Publikation Rassismus / Neonazismus - International / Transnational Österreich – zwischen Kärntner Provinzfaschismus und Brüsseler Allmachtsphantasie

Utopie Kreativ Heft 115-116 Mai-Juni 2000

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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Mai 2000

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UTOPIE kreativ, H. 115/116

(Mai/Juni 2000),

S. 462-469Amtlich bestätigt darf Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider ein »geistiger Ziehvater des Rechtsextremismus« genannt werden. Im Zuge einer Reihe von Gerichtsverfahren im Umfeld der »Causa Briefbomben«, die zwischen 1994 und 1997 vier Menschen das Leben und über 20 ihre Gesundheit gekostet haben, konnte obige politische Bewertung des langjährigen FPÖ-Chefs letztinstanzlich festgestellt werden. Der Briefbomber Franz Fuchs ist indessen bereits abgeurteilt, seine Einzeltäterschaft allerdings nach wie vor umstritten.

Der eindeutig rechtsextrem motivierte Briefbombenterror stellt nur eine Episode in der jüngsten Geschichte Österreichs dar. Die Opfer der sogenannten »Bajuwarischen Befreiungsarmee« waren durchweg bekannte Persönlichkeiten, die sich für die Integration ausländischer Menschen eingesetzt hatten sowie vier roma-stämmige Burgenländer, die durch das Entfernen einer Tafel mit der Inschrift »Roma zurück nach Indien« einen Sprengsatz ausgelöst hatten, der ihnen das Leben aushauchte. Seit Februar 2000 sitzen nun Vertreter einer Partei, deren Führer »geistiger Ziehvater« solcher Art Rechtsextremismus geziehen werden darf, in höchsten Staatsposten an der Donau. Jede Beunruhigung darüber ist verständlich und jeder Widerstand dagegen berechtigt.

»Der Haidermacher« betitelte vor Jahren der bekannte Journalist Hubertus Czernin eine salopp geschriebene Biographie des einstigen SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzlers Franz Vranitzky. Dessen Verantwortung für die rechte und rechtsradikale Reaktion auf Parteienfilz und Machtmißbrauch sollte damit sichtbar gemacht werden. Tatsächlich haben die Sozialdemokraten nach dreißigjähriger Kanzlerschaft ein Geflecht von Verfilzung entfaltet, das Parteiräson mit fast allen gesellschaftlichen Bereichen auf eine undurchsichtige Weise verbunden hat. Arbeitsplatz- und Wohnungsvergabe, Subventionstöpfe für Künstler, Wissenschaftler und Sozialprojekte, Unterstützung von Vereinen und Zeitschriften, das Leben jener, die keinen ausreichenden finanziellen Hintergrund hatten, um wirtschaftlich autonom agieren zu können, war zu einen Gutteil vom politischen Klientendasein bestimmt. Der Gang zum lokalen Funktionär oder die bittstellerische Haltung vor dem Beamten sind einem echten Österreicher in die Wiege gelegt. Und wenn es keine sozialdemokratisch administrierte Bundesstelle war, die über das weitere Schicksal zu entscheiden hatte, dann war es eben ein konservativ oder sozialdemokratisch regiertes Land, dessen Bürokratie nach demselben Muster agierte. Um seine Tochter als Angestellte in der verstaatlichten Bank unterzubringen, um Forschungsgelder für eine akademische Postgraduation auf das Konto zu bekommen, um in eine städtisch geförderte Wohnung einzuziehen, »Vitamin B« – B wie Beziehungen – war oft unabdingbar und half meistens.

