der Bezeichnung “Job-Rotation”. Vielen Firmen fehlen mittlerweile qualifizierte Fachleute, die sich häufig nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt finden lassen. Die Grundidee besteht darin, dass Firmen für die Zeit der nötigen Qualifizierung ihrer Mitarbeiter Leute einstellen. Auf diese Weise könnten sowohl Weiterbildungsdefizite in den Firmen abgebaut als auch Beschäftigungseffekte erzielt werden. Die Förderung/Unterstützung der Firmen bei der Job-Rotation besteht darin, dass sie von Kosten entlastet werden. Die zeitweilig Beschäftigten gewinnen über die befristete Arbeit hinaus Chancen für weitere Beschäftigung.

Ziel der Landesregierung ist es, den Schiffbau zu erhalten und zur maritimen Verbundwirtschaft auszubauen (aus der Sicht der Kritiker: “Werftenkonservatismus”). “Wir brauchen diese Strukturen als industrielle Kerne”, zumal viele Gewerke für den Schiffbau erforderlich sind, so die Position unserer Interviewpartner aus beiden Koalitionsfraktionen. Zu diesem Zwecke wurden aus Bundes- und Landesmitteln Wettbewerbsbeihilfen bereitgestellt (90 Mio. DM), unter anderem ein Projekt “Offensive maritime Mittelstandsentwicklung...” aufgelegt und ein Innovationsbeirat “maritime Industrie” berufen. Dieser maritime Beirat soll auch bewirken, dass die Schiffbaufirmen mehr kooperieren. Die Perspektiven des Schiffbau im Lande hängen unter anderem davon ab, dass die koreanische und südostasiatische Konkurrenz durch Druck der EU im Einklang mit der Bundesregierung und Aktionen des Internationalen Währungsfonds von ihren Dumpingpreise abgeht. Sodann drängen die Werften und die Landeregierung bei der EU darauf, dass die Kapazitätsobergrenzen flexibilisiert werden. Es gibt nicht nur Werften, die hinreichend Aufträge haben; bei andere Quoten lässt auch flexibler und kostengünstiger produzieren. Schließlich geht es im Schiffbau um die Entwicklung innovativer Produkte.[60]

Mit dem “Agrarkonzept 2000” soll eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft im Lande befördert werden. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige ostdeutsche Bundesland, das hiermit ein geschlossenes agrarpolitisches Konzept vorgelegt hat. Entscheidendes hat die Landesregierung geleistet, um die negativen finanziellen Auswirkungen der Agenda 2000 auf die Landwirte zu mildern. Dabei kann nicht übersehen werden, dass die subventionsorientierte Agrarförderung in ihren Strukturen und Inhalten auf traditionelle Weise fortgeführt wird. Eine Neuorientierung auf die Förderung selbsttragender, innovativer regionaler Wirtschaftskreisläufe, die eine Bündelung verschiedener “Fördertöpfe” voraussetzt, ist zwar in der Diskussion, aber nur in Ansätzen in der Praxis eingeführt.

Mecklenburg-Vorpommern soll zu einem Technologieland werden. Auch darin liegt ein neuer Akzent, den die SPD-PDS-Koalition setzt, wenngleich auch hier fließende Übergänge zum Wirken der früheren Landesregierungen bestehen. Vor allem in Rostock konzentrierten sich technologieorientierte Unternehmensgründungen. In gewisser Weise avancierte Rostock zu einem Experimentierfeld für arbeitsmarktpolitische, wirtschaftliche (Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen durch private Investoren) und soziale Maßnahmen (wie etwa die Privatisierung von Plattenbauwohnungen zu einem für die Bürger annehmbaren Preis durch Förderung des Landes). Zudem wurde mit dem zügigen Genehmigungsverfahren für den Bebauungsplan für das A3XX-Werk in Rostock-Laage durch das Bauministerium neue Maßstäbe der ministeriellen Planungstätigkeit gesetzt. Begleitet wurde diese Aktion durch eine umfassende Werbekampagne, für die sich der Ministerpräsident persönlich stark engagierte. In den Interviews wurde hierzu von den Wirtschaftsvertretern ausdrücklich Respekt gezollt und darauf hingewiesen, dass die diesbezüglichen Investitionen – selbst, wenn das Werk nicht kommt – für die Regionalentwicklung sinnvoll waren. Andererseits müsse nun rechtzeitig in der Förderpolitik umgesteuert werden, wenn absehbar ist, dass das Airportprojekt nicht in Rostock-Laage angesiedelt wird. Seit Anfang 2000 wurde klar, dass es eine Ansiedlung der Endfertigung in Rostock-Laage nicht geben wird.

Neue Unternehmen wurden auf dem Gebiet der Biotechnologie gegründet (Erweiterung des Biomedizintechnikums in Teterow; Erweiterung des Technologiezentrums Vorpommern). Technologieorientierte Unternehmensgründungen bilden einen Schwerpunkt der Förderpolitik des Landes (Technologie- und Innovationsförderprogramm des Landes). Das Technologie- und Innovationsfördeprogramm wurde so geändert, dass nunmehr auch Betriebe mit mehr als 1000 Mitarbeitern und Werften gefördert werden können. Für Neugründungen wurde ein Fonds mit Risikokapital mobilisiert.[61] In Kooperation mit der Telekom (Rahmenvereinbarung) werden ca. 35 Vorhaben zur Nutzung multimedialer Technologien in Wirtschaft, Bildung und Forschung auf den Weg gebracht oder fortgeführt.[62]

Beim Auf- und Ausbau der Infrastrukturen, Investitionen in Schule und Hochschulen, bei der Entwicklung moderner Technologien wie bei der Bestandspflege zukunftsfähiger Komponenten historisch gewachsener Wirtschaftstrukturen ist das Land an Vorschriften der EU und des Bundes gebunden und von der Bereitstellung entsprechender Mittel abhängig. Auf diesen für das Land wichtigen Feldern hat es Mitwirkungsrechte. Wie diese von der neuen Koalition ausgefüllt werden, konnte im Rahmen der Exploration noch nicht hinreichend ermittelt werden. Wie das “Operationelle Programm MV. Förderperiode 2000-2006” erkennen lässt, wird der klein- und mittelständischen Wirtschaftstruktur des Landes Rechnung getragen. Und es zeichnet sich eine Ausrichtung der Förderprogramme auf Arbeitsmarkteffekte sowie – in Gestalt des “Gender-Mainstream-Ansatzes”[63] – auf Frauenförderung ab. In der Wohnungsbauförderung konzentriert sich die neue Landesregierung auf die Modernisierung und Sanierung von Plattenbauten.

Die Landesregierung hat neue Schwerpunkte in der Tourismusförderung gesetzt (statt Bettenförderung Tourismus- und Freizeitinfrastruktur). Für die touristische Infrastruktur wurde um 50% gegenüber dem Vorjahr gesteigert, überwiegend durch Förderzuwendungen an Gemeinden und Gemeindeverbände, aber auch an Private. Die zuvor allgemein eingesetzte Image-Werbung für das Land wurde zielgerichteter auf den Tourismus orientiert. Zugleich wurden Kombi-, Erholungs- und Spaßbäder sowie Bereiche, in denen es zu einem Verdrängungswettbewerb gekommen ist, aus der Förderung genommen.

In unseren Interviews wurde seitens der Wirtschaftsvertreter die Förderung der regionalen Infrastruktur als das A und O zukünftiger Förderpolitik bezeichnet. Dies betreffe einmal die Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur (1999: 145 Mio. DM Förderung bei 130 Investitionsvorhaben), zum anderen und vor allem aber den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Hier werden die Mittel im Jahre 2000 erhöht; die Ostseeautobahn soll bis zum Jahre 2005 fertiggestellt werden, einschließlich der Rügen-Anbindung. Auch die A 241 (Schwerin-Wismar) soll zu diesem Zeitpunkt fertiggestellt werden (unter Verwendung von EFRE-Mitteln).

Aus der Perspektive der Wirtschaft braucht das Land “jetzt eine leistungsfähige Infrastruktur und nicht erst in 20 Jahren.” Darin drückt sich zunächst ein Dissens zu den Prioritäten aus, die die Koalition setzt. Da öffentliches Kapital immer weniger hinreicht, werden von der Wirtschaft neue Wege zur Finanzierung öffentlicher Investitionen unter Einsatz privaten Kapitals vorgeschlagen.[64] Beim Auf- und Ausbau der Infrastrukturen gibt es zudem Projekte, die unstrittig sind und solche (z.B. Transrapid – mittlerweile als Projekt ohnehin nicht mehr aktuell[65]), bei denen das nicht der Fall ist. Die Befürworter – in der Regel die Träger von Wirtschaftsinteressen – forderten ein klares Bekenntnis zum Transrapid, wünschen die Autobahn nach Wismar und den Flughafen Parchim, den Ausbau der Landesstraßen. Während Bestandspflege als Grundsatz allgemein akzeptiert wird, findet die bewahrende wirtschaftspolitische Haltung aller Landesregierungen zu den Werften (zuletzt Boizenburg) auch Widerspruch.[66]

Aus der Sicht unserer Gesprächspartner aus beiden Koalitionsfraktionen ist in wirtschaftspolitischer Hinsicht die Übereinstimmung relativ groß auf dem Felde der Technologie, der Förderpolitik und der Haltung zu KMU. In beiden Fraktionen haben sich zudem Hoffnungen mit der Airbusfertigung A3XXX in Rostock-Laage verbunden. Dissens bestand bzw. besteht einmal in Fragen, die überregionale Verkehrsinfrastrukturen und - projekte betreffen. Zum anderen ergeben sich Konflikte daraus, dass man in der SPD stärker auf Marktkräfte, in der PDS hingegen stärker auf politische Regulative/Anreize in der Wirtschaft setzt.

Neue und weithin akzeptierte Wege wurden im Bereich der Umweltpolitik gegangen. Es wurden die Grundzüge einer neuen Abfallpolitik entwickelt, die u.a. auf Abfallvermeidung, alternative Abfallkonzepte und Dezentralisierung abzielt. Die Erarbeitung eines neuen Abfallwirtschaftsplanes wurde im Lande breit diskutiert, Kommunen und andere Träger öffentlicher Belange umfangreich einbezogen. Ein ähnliches diskursives Politik-Verfahren wurde bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitate)[67] für Mecklenburg-Vorpommern und bei der Erstellung des Moorschutzkonzeptes gewählt. Gewässerschutz und Küstenschutz waren weitere Schwerpunkte der Regierungstätigkeit.

3.4 Arbeit

Die anhaltend schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt (MV befindet sich hinsichtlich der Arbeitslosenrate im Mittelfeld bzw. unteren Drittel der neuen Bundesländer) erfordert neue und vielfältige Lösungen. Die hohe Arbeitslosigkeit im Lande ist nach wie vor das schlimmste Problem. Insgesamt wurde die Arbeitslosigkeit im Jahre 1999 etwas zurückgedrängt.[68] Die Arbeitslosenquote lag im Januar 2000 in Mecklenburg-Vorpommern bei 19,4%. Unter den ostdeutschen Bundesländern hatte das Land nach Sachsen-Anhalt die zweit höchste Arbeitslosenquote. Im Vergleich mit dem Vorjahr hat Mecklenburg-Vorpommern als einziges Ostland die Arbeitslosenzahl verringern können. Im Januar 1999 lag die Arbeitslosenquote an der Küste noch bei 20%.[69] Einen Fortschritt gibt es vor allem bei der Senkung der Jugendarbeitslosigkeit. Hierzu wurde das “100.000-Stellen-Programm” des Bundes genutzt und zügig umgesetzt. Betriebliche und überbetriebliche Ausbildungsplätze wurden umfangreich gefördert. Im Rahmen des Bündnisses für Arbeit wurde der “Ausbildungspakt 2000 Plus” ausgehandelt, eine Rahmenrichtlinie für die Schaffung von Ausbildungsplätzen insbesondere in neuen Berufsrichtungen.

Die öffentlich geförderte Beschäftigung (ÖBS) ist nur eine Komponente unter den von der neuen Koalition eingesetzten Instrumenten. Vorrangiges Anliegen der Landesregierung bleibt es, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Die Vergabe von Fördermitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur wird direkter an die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze gebunden. In der gewerblichen Wirtschaft wurden 12000 Dauerarbeitsplätze in 740 Unternehmen gefördert (525 Mio. DM). Allein 4000 Arbeitsplätze wurden in Call-Centern, die im Jahre 1999 mit 18 Mio. DM gefördert wurden, geschaffen. Noch in der ersten Regierung von MV (90-94) wurde auf Initiative der FDP das Programm Arbeit und Qualifizierung für MV (AQMV) aufgelegt, von der CDU aus war das stets ein “ungeliebtes Kind”[70]. Dieses Programm wird von der jetzigen Regierung weitergeführt und mit neuen Elementen angereichert. Hierzu zählen die stärkere Unterstützung von Existenzgründern und entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen. Durch eine bessere Kooperation von Landes-Arbeitsministerium, Bundes-Arbeitsämtern und gemeindlichen Sozialämtern wurde ermöglicht, dass auch Nicht-Sozialversicherte von den Arbeitsämtern Qualifizierungsmaßnahmen gefördert bekommen können. Dadurch werden u.a. die Sozialkassen der Kommunen entlastet. Arbeitsminister Holter hob zum Beispiel Arbeitsmarktmodelle aus Dänemark als anregend hervor.[71] Wirtschaftsminister Eggert verweist in dieser Hinsicht auf Absprachen mit dem Arbeitsminister, nach denen Job-Rotationsmodelle unter Einschluss von Weiterbildungsvarianten entwickelt werden sollen.[72] Generell wird eine Arbeitsmarktpolitik angestrebt, die auf einen intelligenteren Einsatz der vorhandenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente und Mittel setzt.

Im Ergebnis der rot-roten Koalitionsverhandlungen wurde der Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) in Mecklenburg-Vorpommern und zudem vereinbart, sich für eine andere Arbeitsmarktpolitik auf Bundesebeneeinzusetzen. Gemessen an der Höhe der für ÖBS eingestellten Mittel (zwischen 10 und 20 Mio. DM pro Jahr) handelt es sich um eine Petitesse. Doch gerade auf diesem Felde hat Mecklenburg-Vorpommern durchaus Chancen, zu sozialen Innovationen von überregionaler Bedeutung vorzustoßen. Die Petitesse ÖBS verdient daher unter Reformaspekten besonderes Interesse.

Der Einstieg in einen öffentlichen Beschäftigungssektor zielt auf eine Verbesserung der “weichen” soziokulturellen Standortfaktoren, auf die Etablierung regionaler Netze zwischenbetrieblicher und institutioneller Strukturen, auf die Selbstorganisation und -koordination lokaler/regionaler Akteure. Es geht also nicht einfach um eine staatliche Alimentierung von Arbeitsplätzen, sondern um den Aufbau gemeinwohlorientierter, aber wettbewerbsfördernder sozioökonomischer regionaler Infrastrukturen (Holter 1999).

Wenngleich die Idee eines öffentlichen Beschäftigungssektors (ÖBS) in der Programmatik der Landes-SPD wie der Gewerkschaften keineswegs fehlt, so wird der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor meist mit der PDS in Verbindung gebracht. Abgesehen davon, dass der Einsteig in den ÖBS Interessen und Werthaltungen tangiert, scheint das Hauptproblem auch bei der PDS ein konzeptionelles zu sein: “Ich habe schon das Gefühl, dass die PDS noch immer nicht so genau weiß, was der ÖBS denn eigentlich ist, so Axel Troost in einer Diskussion in Rostock.[73] Die konzeptionellen Probleme betreffen folgende Fragen:

1.      Welchen Platz besetzt ÖBS aktuell und perspektivisch? ÖBS ist der Grundintention nach als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft gedacht und zugleich als Konsequenz der Tatsache zu sehen, dass viele Arbeiten nicht erledigt werden, die aber für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft und die Daseinsvorsorge der Menschen hoch bedeutsam wären. ÖBS sei von daher als ein Sektor zwischen öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft zu verorten. Dieser Sektor solle bislang unerledigte soziale, kulturelle, ökologische Dienstleistungen anbieten und sinnvoll, nach Tarif bezahle Dauer-Arbeitsplätze bringen. ÖBS habe von daher einen Doppelcharakter als Arbeitsmarktinstrument und als Scharnier in eine andere Moderne. Beide Seiten können in ein Spannungsverhältnis treten. Dies zeigt sich in der Debatte um die Frage:

2.      Handelt es sich bei ÖBS vornehmlich um eine Arbeitsmarktinstrument oder ist ÖBS zugleich mehr und anders und sollte nicht ausschließlich als Arbeitsmarktinstrument gesehen werden? Die Intension des Arbeitsministeriums geht eher dahin, den ÖBS nicht (nur) als arbeitsmarktpolitisches Instrument zu sehen, sondern als die Entwicklung eines zukunftsfähigen regional-infrastrukturellen bzw. sozialen Dienstleistungssektors. Bei der oben erwähnten Diskussion in Rostock heißt es, der ÖBS dürfe nicht ausschließlich als Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit dem Ziel der Überleitung von Beschäftigten in den 1. Arbeitsmarkt gesehen werden: “Wenn klar ist, dass der Markt die Arbeitslosen nicht aufnehmen kann, wir aber betonen, der ÖBS hätte eine Brückenfunktion, machen wir unseren eigenen Anspruch und die Notwendigkeit des ÖBS kaputt” (Barbara Borchardt). Andererseits war zu vernehmen: “Das Entscheidende am ÖBS ist für uns, dass er ein Arbeitsmarktinstrument bleibt” (Troost).

3.      Wie verhält sich ÖBS zu anderen Arbeitsmarktinstrumenten, insbesondere zu ABM? “Dieser 2. Arbeitsmarkt – ursprünglich als Übergangslösung konzipiert und mit einem Wegweiser in den 1. Arbeitsmarkt versehen – tummelt sich in der Praxis genau dort, wo die PDS eigentlich das Feld für einen neuen Typ öffentlich geförderten Beschäftigungssektors herstellen will: in gemeinnütziger soziokultureller Arbeit. Im praktischen Leben, insbesondere dem der neuen Bundesländer, kommt der 2. Arbeitsmarkt der Grundidee des neuen ÖBS schon ziemlich nahe. Diesem wiederum droht damit der Verlust der eigenen Identität.”[74] Aus diesem Grunde haben selbst der Koalition nahe Akteure Schwierigkeiten, ÖBS und ABM voneinander abzuheben. Aus der vermeintlichen Profildiffusion von ÖBS und ABM werden indes sehr verschiedene Schlussfolgerungen abgeleitet: a) für die Wirtschaft ist schon ABM problematisch, weil Wettbewerbsverzerrungen befürchtet werden; ÖBS erscheint von daher schlicht überflüssig; b) die PDS-Politikerin Birke Bull hingegen fragt: “Was hindert uns daran, den 2. Arbeitsmarkt zum strategischen Ansatzpunkt zu nehmen, dessen Begrenztheiten schrittweise aufzulösen und unter diesem Dach einen dauerhaft geförderten Sektor aufzubauen?”[75]; c) weil es eben nicht in den nächsten 10 bis 15 Jahren gelingen könne, über Wachstumspolitik und öffentliche Investitionsprogramme hinreichend Arbeitsplätze zu schaffen, müsse man etwas gegen die Langzeitarbeitslosigkeit tun und die Brückenfunktion zum 1. Arbeitsmarkt betonen. Dies sei auch deshalb wichtig, weil ab 2004 das Instrument ABM nicht mehr in diesem Umfang zur Verfügung steht. Der regionale Konsens mit der Wirtschaft und Gesellschaft wäre auch wegen der angestrebten Brückenfunktion von ÖBS zum 1. Arbeitsmarkt unverzichtbar. “GAP ist ein Element einer dreigeteilten Arbeitsmarktpolitik – einer betriebsnahen, die Entlassungen verhindert oder Betroffene relativ schnell wieder unterbringt, eines zweiten Elements mit der erwähnten ‚Brückenfunktion’, um Arbeitslose wieder an den 1. Arbeitsmarkt heranzuführen. Das Dritte würde ich als Arbeitsmarktpolitik mit sozialer Komponente beschreiben, um für Personen, die auf dem 1. Arbeitsmarkt keine Perspektive mehr haben, längerfristige Projekte aufzulegen” (Troost). Das Argument der Horizontverschmelzung von ABM und ÖBS wird indes nicht von allen Diskursteilnehmern akzeptiert. So verweist Heidi Knake-Werner auf Unterschiede: ABM seien in der Regel Zufallsprodukte, ÖBS ziele hingegen auf eine sinnvolle regionale Abstimmung und Planung; im Unterschied zu ABM gebe es für ÖBS keinen vergleichbaren rechtlichen Rahmen. “Ohne eine Änderung von Bundesgesetzen ... wird sich ÖBS nur schwer verwirklichen lassen”. Ein wesentlicher Unterschied zu ABM bestehe auch darin, dass die Träger von GAP nicht ausschließlich gemeinnützige Einrichtungen sein könnten. Denn GAP wird öffentlich ausgeschrieben werden, so dass auch die Unternehmen der privaten Wirtschaft die Chance haben, sich daran zu beteiligen. Für GAP und ÖBS gebe es klare Besonderheiten gegenüber ABM: Hier sollen notwendige gemeinnützige Aufgaben auch längerfristig in Form entsprechender Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden. Es solle um eine Projektförderung, nicht um Individualförderung gehen, um wettbewerbswirtschaftliche Bedingungen und dennoch Non-Profit-Ausrichtung, Kostenbeteiligung der Endbegünstigten, Mischfinanzierung, Möglichkeit von Rücklagenbildung, öffentliche Transparenz u.a.m.[76] GAP soll die bisherigen Arbeitsmarktinstrumente nicht ersetzen, sondern ergänzen.

4.      Angesichts der konzeptionell unterscheidbaren Akzente, die die in ÖBS praktisch involvierten Akteure setzen, nimmt es nicht Wunder, dass auch strittig sein kann, ob konkrete Vorhaben (beispielsweise 1000 Schulsozialarbeiter oder GAP[77]) für einen Einstieg in ÖBS oder für etwas anderes stehen. So werden von einigen Diskursteilnehmern die 1000 Schulsozialarbeiter als Einstieg in den ÖBS gewürdigt, für andere ist das eine Ausweitung des öffentlichen Dienstes.

5.      Jeder Einstieg in den ÖBS sieht sich mit Problemen nicht-intendierter Folgen der Umsetzung konfrontiert (Gerät ÖBS unter der Hand zum Niedriglohnsektor? Kann es passieren, dass der Öffentliche Dienst Arbeitsplätze abbaut und die ÖBS-Projekte dann in diesem Bereich kommen? Was heißt Tarifbindung für Träger von GAP? Sollte es einen besonderen GAP-Tarif geben?). Eine GAP-Stelle kostet im Schnitt 55000 DM an Sach- und Personalkosten (Troost). Vor dem Hintergrund der Einkommensentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern auf dem 1. Arbeitsmarkt käme das keinem Einstieg in den Niedriglohnbereich gleich. Die Wirtschaft beharrt indes auf dem sogenannten Lohnabstandsgebot, wonach das Einkommen auf dem 2. Arbeitsmarkt grundsätzlich unter dem des 1. Arbeitsmarktes liegen sollte und sie ist gegen eine Ausweitung und Verstetigung eines öffentlichen Beschäftigungssektors. Zugestanden werden allein Feldversuche, die ebenso wettbewerbsunschädlich wie vorübergehend sind und deutlich niedriger vergütet werden. Diese Position wurde in den Interviews seitens der Wirtschaftsvertreter sehr deutlich. Diese Forderungen stehen im Gegensatz zu zentralen Elementen der Grundidee des ÖBS (wie Dauerhaftigkeit der Beschäftigungsverhältnisse und Gleichstellung in der Bezahlung mit dem 1. Arbeitsmarkt). Die Gewerkschaften und Sozialverbände sind gegen einen Niedriglohnsektor oder/und gegen eine “willkürliche” Konstruktion wie das Lohnabstandsgebot. Rein theoretisch könnte der Einstieg in ÖBS ohne Unterstützung/Hinnahme der regionalen Wirtschaft erfolgen. Eine solche Praxis würde indes ebenfalls der Grundidee widersprechen, weil ÖBS tatsächliche regionale Bedarfe bedienen soll, die einen regionalen Dialog voraussetzen und ÖBS immer auch als Brücke zum 1. Arbeitsmarkt fungieren soll. Die politisch eigentlich gewollte Angleichung der Vergütung wird jedoch nicht allein durch das Veto der Wirtschaft erschwert. Auch die finanziellen Möglichkeiten des Landes, das ÖBS weitgehend auf eigene Rechnung und als Insellösung erprobt, stehen dem entgegen. Wenn ÖBS ursprünglich als Brücke zum 1. Arbeitsmarkt gedacht war, so ist das bei den in MV geförderten konkreten Projekten gegenwärtig nicht zu erwarten. Die intendierte und umstrittene Tarifbindung von GAP hebt indes nicht allein oder so sehr auf die Vergütung ab. Zumal es sehr viele Tarifverträge mit den verschiedensten Öffnungsklauseln gibt. Es geht auch um Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung: “Der ÖBS scheint mir sehr geeignet, in Richtung Selbstverwaltung und demokratischer Arbeitsweisen eine andere Qualität zu erreichen” (B. Borchardt). Sowohl die ÖTV-Bezirksverwaltung in Lübeck als auch die PDS-Landtagsfraktion haben sich aus unterschiedlichen Gründen gegen einen speziellen GAP-Tarif für Mecklenburg-Vorpommern ausgesprochen. Die ÖTV verweist auf existierende Vertragsformen für soziale Arbeit in Hamburg und Bremen. Für die PDS hat B. Borchardt darauf verwiesen, dass die GAP-Projekte zu vielgestaltig sind, um sie tarifvertraglich zusammenzufassen. Viele Träger haben zudem schon einen Tarifvertrag. Überdies bekämen sie Schwierigkeiten mit den übrigen Beschäftigen, wenn es spezielle Tarifverträge für GAP gäbe. Daher heißt Tarifanbindung für GAP, dass vom Grundsatz her keine staatlichen Zuschüsse an nicht tarifgebundene Träger gezahlt werden sollen.

6.      Soll der zunächst als Insellösung vollzogene Einstieg in den ÖBS (in ein oder zwei Bundesländern praktiziert und aus eigenen Mitteln finanziert) Signale setzen, Beispiel schaffen, die zeigen, wie so etwas funktionieren könnte, mithin auf “Klasse”, Qualität setzen oder auf “Masse”, Quantität? Bei einer Insellösung werden niemals soviel Mittel zu bündeln sein, um einen prozentual messbaren beschäftigungspolitischen Effekt zu erzielen. Daher tendieren die Teilnehmer an der Diskussion zu einer Doppelstrategie. Es könne nicht um Masse gehen, sondern um vorzeigbare Qualität, um Projekte, die zeigen, dass ÖBS funktionieren kann. (Damit werden freilich jene enttäuscht, die ihre Hoffnungen auf ÖBS setzen und leer ausgehen.) Zum anderen müsse man für einen rechtlichen Rahmen für ÖBS und entsprechende Regelungen im Bund eintreten.

