Publikation Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Rassismus / Neonazismus - Geschichte Maguéye Kassé: Afrikaner im nationalsozialistischen Deutschland

Utopie Kreativ Heft 115-116 Mai-Juni 2000

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Reihe

Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

Autor

Maguéye Kassé,

Erschienen

Mai 2000

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UTOPIE kreativ, H. 115/116

(Mai/Juni 2000),

S. 501-507Afrikanische Germanisten werden in Deutschland oft angefragt, weshalb sie sich in akademischer Lehre und Forschung mit der deutschen Sprache in Afrika so intensiv beschäftigen, anstatt sich entwicklungsrelevanteren Aufgaben zu widmen. Die Antwort liegt natürlich nicht offen auf der Hand. Mehr noch, diese Frage bringt auch manchen Afrikaner in Verlegenheit.

Was dabei nämlich oft – bewußt oder unbewußt – übersehen wird, ist die Tatsache, daß mit dem Erlernen und der Aneignung einer fremden Sprache auch eine Kultur und eine »Zivilisation« erschlossen werden. Darüber hinaus lassen die interdisziplinären Studien der afrikanischen Germanistik zu entwicklungspolitischen Fragen, auf Gebieten wie der Geschichte oder der Komparatistik erkennen, daß sich Germanisten in Afrika nicht unbedingt damit begnügen, Germanistik im traditionellen Sinne zu betreiben. Ihnen geht es auch darum, über das Erschließen des deutschen zivilisatorischen Kulturerbes zu einer Verbesserung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika beizutragen.

Einen wesentlichen Platz nimmt dabei auch die Bearbeitung der widersprüchlichen Geschehnisse in der Vergangenheit und in der Gegenwart ein. Dadurch wird der interkulturellen Kommunikation ein Weg geebnet, der es gestattet, Klischees und Vorurteile rechtzeitig zu erkennen und ihren Einfluß einzugrenzen bzw. einzudämmen.

Aber es geht nicht nur um Vermittlung von Kommunikation, sondern auch um die Rückbesinnung auf eigene Werte im Kontext der Wahrnehmung fremder Kulturen. Eine wesentliche Rolle kommt dabei im Senegal (und im französischsprachigen Afrika überhaupt) Leopold S´edar Senghor zu. Seinen wohl verstandenen Einsichten und seiner ständigen Beschäftigung mit deutscher Literatur und Kultur verdanken wir unsere Besinnung auf unsere eigenen kulturellen Werte, dank derer diejenigen Senegalesen, die unter der Gewaltherrschaft dunkler Epochen deutscher Geschichte gelitten haben, verzeihen können, genauso wie jene, die damals unter deutscher Kolonialherrschaft in Togo, Kamerun, Südwestafrika, um nur einige wenige Beispiele anzuführen, gelitten haben und dieser Willkür zum Opfer fielen.

Diese schwarzen Soldaten, die bereit waren, ihr Leben für Frankreichs Ehre einzusetzen, die sowohl bei ihrer Teilnahme an der Besetzung des Rheinlandes nach 19181 wie auch als Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg dem deutschen Chauvinismus ausgesetzt waren, beschreiten einen langen Weg zur Versöhnung und Verständigung. Einen Weg, den Senhor theoretisch und kulturantropologisch vorbereitet und auch persönlich vollzogen hat. Der es ihm ermöglichte, über die Demütigungen der sogenannten »schwarzen Schmach am Rhein« hinweg zu schauen und in seinen Schriften unermüdlich eine Versöhnung im interkulturellen Dialog zu fordern.

Dieser Weg zu einer Verständigung über kulturelle Grenzen hinweg und zu einer positiven Wahrnehmung des Fremden ist mit vielen Hürden versehen, die sich durchdringen und aufeinander beziehen. Besonders problematisch wird es dann, wenn dazu das Vergessen bzw. das Verdrängen einschneidender historischer Ereignisse notwendig ist. In Anbetracht der traumatischen Erfahrung Senghors mit Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkrieges ist es erstaunlich, daß er sich nirgends mit den Erlebnissen von Afrikanern in deutschen Konzentrationslagern auseinandergesetzt hat, mit den Erfahrungen von Afrikanern, die vielleicht nicht vergessen wollen, obwohl das nicht zwangsläufig die Gleichstellung von allen Deutschen mit dem Nationalsozialismus bedeuten muß. Diese Menschen wurden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch von den verschiedenen französischen Regierungen völlig vergessen.