Eingebettet in die sozialen und wirtschaftlichen Sicherheiten eines sozialpartnerschaftlichen Wohlfahrtsstaates funktionierte diese Art von Sozialdemokratismus seit Beginn der siebziger Jahre ohne großen Widerspruch. Dies umsomehr, als die SPÖ aufgrund der spezifischen gesellschaftlichen Gegebenheiten eines Landes, das nach 1945 (eigentlich schon nach 1918) kein starkes, um seine Interessen kämpfendes Bürgertum mehr gekannt hat, bis in die achtziger Jahre in den wirtschaftlichen Kernbereichen Energie, Schwer-industrie und Bankwesen Politik machen konnte. In weit höherem Ausmaß als überall sonst in der westlichen, kapitalistischen Welt waren diese Sektoren im Gefolge des Potsdamer Abkommens über das »Deutsche Eigentum« nach 1945 verstaatlicht worden.

Drei einschneidende Ereignisse haben den »österreichischen Weg«, den Papst Paul VI. einmal als »Insel der Seligen« beschrieben hat, heute ungangbar gemacht. Zum ersten die Krise der Industriegesellschaft insgesamt bzw. die damit verbundene radikale Änderung der Arbeit weg von einer – zumindest postulierbaren – proletarischen Solidarität hin zu einer Individualisierung und auch Prekarisierung der Lohnarbeit. Das war überall in Europa so. Desgleichen transkontinental spürbar äußerte sich der Zusammenbruch der kommunistischen Welt im Osten, wobei für Österreich als traditioneller politischer und auch wirtschaftlicher Vermittler zwischen West und Ost, zwischen NATO und Warschauer Pakt, zwischen EWG/EG und RGW nach dem Zusammenbruch der von Moskau geführten Institutionen ein extremer Rollenwechsel notwendig geworden ist. Das dritte einschneidende – und wohl spezifisch in Österreich wirksam gewordene – Ereignis ist mit dem Datum 1. Januar 1995 verbunden. An diesem Tag trat Österreich der Europäischen Union bei. Mit einem Schlag existierten nun bürgerlich-kapitalistische Interessen im europäischen Maßstab, noch dazu in Form ausländischer Kapitalgruppen, die Österreich als Vergrößerung des bayrischen und/oder norditalienischen Marktes begriffen. Lange Zeit geschützte Sektoren in der Landwirtschaft und im Klein- und Mittelgewerbe waren dem Konkurrenzdruck von außen nicht gewachsen.

Noch 1994 war es in Österreich üblich, z.B. den Obst- und Gemüsemarkt, die Mühlen, die Zuckerraffinerien, die Milchwirtschaft und vieles andere mehr gegen Importe zu schützen bzw. den Energiesektor oder die Schwerindustrie staatlich zu regulieren. Die Anpassung an den EU-Markt ging rasch und mit nur kurzen Übergangsfristen vonstatten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen – z.B. dem österreichischen Raiffeisenkonzern –, übernahmen meist deutsche, manchmal auch italienische oder französische Firmen den heimischen Marktanteil. Ein einheimisches Bürgertum, das von der EU-Mitgliedschaft profitiert hätte, ist de facto inexistent, es beschränkt sich auf wenige allseits bekannte Familien.

Folgerichtig erklomm eine rabiate, im Kern kleinbürgerliche Schicht, ein guter Teil davon Verlierer der Integration in den EU-Markt, die politische Bühne. Jörg Haiders FPÖ ist Ausdruck dieser spezifischen gesellschaftlichen Klasse, die freilich potentiell in allen EU-Ländern anzutreffen ist. Insofern ist die FPÖ – wie es auch die renommierte »Neue Zürcher Zeitung« immer wieder betont – ein Mittel zur Normalisierung des Landes, und womöglich auch zur Normalität der EU.

Das Phänomen Haider und die FPÖ

Jörg Haider ist ein Medienprofi. Mehr als rabiate Kleinbürger oder von den Sozialdemokraten enttäuschte Arbeiter bilden Fernsehkameras seine Basis. Als erster in der österreichischen Parteienlandschaft hat er frühzeitig erkannt, daß die mediale Inszenierung in einer auf das Fernsehen fixierten Gesellschaft weit mehr als Inhalte den entscheidenden politischen Erfolg garantieren. Journalisten auf der Suche nach einer sensationellen Story sind bei ihm gut aufgehoben, er bietet sie jedem, der danach fragt. Klammheimliche oder unbewußte Komplizenschaft der Medienmacher sind Jörg Haiders eigentliches politisches Rezept. Gerade das macht ihn so gefährlich.