7.      Wenn Reformprojekte nicht ohne Bewusstseinserweiterungen und Interessentransformationen auf den Weg gebracht werden können, schlagen dann überhaupt die mühsamen und mit sehr begrenzten Mitteln erfolgenden Versuche des Einstiegs in den ÖBS in einem Bundesland in dieser Hinsicht zu Buche? Dies scheint zumindest partiell der Fall zu sein. Allein dadurch, dass man an der Küste Schritte in Richtung ÖBS erprobt, wird eine Debatte über die Zukunft und Neubewertung von Arbeit ebenso stimuliert wie über die Tauglichkeit von Arbeitsförderungsinstrumenten. Mit dem ÖBS ist zugleich ein Verständigungsprozess über die Rolle des Staates verbunden. Kritiker mögen im ÖBS eine problematische Ausweitung der Staatstätigkeit sehen. Unbestritten ist, dass über den Staat ÖBS ermöglicht wird und öffentliche Finanzmittel fließen. Befürworter sehen indes im ÖBS nicht ohne Grund ein Instrumentarium, “ ... die eigenen Kräfte der Menschen vor Ort zu entfalten, dezentral und unbürokratisch zu organisieren” (Heidi Knake-Werner in der o.g. Diskussion). Sie heben auf Effekte von ÖBS-Projekten ab, die die Staatstätigkeit begrenzen.

Der Einstieg in den ÖBS erfolgt in MV auf eigene Rechnung und als Insellösung mit einem Etat von 20 Mio. DM pro Jahr. Aus der Idee einer langfristigen Förderung gemeinnütziger Arbeit wird so im besten Falle eine längerfristige Finanzierung. Dort, wo der Einstieg in den ÖBS versucht wird, wird ein tatsächlicher Bedarf an soziokulturellen Aufgaben definiert. In der Modellregion Rostock werden die zu fördernden Projekte im Konsens beschlossen, um Transparenz und Akzeptanz der regionalen Arbeitgeberverbände zu sichern (bisher Projekte mit ca. 300 Beschäftigten). Alles in allem lohnt es, die Erfahrungen und Praxen im Kontext von ÖBS weiter zu verfolgen.

3.5  Soziales

Für den Bereich “Soziales” (wie auch “Gesundheit”) sind zwei Probleme besonders kennzeichnend: Erstens wird dieser Politikfeldbereich wie nur wenige durch Vorgaben der Bundesgesetzgebung bestimmt, so dass die Einflussmöglichkeiten des Landes sehr begrenzt bleiben. Zweitens handelt es sich aber auch um einen Bereich, bei dem es – ebenfalls wie nur in wenigen anderen – eine sehr ausdifferenzierte Interessen- und Verbändestruktur gibt, eine Vielzahl von Interessenorganisationen und gemeinnützigen Vereinen ihre Forderungen und Vorstellungen einbringen, von vornherein besondere Konfliktlagen gegeben sind und umfangreiche Aushandlungsprozesse, darunter auch mit Krankenhaus- und Versicherungsträgern (Landesversicherungsanstalt) erforderlich sind. Die Konfliktlagen wurden noch durch die Finanzlage des Landes und die dadurch bedingten Kürzungen im Sozial-/Gesundheitsbereich verschärft.

Folgt man dabei der öffentlichen Wahrnehmung, soweit dies über Presse oder auch über Aussagen in unseren Interviews erkennbar ist, stand besonders das erste halbe Jahr der Regierungstätigkeit im Sozial-/Gesundheitssektor im Blickpunkt heftiger Auseinandersetzung und Kritik[78], während sich danach Schritt um Schritt eine Konsolidierung bzw. Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung feststellen lässt. Es ist ganz klar, dass zunächst die aus dem Haushaltsplan resultierenden Kürzungen im Sozialbereich (so z.B. Einfrierung Blindengeld auf 1068 DM, Kürzung von Erziehungsgeld und der Mittel für Erwachsenenbildung, Beitragserhöhungen bei Bewohnern von Heimplätzen) in der Öffentlichkeit und insbesondere auch seitens der CDU-Opposition auf Kritik stießen. In diese Zeit fielen auch der Streit um das Arzneimittelbudget – verschärft durch die offene Ablehnung des Budgets und die Kritik an der Regierung seitens der Ärzteschaft[79], deren Forderungen sich zunächst auf einen Ost-West-Ausgleich in der gesundheitlichen Versorgung der deutschen Länder[80] orientiert hatten. Die Volksinitiative der Haus- und Fachärzte sammelte rund 200.000 Unterschriften gegen das Arzneimittelbudget und insbesondere gegen die darin erkennbare Ungleichbehandlung zwischen Ost und West. Der Landtag musste sich mit der Volksinitiative beschäftigen und arbeitet weiter in seinen Ausschüssen daran.

Gleichfalls umstritten war die Erstellung des (von der Vorgängerregierung auf die “lange Bank” geschobenen) Rettungsdienstplanes. Es wurden fünf integrierte Leitstellen vorgesehen (statt bisher 17); kreisübergreifende Koordinierungen und damit effektivere Rettungseinsätze sollten ermöglicht werden. Die Hilfsfrist wurde zunächst für 15 Minuten vorgesehen, jedoch schließlich – wie zuvor – wieder auf 10 Minuten festgelegt. In dieser Auseinandersetzung waren es eher die Wirtschaftsverbände, die dem Sozialministerium Unterstützung für die geplanten Rationalisierungsschritte zusagten – ein Ausdruck deren pragmatischer Position, aber auch einer unerwarteten Akteurskonstellation. Die CDU-Opposition übte indes harsche Kritik an der Regierung, warf ihr eine unsoziale Politik mit gravierenden Auswirkungen für das Land vor.[81]

Bei der “Bäderregelung” (Sonnabend- und Sonntagsöffnungszeiten in ca. 200 Städten und Gemeinden) vertrat das Sozialministerium die Position, bessere Schutzrechte für Arbeitnehmer/-innen zu verankern und Kollisionen mit dem Bundesrecht zu beseitigen. Eine neue Bäderregelung (Laufzeit der gegenwärtigen Regelung bis 2003) wird derzeit nicht direkt angestrebt, allerdings soll gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium ein Vorschlag für die Bundesebene unterbreitet werden, wonach es den Ländern ermöglicht würde, aufgrund eines novellierten Fremdenverkehrsparagraphen des Bundes-Ladenschlussgesetzes (§10) spezifische Regelungen für die Öffnung von Geschäften an Wochenenden zu schaffen – und zwar unter Beachtung sozialer Schutz- und Ausgleichsvorschriften.[82] Der Ministerpräsident selbst engagierte sich mehrfach für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Auch in Gesprächen von Ringstorff und Kirchenvertretern kam dieses Thema (strittig) zur Sprache mit der Absicht, einen Konsens anzustreben.

Nach einem Jahr Regierungsarbeit waren etwa 20 der insgesamt 25 das Sozial- und Gesundheitsressort betreffenden Punkte der Koalitionsvereinbarung in Angriff genommen, darunter 9 unmittelbar durch das Land.[83] Aus der Vielzahl der Projekte sollen an dieser Stelle einige weitere Aspekte herausgegriffen werden:

Engagement auf der Bundesebene: Da die Möglichkeiten und Grenzen der Landespolitik im Sozial- und Gesundheitsbereich in besonderem Maße von den Vorgaben des Bundes abhängen, ist es von großer Bedeutung, wie sich das Land hier einbringt. Das Sozialministerium setzte sich im Rahmen der umstrittenen Gesundheitsreform für eine Stärkung des Solidarprinzips und die Priorität von Rehabilitation gegenüber Frühverrentung und Pflege ein. Eine besondere Rolle spielte das Engagement für eine Umgestaltung des Risikostrukturausgleiches (Schaffung eines gesamtdeutschen Risikostrukturausgleiches[84]), bei dem die Situation der ostdeutschen Länder bessere Berücksichtigung findet und die vorgesehenen Globalbudgets[85] auf die Dynamik Entwicklung der Bruttoinlandsprodukte statt auf die Versicherungseinnahmen bezogen werden sollten. Die Organisationsreform der gesetzlichen Rentenversicherung soll den Versichertenbegriff von Angestellten und Arbeitern vereinheitlichen. Mecklenburg-Vorpom­mern bekam durch einen Beschluss der Föderalismuskommission zentrale Aufgaben der Bundesversicherungsanstalt zugeordnet. Im Bereich der Renten setzt sich das Land u.a. für die Beseitigung diskriminierender Regelungen ein (Korrektur der Rentenüberleitungsgesetze entsprechend der Urteile des Bundesverfassungsgerichts). Weiterhin unternahm das Land Bemühungen, eine Enquete-Kommission auf Bundesebene einzurichten, die die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention unterstützen sollte.

Eine “Blockierung” des Landes auf der Bundesebene aus der Tatsache heraus, dass das Sozialministerium von einer PDS-Politikerin geführt wird, wurde uns in unseren Interviews nicht benannt. Das Land bringt sich mit eigenständigen Vorstellungen auf der Bundesebene durchaus kritisch ein, wahrt andererseits einen gewissen Solidaritätsrahmen zur rot-grün geführten Bundesregierung und wird gleichrangig wie andere akzeptiert. Neben dem Sozialministerium (vor allem Ministerin und Staatssekretär) engagierte sich auch hier der Ministerpräsident selbst auf der Bundesebene unmittelbar in Fragen der Sozialpolitik und der beabsichtigen Gesundheitsreform.

Krankhausplanung: Im Juni 1999 wurden 13 Grundsätze und Kriterien zur Krankenhausplanung (Grundsätze und Kriterien für die Jahre 2000-2003) vom Kabinett beschlossen (“Dritter Krankenhausplan”). Ausgearbeitet wurde die Vorlage vom Sozialministerium, das sich jedoch der Unterstützung des Kabinetts versichern wollte, zumal die Vorbereitungen zur Krankenhausplanung im Lande erhebliche Turbulenzen und Kritiken hervorgerufen hatte. Diese Verfahrensweise war bei früheren Krankenhausplanungen nicht üblich, spricht aber für die kooperative Arbeitsweise der Regierung.[86] Diese Planungsbeteiligung wurde sehr ernst genommen, ging weit über die formale Beteiligungsverpflichtung hinaus. So wurden schon im Vorfeld der Kabinettsvorlage vom Juni mehrere Diskussionsrunden mit den beteiligten Akteuren durchgeführt. Des weiteren führte das Ministerium jeweils ein oder mehrere Gespräche mit allen 36 Krankenhäusern des Landes durch. Es gab also im Vorfeld der Beschlussfassung langwierige und zum Teil schwierige Verhandlungsprozesse zwischen den Planungsbeteiligten, die aber Ende Oktober 1999 zu einer weitgehenden Einigung, zu einem Konsenspapier zwischen den beteiligten Akteuren führten, bei dem nur noch 1% aller Betten strittig waren. Der Konsens gelang, obwohl die Beteiligung an den Diskussionen sehr heterogen war. Beispielsweise waren beteiligt: der Landkreistag, die Kassenärzte, die Krankenkassen, die Krankenhausgesellschaft, der Städte- und Gemeindetag. Das Sozialministerium war bei diesen Debatten Verhandlungsführer. Diese breite Diskussion mit dem Ziel eines Konsens entspricht dem gewollten Politikstil der Koalition, gesetzlich vorgeschrieben ist er nicht, und er wurde auch nicht bei den Krankenhausplanungen der Vorgängerregierungen auf diese Weise praktiziert. Im Konsenspapier wurden zunächst die Zahlen bis 2000 festgelegt und die weitergehenden grundlegenden Strukturen vereinbart. Der Plan wurde im Dezember 1999 vom Kabinett ohne Änderung zur Kenntnis genommen. In den Plan des Landes wurden ab 1. Januar insgesamt 570 Betten weniger aufgenommen als für das Jahr 1999, andererseits wurde das Angebot an Tagesklinikplätzen von 214 auf 245 erhöht.[87] Der Abbau nicht bedarfsgerechter Betten ist gravierend, fällt aber deutlich niedriger als in den vorangegangenen Planungsperioden aus. Vor allem konnte verhindert werden, dass Krankenhäuser geschlossen werden. Allgemein wurde darauf verwiesen, dass die AOK und Ersatzkassen ein Gutachten in Auftrag gegeben hätten, aus dem sich möglicherweise noch einige Veränderungen für die Krankenhausfinanzierung ergeben könnten.

Neben der Art und Weise der Krankenhausplanung setzte die Landesregierung eine Reihe weiterer neuer Akzente in ihrer Politik: so wurden gemäß der Koalitionsvereinbarung die Investitionszuschüsse an den Landessportbund mit dem Jahre 1999 verdoppelt. Eine Schwerpunktaufgabe bildeten die Beratungsangebote (Sucht- und Drogenhilfe, Schuldnerberatung, Ehe- und Familienberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung usw.). Hier wurden die Zuschüsse im Haushalt 2000 erhöht (1998 13 Mio. DM, 1999 15 Mio. DM, 2000 17. Mio DM). Gleichzeitig wurden die pauschalen Förderungen für den paritätischen Wohlfahrtsverband weggenommen und statt dessen projektbezogene Förderungen eingeführt. Damit wurden mehr leistungsbezogene Akzente in der Förderpolitik gesetzt. Ein Ausbau der Angebote des betreuten Wohnens erfolgt in Kooperation mit dem Arbeits-/Bauministerium. Die offene Alten- und Behindertenhilfe wird in Kooperation mit dem Landesseniorenbeirat, Interessen- und Selbsthilfeorganisationen vorangebracht. Ein weiterer neuer Akzent besteht in der Schaffung und Unterstützung vernetzter Strukturen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie in der Neugestaltung eines Dispensairesystems.[88] Chronisch Kranke sollen hierbei über alle Stufen betreut und die verschiedenen Versorgungsabläufe für chronisch Kranke miteinander integriert werden. Gegenwärtig gibt es solche Ketten erst im Ansatz (vor allem im Bereich der Rheumakranken), Gespräche mit den Kassen, um Fortschritte auf diesem Gebiet zu erreichen, finden statt. Hinsichtlich der Integration von Behinderten und chronisch Kranken wurde – nach langwieriger Diskussion mit den Wohlfahrtsverbänden[89] – die gemeinsame Position erreicht, dass ein einfaches “Behindertengesetz” nicht ausreicht, um den differenzierten Problemlagen der Menschen mit Behinderungen Rechnung zu tragen, dass es deshalb sinnvoller sei, einen “Rat für Integrationsförderung” unter Beteiligung der Interessenverbände und Betroffenenorganisationen zu schaffen. Dieser Rat solle beim Einbringen von Gesetzen und Vorschriften mitreden und aktiv werden können. Diskussionen gab es auch um eine mögliche Veränderung des aus dem Jahre 1996 stammenden Kita-Gesetzes im Lande. Dieser Punkt bleibt auf der Tagesordnung, besonders hinsichtlich einer Vereinfachung von Standards. Die Diskussion über eine Novellierung steht noch am Anfang. Eine Erhöhung der Elternbeiträge – wie in der Öffentlichkeit befürchtet – war aber nicht vorgesehen. Anders als z.B. in Brandenburg geht die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern auch in Zukunft davon aus, jedem Kind bis zum 10. Lebensjahr bei Bedarf einen Platz in einer Tageseinrichtung zur Verfügung zu stellen. Der Kita-Beirat, die Wohlfahrtsverbände sowie der Städte- und Gemeindetag wurden seitens des Sozialministeriums zu Vorschlägen für eine Novellierung des Kita-Gesetzes aufgefordert.

Wenn man insgesamt die Frage nach Neuansätzen in der Sozial- und Gesundheitspolitik betrachtet, können folgende Punkte festgehalten werden:

Erstens wurden bestimmte Prioritäten anders gesetzt (Dispensaireketten; Beratungsstellen; Arbeitnehmerrechte im Zusammenhang mit Öffnungszeiten bei Bäderregelung; auf Bundesebene Risikostrukturausgleich; Koppelung des Globalbudgets an Bruttoinlandsprodukt).

Zweitens wurden bestimmte Dinge systematisch, aber schrittweise, angepackt, die lange Zeit liegen geblieben waren: so z.B. Landesrettungsplan, Landeshygieneinstitut (wird seit 8 Jahren geschoben).

Drittens zeigt sich ein stärkeres Engagement auf Bundesebene. Ob dabei – wie in Interviews gesagt wurde – Mecklenburg-Vorpommern neuerdings sogar in der Rolle eines “Sprechers” der ostdeutschen Landesregierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich wahrgenommen wird, kann hier nicht verifiziert werden, bleibt aber eine interessante Vermutung. Immerhin erhielt MV eine Koordinierungsfunktion, um gemeinsam mit Schleswig-Holstein und Bundesinstitutionen einen Vorschlag zu unterbreiten, dass Kindergelderhöhung nicht auf Sozialhilfe angerechnet wird.

Viertens schließlich kann man einen veränderten Politikstil erwähnen. So wurden in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse wesentlich umfassender als zuvor die Verbände, Vereine und anderen Organisationen der politischen Arena einbezogen. Es wurde mehr denn je in diesem Bereich diskutiert, offensichtlich auch deshalb, weil sich unliebsame Entscheidungen mit erheblichem strukturellen Veränderungsbedarf angestaut hatten, die gleich zu Beginn der Legislatur durch die neue Regierung gelöst werden mussten. Als neuer Politikstil wurde auch gewertet, dass die Ministerin in Ärzteversammlungen, Versammlungen von Krankenkassen usw. auftrat.

Neben diesen vier Punkten werden Lern- und Anpassungsprozesse im Laufe des ersten Jahres (vor allem nach den öffentlichen Auseinandersetzungen des ersten halben Jahres) sichtbar. Dies betrifft einerseits das PDS-geführte Ministerium, aber auch die damit verbundene PDS-Fraktion. Die PDS-Fraktion stützte ihre Ministerin, obwohl die von der Koalition beschlossenen und vom Ministerium umgesetzten Kürzungen im Sozialbereich bis an die “Schmerzgrenze” des Selbstverständnisses von Politik innerhalb der PDS gingen. Zugleich verdichtete sich insgesamt in der Koalition die Position, dass im Sozialbereich keine weiteren Finanzkürzungen mehr möglich sind.

4. Akteurskonstellationen, politische Kultur und Akzeptanz

Dieses Kapitel verhandelt die Mühen der Ebenen aus einer anderen Perspektive. Leitend ist dabei die Einsicht, dass Reformprojekte, Politikwechsel auf subnationaler Ebene an Akteure und Akteurskonstellationen gebunden sind, die sie tragen. Um die Genese, Chancen und Blockaden subnationaler Akteurskonstellationen in Mecklenburg-Vorpommern abbilden zu können, bieten sich in der Literatur mehrere wissenschaftlich-analytische Konzepte an, an die wir uns im Zuge der weiteren Arbeit am Projekt anlehnen können. Dazu gehört zunächst das analytische Konzept der “urbanen Regime” (Kleger 1996: 34f). Auch wenn es vornehmlich auf Metropolenregionen abhebt, bietet es zumindest Instrumentarien für die Analyse von Policy-Prozessen in einem Flächenstaat und dessen Teilräumen. Das Konzept beschreibt Prozesse und Strukturen der Kooperation von öffentlichen und privaten Akteuren in sozialen Räumen und deren Fähigkeit, zu institutionellen Ressourcen zu finden, um problemlösende Entscheidungen zu treffen, Ziele zu formulieren und die dafür nötigen Ressourcen zu mobilisieren. Diese Formen der Zusammenarbeit sind häufig informell, wenngleich stabil. Solche Regime werden als regionale Elitenkoalitionen gefasst, die in zweierlei Hinsicht über parteipolitische Konstellationen hinausgehen. Einmal, weil sie Akteure aus der regionalen Politik , Wirtschaft und Gesellschaft umfassen und zum anderen Kopperationen mit überregionalen Akteuren bezwecken, die aber in die Region hineinwirken. Ein zweites anschlussfähiges analytisches Konzept geht auf Michel Keating zurück (Keating 1997). Es beschreibt und analysiert die Genese sogenannter regionaler Entwicklungskoalitionen. Unter einer Entwicklungskoalition verstehen wir mit Keating eine raumgestützte und klassen- und schichtenübergreifende Verbindung von politischen, ökonomischen und sozialen Akteuren, die sich dem Prozess der wirtschaftlichen und sozialen Veränderung an einem gegebenen Ort stellen (Vgl. Keating 1997:97). Schließlich verdienen Konzepte und Modelle Interesse, die auf die Möglichkeiten und Grenzen regionaler sozialer Pakte, eine Art regionaler Gesellschaftsverträge abheben (Altvater 1997 vornehmlich über die Grenzen). Mit jedem dieser drei genannten theoretischen Ansätze ist jeweils auch eine bestimmte Forschungsheuristik, ein methodischer Analyserahmenverbunden.

Wir stellen den Verweis auf theoretische Rahmenansätze und analytische Instrumentarien über Akteurskonstellationen voran, um zumindest anzudeuten, in welche Richtung die weitere Arbeit am Projekt getrieben werden muss. Im Rahmen der Exploration war eine solcher theoretischer Aufschluss der gewonnenen empirischen Einsichten noch nicht möglich.

4.1 Wer gestaltet Landespolitik?

Die Frage, wer Landespolitik gestaltet, zielt nicht auf eine vollständige Erfassung wichtiger Akteure, sie hebt auch nicht auf Gestaltungsspielräume und Handlungsmöglichkeiten auf der Ebene und im Rahmen eines Bundeslandes schlechthin ab. In dieser Hinsicht decken sich die Sichten und Erfahrungen unserer Gesprächspartner mit den bereits zitierten politikwissenschaftlichen Positionen (Schneider 1997), wonach auf Landesebene durchaus eine Wahl zwischen Alternativen möglich ist. Es geht vielmehr darum, zu erkunden, wo und von welchen Akteuren bzw. in welchen Gremien und Schaltzentralen für die Entwicklung des Landes Entscheidungen von einiger Reichweite getroffen werden.

Wahrnehmung abnehmender Autonomie landespolitischer Akteure angesichts grenzüberschreitender Prozesse und Entscheidungsbefugnisse

Uns scheint es durchaus wichtig, auf die Meinungen und Eindrücke unserer Interviewpartner hinsichtlich der Frage einzugehen, wer denn eigentlich die Landespolitik gestaltet. Dies umso mehr, da wir diese Frage nicht in jedem Falle explizit gestellt hatten, aber relativ übereinstimmende Positionen hierzu vorgetragen wurden. Die Gesprächspartner verweisen manchmal auf eine bestimme Abhängigkeit (zuweilen gar Ohnmacht, wenn man die Negativvariante nimmt) von überregionalen, grenzüberschreitenden Prozessen und Entscheidungsketten sowie auf damit verbundene neue Anforderungen (wenn man die Positivvariante nimmt). Von den Befragten wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass wichtige Entscheidungen und Weichenstellungen für die Landesentwicklung gleichsam exterritorial erfolgen. Politisch fielen sie in Brüssel und Berlin. Und in der Wirtschaft? Die größeren Betriebe Mecklenburg-Vorpommerns (etwa die geschrumpften Werften an der Küste) sind ausnahmslos im Besitz ausländischer oder westdeutscher Konzern, die von ihren Konzernzentralen in Norwegen oder im Alt-Bundesgebiet gesteuert werden. Interviewpartner aus dem Rostocker Raum wiederum haben überdies das Rostock übergeordnete Entscheidungszentrum Schwerin im Blick. Bemerkenswert ist ferner – und darin scheint bislang eine gewisse Spezifik Mecklenburg-Vorpommerns zu liegen –, dass nicht nur Rundfunk und Fernsehen des Landes in Gestalt des NDR in ein größeres Ganzes eingebunden sind, sondern auch zunehmend Verbände (Gewerkschaften[90] wie Unternehmerverbände) keine eigenen Landesverbände in MV unterhalten, sondern Organisationsstrukturen wählten, die z.B. Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammenschließen. Deren Zentralen liegen in der Regel ebenfalls nicht in Schwerin oder Rostock, sondern in den alten Bundesländern. Und die Schaltstellen dieser Verbände seien ebenso wenig wie Konzernzentralen auf eine besondere Loyalität gegenüber der (jeweiligen) Schweriner Landesregierung bzw. Sensibilität für regionale Problemlagen zu verpflichten.

Die Einbindung in “grenzüberschreitende” Prozesse und Entscheidungsketten gehört zu den Gegebenheiten jeder Reformpolitik auf Landesebene. Da ein Rückbau in den meisten Fällen weder möglich noch sinnvoll wäre, haben die Träger regionaler Reformansätze im Grunde nur zwei Optionen: Sie müssen ihre Sonderinteressen artikulieren und einbringen sowie auf gemeinsame Interessen als Basis der Zusammenarbeit in Verflechtungszusammenhänge setzen. Und sie können und müssen etablierte Images und Ideologien korrigieren bzw. verändern, die das Reformprojekt negativ tangieren. Ob und wie das geschieht, konnte freilich im Rahmen der Exploration nur punktuell erkundet werden. Eines aber lässt sich festhalten: Der eher bedächtige und vorsichtige Kurs der rot-roten Koalition hat zwar manche Kritiker auf den Plan gerufen, doch hat er sie auch – im Unterschied zur neuen Bundesregierung – vor dem Ruf einer “Chaostruppe” bewahrt.

Das Eigengewicht der Verwaltung

Ein ähnliches Gefühl der Abhängigkeit (und Distanz?) kam in den Interviews – vor allem bei Vertretern von Verbänden – in bezug auf die inneren Entscheidungsprozesse im Lande auf. Es wurde auf ein vorhandenes Übergewicht der Verwaltung hinsichtlich Macht und Kompetenz hingewiesen. Generell wird hierauf auch in der wissenschaftlichen Literatur hingewiesen, geht es doch in den Ländern (anders als auf Ebene der Bundespolitik) vielfach um die Ausgestaltung von Bundesgesetzen, um Förder- und Entwicklungsprogramme, um die Übernahme bzw. das Hervorbringen von sozialen und politischen Innovationen sowie um Verwaltungskontrolle. “Diese Feinarbeit erfordert ein hohes Maß an Verwaltungskompetenz.” (Schneider 1997: 420) Sodann könnte ein “Verwaltungsübergewicht” auch daraus resultieren, dass Koalitionen und die Zusammensetzung des Landtages im Falle Mecklenburg-Vorpommerns schneller und öfter wechselten als das seit 1989/90 installierte Personal der Verwaltungen. Die Verwaltungen – dies ist keine neue Erkenntnis – haben gegenüber Landespolitikern und Abgeordneten einen Kompetenzvorsprung bei der Kenntnis und Handhabung von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsabläufen. Sie wissen genauer – so der Eindruck vieler unserer Interviewpartner –, was alles nicht geht und was zu beachten ist. Dieses Übergewicht hat laut Aussagen von Interviewpartnern gelegentlich sogar dazu geführt, dass Beamte Vereinbarungen und von höchster Landesstelle gegebene Zusagen ignorierten und in ihrer umsetzenden Feinarbeit eigenmächtig agierten.