Das Schicksal des Senegalesen Dominique Mendy ist in vielerlei Hinsicht beispielhaft. Er ist heute 86 Jahre alt und lebt in Dakar. Wir haben uns mit ihm unterhalten. Seine Lebensgeschichte wurde detailliert erforscht und war Gegenstand der Lehrtätigkeit im germanistischen Seminar der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität »Cheikh Anta Diop« zu Dakar. Die Anregung dazu entstammt einem Dokumentarfilm von Serge Bilé (Côte d‘Ivoire) aus dem Jahre 1995, der seine Geschichte neben anderen kurz erwähnt hat und ihn selbst zur Sprache kommen ließ. Diejenigen, die im senegalesischen Fernsehen den Film angesehen haben, waren zum Teil vom Schicksal dieser Afrikaner sehr betroffen und zum Teil auch erstaunt, daß in keinem Schulbuch, weder in Senegal, noch in Deutschland, Frankreich oder anderswo, diese Geschichte erzählt oder erforscht wurde.

Daß Hitler als maßgeblicher Urheber nationalsozialistischer Greueltaten ein grausamer Mensch war, ist für den normalen Afrikaner eine Selbstverständlichkeit. Daß der Nationalsozialismus Juden verfolgt und vernichtet hat, ist längst bekannt. Genauso ging es den Sinti und Roma, den Homosexuellen oder auch den Zeugen Jehovas. Man weiß aber wenig über die Schwarzen, d.h. jene Nachkommen der sogenannten »Tirailleurs sénégalais«, die das Rheinland 1919-1920 besetzt hatten. Mittlerweile weiß man zumindest in Deutschland, wenngleich wohl nur in einem sehr engen Kreis, etwas über den Alltag und den Rassismus, die einige Schwarze über sich ergehen lassen mußten, und zwar sowohl im Nationalsozialismus als auch deren Nachkommen im heutigen Deutschland.2 Dokumentiert wird dies nicht zuletzt durch den Historiker Reiner Pommerin, der offenbar der erste war, der sich mit der Sterilisierung der Rheinlandbastarde ausführlich befaßt hat, wie auch die Gruppe der afro-deutschen Frauen in Berlin, die auf den Spuren ihrer Geschichte über das Schicksal einer farbigen Minderheit in Deutschland ausführlich und gut dokumentiert berichtet haben, oder die Afro-Amerikanerin Paulette Reed Anderson mit ihren Recherchen über die Geschichte der Schwarzen in Berlin von der wilhelminischen Ära bis heute.3 All diese Bemühungen werfen ein bezeichnendes Licht auf die Auswirkungen der Theorien über Rassenschande, die Nürnberger Gesetze, die die Schwarzen in Deutschland keineswegs verschont haben. Man denke etwa an das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und speziell an die Kommentare zu diesem Gesetz.4

Ganz wenig weiß man jedoch über die Afrikaner, die aufgrund ihres Andersseins, ihrer Hautfarbe und dessen, was für den Nationalsozialismus ›schwarz sein‹ bedeutete, verfolgt und zum Tode verurteilt wurden. Ihre Lage war um so schlimmer, wenn sie Widerstand leisteten.

Die Forschung über das Schicksal von Afrikanern in den Konzentrationslagern wird vor allem dadurch erschwert, daß im allgemeinen nicht genau erfaßt wurde, aus welchen Ländern sie stammten. In den Augen der Gestapo und der SS waren sie bloß Wesen schwarzer Hautfarbe mit Nummern oder Sternen. Sie waren Untertanen europäischer Kolonialmächte, d.h. ihrer Feinde. Anders ist die Situation jener Afrikaner, ehemaliger ›Senegalschützen‹, die nach der Niederlage Frankreichs 1940 in Arbeitslagern landeten. Bis zum Sieg über Frankreich waren in den Kämpfen bereits rund 17 500 »Tirailleurs« gefallen. Von den etwa 16 000, die in Gefangenschaft gerieten, wurden schätzungsweise 3 800 in deutsche Arbeitslager gebracht (u.a. nach Neuversen, Neubrandenburg, Stabalack, Hemer, Altengrabow, Ziegenhain, Limburg, Vlilingen)5. Sie kamen vor allem aus den damaligen französischen Kolonien in Westafrika und gehörten überwiegend der 10 000 Mann starken Division de l‚ infanterie coloniale (Infanteriedivision aus den Kolonialgebieten) oder dem Régiment de tirailleurs sénégalais (Regiment der Senegalschützen) an. Die relativ geringe Zahl von schwarzen Zwangsarbeitern läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß die Nazis die Ansteckung mit tropischen Krankheiten fürchteten.