Hervorgegangen ist die dritte politische Nachkriegskraft aus dem bereits 1949 gegründeten Verband der Unabhängigen (VdU). Der VdU war, ähnlich wie die NDPD in der DDR, explizit als Sammelbecken für die 530.000 registrierten Nationalsozialisten gedacht, die beim ersten Wahlgang nach 1945 per alliiertem Dekret von der Stimmabgabe ausgeschlossen blieben. Ein fast 12-prozentiger Stimmanteil machte das nationale Lager sowohl für künftige SPÖ- als auch ÖVP-Koalitionen interessant. Es sollte allerdings fast 20 Jahre dauern, bis die mittlerweile längst in Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) umbenannten Nationalen 1970 entscheidend ins parlamentarische Geschehen am Wiener Ring eingreifen konnten.

Gegen die Zusicherung des designierten SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky, das Wahlgesetz zugunsten von Kleinparteien und damit zugunsten der FPÖ zu ändern, unterstützte diese sein Minderheitskabinett. Gesprächspartner Bruno Kreiskys in der FPÖ war der frühere Nationalsozialist und damalige Parteichef Friedrich Peter. 1983 kam es dann zur ersten Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Norbert Steger, ein explizit anti-nationaler Liberaler, wurde Vizekanzler unter einer sozialdemokratischen Regierung. Die FPÖ schien in die Fußstapfen der deutschen FDP zu treten; liberale Kräfte setzten sich – kurzfristig – durch.

Im September 1986 kam es dann zum internen Machtwechsel. Der Bundesparteitag der FPÖ wählte den damals 36jährigen Jörg Haider zum Vorsitzenden. Die liberale Führung sprach von einem Putsch. Mit markigen nationalen Sprüchen triumphierte der 1950 im oberösterreichischen Bad Goisern geborene und aus einer nationalsozialistischen Familie stammende Haider über seine politischen Ziehväter. Das liberale Element der Partei verlor an Einfluß. SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky kündigte die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen auf.

Mit jenem legendären Parteitag im Jahre 1986 begann der Aufstieg der Freiheitlichen unter ihrem neuen Führer Jörg Haider. Von einer 5-Prozent-Partei im Jahre 1983 wuchs die Zustimmung auf jene beachtlichen 27,2 Prozent im Oktober 1999, die ein parlamentarisches Übergehen dieser Partei de facto unmöglich gemacht haben. Der 3. März 1999 steht für Haider als Datum seines bislang größten persönlichen Sieges: Anläßlich der Kärntner Landtagswahlen erreichte die FPÖ 42 Prozent im südlichsten österreichischen Bundesland, Haider wurde Landeshauptmann von Kärnten, einem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes vergleichbar. In dieser Position agiert er bis heute.

Politische Positionswechsel gehören zum ständigen Repertoire der FPÖ. Mehrmals wurden z.B. pro- und anti-EG/EU-Positionen gewechselt. Entscheidender war jedoch Anfang der neunziger Jahre die innerparteiliche Wende weg vom Deutschnationalismus – der gleichwohl weiter im Stimmvolk Wurzeln hat – hin zum Österreich-Patriotismus. War für den jungen Haider die österreichische Nation noch »eine Mißgeburt, denn die Volkszugehörigkeit ist die eine Sache und die Staatszugehörigkeit ist die andere Sache«, so gibt er sich seit Jahren als Landespatriot. Mit diesem politischen Outfit ging er auf Stimmenjagd im ÖVP-Wählerreservoir. Als Nachfolgerin des austrofaschistischen Dollfuß-Regimes war der ÖVP der Deutschnationalimus von jeher fremd. Der rot-weiß-rote Anstrich, den sich die Haider-FPÖ Mitte der neunziger Jahre nach dem Beitritt Österreichs zur EU verpaßt hat, ist die Basis für sein Eindringen in »schwarze« Wählerschichten. Noch kürzer zurück liegt Haiders Selbstinszenierung als »Anwalt des kleinen Mannes«, der es der FPÖ erlaubte, in den Kernwählerschichten der Arbeiterschaft zu wildern.