Vor allem Gewerkschafter haben reflektiert, dass das eigene Schwergewicht der Verwaltung noch zusätzlich gewinnt, wenn die regierende Koalition weitgehend auf ihr Recht verzichtet habe, politische Beamte auszuwechseln und durch solche der Koalition nahestehenden einzusetzen. Von einigen Befragten, die der Koalition politisch und sozial eher nahe als fern stehen, wurde das mit Unverständnis quittiert. Stellt man sich den Realitäten, dann war allerdings ein weitergehendes Austauschen politischer Beamter kaum möglich. Die Möglichkeiten beschränken sich im wesentlichen auf die Minister und deren Staatssekretäre. Hinzu kommt, dass sich die Personaldecke beider Koalitionsparteien, insbesondere jene der PDS[91], sehr dünn darstellt mit Blick auf die zu besetzenden gehobenen und Schlüsselpositionen. Vor allem aber bauen die Koalitionspartner und die Minister auf die Loyalität, Professionalität und Unterstützung der Beamten ihrer Häuser. Eine Rolle mag auch die Scheu vor einem negativen Medienecho spielen, wie es sich beispielsweise dann bei der Entlassung des einstigen Generalstaatsanwaltes zeigte. Schließlich und selbstverständlich sind für die Praxis der Koalition jegliche Anleihen an die Revolutionstheorie Lenins im Anschluss an Marx´ Analyse der Pariser Kommune obsolet. Der intendierte Politikwechsel soll nicht allein mit dem übernommen Beamtenapparat, sondern auch mit der Mehrzahl der politischen Beamten in die Wege geleitet werden. Das skizzierte Verhältnis zur Verwaltung steht für ein pragmatisches Politikverständnis der Koalition. Da eine Politik aus einem Guss weder möglich noch angebracht ist, signalisiert die Koalition in diesem Falle wie auch in ihrer sonstigen Politik, dass sie bereit ist, sich auf andere Personen, Positionen und Handlungsorientierungen einzulassen.

Ohne hierzu eine Wertung treffen zu können, ist für uns vor allem interessant, dass bei einigen unserer Interviewpartner – nicht bei der Mehrheit – eine kritische Distanz gegenüber der Landesverwaltung sichtbar wurde. Wichtiger noch: Ob kritische Distanz oder nicht – von beinahe allen Interviewpartnern wurde eine Verwaltungsreform gewünscht, und zwar im Sinne stärkerer Transparenz, Bürgernähe, Dienstleistungsorientierung und Effizienz. Für den Fortgang unserer Studie betrachten wir dies nicht allein als ökonomisches Erfordernis, sondern auch als eine Bedingung für mehr Vertrauen in die Landesinstitutionen, als eine Bedingung für demokratische Partizipation und für gedeihliche Beziehungen zwischen den (hinsichtlich Finanzausstattung, Personal, Kompetenz und Machteinfluß starken) Landesverwaltungsinstitutionen einerseits und deren (vergleichsweise schwächerem) “Umfeld” in der Institutionenlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns andererseits.

Parteien: Landesverbände, Fraktionen, Minister

Weiterhin halten wie es mit Blick auf die Frage, wer Landespolitik gestaltet, für notwendig, bei den Parteien auf Länderebenen hinsichtlich ihrer Ressourcen und Spielräume folgende Segmente voneinander abzuheben:

-          Landesverbände der Parteien

-          Parlamentsfraktionen der Parteien

-          Minister, die von den Regierungsparteien gestellt werden.

Zwischen diesen Segmenten bestehen auf Länderebene generell strukturelle Ungleichgewichte hinsichtlich der Kompetenzen, der mobilisierbaren Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten sowie der Wahrnehmbarkeit in der Öffentlichkeit. Nach unseren Beobachtungen – sowohl bei der Auswertung der Presse als in unseren Interviews – trifft dies auch für Mecklenburg-Vorpommern zu. Die Koalitionsparteien SPD und PDS werden in der Öffentlichkeit vor allem über die von ihnen gestellten Minister, zugleich aber in mindestens gleichem Umfang durch die Tätigkeit der Fraktionen wahrgenommen. Die Oppositionspartei CDU wird in erster Linie über die Fraktionstätigkeit wahrgenommen. Die Landesverbände aller drei Parteien spielen demgegenüber in der Öffentlichkeitswirkung aller drei Parteien eine vergleichsweise geringere Rolle.

Angesichts der strukturellen Ungleichgewichte zwischen den drei Segmenten von Regierungsparteien auf Landesebene kann man davon ausgehen, dass Konflikte zwischen ihnen zur Normalität gehören würden. In Mecklenburg-Vorpommern treten solche Konflikte jedoch weder bei der SPD noch bei der PDS in besonderem Maße hervor. Hierfür gibt es verschiedene Gründe: Erstens sind in beiden Parteien die Landesvorsitzenden zugleich Mitglieder der Regierung respektive sogar Ministerpräsident (SPD) und stellvertretender Ministerpräsident (PDS). Darüber hinaus gibt es, zweitens, bei beiden Parteien zwischen den jeweiligen Segmenten (Regierung, Fraktion, Landesverband) Verflechtungen durch weitere Personalunionen (Minister als Mitglieder der Fraktion; Fraktionsmitglieder als Mitglieder der Parteivorstände). Drittens treten in beiden Fällen die Landesverbände weniger mit eigenständigen Aktivitäten und eigenständigen Politikentwürfen an die Öffentlichkeit.[92] Die Landesverbände fungieren bislang mehr in der Rolle der formellen Abstützung der Regierungspolitik denn in der Rolle eigenständiger Politikwahrnehmung. Dass dies auf Dauer problematisch werden könnte, zeigte sich zum Beispiel am Streit der Koalitionspartner im Zusammenhang mit der “schulartenunabhängigen Orientierungsstufe”. Da die SPD in diesem Punkt die Position der Koalitionsvereinbarung zu verlassen neigte, erwog die PDS, auf ihrem Parteitag im März 2000 im Zusammenhang mit dem Streitthema über den Fortbestand der Koalition zu entscheiden. Mangels einer vorangegangenen Diskussion über Bilanz und Perspektiven, Kriterien und Konflikte der Koalitionsbeziehungen wäre aber zu fragen, ob die Parteibasis inhaltlich ausreichend vorbereitet ist, um zu derartig weitreichenden Entscheidungen angerufen zu werden.

Die Landesverbände der Koalitionsparteien werden in der Öffentlichkeit kaum als eigenständige Kraft wahrgenommen. Strukturell ist dies unter anderem durch dünne hauptamtliche Personaldecken auf der Ebene der Landesverbände begünstigt (hauptamtliche Mitarbeiter wirken überwiegend für die Fraktionen, darunter auch in den Kreisen). Die Landesverbände folgen aber auch in beiden Fällen eher einem Politikverständnis, das sich an der Unterstützung der Fraktionen und Minister in der Regierungsverantwortung orientiert. Obwohl es in beiden Parteien neben Befürwortern der Koalition auch Kritiker gibt, treten diese Diskussionen nur selten an die Öffentlichkeit. Das gilt vor allem für die SPD. Innerhalb der PDS waren und sind die Koalitionskritiker bei verschiedensten Anlässen öffentlich deutlicher wahrzunehmen. Man kann es zwar einerseits als Ausdruck der Geschlossenheit und guten Atmosphäre innerhalb der Koalition betrachten, dass es kein öffentliches Hinterfragen der Koalition gibt bzw. diesbezügliche Konflikte nicht wirklich ausgetragen werden. Andererseits vergeben sich beide Koalitionspartner dadurch die Chance, die Koalition auf einen stabileren demokratischen Boden zu stellen.[93]Eine Ausarbeitung weitergehender Politikentwürfe, eine öffentliche Diskussion von Varianten, Perspektiven oder neuen Herausforderungen der Politikgestaltung ist zu wenig entwickelt.

Auch bei der CDU ist die Wahrnehmung des Landesverbandes im Vergleich zur Wahrnehmung der Fraktionstätigkeit eher marginal, erhält allerdings dadurch einen besonderen Akzent, dass die Generalsekretärin der Bundespartei gleichzeitig Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern ist. Einen öffentlich nachvollziehbaren Diskussionsprozess über die Politikgestaltung (in diesem Falle: über die Gestaltung der Oppositionspolitik) gibt es jedoch auch im CDU-Landesverband nicht.

Verbände, Vereine und andere Interessenorganisationen (wie IHK, HWK) spielen in der Landespolitik eine wichtige Rolle in den Entscheidungsprozessen. Von den meisten Interviewpartnern wurde konstatiert, dass Koalitionsparteien und Landesregierung “empfänglicher” gegenüber Positionen der Interessenorganisationen geworden sind und dass stärker eine bewusste Einbeziehung in politische Entscheidungsprozesse stattfindet. Zugleich wurde deutlich, dass die ihrer Satzung und ihrem Selbstverständnis nach parteipolitisch unabhängigen Verbände und Vereine so gut wie ausnahmslos jeweils bestimmten Parteien mehr oder weniger nahe stehen. Da alle sozialen und politischen Akteure der Region davon ausgehen, dass auf Landesebene durchaus politische Gestaltungsspielräume bestehen, verhielten sie sich gegenüber der Option einer SPD-PDS-Koalition keineswegs gleichgültig, sondern verbanden damit Hoffnungen wie Befürchtungen.

4.2 Hoffnungen und Befürchtungen

Die akteurszentrierte Analyse der Hoffnungen und Befürchtungen öffnet den Blick für Relevanzstrukturen und -koordinaten, bietet Aufschlüsse über Wertbindungen, Interessen und Problemsichten. Sie ist darüber hinaus geeignet, Akteurskonstellationen wie auch Lernprozesse oder Blockaden abzubilden. Sie verweist auf Leistungen wie auf Defizite der Koalition bei der Abstimmung von Interessen, bei der Integration und Moderation differenter Interessenlagen und Werthaltungen sowie in der Beziehungspflege. Da wir Hoffnungen und Befürchtungen, die die Gesprächspartner mit der Bildung der rot-roten Koalition verbanden, Ende 1999, mithin im Rückblick, retrospektiv erhoben haben, sind sie kein authentischer Ausdruck der seinerzeit gehegten Hoffnungen/Befürchtungen. Aus diesem Grunde hielten wir es für sinnvoll, die Befunde nicht in dem Kapitel über die Vorgeschichte der Koalition, sondern in dem über Akteurskonstellationen, politische Kultur und Akzeptanz zu platzieren.

Hoffnungen und Befürchtungen lassen sich auf der Basis der Exploration klassifizieren nach:

-          ihren sozialen Trägern, so a) Parteien (in der Regierung und Opposition sowie Fraktionen und Landesverbände); b) Verwaltung, c) Träger von wirtschaftszentrierten Interessen (wie Unternehmerverbände, Industrie- und Handelskammern), d) Sozialverbände und Gewerkschaften, e) Kommunalverbände und schließlich f) andere;

-          ihrem Feld- oder Gegenstandbezug (Politikfelder, prozessuale Verläufe bzw. Output von Politik). Während sich Befragte aus der Administration sowie aus den Kommunalverbänden überwiegend und vornehmlich zu ihrem jeweiligen Ressort bzw. Verantwortungsbereich äußerten, haben die Vertreter von Parteien, Gewerkschaften und der Wirtschaft ein breites Spektrum von Politikfeldern (partiell flächendeckend) thematisiert. Befragte aus den Sozialverbänden sowie der Kategorie der Anderen haben den Output der Koalition (Arbeitsmarkteffekte) und prozessuale Verläufe (Demokratie und politische Kultur) in dem Mittelpunkt gestellt.

-          dem Grad der (Nicht)Übereinstimmung der Hoffnungen/Befürchtungen zwischen verschiedenen sozialen Trägern wie auch verschiedenen Akteuren ein und desselben Typs.

Zudem haben wir in der Explorationsphase ermitteln können, inwieweit sich aus der Sicht der Befragten nach gut einem Jahr rot-roter Koalition ihre damaligen Hoffnungen/Befürchtungen als zutreffend erwiesen haben und welche unerwarteten Wendungen eingetreten sind.

Die Hoffnungen und Befürchtungen der Parteien hatten im Lager der Koalitionäre eine gemeinsame Schnittmenge, ohne identisch zu sein. Und sie unterschieden sich zudem naturgemäß von denen der CDU-Opposition. Die ursprünglichen Hoffnungen der Koalitionäre fanden in der Rede vom “Politikwechsel” ihren markanten Ausdruck. Auch wenn beide Seiten hervorhoben, man habe keine Wunder erwartet und versprochen, waren offensichtlich nicht nur bei großen Teilen der Bevölkerung die Erwartungen recht hoch, sondern auch bei den Funktionseliten der Koalitionsparteien selbst. Bei den befragten Mitgliedern und Funktionsträgern der SPD wie der PDS bündelten sich die Hoffnungen und Befürchtungen nur punktuell, sie lagen vielmehr in einem Spannungsfeld, das die Gesellschaft, den Koalitionspartner und die eigene Partei umfasste. Etwa ein Drittel der SPD-Mitglieder im Lande hatte und hat nach Schätzungen von Interviewpartnern prinzipielle Vorbehalte gegenüber der Koalition mit der PDS. In der PDS-Mitgliedschaft gab und gibt es nach ähnlichen Schätzungen etwa in gleichem Umfang prinzipielle Bedenken. Der Dissens der “Bedenkenträger” konnte in beiden Parteien von jenen, die für eine langfristige strategische Partnerschaft zwischen SPD und PDS eintreten sowie jenen, die das Verhältnis beider unter dem Aspekt der Kooperation und Konkurrenz sehen, bislang neutralisiert werden (vgl. hierzu die Ausführungen oben). Hoffnungen und Befürchtungen in bezug auf die Koalition waren und sind deshalb nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern auch innerhalb der beiden Parteien differenziert. (Die Befragten beider Parteien stehen indes nicht für das gesamte jeweilige innerparteiliche Spektrum.)

Indem die Befragten aus der SPD betonten, sich für diese Koalition engagiert bzw. “die PDS zu einer normalen Partei gemacht” zu haben, stellen sie Koalitionsbildung als wichtigstes Indiz eines Politikwechsels heraus. Aus der Sicht der SPD (wie auch der PDS) ist die Koalition “ein Wert an sich”. Darüber hinaus wird in der SPD der eigentliche Politikwechsel im schrittweisen Wandel der PDS gesehen, denn sie habe den Wechsel von der “Wünsch-Dir-was- zur Realpolitik” eingeleitet. Andererseits habe die Koalition mit der PDS dazu geführt, dass Positionen linker Sozialdemokraten im Landesverband eine stärkere Rolle spielen konnten. Aus dieser Perspektive wurde zunächst befürchtet, dass die PDS die gewollte strategische Partnerschaft und Vorleistungen der SPD diskreditieren, den Widerstand in der SPD durch das Verhalten von Funktionsträgern (Ladendiebstahl) oder durch problematische Personalvorschläge (Stasi-Belastung) provozieren und so die Chancen der Koalition verspielen könnte. Diejenigen hingegen, die eine Mission der SPD darin sehen, die PDS zu einer normalen Partei zu machen (wodurch auch die SPD neue Optionen gewinnt) und sie in der Koalition auf Realpolitik zu verpflichten, befürchteten einmal, dass die Rede vom Politikwechsel ohnehin bei den Bürgern angelegte unerfüllbare Erwartungen nähren könnte. Sodann erwarte(te)n sie “Gesichtsverluste” der PDS infolge der praktizierten und mitzuverantwortenden Realpolitik. Dadurch wiederum könnten sich bei der PDS die Profilierungs- und Abgrenzungszwänge gegenüber dem Koalitionspartner verstärken und die Stabilität der Koalition gefährden. Aus diesem Grunde seien mögliche Gesichtsverluste der PDS auch für die SPD problematisch. Aus der Sicht der SPD-Befragten waren diese Befürchtungen zwar nicht unbegründet. Es konnten jedoch bislang produktive Bewegungs- und Bewältigungsformen gefunden werden.

In der PDS hat man von der Koalition keine sensationellen Wendungen erwartet. Die Hoffnung bestand einmal darin, andere Prioritäten als bisher setzen zu können. Erwartet wurde – nicht allein über ÖBS, sondern über eine andere Instrumentierung sowie den Einsatz von in anderen Bundesländern praktizierten Regelungen –, Fortschritte in der Arbeitsmarktpolitik zu erzielen. Zum anderen war man guter Hoffnung, dringende Fragen, die die bisherige Koalition nicht angepackt hat, in Angriff zu nehmen zu können. Von der PDS wurde nicht zuletzt auf einen neuen, dialogischen Politikstil gesetzt. Befürchtet wurde, dass die restriktiven Rahmenbedingungen und die Finanzspielräume enge Grenzen setzen würden. Von heute aus gesehen, haben sich die Hoffnungen als real erwiesen. Durch den Sparkurs der Bundesregierung ist das Befürchtete in noch stärkerem Maße eingetreten. Zu den parteiinternen Befürchtungen gehörte weiterhin die Frage, ob die PDS-Parteibasis angesichts von Herausforderungen und Zumutungen (wie sie dann aus Sicht der PDS-Parteibasis tatsächlich mit dem Kosovo-Krieg; dem Sparkurs der Bundesregierung; den Haushaltssanierungen im Lande kamen) die Regierungsbeteiligung weiterhin mittragen würde. Bei dieser Befürchtung schlägt zu Buche, dass die PDS-Basis – so unsere bisherige Vermutung – gegenüber ihrer Fraktion, ihren Ministern und ihrer Landtagsfraktion ein kritischeres Parteiverständnis hat als jene der SPD. Dies hängt auch mit den vorherrschenden traditional-sozialistischen Orientierungen eines Großteils der PDS-Mitglieder zusammen, die zugleich auch noch in der Programmatik der PDS Anlehnung finden.[94] Der Landesvorsitzende Holter hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass Maßstab seines Handelns als Minister nicht das PDS-Parteiprogramm oder das Landeswahlprogramm sein könne, sondern einzig und allein die Koalitionsvereinbarung. In der PDS wurde ferner angenommen, dass die Regierungsbeteiligung ihre Stellung im Lande deutlich verbessern würde. Bislang aber fand die selbstverständliche Akzeptanz der PDS-Minister als Adressat und Verhandlungspartner aller landespolitischen Akteure keine automatische Entsprechung in einer anlogen Akzeptanz des PDS-Landesverbandes.

Von der CDU wurde die Bildung der Koalition als unzulässige Grenzüberschreitung und Katastrophe für Mecklenburg-Vorpommern quittiert. Befürchtet wurde, dass das Land aus dem Verbundsystem von Bund und Ländern gleichsam herausfallen könnte, isoliert und “abgehängt” würde, dass Investoren wie Touristen wegen der rot-roten Koalition ausblieben und statt notwendiger Zukunftsinvestitionen und Strukturreformen zweifelhafte Sozialprojekte, statt Eigenverantwortung, Staatsfürsorge statt Leistung Vorrang gewännen. Im übrigen wurde erwartet, dass aufgrund unversöhnter interner Widersprüche zwischen den Koalitionspartnern sowie der Widerstände in der Bevölkerung gegen die Regierungsbeteiligung der PDS die Koalition nicht lange halten und handlungsunfähig würde. Im Lichte dieser Erwartungen wurde gut ein Jahr später von der Landes-CDU eine negative Bilanz der Linkskoalition gezogen.[95] Gleichwohl ist es nicht zu dem von der CDU angekündigten Boykott der Wirtschaft gekommen. Und die Landesregierung in Schwerin ist anders als die Koalition im Bund keine Regierung des Krachs und des Dilettantismus geworden. Ernsthafter fällt ins Gewicht, dass sich die Bürger unter Politikwechsel greifbare Verbesserungen vorgestellt haben und die in dieser Hinsicht unternommenen Ansätze aus ihrer Perspektive weniger zählen.

Im Rahmen der Exploration fiel bei befragten Repräsentanten der CDU die bisherige Bilanz der Koalition etwas moderater und differenzierter aus: Dem einzelnen Unternehmer wie auch Touristen sei es eigentlich egal, wer an der Regierung ist. Einen Boykott aus ideologischen Gründen gebe es nicht, aber man schaue darauf, in welche Richtung die Politik geht und ob die Wirtschaft daraus Nachteile erhalte. Vielleicht sei es so, dass der eine oder andere Unternehmer im Falle einer CDU-Regierung mehr investiert hätte. Wichtig sei: Die Arbeitslosigkeit hat sich nicht verringert, und die Investitionen sind nicht höher als vorher, eher niedriger. Registriert wird ferner, dass die PDS Positionen mitträgt, die sie “zu unserer Regierungszeit” nie unterstützt hätte. Zugestanden wird, dass in anderen politischen Konstellationen manchmal mehr möglich ist. Bei der Wirkung nach außen habe sich nichts verändert und bundespolitisch sei die Regierung in der Isolation. Als wichtigster Erfolg werde lediglich das gute Klima innerhalb der Regierung verkauft. Zwischen den beiden Regierungsfraktionen sei es weniger gut. Hinsichtlich des markierten Reformbedarfes im Lande gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen mit anderen Akteuren (siehe weiter unten).

Ähnlich gelagerte Befürchtungen wie die eingangs skizzierten der CDU hegten die Mehrzahl der befragten Träger von Wirtschaftsinteressen. “Unsere Hoffnung war, dass diese Befürchtungen nicht eintreten werden und es nicht gar noch in Bonn/Berlin zu einer CDU-geführten Koalition gekommen wäre, die das Land dann womöglich links liegen gelassen hätte.”[96] Für die befragten Vertreter der Unternehmerverbände[97] haben sich die Befürchtungen nach der Erfahrung eines Jahres rot-roter Koalition als begründet erwiesen. Allerdings erwächst daraus nicht zwingend ein enger Schulterschluss zur CDU-Opposition im Lande.[98] Andererseits haben alle Repräsentanten von Wirtschaftsinteressen den PDS-Vertretern in der Regierung sowie den Verhandlungspartnern mit “PDS-Ticket” gute bis sehr gute Sachkompetenz und Verlässlichkeit attestiert.

Die Hoffnungen/Befürchtungen anderer Organisationsgruppen werden in Tabelle 2 dargestellt. Hieraus geht zunächst der unterschiedliche Feldbezug und Charakter der Hoffnungen/Befürchtungen hervor. Deutlich wird, dass die Koalition konkrete Erwartungen der Gewerkschaften und allgemeinere der Sozialverbände nicht eingelöst hat. Aus gewerkschaftlicher Sicht hat sich die PDS, wie befürchtet, als zu “pflegeleichter” Koalitionspartner erwiesen. Hingegen hat die PDS keine Seilschaften gebildet. Dass die skizzierten Hoffnungen und Befürchtungen sich bei den überwiegend der SPD angehörenden Gewerkschaftern vornehmlich auf die PDS beziehen, bedeutet wohl, dass die Gesprächspartner gerade von dieser Partei einiges erwarten.

Demgegenüber richten sich die Hoffnungen und Befürchtungen der befragten Multiplikatoren vornehmlich an die Adresse der SPD bzw. ihre Untergliederungen; sie sind inhaltlich auf Vergangenheitsbewältigung und Veränderungen in der politischen Kultur fokussiert.

Alles in allem verweist die Rekonstruktion von Hoffnungen und Befürchtungen unter koalitionsnahen wie koalitionsfernen politischen und sozialen Akteuren auf eine doppelte Bewegung: Für die koalitionsfernen Akteure haben sich vordergründig ihre Befürchtungen als zutreffend erwiesen, unterschwellig werden aber sehr wohl Irritationen, nicht erwartete Wendungen registriert, die das vorgefertigte Bild anreichern und modifizieren. Das gilt für die Träger von Wirtschaftsinteressen und partiell selbst für die CDU. Die Erwartungen koalitionsnaher Akteure haben sich bislang nicht erfüllt. Die Ernüchterung und Enttäuschung ist erheblich. Die Koalition kann zwar ein Stück weit auf die Loyalität koalitionsnaher Verbände und Interessengruppen bauen, doch zeichnet sich – wie etwa bei den Gewerkschaften – ein deutlicher Dissens ab.

Tabelle 2: Hoffnungen/Befürchtungen einzelner Vertreter von Organisationsgruppen (mit Ausnahme Wirtschaftsverbände)

Organisation

Hoffnungen

Befürchtung

Bilanz Hoffnungen/Befürchtungen

Gewerkschaften

Politikwechsel; Durchsetzung des Rechts der Verbandsklage; arbeitnehmerfreundlicher Rückbau der ausufernden Bäderregelung, besseres Personalvertretungsrecht;

Zitate: “Die gegenwärtige Regierungszusammensetzung ist die einzige Alternative zur großen Koalition.” “Wir waren und sind für diese Koalition.” “Meine Hoffnung war, dass die Koalition von der CDU-These abrücken würde, MV habe nur als Billiglohnland eine Chance; realistische Vorstellungen über Möglichkeiten und Grenzen von ÖBS

PDS würde als Koalitionspartner zu pflegeleicht sein und zu wenig Druck machen;

Zitat: “Meine Vermutung war, dass PDS mit Eintritt in die Regierung intensiv Seilschaften bilden würde.”

Befürchtung gegenüber PDS habe sich als begründet erwiesen. Ernüchterung: statt Politikwechsel bloßer Regierungswechsel. Dennoch in Gewerkschaftskreisen nach wie vor positive Grundstimmung zur Koalition, aber die Leute seien vielfach enttäuscht; nach einem Jahr bitterer Beigeschmack: Regierung suche Kompromisse eher mit der Gegenseite als mit Gewerkschaften; Enttäuschung in Gewerkschaftskreisen resultiere nicht aus überhöhten Erwartungen, sondern aus der Politik der Koalition.

Hoffnungen über konstruktivere arbeitsmarktpolitische Ansätze seien eingetreten; man müsse einfach abwarten, dass der Bundestrend sich umkehrt, dann hat die Koalition auch in der nächsten Periode eine Chance;

Befürchtung der Seilschaftsbildung nicht eingetreten.

Sozialverbände

Politikwechsel mit deutlichen Effekten auf dem Arbeitsmarkt; andererseits sei klar gewesen, dass Arbeitslosigkeit in großen Dimensionen bleiben wird; Hoffnung auf Instrument ÖBS; Umstellung von der Projektförderung auf institutionelle Förderung des gegebenen Verbandes

 

Zitat: “Wir haben uns seinerzeit für die neue Koalition durch Aktionen eingesetzt. Nach einem Jahr gibt es keine größeren Fortschritte auf dem 1.und 2. Arbeitsmarkt, erste Ansätze in Richtung ÖBS sowie größere Sensibilität für unsere Anliegen.”