Der Alltag dieser Gefangenen war erheblich schwerer als der in den »einfachen« Kolonialgefangenenlagern, wie man es aus einem Brief aus dem Jahre 1941 entnehmen kann: »Wir waren Zeugen von Szenen in denen Senegalesen, die beim Essentransport gestürzt waren, mit Kolbenhieben aufgefordert wurden, aufzustehen. Bei minus 20 Grad wurden die Neger mit Peitschenhieben nach draußen gejagt, weil sie sich weigerten bei solchen Temperaturen im Freien zu arbeiten.«6 Diese Gefangenen fühlten sich erst recht verraten und gedemütigt, als nach 1943 ihre Aufseher wechselten. Sie wurden nicht mehr von Deutschen, sondern fortan von ihren eigenen französischen Gefährten bewacht, wie aus dem Brief des Offiziers Gernet zu entnehmen ist. »Es ist besonders schmerzlich Kriegsgefangener zu sein, wenn Franzosen dazu bestimmt sind, diese Gefangenen zu bewachen. Eine solche Diskriminierung schmerzt zudem, wo doch jeder weiß, daß es nur noch um die gemeinsame Sache der Befreiung geht. Ich komme von den Antillen. Darf ich noch sagen, daß ich Franzose bin?«7 Immer wieder wurden Fluchtversuche von afrikanischen Gefangenen durch Denunziationen von seiten ihrer französischen Bewacher vereitelt. Diejenigen denen es gelang, aus den Arbeitslagern zu flüchten, schlossen sich der Resistance an. Gerade diejenigen, die wegen aktiver Mitarbeit in den Widerstandsbewegungen in die Konzentrationslager deportiert wurden, haben alle – bis auf ganz wenige Ausnahmen – besondere Peinigungen ertragen müssen.

So auch der Senegalese Doudou Diallo, der diese Zeit überlebt hat und den wir zu seiner Lebensgeschichte befragt haben. Geboren in Mekhé (Senegal) am 9. Februar 1918, hatte er sich als ›Senegalschütze‹ freiwillig gemeldet, verfügte über eine gewisse Bildung, die ihm während seines Dienstes geholfen hat, sich dem ›gewöhnlichen‹ Rassismus zu widersetzen. Nach seiner Flucht hat er sich mit viel Erfolg der Resistance in der Bretagne angeschlossen.

Die Herkunftsländer vieler Gefangener sind aus den schon erwähnten Gründen nur sehr schwer zu ermitteln. Hinzu kommt, daß sehr wenige Afrikaner diese Zeit überlebt haben. Michéle Maillet hat sich mit ihrer fiktiven Geschichte einer schwarzen Französin aus Martinique, die mit ihren beiden Kindern eher zufällig in die Hände der Gestapo geriet und in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt wurde, besonders um die Bewahrung des Andenkens an diese Menschen verdient gemacht.8 Die Heldin Sidonie Hellénon, Hausangestellte bei einer jüdischen Familie in Bordeaux, war sich bis zu ihrer Verhaftung ihrer Hautfarbe kaum bewußt. Sie schöpft im Konzentrationslager aus der Rückbesinnung auf ihre Kultur und ihre Geschichte ungeheure Kraft. Diese Geschichte beruht auf Aussagen von Überlebenden aus Konzentrationslagern über die Schicksale ihrer Mitgefangenen mit schwarzer Hautfarbe.

Nach dem Stand unserer Nachforschungen und ausgehend von den raren Berichten von einigen wenigen Überlebenden sowie nach langwierigen Recherchen in verschiedenen Archiven, sind uns gegenwärtig folgende Namen bekannt:

Carlos Grevkey – stammte aus Äquatorial Guinea (damals spanisch beherrscht), war Mitglied der Partisanenbewegung und kämpfte an der Seite der spanischen Republikaner. Deshalb wurde er 1942 verhaftet und nach Mauthausen deportiert. Er war dort qualvollen Peinigungen und Demütigungen sowie der Willkür der SS ausgeliefert, zu deren Diener er wegen seiner schwarzen Hautfarbe und der damit assoziierten Symbolik herabgesetzt wurde.