Den Nationalratswahlkampf im Oktober 1999 betrieb die FPÖ mit populistischen ausländerfeindlichen Parolen. Realiter entsprachen diese freilich voll und ganz dem Schengener Abkommen, wonach die Einreise von Nicht-EU-Europäern in die Union der Reichen unerwünscht und zu verhindern sei. Mit der Emotionalisierung der sozialen Ausprägung dieser Wohlstandsgrenze wurde die Angst vor Konkurrenz am Arbeits- und am Wohnungsmarkt geschürt. »Wußten Sie, daß die SPÖ-Wien 9.300 Ausländern pro Jahr meist vorzeitig die österreichische Staatsbürgerschaft verleiht, und diese dadurch in den Genuß des Wahlrechts kommen und den Zugang zu den Gemeindewohnungen erhalten?« So oder ähnlich gestrickt waren die Sätze in den Werbebroschüren der Freiheitlichen, die den Wiener Haushalten vor der Wahl zugestellt wurden. »Wußten Sie, daß ausländische Jugendliche Gratiskarten für ein Fitneß-Studio erhalten, die heimischen Jugendlichen jedoch nicht?« Wer es erst geahnt hatte, dem bestätigten die ausländerfeindlichen Sprüche sein Vorurteil. Fast ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher gab am 3. Oktober 1999 Jörg Haider seine Stimme.

Die ÖVP-FPÖ-Regierung im Dienste von Maastricht

Daß die Truppe von Jörg Haider überhaupt ministrabel geworden ist, verdankt sie Wolfgang Schüssel. Der Parteiobmann der ÖVP und langjährige Vizekanzler unter sozialdemokratisch geführten Koalitionsregierungen macht aus seiner EU-Euphorie kein Hehl. Mehrmals hat er die Erfüllung der Maastricht-Kriterien als oberstes Ziel jeder nationalen Politik deklamiert. Die Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition, die immerhin 13 Jahre gedauert hatte, ist letztlich genau an diesem Punkt zerbrochen. Es waren die sozialdemokratischen Gewerkschafter, insbesondere die Metallarbeiter, die ein drittes Sparpaket zwecks Erfüllung von Inflations- und Budgetkriterien im Vorfeld der Einführung des Euro ablehnten. Soziale Einschnitte wie eine Erhöhung des Rentenalters um eineinhalb Jahre, die Kürzung von Unternehmerbeiträgen zu Sozial-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherungen sowie die Erhöhung von Massen-steuern im Energiesektor wollten die SPÖ-Gewerkschafter nicht mittragen. All dies tritt nun unter der ÖVP-FPÖ-Regierung in Kraft. Der Koalitionswechsel der ÖVP hin zu den Freiheitlichen ist einzig den Haushalts- und Währungsvorgaben der Maastrichter Kriterien geschuldet. Da weitere monetaristische Politik mit den Gewerkschaften nicht mehr zu machen war, schwenkten die Christlichkonservativen, in denen das wirtschaftsliberale Element seit je die Oberhand hat, auf die Koalition mit den Rechten um.

Daß dieser EU-Pragmatismus in den Hauptstädten Westeuropas nicht gewürdigt wurde, ist für Wolfgang Schüssel unverständlich. Tatsächlich stellt dies eine Ironie in der ganzen Polit-Szenerie in Österreich – und in EU-Europa – dar.