Kommunalverbände

Konnexitätsprinzip verankern; Funktionalreform fortführen; pragmatische Auslegung von Vorschriften ermöglichen;

Zitat: “Das Land soll uns mit der Verwaltungsreform in Ruhe lassen, sie entwickelt sich auf der kommunalen Ebene selbst.”

Kommunalfeindliche Maßnahmen/Verzögerungen

Es bewege sich wenig Neues bei der Regierung. Man könne aber pragmatisch miteinander umgehen; ständig darauf Acht geben, dass das Land nicht Kosten auf die kommunale Ebene abwälzt, sei es auch nur indirekt. Unterschiedliche Bewertung des “Drei-Säulenmodells” aus der Sicht beider Kommunalverbände.

Andere (Multiplikatoren)

Keine konkreten Hoffnungen, die sich an die Bildung der Koalition knüpften (Koalitionsentscheidung der SPD sei auf undemokratische Weise zustande gekommen; Diskussion über die Positionen des Güstrower Kreises habe es in der SPD nicht gegeben). Die koalitionsunabhängigen Hoffnungen beziehen sich auf Verbesserungen der politischen Kultur und Vergangenheitsbewältigung. Ferner werden entschiedenere strukturelle Reformen gefordert, z.B. in Bereichen der öffentlichen Sphäre.

Zitat: “Ich denke, dass etwas ähnliches kommen wird wie 1968 im Westen, also die Kinder ihre Eltern nach ihrem Verhalten in der SED-Zeit befragen werden.”

Machterhalt hat Vorrang vor Fragen der Vergangenheitsbewältigung

Seriöse Haushaltspolitik ohne Visionen, keine positive Wende in der politischen Kultur.

Zitat: “Es gibt seitens der Regierung keine mutigen Entscheidungen.”

 

4.3 Koalitionsbeziehungen: Politische Kultur[99] und politische Handlungsfähigkeit

Die wohl hervorstechendste Neuerung, die mit Bildung der SPD-PDS-Koalition hinsichtlich der politischen Kultur eintrat, ist die Etablierung einer grundlegend neuen Vertrauensbasis zwischen den Koalitionspartnern. Diese fehlte unter den Bedingungen der CDU-SPD-Koalition, was die Sachkooperation erschwerte und zuweilen unmöglich machte. Man diskutiert zwischen den Koalitionspartnern offen und kommt zuweilen überraschend schnell zu Einigungen und Lösungen. Dies bezieht sich – wie unsere Interviewpartner bestätigten – sowohl auf die Beziehungen zwischen den beiden Parlamentsfraktionen als auch auf die Minister- und Staatssekretärsrunden. Auf dieser Grundlage konnten bislang alle Meinungsverschiedenheiten und Konflikte innerhalb der Koalition bewältigt werden, konnte man sich auf gemeinsame Prioritäten einigen und sie dann umzusetzen.

Während maßgebliche Politiker der CDU wie Oswald Wutzke (Pfarrer aus Vorpommern und bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1992 Kultusminister) oder Bernd Seite als Ministerpräsident bundesweit durch Redebeiträge in Erinnerung geblieben sind, die der Abrechnung, Polarisierung und der Exklusion gegenüber Menschen und Menschengruppen verpflichtet waren, treten SPD und PDS in ihrer Koalitionsvereinbarung unter angebbaren Bedingungen “gemeinsam dafür ein, dass sich Menschen in Deutschland versöhnen können”. Ihre Zusammenarbeit hat laut Koalitionsvereinbarung vor allem zum Ziel, die Arbeitslosigkeit deutlich zu vermindern und einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit zu leisten. Im Blick sind dabei vor allem die Frauen und die junge Generation. Zu diesem Zwecke streben sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Interessenverbänden des Landes an. Beide Partner sind sich zugleich bewusst, dass sie für ihre Zusammenarbeit in der Gesellschaft um Vertrauen werben müssen.

Die Vertrauensarbeit der Koalitionäre soll gemäß der Koalitionsvereinbarung auf verschiedene Grundlagen beruhen: a) das klare Bekenntnis zu Grundgesetz und Landesverfassung, b) eine wahrheitsgemäße Aufarbeitung der deutschen Geschichte seit 1945, c) das Bekenntnis der PDS für von der SED begangenes politischen Unrecht in der DDR, d) das Einstehen für Vertragstreue, e) der Kurs auf Arbeit, Gerechtigkeit und Versöhnung impliziert die Sorge insbesondere um Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen und Jungendliche, f) die Suche nach konsensualen, die Interessen der Partner berücksichtigenden Lösungen, die dazu führt, dass im Lande mehr diskutiert wird; g) den Ausbau partizipativer Momente.[100]

Es gab bislang keine Regierungskrise, keine ernsthafte Koalitionskrise, wenngleich eine Reihe von Anlässen hierfür. Vor allem folgende Probleme und Handlungen haben bisher zu unterschiedlichen großen Belastungen der Koalition geführt: das Fehlverhalten von PDS-Politkern (Ladendiebstahl) bzw. politisch problematische Personalvorschläge (Stasibelastung) der PDS für herausgehobene Positionen, der Kosovokrieg und dessen kontroverse Einschätzung durch beide Koalitionspartner, das Zukunftsprogramm (Sparprogramm) der Bundesergierung; das Haushaltssanierungsprogramm der Landesregierung und dessen vor allem von PDS-Ministern zu exekutierende soziale Konsequenzen, die Rede von Helmut Holter am Grabe des Pioniers der Bodenreform Bernhard Quandt, die Ausrichtung der Bildungspolitik, die (Nicht)Umsetzung der in der Koalitionsvereinbarung unter Abschnitt 127 verabredeten Einführung einer schulartenunabhängigen Orientierungsstufe nach Geist und Buchstaben. Auf einzelne der genannten Punkte gehen wir im Nachfolgenden näher ein.

Bewährt haben sich bislang Kooperations- und Konfliktregulierungsinstrumente wie zum Beispiel die wöchentlichen Absprachen der Fraktionsvorsitzenden von SPD und PDS oder im weiteren Sinne die Einberufung des Koalitionsausschusses[101] bei entsprechenden Anlässen, die einen grundlegenderen Diskussionsbedarf der beiden Partner erfordern. Die Fraktionsvorsitzenden der beiden Parteien nehmen an den Kabinettsitzungen teil, die Parlamentarischen Geschäftsführer an den Staatssekretärsrunden. Regelmäßig werden auch Diskussionen und Absprachen zwischen den Arbeitskreisen und Fachpolitikern der beiden Fraktionen geführt. Die Kooperations- bzw. Konfliktregulierungsinstrumente konnten sich bislang auch deshalb bewähren, weil auf beiden Seiten Personen tonangebend sind, die die PDS bzw. die SPD als strategischen Partner für Regierungsbündnisse mit dem Ziel einer sozial gerechten Politik für das Land ansehen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist auch – wenn man die diesbezüglichen Negativerfahrungen in den Beziehungen zwischen SPD und CDU heranzieht – dass die führenden Personen der beiden Koalitionsparteien SPD und PDS einen sachorientierten, menschlich respektvollen Umgang miteinander pflegen. Das trifft nicht nur – nach allem was hierzu bekannt ist – auf die Beziehungen zwischen Ringstorff und Holter zu, sondern auch in der Regel auf die Beziehungen zwischen den Ministern, den Fraktionsvorsitzenden, den parlamentarischen Geschäftsführern, den Arbeitskreisen beider Fraktionen u.a.m. Auseinandersetzungen innerhalb der Ministermannschaft wie zwischen den Fraktionen, so die übereinstimmenden Befunde der Exploration, werden um die Sache und nicht über die Demontage und Denunziation von Personen geführt. Beide Partner halten sich mit großer Ernsthaftigkeit an das vereinbarte “Prinzip der Regierungssolidarität” – ein gravierender Unterschied zur Vorgängerregierung, der überhaupt erst eine hinreichende Handlungsfähigkeit der Regierung ermöglicht.

Die Atmosphäre der Kooperation ist die entscheidende Voraussetzung für eine sachorientiertere Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ministerien, ressortübergreifende Schwerpunktsetzungen (in der Haushaltspolitik Ressortegoismen einschränken; Bündelung von Förderprogrammen) oder in einzelnen Policy-Bereichen (Bäderregelung; Universitätskliniken; Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus). Das alles ist Ausdruck eines Politikwechsels, der neue Handlungsspielräume für die Politik geschaffen hat, allerdings noch keine Reformpolitik gewährt.

Denn die “gute Kooperation” und der sprichwörtliche “Prima-Klima-Klub” haben auch ihre problematischen Seiten: Nicht selten wurden sie in unseren Interviews mit einer “Entscheidungsschwäche” der Regierung in Verbindung gebracht (“Nur keine Fehler machen!” “Nur nichts Kontroverses anpacken!”), mit einem “Zudecken von Problemlagen”, die nur konfliktual auszutragen sind (so z.B. Schwerpunkte der Förderpolitik), mit einem Nachgeben gegenüber kritischen Verhandlungspartnern im Lande (z.B. Unternehmerverbände) zu Lasten von eher solidarischen bzw. regierungsfreundlichen Partnern (z.B. Gewerkschaften).

Unsere Hypothese ist, dass die eigentlichen Konfliktsituationen für die Koalition erst noch bevorstehen. Während das erste Jahr der Koalition von allen Seiten doch mehr als “Einrichtungsphase” gesehen wurde, geht es jetzt zunehmend um die Frage, ob und wie tatsächlich gesellschaftliche Reformprojekte in Gang gesetzt werden, bei denen die unterschiedlichen Politik- und Gesellschaftsverständnisse der beiden Koalitionsparteien miteinander konkurrieren, wie sich dies gegenwärtig bereits in den Bereichen Schule, Hochschule und Förderpolitik zeigt.

So hat die Festlegung der Koalitionsvereinbarung, eine “schulartenunabhängige Orientierungsstufe” (5. und 6. Klasse) einzuführen, einen Grundsatzstreit zwischen den Koalitionspartnern ausgelöst.[102] Eingeleitet wurde die Auseinandersetzung bereits im Juli 1999, nachdem das Bildungsministerium gegenüber den Arbeitskreisen Bildung der SPD- und der PDS-Fraktion seine Vorschläge über die Umsetzung von Punkt 127 der Koalitionsvereinbarung vorstellte. Kernpunkt des sich seitdem anbahnenden Streits ist die Frage, ob die Eltern – so wie bislang – schon in Klasse 4 entscheiden können, dass ihr Kind die Orientierungsstufe an einem Gymnasium absolviert oder ob die Klassenverbände bis einschließlich der 6. Klasse zukünftig nicht auseinandergenommen werden, sondern als Orientierungsstufe 5 und 6 (im Regelfall an einer Haupt- oder Realschule, je nach Entscheidung der kommunalen Träger) fortgeführt werden. Die Arbeitskreise Bildung der beiden Parteien konnten keine Einigung finden, und der dann folgende Beschluss der SPD-Fraktion (9.11.1999) zementierte faktisch die Meinungsverschiedenheiten.[103] Ein Abrücken vom Koalitionsvertrag sieht die SPD darin nicht, wohl aber die PDS. Der für solche Konfliktfragen zuständige Koalitionsausschuss konnte in erster Beratung (Ende Januar 2000) das Problem nicht lösen. Die PDS sieht in der Haltung der SPD ein Abrücken vom Koalitionsvertrag. Auch der Landeselternrat sprach sich gegen ein Abrücken von der “Orientierungsstufe” aus. SPD und Ministerpräsident verweisen hingegen auf pragmatische Probleme, so auf sinkende Schülerzahlen, die es nicht erlaubten, die Orientierungsstufe in den kleinen Grundschulen ländlicher Räume als Regelfall fortzuführen. Hinter dem Streit verbergen sich aber auch unterschiedliche Gesellschaftsvorstellungen: Sollen die Eltern frühzeitig (4. Klasse) über den Weg ihrer Kinder entscheiden können oder soll man entwicklungspsychologischen Erkenntnissen folgen, nach denen eine Schuldifferenzierung nach der 4. Klasse zu früh ist? Soll man Veränderungen im Schulsystem eher verhalten oder eher im Stile weitgehenderer Reformen durchführen? Zumindest die letztgenannte Frage wird sich in Zukunft nicht allein im Bereich des Bildungswesens stellen. Umso interessanter ist, dass sowohl die CDU als auch die Vereinigung der Unternehmerverbände die Haltung der SPD in diesem Streit weitgehend unterstützt und jene der PDS kritisiert. Das ist auch insofern nicht weiter verwunderlich, als die CDU für die Einführung des gegliederten Schulsystems im Lande verantwortlich zeichnet, dessen Effekte durch die strittige Orientierungsstufe gemildert werden sollen. Nach allem, was die Regierung und vor allem deren hauptsächliche politische Kraft, die SPD, bislang gezeigt hat, ist die Neigung zu eher moderaten Veränderungen stark ausgeprägt, was in der Außenwirkung teils akzeptiert, teils aber auch als Entscheidungsschwäche wahrgenommen wird und vor allem die Koalition zunehmend auf den Prüfstand stellt. Anfang Februar 2000 einigten sich beide Parteien im Koalitionsausschuss auf einen Kompromiss bei der schulartenunabhängigen Orientierungsstufe[104], der in der Schweriner Volkszeitung so wahrgenommen wurde, dass sich die PDS mit ihren Positionen weitgehend durchgesetzt habe.[105] Die PDS machte dabei das Zugeständnis, dass besonders leistungsstarke Schüler auf Wunsch der Eltern die Orientierungsstufe ab fünfter Klasse an einem Gymnasium absolvieren können. Gegen diesen Kompromiss wurden alsbald Bedenken und Einwände aus der PDS-Fraktion wie auch z.B. aus dem DGB laut. Holter warb indes in einem Brief an die Basis für diesen Kompromiss. Bei der konkreteren Ausführung des Kompromisses seitens der SPD musste dann befürchtet werden, dass bis zu 20 Prozent der Schüler nach der 4. Klasse zum Gymnasium wechseln. Dies könnte man dann nicht mehr als “Ausnahme” für besonders leistungsstarke Schüler bezeichnen. Der Kompromiss selbst stand in Frage, was die PDS auf ihrem Parteitag am 11. März veranlasste, die SPD zu einer Rückkehr zur Koalitionsvereinbarung aufzufordern.

Mittlerweile ist der Streit um die schulartenunabhängige Orientierungsstufe beendet. Zum ersten Mal konnte ein “hausgemachtes” Problem zwischen den beiden Koalitionspartnern nicht gelöst werden. Hiermit entstand eine neue Konfliktdimension. Nachdem die SPD durch eine Abkehr von dieser Orientierungsstufe faktisch auch vom Koalitionsvertrag (Punkt 127) abrückte und somit eine für die Koalition stark belastende Situation herstellte, sah sich die PDS ihrerseits veranlasst, in den Punkten 208 (Obergrenze der Nettokreditaufnahme) und 217 (Verbot wechselnder Mehrheiten) ein Abgehen von der Koalitionsvereinbarung zu erwägen. Die PDS stellt damit eine politische Reaktion in Aussicht, die einerseits ihre Eigenständigkeit unterstreichen soll, im Ergebnis aber den Riss für die Koalition vertiefen könnte. Letzteres muss allerdings nicht zwangsläufig der Fall sein. Wenn beiderseits am Fortbestand der Koalition festgehalten wird – und dies ist derzeit der Fall – kann auch eine neue, konflikthaftere, aber nicht unproduktive Art des Umgangs der Koalitionspartner miteinander entstehen. Die PDS hat angekündigt, gegebenenfalls auch eigene Anträge in den Landtag einzubringen, beispielsweise für ein Bleiberecht ausländischer Minderjähriger, für das Schulsozialarbeiterprogramm bei gleichzeitiger Entlastung der kommunalen Beteiligung, für ein Schulbauprogramm oder ein spezielles Vorpommern-Programm.

Zwischen den Koalitionsparteien bestehen mannigfaltige Scheidelinien und Konfliktpotenziale, die sich unter dem Einfluss der Koalitionsbildung und der praktischen Regierungsarbeit teils erhalten, reproduziert oder auch modifiziert haben. Wenngleich, wie es in der Koalitionsvereinbarung heißt (Punkt XII), die Arbeit der Regierung auf partnerschaftlichen, gleichberechtigten Grundlagen beruht und die Identität der beiden regierungstragenden Parteien wahrt, so handelt es sich doch auch um Konkurrenten im Parteienwettbewerb.

Auch innerhalb der Koalitionsparteien sind konfliktuale Linien festzustellen. Ein/e Interviewpartner/in aus der PDS sagte sinngemäß: “Bis zum heutigen Tage denken bei uns die einen, eine solche Regierung bekommt uns nicht. Und die anderen wiederum gehen davon aus, dass die Regierungsbeteiligung richtig und notwendig ist.”[106] In der Mehrzahl der angegebenen Konfliktfälle vertraten bzw. vertreten PDS-Fraktion und einige wenige Abgeordnete des “linken Flügels” der SPD[107] eine andere Position als die Mehrheit der SPD-Fraktion. Zugleich wurde von Abgeordneten der PDS-Fraktion mehrmals der Fortbestand der Koalition selbst in Frage gestellt. In den Basisorganisationen des Landesverbandes der PDS findet die Haltung der Landes- und Bundes-SPD sowie die Praxis der PDS-Minister entschieden größere Kritik als das bei der SPD mit Blick auf ihre Fraktion und ihre Minister der Fall ist.

Dieser Sachverhalt ist erklärungsbedürftig. Zumal in beiden Fällen eine enge Personalunion in den Führungsgremien zwischen Ministermannschaft, Fraktion und Landesverband besteht, so dass die strukturellen Ungleichgewichte dieser Ebenen nicht ungebremst wirksam werden können. Mithin ist die Erklärung in der unterschiedlichen Identität und Verfasstheit der Koalitionsparteien zu suchen:

Die Mitglieder der Landes-SPD sind programmatisch mehrheitlich weniger fixiert als die PDS-Mitgliedschaft. Dies zeigt sich einmal darin, dass der “Güstrower Kreis” – jetzt “Neue Mitte” – seine Bedenken gegen die Koalition eingestellt hat oder zurückhält und die im “Warener Kreis” organisierte Parteilinke im Landtag nur über wenige Stimmen verfügt. In der PDS-Mitgliedschaft hingegen wollen die Stimmen nicht verstummen, die als Maßstab des Regierungshandelns ihrer Minister das PDS-Wahl- bzw. gar das Parteiprogramm anlegen wollen. “Neu ist nicht” – so der Kommentar eines Interviewpartners aus den Reihen der SPD – “schlechthin der Kurs einer Haushaltssanierung, sondern historisch neu ist, dass die PDS ihn mitträgt.”

Landes-SPD und Landes-PDS haben je eine andere Differenzierung der Alters- und Sozialstruktur sowie der politischen Orientierungen. Die sozialen Disparitäten (einschließlich der Altersgruppen) innerhalb der PDS-Mitgliedschaft und -Klientel sind größer als bei der SPD. Zugleich muss die PDS den “Spagat zwischen Gewerkschafts-, Sozial- und KMU-Interessen” aushalten (Ein/e Interviewpartner/in aus der PDS, Zitat sinngemäß). Auch aus diesen Gründen hat die PDS noch mehr innerparteiliche Differenzierungen als die SPD.

Der innerparteiliche Integrations- und Koordinationsaufwand ist bei der PDS zwischen Landesverband, Fraktion und Ministern schon aus den aufgeführten Gründen größer als bei der SPD; zudem hat die Landes-PDS weit mehr Mitglieder. Diese Schwierigkeiten werden auch dadurch verschärft, dass die PDS mit hauptamtlichen Mitarbeitern vornehmlich auf der Kreisebene präsent, der Landesvorstand hingegen personell suboptimal ausgestattet ist.

Wie die Demoskopie[108] zeigt, kann hingegen die Landes-PDS auf eine größere Loyalität ihrer Wählerschaft als die Landes-SPD bauen: “Mit dem größeren Regierungspartner, der SPD, sind zwei Drittel der Bürger unzufrieden. Mit der PDS dagegen nur die Hälfe der Wähler ... Wer also bislang meint, die PDS verliere in einer rot-roten Koalition an Profil, kann sich durch diese Umfrage nicht bestätigt fühlen. Bei den PDS-Wählern sind sogar 86% mit ihren Ministern ... in der Gesamtheit zufrieden. Offenbar hat der soziale Sprengstoff, den insbesondere das Sozialministerium geliefert hat, der PDS nicht in ihrem Ansehen als Regierungspartner geschadet – oder es wurde nicht als PDS-Politik wahrgenommen.”[109]

4.4 Opposition vor neuen Herausforderungen

Selbstverständnis, Praxis und innere Verfasstheit der CDU-Opposition verdienen eine eingehendere Betrachtung als das im Rahmen der Exploration möglich war. Insbesondere die Frage, ob und in welcher Hinsicht die CDU ihre Oppositionsarbeit im Laufe der Legislaturperiode modifiziert und ob die CDU in MV ihr bisheriges Verhältnis zur Koalition durchhalten kann und will, bedürfen der Analyse.

Wie bereits der Abschnitt über die Vorgeschichte der Koalition nahe legt, steht es um die politische Kultur im Landtag nicht zum besten. Darin sind sich übrigens alle im Landtag präsenten Parteien einig. Koalition und Opposition stehen sich als Blöcke gegenüber. Beklagt wird sowohl von Seiten der CDU als auch von Seiten der SPD, dass inhaltlich zustimmungsfähige Anträge der Gegenseite prinzipiell nicht unterstützt werden. Aus der Sicht der CDU ist die PDS keine demokratische Partei und wird folglich entsprechend behandelt. Als Opposition agierte die CDU-Fraktion bislang mehrheitlich so, als ob sie bei den nächsten Landtagswahlen die absolute Mehrheit erzielen könnte und auf keinen Partner angewiesen wäre. Vor allem drei Quellen scheinen diese Haltung zu speisen: a) Ressentiments. In der CDU-Fraktion ist die konservativ-aufgeklärte Tradition, für die etwa Persönlichkeiten wie Biedenkopf, von Weizsäcker, Süssmuth, Geissler stehen, personell unterbesetzt; b) der für die Koalition und insbesondere für die SPD bis Ende 1999 negative Bundestrend, der die CDU-Opposition unabhängig von ihrer Eigenleistung begünstigte; c) der große CDU-Erfolg bei den Kommunalwahlen im Mecklenburg-Vorpommern 1999 (Tabelle 3). In diesem Wahlergebnis haben sowohl die Enttäuschung über Rot-Grün im Bund als auch die Ernüchterung über Rot-Rot im Lande ihren Ausdruck gefunden.

Tabelle 3: Ergebnisse der drei großen Parteien bei den Kommunalwahlen 1999 (1994)

CDU

39,9%

(30,6%)

+9,3

SPD

24,0%

(25,6%)

-1,6%

PDS

21,9%

(24,3%)

-2,4%

Die CDU vermochte allerdings ihren Kommunalwahlerfolg 1999 nur partiell zu verwandeln, weil SPD und PDS zusammengingen und die Landesspitzen – vor allem innerhalb der SPD – hierauf jeweils Einfluss nahmen, oft selbst in Kreisen, Städten und Gemeinden, in denen SPD-Politiker sich in der Vergangenheit massiv gegen eine Zusammenarbeit beider Parteien ausgesprochen hatten.[110]

Die Beziehungen und Kontakte zwischen CDU-Fraktion und CDU-Landesverband gelten einerseits als gut, auch weil wichtige Funktionsträger in beiden Gremien vertreten sind. Aus der Perspektive von Befragten außerhalb der CDU-Fraktion lassen sich in der CDU-Fraktion mehrere Gruppierungen erkennen, die sich durch persönliche Animositäten oder/und inhaltlich unterscheidbare Akzente voneinander abheben. Die Oppositionsrolle wird von einigen Exponenten ausgefüllt. Genannt wird hier immer wieder der CDU-Politiker Rehberg, dessen Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender erst nach einer Intervention der Landesvorsitzenden Merkel gesichert werden konnte. Zu überprüfen (und im zutreffenden Falle zu entschlüsseln) ist die Bedeutung der Mitteilung, dass die der CDU-Fraktion angehörenden sieben Ex-Minister – mit Ausnahme der ehemaligen Kultusministerin – ihre Sachkompetenz wenig in die öffentlichen Debatten des Landtages einbringen.

Wenngleich die CDU im Jahre 1999 vor allem von der Enttäuschung über die rot-grüne Bundesregierung, aber auch von der Ernüchterung über die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern profitieren konnte (sowohl bei den Kommunalwahlen 1999 als auch in der September-Umfrage 1999[111]), wird die Arbeit der CDU-Opposition von den Bürgern in der bereits erwähnten EMNID-Umfrage vom September 1999 überwiegend schlecht beurteilt: “Ganz offenbar ist den Bürgern die permanente Kritik an der rot-roten Regierung allein zu wenig.”[112]

In ihrer Oppositionsarbeit scheint die CDU-Fraktion zu experimentieren. Neben die dominierende Fundamentalopposition tritt fallweise bei einzelnen Abgeordneten die konstruktive Oppositionsarbeit. In jüngster Zeit versucht die CDU-Fraktion auch in stärkerem Maße, die soziale Karte zu ziehen, um Gerechtigkeitslücken im Bund wie im Lande selbst zu markieren. Sie setzt damit freilich den bisher bestehenden Schulterschluss zu den Unternehmerverbänden (“Wir sind mit der Opposition unzufrieden”) und die Konsistenz ihrer landespolitischen Positionen auf Spiel (siehe oben; Hoffnungen und Befürchtungen). Es ist ferner nicht auszuschließen, dass die CDU im Vorfeld der nächsten Landtagswahlen von der Fundamentalopposition abrückt, um sich als Seniorpartner einer erneuten großen Koalition bei der SPD zu empfehlen.

Im Vergleich mit der PDS, die von 1990 bis 1998 in der Opposition war, wird der CDU von einigen Befragten eine größere Wirksamkeit ihrer jetzigen Oppositionsarbeit im Lande zugebilligt. Dafür spricht zunächst, dass die CDU wählerstärker ist als es die PDS seinerzeit war und zudem die Positionen der CDU-Opposition eine entsprechende Wiedergabe in der regionalen Presse finden – anders als bei der damaligen PDS-Opposition. Ferner gibt es einen mehr oder weniger engen Schulterschluss zwischen der CDU und einer Reihe organisations- wie konfliktfähiger Verbände bzw. Institutionen[113], die über eine entsprechende Öffentlichkeitswirkung verfügen. Schließlich wird darauf verwiesen, die CDU sorge dafür, dass Erfolge der Regierung nicht als solche wahrgenommen würden.