Erika N’gnando – kam aus Kamerun und wurde nach Ravensbrück deportiert. Sie wurde von ihren Leidensgefährten vor allem aus Frankreich aus Mitleid und Solidarität »Blanchette« genannt; weit entfernt der Heimat, und einer eisigen Kälte ausgesetzt, fand sie in Ravensbrück den Tod.

Johnny Vosté – stammte aus dem Kongo und wurde im Mai 1942 verhaftet. Er wurde nach Dachau und später Esterwegen deportiert.

John Nicolas – kam aus Haiiti. Er wurde 1943 verhaftet, nach Buchenwald und später nach Dora deportiert.

John Williams – war ein Mischling. Seine Mutter kam aus Côte d’Ivoire und sein Vater aus Frankreich. Er wurde wegen Sabotage verhaftet und kam mit 22 Jahren im März/April 1944 nach Neuengamme; er saß dort mit zehn anderen Afrikanern, unter ihnen zwei Senegalesen und ein Schwarzer aus Guadeloupe, ein. Er hat diese Zeit überlebt. Damals war er Junggeselle. Seinen unbändigen Willen, auf alle Fälle zu überleben und nicht zu resignieren, schöpfte er aus seinem inbrünstigen Glauben an die christliche Religion. Wie er selbst berichtet, erregten die Afrikaner in Neuengamme wegen ihrer Hautfarbe große Neugierde. Afrikaner wurden als seltsame Wesen angesehen, die unfähig wären zu denken, sie galten als dem Affen bzw. Tieren nahestehend. Weil er aber über gewisse Kenntnisse in der Feinmechanik verfügte, genoß er trotzdem hohes Ansehen und hat im Metallwerk gearbeitet.

Sidi Camara – kam als erster Senegalese nach Neuengamme. Er überlebte die Gefangenschaft und starb kurz nach dem Krieg, wahrscheinlich infolge schlechter Behandlung im Konzentrationslager.

Dominique Mendy – war der zweite Senegalese in Neuengamme. Insbesondere die Rückbesinnung auf traditionelle Werte, wie die im Senegal gebräuchlichen Wolof-Wörter »joom« und »mune«, d.h. Mut, Standhaftigkeit in den schweren Momenten, haben beiden geholfen, sich gegenseitig zu unterstützen und auch den anderen Mitgefangenen zu helfen. Weil er wegen seiner Hautfarbe als dumm, naiv und einfältig galt, konnte er überallhin gelangen, konnte Brot schmuggeln, den anderen politischen Häftlingen Informationen zukommen lassen und sogar einen Gefangenen vor der Hinrichtung retten, indem er an seiner Stelle hingerichtet werden wollte.

Der heute 86 Jahre alte Dominique Mendy hatte sich freiwillig zur Marine gemeldet. Dem Appell von General De Gaulle folgend, war er nach 1940 in der Resistance aktiv. Er war mit der Betreuung englischer Flieger und Fallschirmjäger im »maquis« in der Region um Bordeaux beauftragt. Er wurde nach einer Denunziation von der Gestapo verhaftet und unmenschlich gefoltert. Er leidet bis heute an den Folgen dieser Mißhandlungen. Während seiner Gefangenschaft ist er oft nur knapp dem Tode entronnen und kam schließlich nach Neuengamme. Dort wurde er ebenfalls als schwarzer Diener erniedrigt. Er stellte sich dumm oder naiv, was einigen Vorurteilen der Nazis gegenüber Schwarzen entsprechen mochte. Dies stand allerdings im Gegensatz zu den Gründen seiner Festnahme, trug er doch den Stern für politische Häftlinge, die sonst einer sehr schlechten Behandlung ausgesetzt waren.