Neben der wirtschaftlichen Unterwerfung unter die Brüsseler Spielregeln machte auch die militärische Unterordnung des neutralen Österreich unter die Logik der NATO-Osterweiterung zu Zeiten der SP-VP-Koalition nicht mehr die im Westen gewünschen Fortschritte. Alte sozialdemokratische Politiker beharrten zumindest formal auf dem Neutralitätsstatus. Durch »Partnerschaft für den Frieden« und Beteiligung an Bosnien- und Kosovo-Einsätzen zwar längst ausgehöhlt, aber auf dem Papier nach wie vor intakt, so präsentierte sich Österreichs Neutralität Ende 1999, als die Koalitionsgespräche in ihre entscheidende Phase traten. Wolfgang Schüssels ÖVP mußte erkennen, daß eine NATO-Mitgliedschaft mit der SPÖ in den kommenden vier Regierungsjahren nicht hätte beschlossen werden können. Jörg Haider ist auch hier hilfreicher, wiewohl die dafür notwendige Änderung der österreichischen Verfassung eine Zweidrittelmehrheit im Parlament bräuchte. Ähnlich wie bei der Maastrichter Musterschülerrolle muß die neue Regierung in der Frage der NATO-Mitgliedschaft erneut die Anerkennung aus dem Westen vermissen.

Riß in der deutsch-französischen Freundschaft

Die Ächtung der 14 EU-Regierungen, vereinbart Ende Januar 2000 unmittelbar vor der Einigung der schwarz-blauen Koalitionsgespräche, traf den medialen Normalverbraucher in Österreich unvorbereitet. »Bilaterale Sanktionen« hieß und heißt der terminus technicus für die politische Quarantäne, unter die die neue Koali-tion gestellt wurde. Welch hehre Ziele auch immer dahinter stecken mögen, ob und welche Art von Antifaschismus bzw. Ausländerfreundlichkeit dafür argumentativ in Anschlag gebracht werden, erst langsam merkten die Österreicherinnen und Österreicher, daß sich die Position der EU-Partnerländer gegenüber der kleinen Alpen- und Donaurepublik plötzlich geändert hatte. Eine Trotzhaltung, die auf der FPÖ-Homepage ›www:jetzterstrecht.at‹ nachgelesen werden kann, darf als Reaktion darauf nicht verwundern. Doch die Frage nach den Motiven bleibt.

Wiener Kommentatoren hatten bald ein Motiv geortet. Der französisch-deutsche Konflikt, historisch tief verwurzelt und angesichts der neuen forsch auftretenden Berliner Führungsmannschaft in Paris wieder schmerzlich in Erinnerung gerufen, könnte hinter der Isolierung Österreichs stecken. Die Ächtung Österreichs als Warnung an Berlin: eine deutsch geführte EU sei im romanischen Raum inakzeptabel. In Sachen Antifaschismus hat Paris zudem die besseren Karten. Seine Bourgeoisie ist nach 1945 mit antihitlerischem Selbstverständnis wiedererstanden, die deutsche hingegen nicht. Und für Spanien und Portugal bietet diese Art von innereuropäischer Geopolitik noch eine besondere Chance. Ohne große Anstrengung können sich die iberischen Bürgerlichen und Sozialdemokraten ein antifaschistisches Mäntelchen umhängen. Debatten über ihre Haltung zu den Regimes von Franco und Salazar erübrigen sich, weil sie im Ränkespiel zwischen Paris und Berlin nicht nachgefragt sind.

Nach der wirtschaftlichen Integration: politische Homogenisierung

Die Position der 14 EU-Regierungen zur österreichischen Koalition ist klar: Haider und jene, die ihn hoffähig gemacht haben, bedrohen die europäischen Werte. Nehmen wir diese Position erst. Tatsächlich ideologisieren die Staatschefs der EU und der USA bereits seit mehreren Jahren die Integrations- und Erweiterungspläne, die durch verschiedene Instrumente – Europäische Union, NATO, Weltbank und Währungsfonds – seit 1989 auch in Osteuropa vorangetrieben werden. Damit erhält der wirtschaftliche Expansionismus – vor allem der stärksten Konzerne innerhalb der Europäischen Union – und seine militärische Absicherung, im Rahmen der NATO und demnächst auch unter EU-Flagge, ein kulturelles Beiwerk. Die Rede ist von der »westlichen Wertegemeinschaft«. Die Wurzeln ihres Selbstverständnisses reichen weit zurück, mindestens in die Zeit jener Missionsvorstellungen Roms, die den »Drang nach Osten« unter deutsch-römischen Kaisern religiös untermauert haben.