Dennoch ist die Mehrzahl der Befragten der Meinung, dass es im Lande keine Blockbildung wie im Landtag gebe und die Bäume der CDU-Opposition keineswegs in den Himmel wachsen. Die Erfolge der CDU bei den Kommunalwahlen und in der Umfrage- und Meinungsforschung[114] beruhten auf günstigen Kontextbedingungen, weniger hingegen auf der überzeugenden Eigenleistung. Mit dem Wechsel des Bundestrends zugunsten der SPD seit der Jahreswende 1999/2000 dürfte sich auch in MV der Trend der Meinungsbefragungen zuungunsten der CDU auswirken.

Damit steht die CDU Mecklenburg-Vorpommerns vor einer neuen Herausforderung: Sie wird durch die Umkehrung des Bundestrends tendenziell dazu veranlasst, von der Fundamental-Opposition zu einer Sachopposition überzugehen. Ansonsten würde sie zusätzlich an Boden verlieren. Hinzu kommt, dass schon jetzt die CDU-nahen Verbände Rot-Rot nicht boykottieren, sondern in konstruktiver Sacharbeit ihre definierten Interessen durchzusetzen suchen. Und während die CDU-Fraktion im Landtag zwar relativ geschlossen gegen Rot-Rot agiert, obwohl persönliche Animositäten zwischen den CDU-Abgeordneten unübersehbar sind, tendieren einfache CDU-Mitglieder im Lande eher dahin, sich an dem zu orientieren, was sie für das Landeswohl halten. Schließlich hat die neue Koalition gerade auf dem Felde der politischen Kultur Akzente gesetzt, die normalerweise einer Blockbildung entgegenstehen.

Das tatsächliche Handeln beider Koalitionsparteien bewegte sich allerdings bislang ähnlich im Rahmen der “Blockschienen” wie jenes der Opposition selbst. Noch gehört es bei den Koalitionsparteien “zum Prinzip”, gemeinsames Abstimmungsverhalten mit der Opposition im Parlament zu umgehen, und zwar ganz unabhängig vom Inhalt der Vorlagen. Eine völlig neue Situation entstünde, wenn die Opposition zu einer sachorientierteren Oppositionspolitik überginge, für die sie überdies als ehemalige Regierungspartei über hinreichende Sach- und personelle Kompetenzen verfügt. Dann würden die Beziehungen zwischen den beiden Koalitionsparteien wie auch die Entwicklung der beiden Parteien selbst in neuer Weise auf den Prüfstand gestellt, weil sich die inhaltliche Übereinstimmungen zwischen den Parteien wesentlich variabler darstellen könnten.

4.5 Politische Kultur und Demokratie im Lande

Es ist sinnvoll, zwischen der politischen Kultur im Landtag und der im Lande zu unterscheiden, obgleich die politische Kultur im Landtag und jene im Lande in einem gewissen Verweisungszusammenhang stehen (siehe zum Begriff politische Kultur die Anm. 99).

Regierungsarbeit steht heute stärker in einem diskursiven Umfeld als in der Zeit der Vorgängerkoalition. Wesentliche Regierungsvorhaben wie die Festlegung der FFH-Gebiete (Flora-Fauna-Habitate), die Krankenhausplanung, die Neubestimmung des kommunalen Finanzausgleiches und die Verankerung des Konnexitätsprinzips, die Arbeitsmarktpolitik wurden bzw. werden in diskursiven Politikprozessen mit Verbänden und anderen Organisationen behandelt und zu Entscheidungen gebracht. Es wird mehr diskutiert im Lande[115], aber diese Diskussion bezieht sich noch nicht auf alle Politikfelder gleichermaßen und sie beschränkt sich weitgehend auf den Diskurs mit Interessenorganisationen. Es gibt noch kaum einen medial vermittelten öffentlichen Diskurs zu den Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes. Andererseits finden in den Regionen des Landes, in den Parteien und Organisationen durchaus zahlreiche Diskussionen zu Grundfragen der Landesentwicklung, so zum Beispiel zur Arbeitmarktpolitik oder zu den Perspektiven der Jugend, statt. Aber es gibt auch noch kein neues politisches Klima im Land. Hauptursache hierfür ist der tiefe Graben zwischen Koalition und Opposition, der bislang nicht überwunden werden konnte. Dieser wirkt auch in das Land hinein, wenngleich es in der Bevölkerung des Landes selbst einen solchen Graben nicht gibt. Das von der Koalitionsregierung bei ihrem Machtantritt beanspruchte Ziel, Ausgleich und Versöhnung im Lande zu erreichen, Gräben zu überwinden und neue Perspektiven für die Entwicklung des Landes zu suchen, konnte bislang nur in Teilaspekten eingelöst werden. Freilich hängt dies nicht allein von den Koalitionspartnern ab, sondern auch von der Opposition, von den Verbänden, den Medien usw. Auch die Verbände sind es z.T. noch nicht gewohnt, den kulturvollen Streit in der Demokratie auszutragen.

Die SPD-PDS Koalition wird ihre Handlungsspielräume in der Politik nicht erweitern können, wenn sie möglichst wenig verändert oder wenig konflikthafte Themen aufruft. Sie kann sie nur erweitern, wenn es ihr gelingt, transparente Reformvorstellungen zu artikulieren, auf die betroffenen Interessengruppen aktiv zuzugehen, sie in die Politikbildungsprozesse einzubeziehen und bei konfliktualen Interessen einen Ausgleich anzustreben.

Das ist ein Lernprozess: Selbst bei dem allgemein akzeptierten und hoch gelobten Politikprozess in bezug auf die Festlegung der FFH-Gebiete wurden z.B. Unternehmerverbände und IHK nicht von Anfang an hinreichend in die Beratungen einbezogen (erst in einer späteren Phase). Ähnliches trifft auf die Einbeziehung der kommunalen Verbände in die Diskussion des FAG zu. Relativ gut gelang nach vielen Debatten – wie oben beschrieben – ein Konsens im Bereich der Krankenhausplanung (gemeinsam mit Krankenhausgesellschaft, Kommunen, Ärzteschaft, Kassen usw.).

Eine wichtige Voraussetzung für die Suche nach Reformen ist die Neugestaltung demokratischer Öffentlichkeit. Es gibt noch zu wenig Kommunikation, zu wenig innovative Akteurs-Netzwerke. “Man ficht mit der Keule statt mit dem Florett. Dadurch entstehen heftige Konflikte. Es ist auch eine Sache der Mentalität... Sie ist auf Widerstand ausgelegt. Die Regierung scheint für die Menschen im Lande immer etwas zu sein, was oben aufsitzt.”[116] Die Printmedien bedienen eher die Lust auf Sensation als die Anstrengung differenzierter Argumentation. In den großen regionalen Tageszeitungen Mecklenburg-Vorpommerns finden zu wenig qualifizierte öffentliche Diskurse über solche Fragen statt wie zum Beispiel:

-          Brauchen wir eine schulartenunabhängige Orientierungsstufe, und wie soll sie aussehen?

-          Wozu und in welche Richtung brauchen wir eine Novellierung des Kita-Gesetzes?

-          Wie sollen die Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung gesetzt werden?

-          In welche Richtung soll sich eine Reform des öffentlichen Sektors und der öffentlichen Verwaltungen vollziehen?

Möglicherweise spiegelt der Mangel an öffentlichen Diskursen auch wieder, dass die Medien zu wenig mit Substanz aus der Politik “bedient” werden (weder von der Koalition, noch von der Opposition). Zur Zeit gehen solche öffentlichen Debatten von keinem der beiden Koalitionspartner hinreichend aus.

Jede moderne Reformpolitik, die auf bürgerschaftliches Engagement setzt, hat nur dann eine Chance, wenn sie sich auf öffentliche demokratische Debatten und öffentliche demokratische Lernprozesse einlässt. Dies scheint eine der wichtigsten Herausforderungen auch für die politischen Prozesse in Mecklenburg-Vorpommern zu sein.

Ein spezieller Punkt der politischen Kultur im Lande ist der Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Die Regierung und insbesondere der Ministerpräsident des Landes verbanden ihren Kurs der Versöhnung zu Beginn der Legislaturperiode ausdrücklich auch mit dem Willen eines respektvollen und differenzierten Umgangs mit den DDR-bezogenen Biographien der Menschen im Lande. Die Differenzen der SPD mit der CDU gründeten immer auch darauf, dass man aus der CDU heraus die PDS ob ihrer Vergangenheit attackierte, jedoch die eigene Vergangenheit als DDR-Blockpartei “übersah”. Die SPD und insbesondere Ringstorff wollten in dieser Frage einen Neuanfang. Der Verzicht auf die Regelanfrage bei der “Gauck-Behörde” für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und das Freiwilligkeitsprinzip für diesbezügliche Überprüfungen von Abgeordneten setzten sodann politische Signale, die dieses Ansinnen umsetzen sollten. Zum Versuch einer differenzierten politischen Aufarbeitung kam es in Folge jedoch nur in einzelnen Ansätzen, so zum Beispiel am 20.10.1999 bei einer öffentlichen Diskussion in SchwerinDetailseite (Publikation)[117].

In den Interviews wurde uns von ehemals (gegenüber dem politischen System der DDR) systemkritischen Gesprächspartnern der Eindruck vermittelt, dass die Auseinandersetzung mit der Parteivergangenheit von PDS und CDU innerhalb dieser beiden Parteien insgesamt unterentwickelt ist. Bei der PDS sei schon eher Bereitschaft vorhanden, sich kritisch und differenziert mit der DDR-Vergangenheit auseinander zu setzen, hier gebe es aber erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen. Bei der CDU hingegen finde man eine solche Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung so gut wie überhaupt nicht. Auf jeden Fall könne man von einer positiven Entwicklung der politischen Kultur nicht sprechen, wenn dieser Punkt ausgespart bliebe.

Ein wichtiges Zielstellung der neuen Regierungskoalition besteht darin, die demokratischen Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger und ihrer Zusammenschlüsse zu stärken. Dies drückt sich in folgenden Vorhaben bzw. Schritten aus.

Tabelle 4: Von der Koalition ausgehende bzw. unterstützte Partizipationsmöglichkeiten (Auswahl)

In Vorbereitung: Modernisierung des Parlamentsrechtes, des Volksabstimmungsgesetzes und des Petitions- und Bürgerbeauftragtengesetzes

In Vorbereitung: Initiative zum Verbandsklagerecht auf Bundesebene ergreifen (Umweltministerium)

Laufend: Novellierung des NDR-Staatsvertrages. Stärken des Mitspracherechtes gesellschaftlicher Gruppen und Bürger

Erfolgt: Alle Vorhaben der Landesregierung werden darauf hin überprüft, welche Auswirkungen sie für die Geschlechter haben (Frauen- und Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe).

Laufend: Konsensstrategie und Interessenberücksichtigung gegenüber sozialen und politischen Akteuren

Erfolgt: Kommunalwahlrecht für Jugendliche aber 16 Jahre

In Vorbereitung: Kompetenzen und Kontrollrechte der Kommunalvertretungen und der Abgeordneten stärken

Erfolgt: Stärkung der Stellung der Schüler und Eltern innerhalb der Schulen durch Einführung der Drittelparität bei den Schulkonferenzen; Abschaffung der Vorzensur bei Schülerzeitungen

Laufend: Unterstützung der Etablierung eines Parlaments der Erwerbslosen

Erfolgt: Als eines der ersten Bundesländer hat MV am 15.12. 98 ein “Bündnis für Arbeit” auf Landesebene ins Leben gerufen.

Zu den auf dem Felde der politischen Kultur relevanten Neuerungen gehört zudem, dass sich die Koalition auf die “Zurückdrängung von rechtsextremen, neofaschistischen und ausländerfeindlichem Gedankengut als politische Querschnittsaufgabe” verständigt hat. Hierzu wurden sowohl polizeiliche Maßnahmen getroffen (Mobile Aufklärungsgruppe Extremismus MAEX) als auch gesellschaftliche Aktivs (Präventionsräte in ca. 40 Städten; Initiative des Innenministeriums) zur Prävention eingerichtet. Die CDU-Fraktion sicherte im März 1999 dem Innenminister die Unterstützung beim Kampf gegen den Rechtsextremismus zu.

Insgesamt handelt es sich um eine Fülle von Neuerungen, die allerdings von der Bevölkerung oder den jeweiligen Adressaten in unterschiedlichem, eher zu geringem Maße geschätzt werden.

Noch kaum sichtbare Ergebnisse gibt es bei dem Vorhaben der Koalition (Punkt 158 der Koalitionsvereinbarung), eine Modernisierung des Volksabstimmungsgesetzes sowie des Petitions- und Bürgerbeauftragtengesetzes einzuleiten. Für die Entwicklung der demokratischen Kultur in Mecklenburg-Vorpommern wäre dies von unschätzbarem Wert. Mit diesem Anliegen hat sich – in Kooperation der bundesweiten Initiative für Volksentscheid (“Mehr Demokratie e.V.) – am 27.11.1999 in Güstrow ein “Bürgerbündnis 2000” konstituiert.[118] Es wird angestrebt, eine Bürgerbewegung mit dem Rahmenthema “Bürgernahe Politik” zu entwickeln. Organisatorische Träger sollten Sozialverbände, Volkshochschulen etc. sein. Man verwies auf die dramatische Distanz zwischen politischer Klasse und Bevölkerung. Hier müsse ein Umkehr erreicht werden, indem die Bürgerbewegungen, Bürgerinitiativen, außerparlamentarische Volksbewegungen bessere institutionelle Einflussmöglichkeiten erhielten. Es soll ein landesweites Netz entwickelt werden, das Elemente der direkten Demokratie voranbringt. Unter anderem solle es kein Quorum für Volksentscheide geben. Die Verfahren bei Bürgerentscheid/Volksentscheid sollten jenen bei allgemeinen direkten Wahlen angeglichen werden (also ohne Quorum).

Im Fortgang dieser Studie ist u.a. zu untersuchen, wie sich die Parlamentsparteien zu dieser Initiative verhalten, auf welchem Wege und mit welchen Inhalten eine Novellierung des Volksentscheidgesetzes wie auch direktdemokratische Elemente in anderen institutionellen Bereichen (Kommunalebene) vorangebracht werden. Die Idee einer “Bürgergesellschaft” bzw. “Zivilgesellschaft”[119] ist von den Koalitionsparteien bislang noch nicht aufgegriffen worden, obgleich sie mit ihrer Programmatik vereinbar wäre.

4.6 Zur Akzeptanz der neuen Koalition

Die rot-rote Regierung gilt heute im Lande, in der Bevölkerung und in der Regel auch in den Verbänden als etwas Normales. Diese allgemeine “Grundakzeptanz” der Koalition bedeutet freilich nicht, dass auch ihre Vorhaben und Maßnahmen im Einzelnen akzeptiert werden. Zudem verweisen die Ergebnisse der Kommunalwahlen 1999, die Befunde der Umfrage und Meinungsforschung (EMNID-Politbarometer für MV) und die von uns geführten Gespräche darauf, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Koalition im Verlaufe des Jahres 1999 stark retardierte.

Nach der letzten Emnid-Umfrage vom September erhielte die CDU 42% (plus 11,8 gegenüber den letzten Landtagswahlen), die SPD 26% ( minus 8,3%), die PDS 24 (etwa konstant). Die Ursachen des SPD-Verlustes und der Zuwachs der CDU liegen zum größeren Teil (aber nicht allein) im bundespolitischen Einfluss begründet. Mit der Veränderung des Bundestrends seit dem Jahreswechsel 1999/2000 (CDU-Spendenaffäre) kann daher wieder mit einem Zustimmungsgewinn für die SPD und einem Zustimmungsverlust für die CDU gerechnet werden.

Es wäre aber eine unzureichende Erklärung, den 1999er Akzeptanzverlust der Koalition im allgemeinen und der SPD im besonderen allein auf äußere Faktoren (Bundestrend) zurückzuführen. Es handelt sich auch nicht allein (wenngleich auch) um ein Vermittlungsproblem einer “an sich guten Politik”, sondern um ein tiefgreifendes strukturelles und politisch-kulturelles Problem, das wohl typisch für Ostdeutschland insgesamt ist, aber für MV in ganz besonderer Weise zutrifft. Demokratische politische Kultur und demokratische Bürgerpartizipation sind im Lande wenig entwickelt; Politikverdruss ausgeprägt, staatsorientierte Erwartungen kultiviert. Wenn diese nicht erfüllt werden, zumal von einer sozialdemokratisch geführten Regierung, wechselt der Wähler seinen Hoffnungsträger. Längerfristige Parteibindungen gibt es ohnehin wenig (mit Ausnahme des PDS-Klientels). Demokratische Öffentlichkeit ist zu wenig erlebbar (siehe oben).

Für die rückläufige Stimmung und Zufriedenheit mit der Koalition haben wir im Rahmen der Exploration weitere Gründe identifizieren können:

a)      unrealistische Erwartungen in der Bevölkerung über den Gestaltungsspielraum und die Gestaltungsmöglichkeiten einer Landesregierung

b)      Bürger nehmen ihre Existenzbedingungen als relative Einheit wahr und unterscheiden in dieser Hinsicht nicht trennscharf, welche Effekte der Landesgierung, der Bundesregierung oder nicht-politischen Mächten, Gestalten und Gewalten zuzurechnen sind

c)      Koalition ist in unterschiedlichem Maße in der Lage, Interessengegensätzen und Interessenunterschieden in ihrer Politik Rechnung zu tragen

d)      konsensorientierte, die Interessenlage der Partner berücksichtigende Politik führt zu einem vorsichtigen, “wenig mutigen” Agieren, welches letztlich weder die der Koalition nahestehenden wie die ihr ferner stehenden sozialen Akteure befriedigt (vgl. Tabelle 2)

e)      einmal gegebene Zustimmungen bleiben an eine Reihe von Bedingungen und Rückzugsklauseln gebunden; Akzeptanz wird in hohem Maße konditional, kontingent und kontextabhängig (“Strukturwandel gesellschaftlicher Akzeptanz”)

f)        Koalition besitzt nicht die geistig-moralische Führerschaft im Lande, sie hat nur eine begrenzte Definitionsmacht in den verschieden Arenen öffentlicher Kommunikation, ja es mangelt ihr an Strategien, wie sie mit ihren Themen und Deutungen in die Öffentlichkeit kommt.[120]

Betrachtet man speziell die Akzeptanz der PDS-Regierungsbeteiligung, ist zunächst einmal zu konstatieren: Die PDS hat ihre Pressearbeit intensiviert. Ihre Minister profitierten einmal davon, dass sie als Neulinge im Amt mit einer größeren öffentlichen Aufmerksamkeit und Neugier rechnen konnten. Zum anderen wird von ihnen ein nach außen sichtbarer, konsensorientierter, für Interessenlagen der Partner zugänglicher Politikstil gepflegt. Weiterhin soll hinsichtlich der Akzeptanz von PDS-Beteiligung im Lande auf folgende spezifische Problemlagen aufmerksam gemacht werden:

a)      Die Akzeptanz der PDS-Beteiligung bei jenen Organisationen im Lande, die traditionell eine relativ wohlwollende Positionen gegenüber der PDS haben bzw. wo die PDS traditionell relevante Wählerpotentiale hat (z.B. Gewerkschaften, Kleingärtnerverband, eine Reihe von Sozialverbänden wie z.B. die Volkssolidarität). Hier sind die Beziehungen offener, selbstbewusster seitens der Verbände und auch kritischer geworden. Die Regierung wird als Partnerin gesehen, von der man erwartet, eine stärker sozialorientierte Politik zu betreiben.

b)      Die Akzeptanz bei jenen Organisationen im Lande, die traditionell mit der PDS keine oder relativ wenig Verbindungen hatten (so z.B. Unternehmerverbände, Kommunalverbände, kassenärztliche Vereinigungen, Sozialversicherungen, Krankenhausverband, BUND u.a.). Hier ist etwas in Bewegung geraten. Man redet mit den PDS-Ministern auf sachbezogener Grundlage, weil sie nun einmal die Mitregierenden sind; man betrachtet sie als Verhandlungspartner, die durchaus lernfähig und auch für Sachargumente aufgeschlossen sind. “Holter ist ein Mann, mit dem man reden kann und der weiß, wovon er spricht” – so ein Vertreter aus dem Bereich der Unternehmerverbände. Methling wird von Wirtschaftsvertretern hohe Sachkompetenz bescheinigt. Bunge wird vom Weihbischof Werbs bescheinigt, dass sie die Kirche “sehr korrekt” behandle und dass die PDS durchaus nicht so ein monolithischer Block sei, wie es manchmal scheine.

c)      Die Akzeptanz auf Bundesebene: Hier werden PDS-Beteiligung und PDS-Minister inzwischen zumindest weitgehend toleriert – wirtschaftliche und politische Blockaden wurden viel heraufbeschworen, sind aber, wenn man konkret fragt, selbst aus CDU-Sicht nicht bekannt geworden. In der praktischen Arbeit im Bundesrat bzw. in den Minister- und Staatssekretärsrunden der Länder sind die 3 PDS-Ministerien als gleichwertige Partner akzeptiert; ihre Vorschläge wurden z.T. (besonders von anderen ostdeutschen Ländern) aufgenommen, so z.B. hinsichtlich des Risikostrukturausgleiches bei den Krankenkassen oder hinsichtlich einer bruttoinlandsproduktorientierten Dynamisierung des mit der Gesundheitsreform geplanten Globalbudgets.

Ist Akzeptanz “die Chance, für bestimmte Meinungen, Maßnahmen, Vorschläge und Entscheidungen bei einer identifizierbaren Personengruppe ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung zu finden und unter angebbaren Bedingungen aussichtsreich auf deren Einverständnis rechnen zu können” (Lucke 1995: 104), so gilt schon für die Koalitionsbildung noch mehr aber für die Koalition im Amte als solche, dass sie von den Verbänden als selbstverständlicher Adressat und Verhandlungspartner angenommen und ebenso von der Mehrheit der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns als “normale Regierung” akzeptiert wird. Wer innerhalb und außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns mit der kollektiven Nicht-Akzeptanz der SPD-PDS-Koalition in der Bevölkerung, zumindest aber in der Wirtschaft gerechnet hat, muss seine Erwartungen korrigieren.

Die Koalitionäre haben überdies in hohem Masse realisiert, dass sie um Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Verbänden werben müssen. Sie praktizieren ein dezidiertes “Akzeptanzmanagement”, das vor allem mit Blick auf die Verbände recht erfolgreich ist. “Während die ‚Legitimation qua Verfahren’ lediglich die Akzeptanz des Verfahrens bei den Verfahrensbeteiligten zur Voraussetzung hatte, wird die ‚Legitimation qua Akzeptanz’, etwa als ‚Akzeptanz qua Partizipation’, über Verfahrensbeteiligung erst hergestellt. Sie gelingt oft auch dort, wo Entscheidungsergebnisse ohne diese Beteiligung nicht akzeptiert worden wären.” (ebenda: 476).

Wenngleich vor allem die Unternehmerverbände der neuen Koalition gegenüber kritisch eingestellt waren und sind[121], verhalten sie sich ihr gegenüber pragmatisch, interessengeleitet und pflegen eine an der Lösung von Problemen orientierte Zusammenarbeit. Diese Haltung wurde bereits bei der Bildung der Koalition deutlich.Detailseite (Publikation)[122]

Auf der anderen Seite steht die Koalition vor dem Problem, ihre Unterstützung, die sie faktisch von einem Großteil der Führungspersonen in Gewerkschaften und einigen Sozialverbänden hatte, nicht zu verlieren. Am Beispiel der Gewerkschaften zeigt sich das so: Hier wird befürchtet, dass die Regierung aus dem guten Verhältnis mit den Gewerkschaften offenbar die falsche Schlussfolgerung gezogen habe, lieber den Unternehmerverbänden entgegenzukommen als den Gewerkschaften. Das Einverständnis von PDS-Arbeitsminister HolterDetailseite (Publikation)[123] mit dem Lohnabstandsgebot beim ÖBS sei von der Sache her völlig unbegründet und unnötig gewesen und zudem ein Tiefschlag gegen die Interessen der Gewerkschaften. Es habe sich mittlerweile eine hohe Unzufriedenheit in den Gewerkschaften mit der Regierung eingestellt. Man werde die Koalitionsregierung nicht mehr einfach wegen ihrer politischen Farben unterstützen, sondern an den tatsächlichen Ergebnissen messen. Und diese bedeuten zum Beispiel, dass das Problem der Arbeitslosigkeit nicht einmal in Ansätzen einer Lösung zugeführt wurde. Auch beim Lehrerpersonalkonzept gebe es bisher keine weiterführenden Lösungen. Der Ministerpräsident habe versprochen, dies zur Chefsache zu machen, ohne dies tatsächlich zu tun. Ähnlich ungelöste Probleme gebe es für eine Ausbildungseinrichtung in Neubrandenburg. Und beim Bildungsfreistellungsgesetz, das schon seit 1996 als Referentenentwurf vorliegt, sei bis heute nichts Neues passiert. Ein weiteres, von der Regierung bislang nicht angepacktes Problem sei der Beförderungsstau bei der Polizei und damit die Frage nach der Perspektive der jungen Polizeibeamten.

Die Enttäuschungen, die es im Bereich der Gewerkschaften gibt, liegen somit nicht in zu hohen Erwartungen begründet, sondern in ganz konkreten Fragen, wie die Regierung handelt oder eben nicht handelt. Die Regierung wird sich darauf einstellen müssen, dass sie auch von den traditionell verbündeten Organisationen zunehmend nur noch dann unterstützt wird, wenn sie – selbst dann, wenn aus finanziellen Gründen nicht immer gleich eine Lösung möglich ist – transparent und entschlossen die aufgeworfenen Probleme angeht.

4.7 Akteurskonstellationen und Machtbalancen

Die Bildung der rot-roten Koalition stellt den gravierendsten Umbruch politischer Akteurskonstellationen dar, die es nach 1990 je in einem ostdeutschen Bundesland seit der Wiedereinführung der Länder gegeben hat. Ob dieser Umbruch gleichzeitig auch Veränderungen im Gesamtgefüge der Akteurskonstellationen und Machtbalancen nach sich zieht, muss sich erst noch herausstellen. Im Rahmen der Exploration sind wir dieser Frage nachgegangen und haben hierfür einige Hinweise erhalten, die jedoch einer genaueren Untersuchung bedürften. Im folgenden listen wir diese Hinweise auf:

1.      “Die Rolle der Verbände im Lande wird allgemein überschätzt, so von der Presse und auch Verwaltung. Das ist nicht so wie im Westen... Vieles steht auf tönernen Füßen... Die Gewerkschaften wie die Unternehmerverbände verlieren Mitglieder...”[124] Diese Deutung lässt allerdings unterschiedliche politische Schlussfolgerungen für die Arbeit der Koalition mit Verbänden zu: a) Man müsse zwischen wichtigen und weniger wichtigen Verbänden unterscheiden, Exit und Voice letzterer nicht so ernst nehmen; b) obgleich die Verbändelandschaft schwach entwickelt ist, bündeln sich in den Verbänden Interessen. Sie sind daher allesamt als Partner aktuellund perspektivisch relevant. Für beide Haltungen haben wir im Rahmen der Exploration Ansatzpunkte gefunden, obgleich natürlich für die Koalitionäre die Maßgaben der Präambel der Koalitionsvereinbarung leitend sind. Es handelt sich eher um Nuancierungen. Als rohe Faustformel lässt sich vorläufig festhalten: die Newcomer aus der PDS scheinen eher Haltung b) zu präferieren, während SPD-Minister eher schon mal nach Variante a) agieren.