Dominiques Ausnahmestellung in Neuengamme, »eine ins 20. Jahrhundert verlegte Hölle«, die dazu bestimmt war, »Menschen physisch und geistig zu vernichten«9, bestätigt eher die Regel. Seine Sonderbehandlung läßt sich vielleicht jenseits der rassistischen Vorurteile dadurch erklären, daß die Nationalsozialisten Pläne schmiedeten, in Afrika erneut Kolonien zu erwerben. Deshalb wurden Überlegungen angestellt, wie diese ›Senegalschützen‹ für diese Absichten zu gewinnen seien, bevor sie sich möglicherweise einer Widerstandsbewegung anschlossen.

Darüber existiert ein geheimes Schreiben eines Obergruppenführers vom 14. Juli 1944 an den Reichsführer »Nordafrikaner, Anamiten und Senegalesen betreffend infolge der Bekämpfung der Bandenbekämpfung«:

»Senegalesen: Prinz Kane war 1939 Führer der bekannten Farbigen-Delegation aus Westafrika, die seinerzeit von Mandel, Gamelon und Giraud empfangen wurde. Heute ist er der Leiter des sozialen Hilfswerkes der senegalesischen Kriegsgefangenen in Frankreich.

Wie der SD (Sicherheitsdienst) bestätigt, soll Prinz Kane einen Einfluß auf die 300.000 noch in Frankreich befindlichen farbigen Kriegsgefangenen haben. Er selbst möchte diese Kriegsgefangenen in irgendeiner Form zum aktiven Kampfeinsatz für uns gewinnen. Offiziere sind selbstverständlich keine vorhanden, Unteroffiziere werden kaum ausgebildet sein.

Botschafter Abetz teilt mit, daß eine Anwerbung unter den Genannten von Erfolg sein würde, da diese Farbigen in erster Linie Soldaten seien und als solche verwandt werden wollen. Ein Einsatz dieser Truppen im französischen Maquis wäre von allergrößter Bedeutung und würde von größerer Wirksamkeit sein als der Einsatz der Miliz, die verständlicherweise nur ungerne gegen ihre eigenen Landsleute vorgeht.

Die Bandenbekämpfung in Frankreich ist bisher teils von der Wehrmacht, teils von der SS durchgeführt worden. Eine Regelung wie in Rußland oder auf dem Balkan wurde nicht getroffen, da anscheinend die Bedeutung der Bandentätigkeit in Frankreich aufgrund vorliegender Berichte unterschätzt wurde. Nach der mehrfachen Erwähnung im Wehrmachtsbericht und den hier vorliegenden Meldungen muß festgestellt werden, daß die Bekämpfung der Banden in Frankreich von kriegsentscheidender Bedeutung sein kann, da sie es fertig gebracht hat, den Nachschub für die Invasionsfront im großen Umfange zu stören.

Wenn die Engländer in Südfrankreich landen und eine Verbindung zu den großen Bandengebieten in Südfrankreich finden, wird die Front mit einem Schlage erweitert, und große Teile der französischen Bevölkerung und der Angehörigen der farbigen Völker können dann von den Engländern nach bewährtem Vorbild mobilisiert und an der Front eingesetzt werden.

Es wird deshalb vorgeschlagen, SS-Obergruppenführer von Gottberg als Chef der Bandenbekämpfung in Frankreich einzusetzen und ihm die durch das Hauptamt Ordnungspolizei zu Polizeieinheiten zusammengestellten Truppen aus den farbigen Völkern zu unterstellen.«10

Über ihre Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges, sei es als Soldat oder als Kriegsgefangener, berichten die Überlebenden mit Distanz, gemischt mit einem gewissen Nachdenken über die Beweggründe, weshalb sie an der Seite Frankreichs gekämpft und welche Lehren sie daraus gezogen haben. Alles in allem sind sie, wie all die zurückgekehrten Soldaten, angesichts des Massakers von Thiaroye, das Ousmane Sembéne in seinem Film »Camp de Thiaroye« (1988) thematisiert hat, enttäuscht und erschüttert. Nach der Befreiung Frankreichs kehrten überlebende »Tirailleurs« über Dakar und dessen Vorort Thiaroye nach Afrika zurück. Weil sie gleichberechtigte Behandlung (Auszahlung gleicher Gehälter wie ihre französischen Kampfgefährten) forderten, wurden sie nachts von der französischen Armee niedergeschossen. Dieses tabuisierte, dunkle Kapitel französischer Kolonialpolitik hat eine fatale Reaktion bei den Betroffenen ausgelöst – Nationalsozialismus und jene Macht, in deren Namen sie ihr Leben oft aufs Spiel gesetzt hatten, wurden nunmehr gleichgesetzt. Eine tiefe Distanzierung und ein Gefühl des Verrats breiteten sich aus. Es scheint, als ob sie den Krieg, diesen gravierenden Einschnitt in ihrem Leben, verdrängen wollten und nach Versöhnung mit Deutschland suchten. Die Erfahrung mit Deutschland wurde so nachträglich von dieser zweiten bitteren Erfahrung überlagert. Die Enttäuschung war um so größer, als sie sich lange mit dem Lande identifiziert hatten, für dessen Interessen sie – freiwillig oder nicht – kämpften.