Die Höherwertigkeit der eigenen Kultur und ihr Export über die Grenzen des jeweils aktuellen ›Heiligen Römischen Reiches‹ hinaus konstituierte das westliche Weltbild. Diese Tradition ist keineswegs verloren gegangen, im Gegenteil. Die alte Missionsvorstellung schlüpft bloß in ein neues Gewand, in das der »westlichen Wertegemeinschaft« eben. Neu an ihr ist nicht der Glaube an die eigene übergeordnete Moral, der schon immer im Zentrum römisch-imperialer Vorstellungen herrschte. Neu sind vielmehr die propagierten Inhalte, mit denen diese Moral gefüllt wird. Parlamentarische Demokratie, ein kontrollierter und quotierter Arbeitsmarkt sowie grenzenlose Freiheit für Kapitaltransaktionen spekulativer oder investitiver Art gelten als Eckpfeiler der modernisierten missionarischen Vorstellungswelt.

Die jüngsten Kriege, die die »westliche Wertegemeinschaft« unter Führung der NATO gegen den Irak und gegen Jugoslawien um die wirtschaftliche, (geo)politische und kulturelle Hegemonie geführt hat und bis heute führt, haben zwei besondere Begriffe – mit einer Reihe von daran geknüpften Vorstellungen – ins Zentrum dieser moralischen Argumentation gerückt: Menschenrechte und Antifaschismus.

Als Kampfbegriffe, die den Bomberpiloten wie auch den sie begleitenden Medien mit an die Front gegeben wurden – »humanitärer Krieg«, »Kampf für Menschenrechte«, »Saddam ist gleich Hitler«, »Milos˘evic´ ist gleich Hitler« – unterlagen sowohl die Menschenrechte wie auch der Antifaschismus einer Instrumentalisierung. Sie wurden in den Dienst des imperialen Projektes gestellt. Und dieses wird – je nach terminologischer Vorliebe – mit den Begriffen ›Integration‹ oder ›Erweiterung‹ umschrieben. Dies gilt für EU und NATO gleichermaßen. Das Bombardement zum Schutz der Menschenrechte steht symbolhaft für die neue Missionsvorstellung, deren Propagierung es gelungen ist, den logischen Widerspruch dieses Vorgehens unsichtbar zu machen.

Ähnlich hat es sich mit der Uminterpretation des Faschismus zugetragen, indem eine ungeheuerliche Inflationierung des Begriffes Platz griff, die in den neunziger Jahren dazu geführt hat, jeweils die Behandlung der Kurden durch Baghdad und der Kosovo-Albaner durch Belgrad mit dem Holocaust auf eine Stufe zu stellen. War dieser Faschismusbegriff erst einmal medial etabliert und entsprechend tabuisiert, konnte der Angriff auf den Irak und auf Jugoslawien als antifaschistischer Akt ideologisiert werden. Deutschland hat damit 50 Jahre nach der Eingliederung führender Nazis in sein politisches, wirtschaftliches und juristisches System seine Vergangenheit auf besondere Weise bewältigt, indem es sie gewissermaßen zeitlich und örtlich versetzt hat, um in der Folge diese Transformation zu bekämpfen. Daß diese Art der Vergangenheitsbewältigung gerade den Franzosen nicht besonders gefällt, ist verständlich.

Das große Projekt der »westlichen Wertegemeinschaft« hat letztlich die Vergrößerung von Markt und Einflußbereich zum Ziel. Bestehende Widersprüche zwischen EU und USA werden vorläufig – wie in der Auseinandersetzung im arabischen Raum als auch am Balkan zu sehen – einer gemeinsamen Vorgehensweise untergeordnet.