2.      Für die Gewerkschaften und Sozialverbände haben sich die informellen Zugangsmöglich­keiten zu Regierungsakteuren entschieden verbessert und sie werden auch in offizielle Konsultationsmechanismen in stärkerem Maße als zuvor eingebunden. Dagegen haben sich informelle Zugangsmöglichkeiten der Kirchen zu Regierungsvertretern verringert. Die Erhöhung oder Verringerung der informellen Einflussmöglichkeiten und der Bedeutungsgewinn der Gewerkschaften und Sozialverbände gegenüber dem Status quo ante impliziert jedoch nicht etwa Bedeutungsverluste, Machteinbußen für andere Akteure. Weil die Koalition eine dezidierte Strategie der Anhörung, Einbeziehung aller relevanten Interessengruppen in Entscheidungsprozesse betreibt, handelt es sich um kein Nullsummenspiel.

3.      Die Interessengruppen, Verbände adressieren ihre Forderungen an die Regierung. Für die SPD, die bereits in der zweiten Legislaturperiode das Land regiert, ist das nichts Neues, wohl aber für die PDS. Sie avancierte vom Transporteur der Forderungen einiger ihr nahestehender Verbände zum Adressaten und unterhält nunmehr – als Regierungspartei! – auch Beziehungen zu jenen Verbänden, zu denen sie vorher keine hatte. Dies gilt freilich weniger für die PDS als Landesverband als für die von der PDS gestellte Ministermannschaft und die Fraktion des Landtages, die Ausschuss- und Arbeitskreisarbeit im Landtag. Die PDS-Vertreter beeindrucken offensichtlich ihre Verhandlungspartner durch Sachkompetenz und Verlässlichkeit. In der SPD haben wirtschaftsliberale Positionen an Einfluss verloren – so zumindest die Reflexion eines Vertreters der Gewerkschaften.

4.      Nicht verifiziert oder falsifiziert werden konnte die Einschätzung eines/r Gesprächspartners/-partnerin, der zufolge die praktische Koalitionsarbeit einen beträchtlichen Teil der Bedenkenträger oder gar Gegner der Koalition innerhalb der SPD zur Korrektur ihrer Position veranlasst hätte, mithin die Zustimmung zur Koalition bei der nächsten Abstimmung noch größer ausfallen dürfte als 1998.

5.      Bei etwa gleichem realen Einfluss veränderte sich die öffentliche Wahrnehmung anderer sozialer Akteure. “Weil die CDU aufgrund ihrer Oppositionspolitik ausfällt, werden wir als eigentlicher Gegenpol der Regierung wahrgenommen und werden im Unterschied zu früher zu allen Fragen genötigt, Stellung zu beziehen.”[125]

6.      Nach der Koalitionsbildung auf Landesebene kam es im Gefolge der Kommunalwahlen dazu, analoge Koalitionen unterhalb der Landesebene zu bilden. In den Kommunen kommt es zuweilen zu unerwarteten Allianzen, etwa zwischen der PDS und der lokalen Wirtschaft gegen “wirtschaftsfeindliche” Vorhaben der örtlichen CDU.

7.      Es zeichnet sich eine gewisse Nähe” in Problemwahrnehmung, Deutungen (“Wirtschaftspolitik ohne Visionen”) und partielle “Aktionseinheit zwischen der Vereinigung der Unternehmerverbände und Gewerkschaften im Lande ab.

8.      “Die CDU hat ihren Rückhalt in den Gewerkschaften und in der Arbeitnehmerschaft verloren. Das ist noch anders als Mitte der 90er Jahre. Da gab es eine unvoreingenommene Einstellung gegenüber der CDU – heute nicht mehr.”Detailseite (Publikation)[126]

9.      “Das Bündnis für Arbeit hätte auch dann noch einen Sinn, wenn es keine Verbesserungen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erzielen würde: In diesem Lande hat sich in den letzten Jahren so viel verändert, das sich die Entscheidungs- und Verantwortungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht kennen. Und wenn sie sich doch von früher kennen sollten, so haben sich doch die von ihnen eingenommenen Rollen und Positionen verändert, so dass es schwer fällt einzuschätzen, was von ihnen in ihrer neuen sozialökonomischen oder sozialen Rolle zu erwarten ist. Institutionalisierte Gesprächsrunden wie etwa das Bündnis für Arbeit sind geeignet, diese missliche Situation zu wenden.”[127] Diese Problemsicht eines zugewanderten Akteurs widerspricht auf den ersten Blick der Aussage im Kapitel 2, der zufolge die Eliten überwiegend aus der Region stammten. Sie bietet aber auch eine plausible Erklärung für Kommunikationsdefizite. Andere Gesprächspartner hingegen bewerteten die Kommunikations- und Netzwerkwirkungen des Bündnisses für Arbeit gerade umgekehrt: Mangels Ergebnisorientierung verfielen das Bündnis samt seiner Kooperationschancen.

10.  Über die Haltung der Medien zur Koalition und die Medienarbeit der Koalitionäre liegen keine stimmigen Einschätzungen vor. Da aber der Einstieg in eine Reformpolitik ohne geistig-moralische Führerschaft weder gelingen noch praktisch werden kann, sind hierzu spezielle Analysen dringlich.

Die Rückwirkung der Koalitionsbildung und Koalitionsarbeit auf die Parteien gehört zu den zentralen Fragestellungen, die wir mir unserer Studie verfolgen. Im Rahmen der Exploration waren nur erste Annäherungen an die gegenwärtige Verfasstheit möglich. Wir erwarten, diese Lücke bei der weiteren Arbeit am Projekt zu schließen.

5. Zusammenfassung: Ansätze und Herausforderungen eines Politikwechsels in Mecklenburg-Vorpommern

Das Wort “Politikwechsel” stand als Symbol einer Ablösung der bis Oktober 1998 bestehenden CDU-SPD-Regierung und eines neuen Aufbruchs im Lande. Es fand seine Verwendung in den Wahlkämpfen des Jahres 1998 und diente der Legitimation der neu konstituierten Regierungskoalition in ihrer “Startphase”. Inzwischen hat die Zeit die Verwendung dieses Begriffes überholt, es stellt sich aber die Frage, ob dieser Abschied nur dem “Wort” oder auch dessen inhaltlichen Dimensionen gilt. Heute spricht die Regierung von den “fünf großen Zukunftsaufgaben”[128], die zu bewältigen sind. Ganz gleich, wie man es ausdrückt, lohnt es sich der Frage nachzugehen, ob es seit dem Antritt der neuen Regierungskoalition Veränderungen in den Qualitätsmerkmalen der Landespolitik gibt, worin sie gegebenenfalls bestehen und wie sie zu bewerten sind, welche Wirkungen sie zeitigen, welche Defizite und neuen Herausforderungen sich auftun.

Ansätze eines Politikwechsels sehen wir – zusammengefasst – in folgenden Punkten, die auf Veränderungen politischer Inhalte und Formen der SPD-PDS-Koalition weisen:

1.      Als Zeichen eines gravierenden Veränderung im Lande, einer Wende bzw. eines Politikwechsels wurde deutschlandweit an sich schon die Tatsache reflektiert, dass SPD und PDS die erste rot-rote Koalition in Deutschland bildeten. Wir halten es zwar für zweifelhaft, dass eine bestimmte Koalition schon ein Wert “an sich” sein kann. Nimmt man aber die deutschlandweiten Reaktionen in den Medien auf die Bildung der rot-roten Koalition, ist Fakt, dass diese Reaktionen nicht wegen irgendwelcher konkreter politischer Vorhaben erfolgten, sondern “an sich” schon auf die Bildung dieser Koalition. Nicht nur als Regierungsform war dieser Schritt in Deutschland neu, sondern auch gemessen an den bisherigen Erfahrungen und politischen Orientierungen der beiden beteiligten Parteien. Bei der rot-roten Koalition handelt es sich um die Bewältigung eines gravierenden Umbruchs politischer Akteurskonstellationen, wie er beispielweise nur vergleichbar wäre mit den ersten rot-grünen Koalitionen in anderen Bundesländern. Inwieweit diese Akteurskonstellation das Land wesentlich voranbringen kann und vor allem, ob hiermit eigenständige politische Inhalte verbunden sind, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Bemerkenswert an der Veränderung der Akteurskonstellationen ist zunächst die Tatsache, dass beide Partner der Regierungskoalition von den gesellschaftlichen Akteuren im Lande als Adressat ihrer Interessenartikulation und überwiegend auch als kompetente Partner oder Kontrahenten akzeptiert werden. Man könnte sagen, das ist Normalität. Neu ist allerdings, dass für die PDS-Seite der Kreis der Ansprechpartner wesentlich größer und differenzierter geworden ist, ohne dass der Wirkungskreis von SPD und CDU kleiner geworden wäre. Außerdem haben sich Inhalte und Formen der Kooperation verändert.

2.      Das Land kam durch die Bildung einer handlungsfähigen Regierung aus einer mehrjährigen innenpolitischen Blockadesituation heraus. Seit langer Zeit gibt es wieder eine kooperative, sachorientierte, beiderseits kompromissbereite, aber nicht konfliktfreie Zusammenarbeit innerhalb der Regierung und zwischen den regierungstragenden Koalitionsfraktionen im Landtag. Dadurch sind prinzipiell neue Grundlagen für die landespolitische Gestaltungskraft von Regierungspolitik geschaffen worden. Das ist keine Frage von “links”, “Mitte” oder “rechts”, macht auch noch keine Reformpolitik, ermöglicht aber politische Handlungsfähigkeit. Vernetzungen und Bündelungen von Förderungen werden eher möglich und wurden – wenngleich erst in Anfängen – realisiert (z.B. eine Nutzung von Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit für Menschen, die noch nie sozialversichert waren). Weiterhin konnte die Regierung auf dieser Grundlage eine Reihe von Problemen lösen, die teils schon unter der Vorgängerregierung thematisiert worden waren, jedoch nicht zum Ergebnis gebracht werden konnten (Rostock-Laage; Tourismus-Projekte; Abfallwirtschaftsordnung; Regulierung von Konflikten zwischen Tourismuswirtschaft, Landwirtschaft und Umwelt). Neue Initiativen wurden bei der Ausgestaltung und Akzentuierung von EU-Richtlinien und Bundesgesetzen, in von MV ausgehenden Bundesratsinitiativen (z.B. Verbandsklagerecht), beim Übernehmen, Aufnehmen politischer und sozialer Innovationen aus anderen Bundesländern und dem Ausland (z.B. Arbeitsmarktpolitik) ergriffen.

3.      Auf dauerhafte, stabile und neue Grundlagen wurde der bereits 1997 eingeleitete Kurs der Haushaltssanierung gestellt. Die Politik ging zu einer langfristigen Konzeption und Praxis nachhaltiger Haushaltssanierung über und beginnt in ersten Schritten, auf dieser Grundlage das Land zu gestalten. Neu ist hierbei insbesondere auch die Tatsache, dass die PDS diesen Kurs von Beginn an mitträgt, mitgestaltet, allerdings nicht unter allen Bedingungen (siehe hierzu die Ausführungen im Abschnitt 4.3 zum Landesparteitag der PDS vom 11. März 2000). Noch bleibt die Frage offen, ob mit dem Haushalts-Sanierungskurs eine Schwerpunktverlagerung der Politik gerade auf dieses Feld erfolgt oder ob Haushaltssanierung als Mittel, als Chance und Herausforderung genutzt wird, politische Ziele für eine sozial gerechtere und zukunftsfähige Entwicklung des Landes zu entwickeln bzw. neu zu definieren. Ein Politikwechsel, der gerade darin besteht, die Haushaltssanierung an sich in den Mittelpunkt zu stellen, wäre genauso perspektivlos für das Land wie ein Politikwechsel, der neue politische Ziele an den Herausforderungen der Haushaltssanierung vorbei entwickelt. Ein tatsächlicher Politikwechsel, der reformoffen und zukunftsfähig ist, kann nur durch die Verknüpfung dieser beiden Seiten erreicht werden. Wie dieser Zusammenhang bewältigt wird, ist noch offen.

4.      Der Politikstil der Regierung und der sie tragenden Koalitionsparteien ist merklich kommunikativer geworden. Politische Prozesse werden deutlich mehr in einem diskursiven Kontext und als Verhandlungsprozesse mit den Organisationsträgern von Interessengruppen geführt (exemplarisch: Bündnis für Arbeit; Verhandlungsprozesse um FFH-Gebiete, Krankenhausplanung). Es besteht die Möglichkeit (aber nicht die Gewähr), dass die Akzeptanz bei den verschiedensten Interessenverbänden weniger von ideologischen Dispositionen oder traditionellen Bindungen ausgeht, sondern sich eher auf Kooperation und Einbeziehung in Entscheidungsprozesse stützen kann. Dadurch würden tendenziell die Akteurskonstellationen im Lande auf neue Grundlagen gestellt, würden natürlich daraus auch neue Ansprüche an die Politik erwachsen.

5.      In einer Reihe von Projekten und Handlungsmustern finden Politikinhalte der Demokratie, der Versöhnung und der Gerechtigkeit einen größeren Niederschlag als zuvor. Für Demokratieverbesserungen sprechen die Einführung des Wahlrechts ab 16 Jahre (kommunale Ebene), Verbesserung der demokratischen Rechte in den Schulen, Stärkung von Mitspracherechten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Für die Umsetzung des Versöhnungsgedankens spricht der Verzicht auf eine Art der Auseinandersetzung, die dem politischen Gegner die Würde nimmt; daneben könnte es der Verzicht auf die “Regelanfrage” beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit sein, wenn dies – was bislang zu wenig der Fall ist[129] – mit einer differenzierteren öffentlichen Vergangenheitsbewältigung einherginge. Und für mehr Gerechtigkeit sprechen die Bestrebungen, Arbeitslosen eine Chance über die Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors zu geben, den Zukunftschancen junger Menschen größere Aufmerksamkeit zu widmen (Mobilitätshilfen, “Jugend baut”, Etablierung von Jugendfirmen, Projekt DUO usw.), Gleichstellungsfragen zwischen Mann und Frau als ressortübergreifendes politisches Anliegen zu entwickeln, das soziale Beratungs- und gesundheitliche Betreuungsnetz auszubauen oder die umstrittene Förderung des privaten Erwerbs von Plattenbauwohnungen).

Diese fünf Punkte, die wir hiermit herausstellen, werden bei den von uns befragten Akteuren außerhalb des Regierungslagers zwar konzediert, aber nur auf ausdrückliche Nachfrage, nur vereinzelt und nur im Kontext mit kritischen Gegenargumenten. Wenngleich mit unterschiedlichen Intensionen und stark variierenden inhaltlichen Argumenten, wird die Bilanz zum Teil auch innerhalb des Regierungslagers kritischer als hier dargestellt gesehen, besonders innerhalb der PDS.

Übereinstimmend wird von allen Akteuren keine neue Gesamtqualität des Regierungshandelns wahrgenommen. Wenn sie nicht wahrgenommen wird, kann folglich von ihr auch kein Motivations- oder Innovationsschub ausgehen. Es gibt – so kann man insgesamt einschätzen – Ansätze eines Politikwechsels, aber keinen Politikwechsel, keine neue Gesamtqualität der Politik auf Landesebene. Es wird mehr diskutiert im Lande – das ist der Ansatz einer Veränderung der politischen Kultur – aber es gibt noch keine neue politische Kultur und kein neues politisches Klima im Land. Gleichwohl hat die Koalitionsbildung zwischen SPD und PDS einige politisch-klimatischen Verbesserungen gebracht, vor allem hinsichtlich der Partnerschaft im Regierungslager und deren allgemeiner Akzeptanz im Lande. Von einer neuen geistig-moralischen Führerschaft bzw. Hegemonie im Lande durch die Koalition kann man jedoch nicht sprechen. Im Gesamtbild überwiegt die Kontinuität – manche Gesprächspartner drückten es kritischer aus: Es gibt nicht viel Neues. Sie drücken dabei vor allem auch aus, was mehrheitlich in der Bevölkerung empfunden wird. Der Regierungswechsel wurde nur ansatzweise zu einem tatsächlichen Politikwechsel fortgeführt. Positiv gewendet, betonen vor allem Führungskräfte in der Ministerialverwaltung, dass es eine sinnvolle Kontinuität des Regierungshandelns gäbe. Möglicherweise wäre es nach 15 Monaten auch nicht realistisch, einen tatsächlichen “Politikwechsel” zu erwarten. Die Frage ist jedoch, ob diese Ansätze erweitert und vertieft werden können, so dass sie im Lande mit wachsender Zustimmung wahrgenommen werden. Auch diese Frage ist heute noch offen.

Am kritischsten wird unter den befragten Akteuren – sei es innerhalb des Koalitionslagers oder außerhalb – eine gewisse Entscheidungsschwäche wahrgenommen. Zwar wird zugestanden, dass die Spielräume relativ gering sind, andererseits wird angemahnt, dass die Möglichkeiten nicht konsequent genutzt werden, dass es an Beweglichkeit und Weitsicht fehle. [130] Schwerer noch wiegt, dass der Koalition seit dem Streit um die schulartenunabhängige Orientierungsstufe das Merkmal zugeschrieben wird, möglicherweise nicht einmal solche Beschlüsse verwirklichen zu können, die klar in der Koalitionsvereinbarung festgelegt waren und zudem nicht zu den schwierigsten Problemen des Landes gehören; weiterhin, dass zumindest eine der beiden Koalitionspartner (die PDS) wie auch überparteiliche Organisationen (Gewerkschaften; Landeselternbeirat) ein Abgehen der SPD von der Koalitionsvereinbarung in diesem Punkt fürchten.

Auf welchen Gebieten es für Mecklenburg-Vorpommern in nächster Zeit dringende Reformbedarfe gibt, haben wir bei der Erarbeitung unserer Studie erfragt; hieraus sind eine Reihe von Anregungen entstanden, die wir weiter verarbeitet haben:

a)      Welche Leitideen gibt es für die Entwicklung MV? Was wird für MV in der Perspektive typisch und beispielhaft sein? Traditionelle Bereiche wie Schiffbau, landwirtschaftliche Massenproduktion und Tourismus und/oder eher: moderne Technologien (z.B. Biotechnologie), moderne Bildung/Weiterbildung, gezielte Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft, regionale Wirtschaftskreisläufe, ökologsch orientierte Landwirtschaft und moderne Infrastruktur? Die Landesregierung formuliert derzeit die oben genannten “5 Zukunftsaufgaben” (vgl. Anm. 128). Aber sind das schon wirklich die Leitideen für die Entwicklung des Landes? Unseres Erachtens müssen diese erst erarbeitet werden, sowohl für die Entwicklung des Landes als Ganzes als auch für dessen Sub-Regionen. Man müsste einen Weg finden, traditionelle Identitäten Mecklenburg-Vorpommerns mit einem neuen Zukunftsdenken zu verbinden.

b)      Ausgehend von den zu formulierenden Leitideen müsste u.E. der Zwang zur Haushaltskonsolidierung noch besser mit ministeriell übergreifender Politikgestaltung verbunden werden; das geht nur, wenn schrittweise Schwerpunkte im Sinne der Leitideen für die Entwicklung des Landes gesetzt werden und Finanzierungen langfristig (ohne radikale Brüche) darauf orientiert werden; denn sicher lässt sich nicht alles halten, was derzeit finanziert wird;

c)      Prioritäten, Mechanismen und Effizienzen der Landesförderpolitik sind zu überprüfen nach Gesichtspunkten der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit, hierbei die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts zu verbessern und nach Synergieeffekten zu suchen. Dieses Vorhaben steht tatsächlich in der Terminplanung der Koalition, und wenn man das ernst nimmt, würden erhebliche Umorganisationen von Landesfördermitteln erfolgen, die unweigerlich auf Verteilungskonflikte stoßen. Unsere Frage der Untersuchung ist es, welche Akteurs- und Interessenkonflikte hierbei auftreten, inwieweit die Umorganisation nicht nur unter dem Gesichtspunkt des “Sparzwangs” entwickelt wird, sondern Reformfenster und somit neue Entwicklungschancen eröffnet werden können.

d)      Die prekäre Lage auf dem Arbeitsmarkt erfordert vor allem auf dem 1. Arbeitsmarkt, neue Wege zu gehen, internationale Erfahrungen aufzuarbeiten und Experimente zu versuchen; in diesem Zusammenhang gewinnt als Ergänzung auch die Suche nach neuen Lösungen im Bereich Gemeinwohlorientierter Arbeitsförderprojekte (GAP) bzw. des ÖBS an Gewicht; ÖBS könnte zu einem modernen gemeinwohlorientierten Dienstleistungsbereich werden, der sich neben einer öffentlichen Grundförderung auch eigenfinanzieren kann und leistungsorientiert stimuliert wird;

e)      Notwendigkeit einer Verwaltungsreform, die auf mehr Bürgernähe, Dienstleistungsorientierung, Transparenz und Ressourceneinsparung zielt; hiermit verbunden ist auch die systematische Suche nach Vereinfachungen von Gesetzen, Rechts- und Verwaltungsvor­schriften. Moderne administrative Steuerungsprozesse sollten nicht mit neuen Zentralisierungen bei der Ministerialverwaltung einhergehen, sondern mit Subsidiariät, Eigenverantwortung, Stimulierung regionaler Netzwerke.

Zu den gravierenden Herausforderungen, denen sich die Landespolitik zu stellen hat, gehört die Tatsache, dass die Haushaltslage perspektivisch deutlich enger wird, will man die Sanierung weiter vorantreiben. Allein auf Grund des prognostizierten Bevölkerungsrückganges[131] ergeben sich bei der Umsatzsteuerverteilung, beim Länderfinanzausgleich und der Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen gegenüber 1999 Mindereinnahmen von 40 (im Jahre 2000), 71 (2001), 95 (2002) und 116 (2003) Mio. DM. Die Einnahmen aus Steuern, Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen werden – so wurde schon in der mittelfristigen Finanzplanung berechnet – z.B. im Jahre 2002 um 196 Mio. DM geringer sein als noch beim Finanzplan 1998-2002 berechnet.[132] Im Frühjahr 2000 kam eine neue Rechnung hinzu, nach der ein zusätzlicher Einnahmeausfall in Höhe von 199 Mio. DM (bereits saldiert durch erwartete Mehreinnahmen) entsteht infolge steuerrechtlicher Änderungen des Bundes. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Solidarpakt I im Jahre 2004 ausläuft und die Konditionen für einen Solidarpakt II ab 2005 für das Land gewiss härter werden. Realistische Politikgestaltung – gleich von welchem inhaltlichen Ansatz aus sie verfolgt wird – hat hiervon auszugehen.

Nicht zuletzt geht es um den schrittweisen, aber gezielten Aufbau einer demokratischen Öffentlichkeit im Lande und besonders auch in den Kommunen, ohne die die Einleitung von zukunftsfähigen Reformen kaum vorstellbar ist. Wir konnten nicht oder bestenfalls marginal feststellen, dass es medial vermittelte öffentliche Diskurse über grundlegende Fragen der Entwicklung des Landes gäbe. Die Medien bedienen eher die Lust auf Sensation und Konflikt als die Mühen des inhaltlichen Diskurses.

Die demokratische Bürgergesellschaft, die sich von “unten” her in die politischen Prozesse einbringt, ist noch zu wenig entwickelt. Oder – auch darüber wäre nachzudenken – sie ist von den kulturellen Eigenheiten der Menschen im Lande auf besondere Weise geprägt. Die demokratische Bürgergesellschaft oder “Zivilgesellschaft” in Mecklenburg-Vorpommern wird ohne Zweifel andere kulturelle Merkmale aufweisen als jene in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen. Hiervon wäre auch in der Politik auszugehen. Wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen indes hierzu noch.

Ein damit verbundenes, von den Parteien noch nicht aufgegriffenes Thema der Entwicklung politischer Kultur besteht in der Förderung bürgergesellschaftlichen Engagements, in der Vereinfachung oder Beseitigung von Hürden für Bürgeranfragen, demokratischer Bürgerinitiativen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Einiges ist in Richtung von Demokratieverbesserungen zweifellos im Verlaufe des letzten Jahres eingeleitet worden (z.B. Reduzierung des Wahlalters usw.), jedoch ohne besondere Resonanz in der Bevölkerung. Der in der Bevölkerung weit vorherrschende politische Frust kann nur aufgelöst werden, wenn sich nicht nur in der Koalition, sondern auch im Lande selbst, in der Öffentlichkeit ein neuer Stil des Dialogs und der sachorientierten Auseinandersetzung entwickelt.

Moderne, reformorientierte Politik hat nun mal – anders als strukturkonservative Politik – nur eine Chance, wenn sie auf öffentliche demokratische Debatten und öffentliche demokratische Lernprozesse setzt. Dies scheint eine der wichtigsten Herausforderungen und Voraussetzungen für progressive Reformprozesse zu sein.

Zur Zeit gehen solche öffentlichen Debatten aber von keinem der beiden Koalitionspartner hinreichend aus. Dabei gäbe es genügende Sachfragen, die eine solche öffentliche Debatte verdient hätten:

§         Zum Beispiel zu den von der Regierung formulierten 5 Zukunftsaufgaben

§         Oder zur schulartenunabhängigen Orientierungsstufe; wichtiger noch: zu den Inhalten und Formen moderner Bildungspolitik.

§         Wozu und in welche Richtung braucht man eine Novellierung des Kita?-Gesetzes?

§         Wie sollen die Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung gesetzt werden?

  • In welche Richtung soll sich eine Reform des öffentlichen Sektors und der öffentlichen Verwaltungen vollziehen?

usw.