Diejenigen, die wir im Laufe unserer Forschung bis jetzt befragen konnten, unterschieden sehr deutlich zwischen den Nationalsozialisten und deren Greueltaten und dem deutschen Volk. Insofern denken sie in der gleichen Richtung wie Senghor und seine Forderung nach einem Dialog der Kulturen, im vollen Bewußtsein über den dafür unerläßlichen Preis.

Darin eingeschlossen ist auch der noch immer anhaltende Kampf der »Tirailleurs« um Gleichberechtigung, um gerechtere Renten, um Gehälter, wie sie ihre französischen Kampfgefährten erhalten haben. Dies findet einen starken Widerhall in der afrikanischen Poesie französischer Sprache sowie in der Aneignung der eigenen Geschichte durch Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Filme. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt das Thema der »Tirailleurs sénégalais« in der afrikanischen französischsprachigen Poesie bestimmt von den beiden Tendenzen, die seine Gestaltung seit Leopold Sédar Senghors »Hostie noires« charakterisieren – Abwehr des von Senghor mit »Louanges de mépris« umschriebenen französischen, zugleich glorifizierenden und erniedrigenden Diskurses und Entgegensetzung einer um Respekt vor den Toten und Wahrhaftigkeit bemühten eigenen Version.11 Das ist eine der Lehren, die wir durch unsere Forschungen, vor allem in interdisziplinären Studien, fördern wollen.

 

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Maguéye Kassé ist Professor für Germanistik und Soziologie an der Université Cheikh Anta Diop de Dakar, Senegal.ember 1999), S. 71-82

 

Leopold S´edar Senghor hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er als Dichter und Theoretiker der »N´egritude« der deutschen Kultur viel verdankt, vor allem Leo Frobenius und dessen »Kulturgeschichte Afrikas«, die ihm 1936 in französischer Übersetzung von Aimé Césaire geschenkt wurde und die von ihm und seinen Freunden wie ein »Donnerschlag« empfunden und gelesen und wiedergelesen wurde. Die Ansichten der »Négritude«-Dichter von Wert und Eigenständigkeit fanden hierin eine Bestätigung, die um so schwerer wog, als sie von einem Wissenschaftler und »Philosophen« kam, der einer anderen Kultur angehörte. Nach Frobenius war es die Begegnung mit der deutschen Romantik, die Senghor das Gefühl der Affinität zur germanischen Welt vermittelte und ihm in seiner Suche nach »Ur-Afrika«, nach den afrikanischen Traditionen in Poesie und Märchen bestärkte. Die beste Definition, die er nach eigenem Bekunden für die »Négritude« geben konnte, war für ihn eine deutsche Definition: »Neger sein«. Senghor forderte, dem kulturellen Gut der Schwarzen einen legitimen Platz in der Weltkultur zu geben. Später verglich er diese Periode der Entstehung der »Négritude« und der afrikanischen Literatur mit dem deutschen »Sturm und Drang«.

In seiner Polemik mit Senghor warnt Leon Gontran Damas (der 1937 sein Werk »Pigments« publizierte) vor einer erneuten Ausnutzung der ›Senegalschützen‹, der sogenannten »Tirailleurs sénégalais«, wie dies bereits im Ersten Weltkrieg geschah. Er lehnte sowohl das Eingreifen in die Kolonialkriege Frankreichs, es sei denn in den eigenen Befreiungskrieg gegen das französische Joch, als auch in eine erneute Besatzung des Rheinlandes – »de souiller à nouveau les bords du Rhin« – entschieden ab. Auffällig ist dabei der Bezug auf die Wiederaufnahme des Propagandathemas der »schwarzen Schande am Rhein« nach 1919 in Deutschland. Kein Wunder also, wenn das gleiche Thema in den Gelegenheitsgedichten (Poésies de circonstance) Senghors wiederaufgenommen wurde; das Gedicht »Hosties noires« wurde von ihm mit der Widmung »Poéme liminaire. A. L. G. Damas« (Leopold Sédar Senghor: Œuvre poetique, S. 55.) versehen. Auf seine Weise antwortet Senghor auf Damas Kritik und stellt die Ehre der Senegalschützen wieder her. Er tut dies auch gegenüber Frankreich, das deren Verdienste nicht anerkannt hat.