Auf dem Beipackzettel der Integrations- bzw. Erweiterungsschriften ist viel von kultureller Toleranz und notwendiger Multikulturalität die Schreibe – beides wahrlich keine Stärken der westeuropäischen Großmächte im 20. Jahrhundert, deren Rassismus ganze Kontinente wie Afrika und Teile Asiens verheert hat und die im Zuge der ethnischen Homogenisierung vor nichts zurück-geschreckt sind. Jörg Haider steht für die missionarische Erweiterungsvision seiner westeuropäischen Kollegen ohne ihre in der Regel bloß verbal geäußerten kulturellen Skrupel. Das macht ihn einerseits mit den Erweiterungsprojekten kompatibel, andererseits aber zum gefährlichen Konkurrenten der sozialliberal-christliberalen Integrationsszene.

Der Liberalismus der Haider-FPÖ beschränkt sich auf das Wesentliche, auf die ökonomische Expansion und ihre militärische Eingreiftruppe. Von kulturellem Beiwerk und political correctness ist er unbelastet. Gerade deshalb ist die Isolierung eines rechten Populisten wie seinesgleichen von immanenter Bedeutung für die derzeitige politische Führungsschicht der Europäischen Union. Sowohl in Hinblick auf das Feld der Erweiterung, wo überall in den Beitrittsländern starke nationale Kräfte zu finden sind; und noch mehr in Hinblick auf das Zentrum des Imperiums selbst, wo die Unzufriedenheit mit dem zunehmenden Sozialabbau, wie er von Christliberalen und Sozialliberalen gleichermaßen betrieben wird, steigt. Der gesellschaftliche Konsens über das gesamte Integrations- und Erweiterungsprojekt ist gefährdet.

Ohne gesellschaftlichen Konsens jedoch müßten die Akkumulationspläne der stärksten Teilnehmer am Markt umgedacht werden; und zwar in Richtung gesellschaftlicher Militarisierung. Jörg Haider und seinesgleichen wären dafür zu haben. Sie sind mit der ökonomischen Expansion einverstanden, allerdings ohne die Fähigkeit, einen gesellschaftlichen Konsens dafür – sowohl im westeuropäischen Zentrum als auch an der osteuropäischen Peripherie – aufrechtzuerhalten bzw. herzustellen. Insofern könnte Haiders FPÖ für die stärksten expansionistischen Kräfte eine Vorbildwirkung als zweite Option für ein imperiales Westeuropa entfalten, das keiner sozialpartnerschaftlichen Lösungskompetenz mehr bedarf.

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Hannes Hofbauer – Jg. 1955; studierter Historiker, ist Journalist und Autor, beschäftigt sich vor allem mit europäischer Wirtschaftsgeschichte und -politik, lebt in Wien, zuletzt erschien von ihm: »Balkankrieg. Die Zerstörung Jugoslawiens«, Promedia Verlag, Wien 1999.

 

»Österreich ist das demokratische Land mit der höchsten Parteibuchquote weltweit. Junglehrer auf Stellensuche haben nicht selten das Plazet der Gewerkschaftler einzuholen. Deren Wissbegier erschöpft sich gewöhnlich in einer Grußformel von gemütvoller Heimtücke: ›Und, pass’ma z’samm?‹ Falls nicht, ist’s misslich. Oder war. Die FPÖ will das nun ändern, nicht nur bei den Lehrerstellen.«
Walter Mayr: Tribun der Ohnmächtigen, in: Der Spiegel, 9/2000, S. 31.

»Vom stolzen deutschnationalen Brandredner der frühen Jahre hat er sich zum österreichisch-patriotischen Tribun der Ohnmächtigen gewandelt. Seit Jahren gibt Haider den Großinquisitor im Dienst des kleinen Mannes.«
Walter Mayr: Tribun der Ohnmächtigen, in: Der Spiegel, 9/2000, S. 31.