Eine weitere Herausforderung wird darin bestehen, die kooperativen Beziehungen zwischen den beiden Koalitionspartnern weiterzuentwickeln. Dazu gehört sowohl die Profilierung der eigenständigen Positionen innerhalb beider Parteien als auch die gezielte Suche nach den gemeinsamen Schnittmengen. Kompromissfähigkeit und gemeinsames Konfliktmanagement zwischen den Koalitionspartnern, so wichtig und so kompliziert das auch ist, reichen aber für moderne Politik nicht aus. Die Kooperationsmechanismen sind derzeit noch zu sehr auf Fehlervermeidung und zu wenig auf die Etablierung neuer Politikansätze gerichtet, sie bringen zu wenig Ideen, Anregungen, Motivationen hervor. Und es gibt ein weiteres Problem: Den Schwierigkeiten, die sich in den Beziehungen der beiden Koalitionspartner in der letzten Zeit anbahnten, liegen unterschiedliche Gesellschafts- und Politikvorstellungen zugrunde – sei dies z.B. beim Streit um die schulartenunabhängige Orientierungsstufe oder bei einer scheinbar banalen Frage wie der von der SPD jüngst vorgeschlagenen Kreation eines “Mecklenburg-Ordens”. Diese unterschiedlichen Gesellschaftsvorstellungen sind einerseits normal und legitim, andererseits – und hier liegt das Problem – interessieren im Lande diese unterschiedlichen normativen Vorstellungen der Parteien wenig, sind oft nicht einmal nachvollziehbar. Hier zählt nur eines: Werden pragmatisch und allgemein nachvollziehbar Fortschritte bei der Lösung von Problemen des Landes erzielt oder nicht, erweitert man hierfür die Handlungsmöglichkeiten für die kommunale und sub-regionale Ebene oder nicht. Und diese Frage ist umso dringender, weil damit zu rechnen ist, dass sich auch die Oppositionspolitik in ihrem eigenen Interesse wandeln wird, dass sie perspektivisch an Sachlichkeit zunehmen wird und dabei ihr ganzes Gewicht an Kompetenzen einbringt. Dies würde die rot-rote Variante vor völlig neue Herausforderungen stellen, auf lange Sicht möglicherweise die Koalitionskarten neu mischen.

Die CDU-Opposition ist in einer bestimmten Hinsicht machtpolitisch stärker als die damalige PDS-Opposition: Die CDU war in der Lage, im letzten Jahr ihre Zustimmung in der Bevölkerung zu erhöhen, ihren Einfluss in Verbänden zu stabilisieren (Unternehmerverbände, Feuerwehrverband, THW, Landessportbund, Tourismusverband, Landkreistag). Sie nimmt direkt oder über die Verbände Einfluss auf die Landespolitik. Wir gehen aber auch davon aus, dass die CDU Mecklenburg-Vorpommerns vor einer neuen Herausforderung steht: Sie wird durch die Umkehrung des Bundestrends tendenziell dazu veranlasst, von der Fundamental-Opposition zu einer Sachopposition überzugehen. Ansonsten würde sie zusätzlich an Boden verlieren. Hinzu kommt, dass schon jetzt die CDU-nahen Verbände Rot-Rot nicht boykottieren, sondern in konstruktiver Sacharbeit ihre definierten Interessen durchzusetzen suchen. Und während die CDU-Fraktion im Landtag zwar relativ geschlossen gegen Rot-Rot agiert, tendieren die CDU-Wähler im Lande wie überhaupt immer die Wählerschaft eher dahin, sich an dem zu orientieren, was sie für das Landeswohl halten. Schließlich hat die neue Koalition gerade auf dem Felde der politischen Kultur Akzente gesetzt, die normalerweise einer Blockbildung entgegenstehen.

Das tatsächliche Handeln beider Koalitionsparteien bewegte sich allerdings bislang ähnlich im Rahmen der “Blockschienen” wie jenes der Opposition selbst. Noch gehört es bei den Koalitionsparteien “zum Prinzip”, gemeinsames Abstimmungsverhalten mit der Opposition im Parlament zu umgehen, und zwar ganz unabhängig vom Inhalt der Vorlagen. Wir reden damit nicht einer Abkehr von Punkt 217 der Koalitionsvereinbarung (also “Ausschluss wechselnder Mehrheiten”) das Wort, meinen aber, dass bestimmte landespolitische Ziele (wie heute schon die Verankerung des Konnexitätsprinzips) in der Perspektive auch einen Dialogzugang zur Opposition erfordern. Eine völlig neue Situation entstünde ohnehin, wenn die Opposition zu einer sachorientierteren Oppositionspolitik überginge, für die sie – das ist anzunehmen – als ehemalige Regierungspartei über entsprechende Sach- und personelle Kompetenzen verfügt. Wenn die Koalition dann in einer solchen neuen Situation bestehen will, muss sie noch mehr als bisher einen dialogischen, innovativen und pragmatisch lösungsorientierten Politikstil entwickeln.

6. Zur Fortsetzung der Studie

Für die Fortsetzung der Studie im Zeitraum März bis Dezember 2000 beabsichtigen wir eine Konzentration auf folgende drei Schwerpunkte:

Tabelle 6: Drei Schwerpunkte der Untersuchung im Zeitraum von März-Dezember 2000

Nr.

Thema

Gegenstand

Wissenschaftlicher Ansatz

Fragestellungen

1.

Bündnis für Arbeit

Politische Agenda, Verhandlungsprozesse, Policy-Making, Implementation

Policy-Analyse,
Entscheidungsprozess­analyse mit
akteurszentriertem
Ansatz

Wie entstehen in den Verhandlungsprozessen der beteiligten Akteure Policy-Outputs? Wie verändern sich dabei die Ziele der Akteure? Welche institutionellen Leitideen, welche Akzeptanz und welche Effekte entstehen?

2.

Landesförderpolitik

Strukturen, Mechanismen, Effekte der Förderung in den Bereichen Wirtschaft, Arbeit, Soziales; Verteilungsnetzwerke, innovative und nicht-innovative Faktoren; Innovation – Effizienz – Gerechtigkeit

Integrative
Politikfeldanalyse;
Netzwerkanalyse
(qualitativ)

Welche Interessenstrukturen und welche Netzwerke bestehen auf diesem Gebiet? Welche Bündelungen von Fördermitteln erfolgen, wie erfolgt hierbei ressortübergreifende Kooperation? Inwieweit werden nachhaltige Wirkungen erreicht (z.B. für Arbeitsplätze)? Wie sind die Förderstrukturen unter Gesichtspunkten sozialer Gerechtigkeit einzuschätzen? Welche Kriterien sind für Förderungen im wirtschaftlichen und im sozialen Bereich anzulegen?

3.

Parteienpolitik und demokratische
Öffentlichkeit

Parteien im Parlament und die Entwicklung der Landesverbände der Parteien; Spannungsverhältnis von Parteienpolitik, medialer Vermittlung und demokratischer Öffentlichkeit

Qualitative Problembeschreibung

Wie werden die Politikprozesse im Parlament und in den Landesverbänden der 3 Parteien vermittelt? Wie sind die Vermittlungen zwischen Parteien und Öffentlichkeit qualitativ zu beschreiben? Welche Zugänge bestehen zu bürgerschaftlichem Engagement und zur Entwicklung einer “Bürgergesellschaft”? Welche Veränderungen gibt es in der geistig-moralischen Führung (Hegemonie) des Landes?

Bei den Untersuchungen bewegt uns die Frage, welche Auswirkungen die “rot-rote” Regierungsform auf die Inhalte und Formen von Landespolitik in ihrer Gesamtqualität und auch in einzelnen Teilbereichen hat. Wir wissen heute, dass es auf der Ebene der Bundesländer durchaus spezifische Inhalte, Formen und Resultate von Politik gibt. Sie unterscheiden sich beispielweise zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen oder zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt beträchtlich.

Die zentrale, übergreifende Frage ist für uns deshalb, ob/inwiefern auch die rot-rote Regierungsform eigenständige Politikentwürfe, Reform- bzw. Modernisierungsansätze hervorbringt bzw. überhaupt hervorbringen kann, worin sie ggf. bestehen und worin hierfür die Bedingungen, die Chancen und die Hindernisse bestehen. Uns bewegt, inwiefern sich eine SPD-PDS-Regierung von anderen Bundesländern und anderen Modernisierungs- bzw. Reformansätzen unterscheiden kann, ob sich ein veränderter Politiktyp herausbildet, der perspektivisch eine spezifische Variante ostdeutscher Modernisierungspolitik sein könnte – neben beispielsweise der konservativ geführten sächsischen Modernisierungsvariante. Dies ist heute noch offen, wäre aber eine überaus spannende Frage für den Fortgang der Studie.

Übergreifend werden hierbei auch das Verhältnis von Land und Kommunen und die praktizierten Ansätze zur Verwaltungsreform eine Rolle spielen. Denn Modernisierung und Reformpolitik erfordern offensichtlich sowohl eine Stärkung dezentraler Ebenen wie gleichzeitig qualitative Veränderungen in der Art und Weise der zentralen Steuerungsprozesse.

Methodisch ist das Herangehen vorwiegend ein Qualitatives. Das heißt, es gilt “Neues zu entdecken bzw. einem Gegenstand bislang unbeachtete Fragestellungen abzugewinnen. Weder gibt es nennenswertes Vorwissen noch die präzise Begrifflichkeit einer klaren untersuchungsleitenden Theorie. Vielmehr können forschungsnützliche theoretische Vorstellungen erst im Lauf der Datenerhebung induktiv entwickelt werden.” (Patzelt 1992: 239)

Dabei lassen wir uns von den in den USA entwickelten und in Deutschland spezifizierten Ansätzen der Policy-Forschung (Windhoff-Héritier 1987) leiten, einschließlich deren kritischer Reflexion und Weiterentwicklung in der politikwissenschaftlichen Diskussion (Policy-Analyse 1993).

Eine wichtige übergreifende Frage der Untersuchungen wird sein, welche Chancen sich heute in Mecklenburg-Vorpommern für solche Politik- und Reformansätze auftun, die auf eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung des Landes gerichtet sind. Zu prüfen ist, inwieweit hierbei neoliberalistische und/oder “richtungswandelnde” Modernisierungsansätze zum Tragen kommen, welche Relationen sich für die Entwicklung von Innovation und Eigenverantwortung ergeben, inwieweit sie mit Demokratisierung und sozialer Gerechtigkeit verbunden werden.

Es ist notwendig, hierfür die Politik- und insbesondere die Reformansätze von Akteuren zunächst in ihrer gesamten Breite und Differenziertheit zu erfassen. Weder neoliberalistische noch “richtungswandelnde” Politikansätze zeigen sich in der politischen Praxis in “Reinkultur”. Die Wirklichkeit der politischen Prozesse zeigt vielmehr Mischformen, Übergänge, Kompromissbildungen und Akteursarrangements verschiedenster Art. Somit stellt sich die überaus spannende Frage danach, wie sich im politischen Prozess das Verhältnis von Modernisierung einerseits, demokratischen und sozialen Grundwerten der Gesellschaftsentwicklung andererseits entwickelt. Inwiefern unterscheidet sich hierbei eine SPD-PDS-Regierung von anderen Bundesländern und anderen Modernisierungs- bzw. Reformansätzen, welche neuen Erfordernisse treten hierfür auf? Mit welchen Inhalten kann linksdemokratische oder Mitte-Links-Politik im Unterschied zu konservativen Modernisierungsstrategien diese Spielräume ausfüllen und inwiefern gibt es hierfür überhaupt Spielräume? – Diese Fragen zu beantworten, würde in Perspektive dann auch den Vergleich mit anderen Bundesländern notwendig machen.

Die Untersuchungen erfolgen in den drei o.g. Politikfeldbereichen anhand der Implementation typischer Politikvorhaben. Methodisch stützen wir uns auf das breite Spektrum eines anerkannten und erprobten Methodenmix, wobei die in jüngerer Zeit in der Politikwissenschaft und politischen Soziologie ausgearbeiteten und kritisch novellierten Modelle der Policy-Forschung, insbesondere unter Hinzuziehung des Advocacy-Coalition-Ansatzes und des Policy-Netzwerkansatzes im Vordergrund der Bearbeitung der Themen 1 und 2 stehen. Demnach treten vor allem die Interaktionen von Akteuren, die mit einem bestimmten Politikfeldbereich und/oder eines seiner Subsysteme verbunden sind, in den Mittelpunkt der Untersuchungen.

Fragen nach den

-          Lernprozessen der Akteure,

-          nach den handlungsleitenden Motivationen und Orientierungen,

-          nach den Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteursgruppen – auch quer zu den traditionellen Parteien – und

-          nach den Veränderungen und Wandlungen der Zielsetzungen im politischen Prozess

spielen eine wichtige Rolle.

Insgesamt beabsichtigen wir in dieser Studie, die Akteurssysteme in diversen Politikfeldbereichen auf die Frage hin zu untersuchen, welche Politik- und Reformansätze vorgetragen werden, wie diese ausgetragen werden und modifiziert werden, welche dieser Ansätze sich durchsetzen. Auf dieser Grundlage kann schließlich die Frage nach den Möglichkeiten zur Realisierung “richtungswandelnder” Reformansätze beantwortet werden.

Welche Rückwirkungen sich für die Konstellationen der politischen Arena und insbesondere der politischen Parteien ergeben, soll durchweg im Blick bleiben.

Die Konzentration auf Ostdeutschland bzw. zunächst auf ein ostdeutsches Land als Untersuchungsfeld soll als spezifischer Raum für Reformpolitik getestet werden, dessen Problematik jedoch als Teil gesamtdeutscher Wandlungs- und Reformerfordernisse behandelt wird.

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Woderich, R. 1996: Peripherienbildung und kulturelle Identität. In: Kollmorgen, R./Reißig, R./Weiß, J. (Hg.): Sozialer Wandel und Akteure in Ostdeutschland, Opladen, S. 81-99

Wollmann, H. 1999: Kommunalpolitik: Mehr (direkte) Demokratie wagen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24-25/1999, S. 13-22

Zapf, W. 1994: Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation, Berlin

Zapf, W. 1996: Die Modernisierungstheorie und unterschiedliche Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung. In: Leviathan 1/1996, S. 63-77

[1] Vgl. dazu u.a. Publikationen im Bereich der Wissenschaft mit unterschiedlichen Denkrichtungen, wie: Altvater 1997; Baring 1997; Bissinger 1997; Brie/Klein 1992; Butterwege u.a. 1998; Deppe 1997; Hengsbach 1994; Eichel/Hoffmann 1999; Hirsch 1998; Giddens 1999, Hombach 1998, Land 1999, Miller/Soeffner 1996, Unseld 1993, Scheer 1995, Bullmann/Heinze 1997; Kleger 1996; Stötzel 1998, Tichy 1998;

vgl. ebenso Publikationen im Bereich der Politik mit unterschiedlichen Ansätzen, wie: Schröder, Gerhard/Blair, Tony: Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten. In: Frankfurter Rundschau vom 10.06. 1999; Thierse, Wolfgang et al.: Dritte Wege – Neue Mitte. Sozialdemokratische Markierungen für Reformpolitik im Zeitalter der Globalisierung, o. O. 1999; Gysi, G.: Gerechtigkeit ist modern. Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus. Eine notwendige Antwort auf Gerhard Schröder und Tony Blair, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, August 1999.

[2] Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung 1998: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele - ein Weg, Bonn

[3] Rostocker Manifest: Für einen zukunftsfähigen Osten in einer gerechten Republik, Berlin 1998

[4] Gysi, G.: Gerechtigkeit ist modern, a.a.O. (Anm. 1).

[5] Walter, N. 1995: Vision einer entfesselten Marktwirtschaft. In: Wirtschaftsmagazin, Heft 1-2, S. 9-12.

[6] Vgl. z.B. Leitsätze zum Teil 3 des Berichtes der Zukunftskommission Bayern/Sachsen.

[7] Vgl. die kritischen Anmerkungen von H.-J. Vogel zum Schröder-Blair-Papier. In: Der Tagesspiegel vom 15.6.1999.

[8] Vgl. insbesondere das Papier von Gregor Gysi: Gerechtigkeit ist modern, a.a.O. (Anm. 1).

[9] Vgl. die Diskussionen in den jeweiligen partei- bzw. strömungsnahen Zeitschriften “Andere Zeiten”, “Utopie kreativ” und “spw”.

[10] Leitlinien der PDS zur Sozialpolitik 1998-2005. In: PDS SOZIAL – Newsletter, 18.9.1998.

[11] Die Grenzen zwischen beiden Gruppierungen sind fließend und kehren sich mitunter um, wie gerade die Situation in Mecklenburg-Vorpommern nahe legt. Hierzu Ministerpräsident Ringstorff: “Wir sparen jetzt gewaltig, verkleinern den öffentlichen Dienst und schneiden auch ins soziale Netz hinein. Wir haben allerdings eine CDU-Opposition, die sich jetzt halbsozialistisch gebärdet und alte Besitzstände verteidigt.” (Focus, 14.6.99, S. 71)

[12] Redistributive Politikprozesse sind solche, die nicht mehr auf der Grundlage überschüssiger Verteilungsressourcen, sondern darauf beruhen, dass der Vorteil des Einen zum Nachteil des Anderen führt.

[13] Gemeint ist die Tatsache, dass in den osteuropäischen Transformationsprozessen gleichzeitig Marktliberalisierung wie auch politische Pluralisierung einsetzten, beide Prozesse sich aber blockierten (Elster 1990).

[14] Vgl. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B13/1999.

[15] Wenn in Kontinentaleuropa Verarmung, Deklassierung, Unterversorgung immer Abhängigkeit vom Staate bedeutet bzw. sich die Hoffnungen der davon Betroffenen auf den Staat richten (Plessner 1998: 46), dann ist die Staatsfixiertheit ostdeutscher Mehrheiten überaus rational: nicht ganz zufällig ist die DDR als “arbeiterliche Gesellschaft” (Engler 1999: 173ff.) als “Land der kleinen Leute” (Gaus 1986: 31), als Staat, Gesellschaft und System “unterbürgerlicher Schichten” (Greiffenhagen 1997) charakterisiert worden. Diese Charakteristika heben allesamt immer auch auf die – im Vergleich zu den Mittel- und großbürgerlichen Schichten – begrenzten Ressourcen und Reserven der Menschen ab. Die Wirtschafts-Transformation selbst war eine weitgehend staatliche, von politischen Akteuren gesteuerte Veranstaltung. Transformation und Vereinigung haben zudem zur Ausdifferenzierung in soziale Gewinner und Verlierer geführt. Hunderttausende sind von sozialer Deklassierung betroffen. Es wäre geradezu erklärungsbedürftig, wenn die Betroffenen sich nicht an den Staat bzw. Sozialstaat halten würden.

[16] Die Bundesrepublik ist schon 1962 von Konrad Hesse (Hesse 1992) als “unitarischer Bundesstaaat” charakterisiert worden. “Unitarisch” bezieht sich auf die Praxis verantwortlicher Akteure, eine möglichst gleichmäßige Problemlösung über die Vereinheitlichung materieller Regelungen zu erhalten. Unitarisierung ist mithin von Zentralisierung abgrenzbar. Letztere zielt auf die Verfügungsmacht der übergeordneten gegenüber den nachgeordneten Ebenen. Für manche Beobachter gehört es zu den Besonderheiten des deutschen Föderalismus, dass er eine ausgeprägte Unitarisierung als Surrogat für Zentralisierung entwickelt habe (Ursula Münch 1999: 4)

[17] Vgl. Kunckel, Karl-Heinz: Die Eigenheiten der sächsischen Sozialdemokraten, Frankfurter Rundschau vom 17.11.1998

[18] Vgl. zum Gedanken einer Parteienpolarisierung in Mecklenburg-Vorpommern: Werz/Schmidt 1996.

[19] Obgleich Einsetzung und inhaltlicher Auftrag der Enquete-Kommission für Mecklenburg-Vorpommern “Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung” im Jahre 1995 bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion erfolgte und die Arbeit der Kommission selbst von einer Reihe massiver Konflikte begleitet war, haben vor allem Vertreter der PDS im Rückblick hervorgehoben, dass die Erfahrungen und Ergebnisse der Kommissionsarbeit zur Vorgeschichte der rot-roten Koalition dazu gehören. Einen informativer Überblick über die Tätigkeit der Enquete-Kommission und ihren Ertag bieten Prachtl und Rißmann (vgl. Prachtl/Rißmann 1998).

[20] “1994 gab es zum ersten Mal Gespräche zwischen SPD- und PDS-Fraktion. Das waren Sondierungsgespräche vor der Regierungsbildung. Die SPD hatte aber nicht ernsthaft vor, mit uns zu verhandeln. Sie führte nur pro forma Gespräche mit uns. Sie legten uns vier Fragen vor, so nach unserer Position zum Grundgesetz, zum Verfassungsschutz, zur Kommunistischen Plattform und zur Zwangsvereinigung. Diese Fragen waren offensichtlich von Bonn vorgegeben. Man wollte keine Koalition mit uns. Was uns betrifft, so wollten wir sie im Grunde auch nicht.” (ein/e Interviewpartner/in aus der PDS-Fraktion, Zitat sinngemäß)

[21] Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit. Besonders im Osten. SPD-Regierungsprogramm 1998-2002. Hrsg.: SPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 1998.

[22] “Die SPD MV hat zur Zeit etwa 3600 Mitglieder. Im Landesverband sind vor allem Techniker und Ingeneure (also nicht vor allem Lehrer und Angestellte). Diese neigen eher zu einer technokratisch-pragmatischen Orientierung, weniger zu einer ausgesprochen ‚linken’ Orientierung. Überhaupt könnte man sagen, in der ostdeutschen Sozialdemokratie gibt es eigentlich keine ‚Linke’, anders als in Westdeutschland. Allerdings vertreten die Jusos und die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AFA) in MV eher linke Positionen.” (ein/e Interviewpartner/in aus der SPD-Fraktion, Zitat sinngemäß).

[23] Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit, a.a.O. (Anm. 21), S. 60.

[24] Die PDS in Mecklenburg-Vorpommern hat nicht nur mehr Mitglieder als die SPD (ca. 10000), in ihr agieren auch mehr als zwei Flügel., die sowohl in der Geschichtsaufarbeitung als auch in Fragen der aktuellen Tagespolitik (wie z.B. zum Transrapid oder Bau der A 20) unterschiedliche Positionen bezogen. Auf dem Parteitag im Juni 1997 wurde Helmut Holter als Landesvorsitzender wiedergewählt und Caterina Muth zur Spitzenkandidatin für den Landtagswahlkampf 1998.

[25] Maßstäbe der PDS für eine neue Politik in M-V, Beschluss der außerordentlichen Tagung des 5. allgemeinen Landesparteitages der PDS am 10.10.1998 in Schwerin.

[26] Der Landesvorstand ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass nur eine Regierungsbeteiligung, nicht aber Tolerierung in Frage komme.

[27] So: Senkung der Arbeitslosigkeit bis 2002 um mindestens 10%; Schaffung von 20.000 neuen und die Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze; Landespolitischer Einstieg in einen öffentlichen Beschäftigungssektor mit 5000 Arbeitsplätzen; Einsatz von 1000 Schulsozialarbeitern; Erhöhung des Steueranteils der Kommunen auf mindestens 30%; Erhöhung der kommunalen Investitionspauschale auf mindestens 200 Mio. DM.

[28] Vgl. hierzu Vergleichende Darstellung der “Maßstäbe der PDS für eine neue Politik in M-V”– Beschluß des Parteitages – und der Vereinbarung SPD und PDS, Material des Landesvorstandes/der Fraktion vom 28.10.1998.

[29] Dies traf zum Beispiel für die bis dato auf beiden Seiten weitgehend unklaren Vorstellungen vom ÖBS zu.

[30] Mittlerweile als Arbeitskreis “Neue Mitte” gebildet, der allerdings wenig in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt.

[31] Bis Anfang Dezember 1998 waren ca. 70 SPD-Mitglieder aus der Partei ausgetreten.

Detailseite (Publikation)[32] Vgl. Sozialliberale Partei kommt, Berliner Morgenpost vom 09. Januar 1999; Ex-SPD-Mitglieder gründeten in Schwerin Sozialliberale Partei, Hamburger Morgenpost Online vom 27.02. 1999.

Detailseite (Publikation)[33] Nach Angaben des Statistischen Landesamtes (http://www.m-v.de) erhielt die SLP in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt beim den Kommunalwahlen im Juni 1999 1241 Stimmen (0,1%). Davon entfielen 706 auf Schwerin und 535 auf Rostock.

Detailseite (Publikation)[34] Vgl. “Die Mehrheit hält Distanz zur PDS”, DER SPIEGEL 45/1998, S. 114-117.

[35] PDS-Kooperation ist ein Problem der ganzen SPD”. Arbeitskreis gegen weitere Koalitionen gegründet, Berliner Zeitung vom 11. Januar 1999, S. 6.

[36] In unseren Interviews mit Vertretern der PDS wurde dies nicht so gesehen.

[37] “Das wichtigste, wenn man Reformen machen will, ist Geld, gerade im Arbeitsmarkt. Aber natürlich gibt es (in Randfeldern) auch neue Politikansätze, die nichts kosten: die Freiwilligkeit der Gauck-Überprüfung kostet nichts. Auch das Wahlrecht ab 16 kostet nichts. Das sind aber alles Dinge, die die Bevölkerung nicht so sehr interessieren.” “Der Spielraum von Landespolitik ist sehr gering geworden – in den letzten Jahrzehnten eigentlich immer geringer. Die Kompetenzen der Länder werden immer mehr an den Bund und an die EU abgegeben. Die Möglichkeiten, etwas konzeptionell Neues zu machen, sind minimal... Das Land kann nur bei anderen Gremien (Bund; EU) kämpfen, um das durchzusetzen, was uns wichtig erscheint.” (beide Zitate sinngemäß; Vertreter aus dem Bereich der Koalition).

[38] So wird die Kritik an unzureichender politischer Gestaltung verbunden mit der Forderung, es müssten zum Beispiel für die Infrastruktur oder für die klein- und mittelständische Wirtschaft oder für die Kommunen, für die Hochschulen usw. mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.

[39] Vgl. Mittelfristige Finanzplanung 1999-2003 des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 1999.

[40] In unseren Interviews wurde von Wirtschaftsvertretern kritisch zum Ausdruck gebracht, dass Fördermittel wegen der nicht gegebenen Kofinanzierung durch das Land verfallen wären. Andererseits ist zu bedenken und weiter zu verfolgen, dass es erheblichen Bedarf gibt, die Nachhaltigkeit der Wirkungen des Einsatzes von Bundes- und EU-Förderungen zu evaluieren.

[41] Vgl. Mittelfristige Finanzplanung 1999-2003 des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 1999, S. 9. Erst bei einer Personalzahl von ca. 40.000 wäre Mecklenburg-Vorpommern etwa auf gleichem quantitativen Personalniveau pro Einwohner wie andere Bundesländer. Dabei wird der Vergleichsmaßstab zwischen den Ländern immer härter, denn auch die anderen Bundesländer bauen Personal ab. Dabei müssen auch die Altersstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern beachtet werden. Mecklenburg-Vorpommern hat im Vergleich der ostdeutschen Bundesländer wohl einen hohen Stand an schulpflichtigen Kindern. Daraus resultiert auch ein hoher Bedarf an Lehrern. Die Schulen haben zahlenmäßig den höchsten Anteil (ca. 39%) am Gesamtpersonal des Landes.