Et Caetera
Devant la menace allemande, les Anciens Combattants
Sénégalais Adressent un câblogramme d´indéfectible Attachement.

(Les Journaux.)

Aux anciens Combattans Sénégalais
Aux Futurs Combattans Sénégalais
A tout ce que le Sénégal peut accoucher
de combattans sénégalais futurs anciens
de quoi-je-me-mêle futurs anciens
de mercenaires futurs anciens
de pensionnés
de galonnés
de décorés
de décavés
de grands blessés
de mutilés
de calcinés
de gangrenés
de gueules cassées
de bras coupés
d’intoxiqués
et patati et patata
et caetera futurs anciens
Moi je leur dis merde
et d´autres choses encore
Moi je leur demande
de remiser les
coupe-coupe
les accés de sadisme
le sentiment
la sensation
de saletés
de malpropretés á faire
Moi je leur demande
de taire le besoin qu‘ils ressentent
de piller
de voler
de violer
de souiller à nouveau les bords antiques
du Rhin
Moi je leur demande
De commencer par envahir le Sénégal
Moi je leur demande

De foutre aux »Boches« la paix. Aus: Leon G. Damas: Pigments, Paris 1937.

Wir sind dabei, die in den einheimischen Sprachen des Senegal kursierenden (schlechten) Witze, Sprüche und Gesänge zu sammeln, um eine bessere Vorstellung vom allgemein verbreiteten Meinungsbild (»Imaginaire collectif«) zu erhalten. Ein harmloses Beispiel, das gleichzeitig Ohnmacht offenbart, stammt aus einem Lied: »O Hitler, tu as bu mon sang, je ne reverrai plus mes enfants« (O Hitler, du hast mein Blut getrunken, nie werde ich meine Kinder wiedersehen).

Die einzigen Spuren, die Afrikaner in Neuengamme hinterlassen haben, sind die Zeichnung der Hälfte eines Negerkopfes in einer Toilette, das Bild eines Afrikaners bei der Arbeit vor den Baracken sowie zwei unvollständige Vermerke im Register der dort internierten Franzosen.

 

 

 

1 Vgl. Reiner Pommerin: Sterilisierung der Rheinlandbastarde. Das Schicksal einer farbigen Minderheit. 1918-1937, Düsseldorf 1979.

2 Vgl. Katharina Oguntoye/May Opitz/Dagmar Schultz (Hg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin 1986; Katharina Oguntoye: Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Berlin 1997.

3 Paulette Reed Anderson: Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren, Berlin, März 1995; dies.: Afrikaner in Berlin, Berlin, Oktober 1997.

4 Vgl. Blutschutz und Ehegesundheitsgesetz, München 1936; Das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes mit dem Verbot der Ehe zwischen einem Arier und einem artfremden Blut.

5 Catherine Akpo: Africains dans les Stalags, in: Jeune Afrique, Nr. 1934 (1998).

6 Aus einem Brief eines französischen Gefangenen vom Mai 1941, in: Archives nationales du Benin, zitiert nach: Jeune Afrique, ebenda, S. 49.

7 Ebenda.

8 Michéle Maillet: Schwarzer Stern, Berlin 1994.

9 Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945, Bonn 1997; Bericht von Maurice Passiah, Houston/USA 1981 ANG.

10 Zitiert aus einem Brief eines SS-Obergruppenführers an den Reichsführer-SS und Reichsminister des Innern vom 14. Juli 1944, In: VS-Tgb. Nr. 606-44 g. Kdos.

11 Janos Riesz: Koloniale Mythen – Afrikanische Antworten, in: Literaturbeziehungen 1, Frankfurt/M. 1993, S. 172.