[42] “Es gibt weniger Ressortegoismus zwischen den Ministerien. Wir können jetzt stärker vernetzt denken und können auch die Förderbereiche stärker intern miteinander verknüpfen, so z. B. die EU-Programme EFRE, ESF usw. Bisher war es immer so, dass ein bestimmtes Programm fast ausschließlich für ein Ministerium gedacht war. Zwar gibt es auch heute noch Schwerpunkte, wo das eine oder andere Ministerium sich auf dieses oder jenes Programm der Europäischen Union bezieht, jedoch geht man heute uns in dieser Hinsicht flexibler daran.” (ein/e Interviewpartner/in aus dem Finanzministerium, Zitat sinngemäß).

“Ein Fortschritt der neuen Regierung besteht darin, dass Haushalt-Egoismen besser überwunden werden können. Bei der Jugendarbeitslosigkeit kann jetzt zum Beispiel das Programm “Jugend baut” über den Landesjugendplan kofinanziert werden. Oder auch ein Umschwenken in der Investitionsförderung. GFA-Mittel können zusammen mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds gekoppelt werden.” (ein/e Interviewpartner/in aus den Gewerkschaften, Zitat sinngemäß).

[43] Beispielsweise wäre es dringend erforderlich, die traditionelle Agrarförderung durch eine Förderung, die auf integrierte ländliche Entwicklungsprojekte zielt, zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen.

[44] Auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung einigten sich die Fraktionsvorsitzenden von SPD und PDS im Frühjahr 1999, die Förderprogramme generell auf einen Prüfstand zu stellen, dass sie einer Evaluierung unterzogen werden sollen.

[45] Vgl. Gestalten und Konsolidieren. Rede der Finanzministerin Sigrid Keler zur Einbringung des Haushaltsplan-Entwurfs 2000 und des Finanzplans 1999 bis 2003 in den Landtag. In: Pressemitteilung Finanzministerium 61/99 vom 15.9.99.

[46] So die höchst widerspruchsvolle Diskussion um eine Veränderung der Gemeindestrukturen im Bereich der Ämter Brandenburgs.

[47] Anders als in Brandenburg, wo der größte Teil der Berater und leitenden Ministerialbeamten aus Nordrhein-Westfalen kam, mit dem Amtsmodell keine praktische Vorerfahrungen hatte, eher von Vorerfahrungen der Einheitsgemeinde geprägt war.

[48] Während die SPD-Finanzministerin, die bereits in der Vorgängerregierung dieses Amt inne hatte, in die Koalitionsvereinbarungen unmittelbar einbezogen worden war, war dies der Innenminister, der noch nicht berufen war, nicht.

[49] Der normale Gang der Dinge bei der Festlegung der Finanzausstattung der Kommunen ist folgender: Man analysierte den Finanzbedarf der Kommunen, stellt die Bedarfe fest und diskutiert dann, welche Mittel zugewiesen werden können, in Abhängigkeit von der Finanzlage des Landes, der Aufgaben der Kommunen usw. Normalerweise müssen dabei die Kommunen beispielweise an einer Erhöhung der Steuereinnahmen hinreichend beteiligt werden, was durch den Modus der Koalitionsvereinbarung nicht gewährleistet war. Insoweit war die methodische Art des Vorgehens in der Koalitionsvereinbarung von vornherein problematisch.

[50] Das Innenministerium schlug bereits seit 1996 das 3-Säulen-Modell vor, konnte sich damals aber auf Grund von Widerständen aus der SPD-Fraktion bzw. einiger Kommunalvertreter nicht durchsetzen. In der neuen Koalition gab es jedoch Einverständnis, zu diesem Modell überzugehen – ein Beispiel für die Kontinuität und Durchsetzungsfähigkeit längerfristiger, konzeptioneller Ansätze aus dem Bereich der Ministerialverwaltung.

[51] Es versteht sich von selbst, dass hierzu eher vom Städte- und Gemeindetag als vom Landkreistag eine Zustimmung erwartet werden kann. Einen öffentlich geführten Streit hierzu gibt es allerdings nicht.

[52] Andere Bundesländer, wie Brandenburg oder Schleswig-Holstein, haben bereits entsprechende Verfassungsfestlegungen.

[53] So wurde seitens der Kommunalverbände sowohl ein “Hinausschieben” befürchtet als auch, dass die Regierung noch “rechtzeitig” Gesetze bzw. Verordnungen verankern will, bevor das Konnexitätsprinzip verankert ist (z.B. Ausführungsbestimmungen für die Wirksamkeit des Unterhaltsvorschussgesetzes und hinsichtlich der brisanten Frage des pauschalierten Wohngeldes). Zwar gilt das Konnexitätsprinzip ausschließlich für Rechtsvorschriften des Landes (und nicht des Bundes), jedoch berühren die vom Bund eingeleiteten Veränderungen beim (1.) Unterhaltsvorschussgesetz, (2.) beim pauschalierten Wohngeld (Wohngeldgesetz) und (3.) bei der Arbeitslosenhilfe (Sozialgesetzbuch) durch den Haushaltsplan des Landes und anderes Landesrecht umgesetzt. Allein durch diese drei Veränderungen würden die Kommunen mit rund 27,4 Mio. DM mehrbelastet (StGT MV 10/1999, S. 512), wofür das Land aus steuerlichen Mehreinnahmen (ca. 100 Mio. DM) einen Ausgleich an die Kommunen geben will (entsprechend einer “Verbundquote” von 27,36%, s.o.). Die Art des Ausgleichs wurde von den Kommunalverbänden u.a. deshalb kritisch gesehen, weil für die kommunale Ebene dann zwar ein Ausgleich gegeben wäre, der aber erstens bei Nichteintreffen der prognostizierten 100 Mio. DM nicht abgesichert ist, zweitens keine echte Beteiligung an den Steuereinnahmen (StGT MV 11/1999, S. 561), sondern nur einen Ausgleich für Mehraufwendungen bedeuten würde.

[54] DS 3/293 vom 31.3.1999.

[55] Zum Beispiel die Überlegung, Aufgaben des Landesjugendamtes an die kommunale Ebene abzugeben. So ist das Landesjugendamt für Betriebsgenehmigungen bei Kitas zuständig. Die Frage sei, ob dies vor Ort auf kommunaler Ebene nicht viel besser entschieden werden könnte. Vom Staatssekretär des Sozialministeriums wurde das allerdings zurückgewiesen: “In derartigen Fällen ist regelmäßig zu befürchten, dass die Rechtsanwendung permanent der kommunalen Kassenlage angepasst wird.” (Pressemitteilungen Sozialministerium Nr. 3 vom 14.1.2000).

[56] Vgl. PDS-Fraktion, AK PuR: Diskussionsgrundlage für eine erneute Novellierung der Kommunalverfassung von Mecklenburg-Vorpommern, Manuskript vom 12.1.2000.

[57] “Vor zwei Jahren gab es von uns eine Gesamtinitiative zur Verwaltungsreform. Davon ist aber auf dem ‚Verwaltungswege’ letztlich nichts übrig geblieben. Eine neue Initiative muss, wenn sie Erfolg haben soll, quer von allen Parteien kommen, möglichst aus der zweiten und nicht aus der ersten Reihe. Außerdem müssen hierfür von der Bundesebene entscheidende Anstöße kommen.” (ein/e Vertreter/in der CDU-Fraktion, Zitat sinngemäß).

[58] Die Disparitäten zwischen Westmecklenburg, Ostmecklenburg und Vorpommern spielten in den Gesprächen sehr wohl eine Rolle, konnten aber im Rahmen der Exploration noch nicht gebührend thematisiert werden.

[59] Zu Förderprogrammen des Landes siehe Mecklenburg-Vorpommern Wirtschaftsministerium: ”Förderinstrumente für Industrie, gewerbliche Wirtschaft und das Handwerk in Mecklenburg-Vorpommern. Stand Mai 1999; vgl. ferner Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 14.01.2000: Wirtschaftsminister Eggert informiert über Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm.

[60] Vgl. SVZ online vom 21. Januar 2000: Werften brauchen neue Produkte. Wirtschaftsminister Rolf Eggert unterstützt Job-Rotation, um Firmen zu entlasten.

[61] Von Vertretern der Wirtschaftsinteressen wird dieser Fonds begrüßt, aber als zu gering bewertet. Parallel dazu gibt es im IHK-Bereich mit nahezu wöchentlichen Beratungen seit 3-4 Jahren ein Projekt “Runder Tisch”. Das Ziel dieses Projektes besteht darin, Insolvenzen zu verhindern, die Unternehmen rechtzeitig sachkundig zu beraten, evtl. auch Darlehen zu gewähren.

[62] Vgl. Arbeit, Gerechtigkeit, Versöhnung. Erste wichtige Schritte auf dem richtigen Weg. Leistungsbilanz der SPD-PDS-Koalition, Nov. 1999.

[63] Eine gute Darstellung des Gender-Mainstream-Ansatzes, der von der EU seit 1996 für sämtliche allgemeinen politischen Konzepte für verbindlich erklärt wurde, findet sich in der “Rede von Ministerin Merk (Niedersächsisches Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales) vor dem Gleichstellungsausschuss des Niedersächsischen Landtages am 18.03.1999 zum Gender-Mainstreaming” (http://www.niedersachsen.de/MS_gleich4htm).

[64] Die Warnowquerung in Rostock könnte in dieser Hinsicht ein interessanter Fall sein.

[65] Im Koalitionsvertrag wurde der Transrapid für Berlin-Hamburg abgelehnt.

[66] Vgl. ein/e Interviewpartner/in aus dem Bereich der Unternehmerverbände.

[67] Die FFH-Konzeption wurde von der CDU-Opposition fortwährend als “überdimensioniert” kritisiert. Sie füge der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Schaden zu.

[68] Die Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern stieg in den letzten Jahren von 1995 (15,3%), 1996 (16,8%), 1997 (18,9%), 1998 (19,2%). Im Jahre 1999 ist erstmals eine Umkehr zu erkennen auf etwa 18,2%. Das sind ca. 7000 weniger Arbeitslose als 1998. (vgl. Pressemitteilungen Staatskanzlei 300/1999 vom 28.12.1999).

[69] Vgl. Loke, M.: Arbeitslosenzahl im Januar unter dem Vorjahresniveau, Berliner Zeitung vom 9. Februar 2000, S. 33.

[70] So die Reflexion eines Befragten aus dem Arbeitsministerium.

[71] Vgl. SVZ vom 13.1.2000.

[72] Vgl. SVZ vom 21.1.2000.

[73] Vgl. ND im Club zum Öffentlich Geförderten Beschäftigungssektor, Neues Deutschland vom 11. Februar 2000, S. 16.

[74] Birke Bull: Arbeitsförderung. Insellösung mit Klippen. Zwei Ost-Länder wagen Einstieg in ÖBS, Neues Deutschland vom 14.12.1999

[75] ND im Club..., a.a.O. (Anm. 73), S. 16.

[76] Vgl. zu den Inhalten von GAP (Gemeinwohlorientierten Arbeitsförderprojekten) auch Schuldt 1999 (BÜSTRO).

[77] Im Jahre 1999 wurden vom Land 65 GAP-Projekte (darunter 47 in der Region Rostock) mit 332 Teilnehmern und einem Volumen von 6,7 Mio. DM gefördert.

[78] Über deren sachliche Berechtigung kann hier nicht befunden werden, sie ist aber in Frage zu stellen.

[79] Die Kritik und die Volksinitiative wurden insbesondere vom ehemaligen Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, Thierfelder, inspiriert.

[80] Für die Patienten in MV stünden nur 67 Prozent des entsprechenden Westbudgets zur Verfügung. Für 869,7 Millionen Mark durften die 2456 niedergelassenen Ärzte im Land Arzneimittel verschreiben. Vgl. Schweriner Volkszeitung, 14.8.99.

[81] Dabei waren wichtige Elemente einer Erneuerung des Rettungsdienstplanes in ähnlichem Sinne bereits in der Vorgängerregierung ausgearbeitet worden waren, ohne jedoch zur Beschlussfassung zu gelangen.

[82] Die vom Bundesland Berlin erarbeitete Bundesratsinitiative, die sich eher auf die Öffnungszeiten an den Werktagen bis 22 Uhr orientiert, wird den spezifischen Bedingungen der Kur- und Erholungsorte in diesem Zusammenhang nicht gerecht.

[83] Vgl. Ein Jahr Regierungskoalition SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern. Zwischenbilanz, Material der Sozialministerin, Okt. 1999.

[84] Die Forderung nach einem bundeseinheitlichen, gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich wurde bereits von der Vorgängerregierung gestellt, ebenso von den Kassenärzten seit etwa 1993.

[85] Dieses Vorhaben wurde auf Bundesebene Ende des Jahres 1999 vorerst zurückgestellt.

[86] Gute Sachkooperation besteht auch zwischen dem Sozialministerium und dem Wissenschaftsministerium (SPD-geführt), was beispielweise hinsichtlich der Universitätsklinken von großer Bedeutung ist. Innerhalb der Regierung und der Koalitionsparteien gibt es derzeit keine besonderen Konflikte hinsichtlich der Aufgabenrealisierung des Sozialministeriums. Vorherrschend ist vielmehr sachliche Kooperation.

[87] Vgl. Pressemitteilung Sozialministerium Nr. 178 vom 21.12.1999.

[88] Hierzu wurde eine Arbeitsgruppe unter Federführung der Sozialministerin gebildet.

[89] Seitens der Vertreterin der Paritätischen Wohlfahrtsverbände wurde zeitweilig massive Kritik am Vorhaben eines Integrationsförderrates geübt.

[90] Außer GEW, HBV und Polizeigewerkschaft haben die anderen Einzelgewerkschaften (wie auch der DGB Nord) keinen Bezirksverband mehr, der sich allein auf Mecklenburg-Vorpommern bezieht. Die Spitzen der Bezirksverbände befinden sich in Hamburg oder Lübeck.

[91] Die SPD kann demgegenüber noch eher auf Experten aus den westdeutschen Bundesländern zurückgreifen.

[92] Ein Versuch in diese Richtung wird möglicherweise im PDS-Landesverband mit der “AG Zukunftswerkstatt” unternommen. Sie soll sich in den Jahren 2000 bis 2002 im Rahmen einer Veranstaltungsreihe konzeptionellen Politikansätzen widmen, zugleich auch der Profilierung “künftiger Wahlkämpfer” dienen. Daneben wird im PDS-Landesverband bereits jetzt eine “Zweijahresbilanz” der SPD-PDS-Koalition vorbereitet. In 6 Arbeitsgruppen will man sich mit Problemen der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung und weiteren Herausforderungen befassen.

[93] In der PDS gibt es, trotz relevanter unterschiedlicher Meinungen innerhalb der Partei, keinen öffentlich nachvollziehbaren Diskussionsprozess über das Verhältnis von Parteiidentität und Regierungsbeteiligung. Erst recht nicht gibt es eine organisatorische Plattform für Kritiker der Koalition. Innerhalb der SPD gibt es zwar mit dem “Arbeitskreis Neue Mitte” eine koalitionskritische organisatorische Plattform, die jedoch kaum in Erscheinung tritt.

[94] Vgl. hierzu auch die Untersuchung am Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien der Universität Bremen: Wer ist die PDS? Zwei Beiträge zu Programm und Profil einer postkommunistischen Partei, Bremen 1995.

[95] Vgl. Chronik – Das erste Jahr der SPD/PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern (Oktober 1998-1999), Material der CDU-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, November 1999.

[96] Ein/e Vertreter/in eines Wirtschaftsverbandes, Zitat sinngemäß.

[97] Andere Vertreter von Wirtschaftsinteressen haben sich eher zurückhaltend geäußert oder jede politische Wertung vermieden.

[98] “Die CDU-Opposition übernimmt, so scheint es, Positionen, die die PDS in der Vergangenheit verfochten hat. Wir sind mit ihr unzufrieden.” (ein/e Vertreter/in eines Wirtschaftsverbandes, Zitat sinngemäß).

[99] Der hier verwendete Begriff der “politischen Kultur” zielt im Anschluss an Karl Rohe auf die Gesamtheit der vorherrschenden und verfestigten Meinungen, Einstellungen, Werte, Verhaltsmuster der Bevölkerung eines Raumes. (Freilich darf man sch die politische Kultur eines Bundeslandes oder gar einer Nation nicht als homogene Größe vorstellen.) Angehörige einer politischen Kultur “zeichnen sich dadurch aus, dass sie, ohne groß darüber nachzudenken, annähernd gleich Voraussetzungen darüber besitzen, wozu die Politik eigentlich dient, was für Ziele man vorrangig verfolgt, wie man sich politisch verhalten soll” (Rohe 1984:14). Zur politischen Kultur gehören auch kollektiv geteilte Vorurteile, Selbst- und Fremdbilder. “Politische Kultur” hebt auf verfestigte subjektive Dimensionen des Politischen ab, wobei die Attraktivität des Terminus darin liegt, dass das subjektive Moment gleichermaßen betont wie auch entindividualisiert wird. Den verinnerlichten Handlungsrahmen, der sich in Gestalt von Mentalitäten, Gewohnheiten bereits gesellschaftlich auskristallisiert hat, bezeichnete Rohe auch als politische Soziokultur, um davon die politische Deutungskultur abzuheben. Damit sind Ideen und Entwürfe gemeint, die noch in Bewegung sind, sich noch nicht verfestigt haben, “gerade zwischen Kultursystem und politischem System hin und her gereicht werden” (Rohe 1987: 44).

[100] Vgl. Vereinbarung über die Bildung einer Koalitionsregierung für die 3. Legislaturperiode des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern 1998. Ein Jahr nach dem Regierungswechsel in Mecklenburg-Vorpommern: Arbeit Gerechtigkeit Versöhnung. Erste Schritte auf dem richtigen Weg. Leistungsbilanz der SPD-PDS-Koalition, Schwerin 1999.

[101] Dessen Effizienz wurde allerdings seitens der PDS-Fraktion im Januar 2000 öffentlich kritisch gewertet.

[102] In der Koalitionsvereinbarung ist hierzu in Punkt 127 folgendes festgehalten: “Um den pädagogischen, demographischen und flächenlandspezifischen Anforderungen gerechter zu werden, wird die schulartenunabhängige Orientierungsstufe eingeführt. Ihre Anlagerung an die Grundschule oder eine weiterführende Schule wird nach den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort entschieden. In der Legislaturperiode werden die notwendigen Maßnahmen für den langfristigen Übergang zur sechsjährigen Grundschule eingeleitet.”

[103] Der dem linken “Warener Kreis” zugerechnete Rudolf Borchert stimmte als einziger Abgeordneter der SPD-Fraktion gegen den Plan von Bildungsminister Kauffold.

[104] Vorgesehen ist u.a., dass die Bildungsgänge Hauptschule, Realschule und Gymnasium erst ab Jahrgangsstufe 7 beginnen; dass eine Schullaufbahnempfehlung nur noch in der Jahrgangsstufe 6 erteilt wird, dass der Unterricht in den Klassen 5 und 6 nach gleichen Inhalten und Methoden erfolgt, die Jahrgangsstufen 5 und 6 schulartenunabhängig sind, die Orientierungsstufe in der Regel an den Haupt- und Realschulen angegliedert wird und besonders leistungsstarke Schüler auf Wunsch der Eltern nach einer Eignungsfeststellungdie Orientierungsstufe am Gymnasium absolvieren können.

[105] Vgl. Schweriner Volkszeitung vom 10.02.2000.

[106] Ein/e Interviewpartner/in aus der PDS, Zitat sinngemäß.

[107] Eine Einteilung in Flügel gibt es innerhalb der SPD-Fraktion nicht, aber Abgeordnete, die sich eher links orientiert verstehen, andere eher pragmatisch, modern oder auf andere Weise.

[108] EMNID-Politbarometer für MV im Auftrag der SVZ unter 750 repräsentativ ausgewählten Bürgern im Zeitrum vom 13.-18. September 1999.

[109] Deutlicher Profilverlust für die SPD, SVZ vom 24. September 1999.

[110] Als (hier nicht überprüftes) Beispiel wird die Stadt Güstrow benannt, wo die SPD-Spitze massiv darauf Einfluss genommen haben soll, dass die SPD sich auf eine Zusammenarbeit mit der PDS und nicht mit der CDU orientiert.

[111] “Nur noch 26 Prozent der Bürger im Land würden die SPD wählen, wenn am morgigen Sonntag Wahlen wären. Deutlicher Wahlsieger: die CDU. Auch in Mecklenburg-Vorpommern setzt sich der durch die Unzufriedenheit mit der rot-grünen Bundespolitik verursachte Trend fort. Die CDU könnte 42 Prozent der Wähler auf sich vereinigen – 11,8 Prozent mehr als bei den Landtagswahlen vor einem Jahr. Die Sozialdemokraten müssten einen Verlust von 8,3 Prozent hinnehmen. Die PDS hingegen würde mit 24 Prozent ihr Vorjahresergebnis knapp verfehlen” (CDU gewinnt Sympathiwerte:1999).

[112] Deutlicher Profilverlust für die SPD, a.a.O. (Anm. 109).

[113] Hier könnte man nennen: Unternehmerverbände, Landessportbund und Tourismusverband, Verbände und Vereine von Bundeswehr und Reservisten, von THW und Feuerwehr.

[114] Vgl. Deutlicher Profilverlust für die SPD, a.a.O. (Anm. 109) und: CDU gewinnt Sympathiewerte, SVZ vom 25.09.99.

[115] Man hat z.B. auch die Theaterschaffenden an einen Tisch gebracht. Im Zusammenhang mit FFH besuchte der Umweltminister jeden Landkreis und diskutiert zu diesen Themen.

[116] Ein/e Interviewpartner/in aus der Regierung.

[117] Am 20.10.1999 fand in Schwerin eine Diskussion statt, ein Podiumsgespräch mit ca. 200 Teilnehmern anlässlich des zehnten Jahrestages der Demonstration am 23.10.89 (Montagsdemo). Vertreter der ehemaligen Systemträger wie auch ehemalige Oppositionelle waren eingeladen. Von der PDS waren der damalige Vorsitzende der Nationalen Front im Podium sowie ein damaliger Offizier der Volkspolizei. Aus der CDU konnten keine Teilnehmer für das Podium gewonnen werden.

[118] Initiator ist Heiko Lietz, gleichzeitig auch Vorsitzender der Landesarmutskonferenz.

[119] Vgl. zur Idee einer Bürgergesellschaft bzw. Zivilgesellschaft: Zukünfte. Zeitschrift für Zukunftsgestaltung und vernetztes Denken, Heft 27 (1999): Zukunftsprojekt Bürgergesellschaft.

[120] Dies gilt freilich modifiziert auch für die CDU-Opposition.

[121] Die VUMV stand der neuen Regierung von Anfang an kritisch gegenüber (insbesondere dem PDS Parteiprogramm und PDS-Wahlprogramm). Neben der Befürchtung, dass die bloße Regierungsbeteiligung der PDS Investoren abschreckt, gründet sich die kritische Haltung auf Differenzen im Gesellschaftsverständnis: Die neue Regierung vermittle der Bevölkerung das Gefühl, der Staat könne alles richten und zum besten wenden. Dies sei grundfalsch und baue eine Mauer zum gegenläufigen mentalen Wandel im Westen wieder auf. Noch im Oktober 1998 trat die VUMV mit einem umfassenden Forderungspapier an den neuen Landtag und die neue Landesregierung heran. In der Vorbemerkung tritt der gesellschaftspolitische Dissens zur neuen Landes-Regierung aus der Sicht der VUMV deutlich hervor: Die Bedingung für mehr Beschäftigung sei nicht die Ausweitung des Öffentlichen Dienstes, sondern die Bewältigung des Strukturwandels. Wettbewerb müsse als Triebkraft des Wandels, der Erneuerung und des Fortschritt als etwas Positives angesehen werden. Die Bereitschaft zur Eigenverantwortung, der Rückzug des Staates müsse die Grundhaltung der Wirtschaft und auch der Gesellschaft in MV sein. Defensive Strategien der Wettbewerbsvermeidung und Strukturkonservierung würden nicht erfolgreich sein. “Wir brauchen ein wirtschafts- und unternehmerfreundliches Klima im Land, in dem die Selbständigkeit jungen Menschen verlockender erscheint als der öffentliche Dienst.” (Forderungspapier der Vereinigung der Unternehmensverbände an den neuen Landtag und die neue Landesregierung vom 12. Oktober 1998: 1).

[122] Vgl. Forderungspapier der Vereinigung der Unternehmensverbände an den neuen Landtag und die neue Landesregierung vom 12. Oktober 1998.

[123] Hierzu Arbeitsminister Holter: “Regierungsarbeit ist permanente Kompromisssuche. Neue Wege sind ohne Konflikte nicht zu haben. Mein Ansatz war es immer, die Betroffenen müssen sich in der Politik wiederfinden. Die Arbeitslosen und die Arbeitnehmer genauso wie die Unternehmer” (Berliner Zeitung vom 23./24.10.1999).

[124] Ein/e Interviewpartner/in aus der Regierung, Zitat sinngemäß.

[125] Ein/e Interviewpartner/in aus dem Bereich der Unternehmerverbände, Zitat sinngemäß.

[126] Ein/e Interviewpartner/in aus den Gewerkschaften, Zitat sinngemäß.

[127] Ein/e Interviewpartner/in aus der Wirtschaft, Zitat sinngemäß.

[128] Vgl. Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern: Arbeit, Gerechtigkeit, Versöhnung. Erste wichtige Schritte auf dem richtigen Weg. Leistungsbilanz der SPD-PDS-Koalition, Schwerin (Nov. 1999): “Wir stellen uns fünf großen Zukunftsaufgaben. Wir wollen: Arbeit schaffen und die Wirtschaft stärken; für mehr soziale Gerechtigkeit in Mecklenburg-Vorpommern sorgen; der Jugend unseres Landes eine Zukunft geben; Gewalt und Kriminalität konsequent bekämpfen und: eine solide Politik betreiben, die – insbesondere im Bereich der Finanzen – neue Chancen für die Zukunft eröffnet.”

[129] Diese Einschätzung vertreten vor allem Akteure, die aus dem Umfeld der ehemaligen Bürgerbewegungen in der DDR kommen. Bemerkenswerte, wenngleich umstrittene Ergebnisse für eine Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit erbrachte Mitte der neunziger Jahre die Enquetekommission “Aufarbeitung und Versöhnung” des Landtages.

[130] Hierfür exemplarisch die Meinung eines Vertreters aus dem Bauernverband: “Man muss aber auch sagen, dass gerade im Feld der Agrarpolitik die Spielräume wohl recht gering sind. Jene Möglichkeiten, die dennoch vorhanden sind, werden aber auch nicht konsequent genug genutzt. Es fehlt an Beweglichkeit und Weitsicht.” (Zitat sinngemäß).

[131] Nach einer Prognose der Bevölkerungsentwicklung verliert das Land MV zwischen 1998 und 2010 etwa 4,7% seiner Einwohner (84.075 Personen). Vgl. Möller u.a. 1998.

[132] Vgl. Mittelfristige Finanzplanung 1999-2003 des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 1999, S. 27f.