»Die FPÖ des Jahres 2000 ist eine Partei des subjektiv Heimatvertriebenen geworden: der Globalisierungsverlierer, vom Kirchenglauben Abgefallenen, Frührentner. Sie gewinnt auch bei der Jugend und den Facharbeitern in der politischen Mitte und links davon. Der rechte Rand gehörte ihr ohnehin. Das Wahlvolk hat sich wenig bewegt. Haider umso mehr.«
Walter Mayr: Tribun der Ohnmächtigen, in: Der Spiegel, 9/2000, S. 31.

»Seit er Parteichef ist, sank der gemeinsame Stimmenanteil der großen Volksparteien SPÖ und ÖVP um ein Drittel – von 90 Prozent 1983 auf 60 Prozent 1999. Die Gewinne verteilen sich auf die Grünen und die FPÖ-Abspaltung Liberales Forum, vor allem aber auf die FPÖ selbst.«
Walter Mayr: Tribun der Ohnmächtigen, in: Der Spiegel, 9/2000, S. 31.

»Haider versteht sich als Volkstribun, als Lautsprecher der Sprachlosen, Unzufriedenen, Zukurzgekommenen. Er verspricht dem redlichen Österreicher – also nach Selbsteinschätzung beinahe allen – beinahe alles: den Reichen weniger Steuern, den Kinderreichen Fortkommen durch Gebärprämie, den Beschäftigten Schutz des Arbeitsplatzes und den Paneuropäern die EU- Erweiterung.«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 146.

»Linear zum wachsenden Zorn der Verlierer auf jene, ›die sich’s richten‹ – Beamte, Kammerfunktionäre, Parteibonzen –, wuchs die Stimmenzahl für Haiders FPÖ. Linear sank die Zahl verbaler Ausfälle, mit denen der Parteichef glaubte, auch noch das rechtsextreme oder NS-nostalgische Lager einbinden zu müssen.«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 147.

»Haider ist unbarmherzig modern. Er setzt darauf, dass das Gedächtnis der Videoclip-Gesellschaft schrumpft und die Sehnsucht nach Metaphern des Behauptungswillens im selben Maße steigt. Deshalb gibt er den Revoluzzer, den Bürgerschreck, auch den braun gebrannten, unerschrockenen Bergfex …«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 146.

»Haiders Stärke ist die Schwäche der anderen: die Angst der kleinen Leute vor der Macht der großen Konzerne, vor dem Zustrom fremder Arbeitskräfte. Und der Angst der regierenden Parteien vor dem Verlust ihrer Macht.«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 146.

»Mit Sprüchen sind die Probleme Österreichs allerdings nicht zu lösen. Der Staat hat 243 Milliarden Mark Schulden. Wenn nicht in nächster Zukunft eine Regierung gebildet und ein Etat verabschiedet wird, ist die Republik Mitte des Jahres zahlungsunfähig. Gleichzeitig ist Österreich, pro Kopf gerechnet, das siebtreichste Land der Erde …«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 147.

»Doch Haider gilt in Brüssel als wankelmütiger Maulheld, seit er im Wahlkampf die Angst vor der EU-Erweiterung und einer Überfremdung Österreichs geschürt, danach aber als Vertreter Kärntens im EU-Auschuss der Regionen die Erweiterung begrüßt hat.«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 150.

»Mit seinem Rücktritt, so gibt er vor, habe er klarstellen wollen, dass die FPÖ-Minister in der schwarz-blauen Koalition unter Kanzler Wolfgang Schüssel keineswegs seine ›Marionetten‹ seien und er sich selber nicht als ›Schattenkanzler‹ fühle. Derlei Vorwürfe zitiert Haider nur, wenn er seine Gegner auf die falsche Fährte locken will. Natürlich hat der Puppenspieler aus Klagenfurt anderes im Sinn, als das Prädikat Schattenkanzler loszuwerden. Bereitwillig räumt er ein, weiterhin das Kanzleramt anzustreben.«
Walter Mayr: Falsche Fährte, in: Der Spiegel, 10/2000, S. 184.

»Nur die deutschen Christdemokraten Stoiber und Schäuble sehen die Angelegenheit nicht so eng: Stoiber empfahl bereits nach den Wahlen im Oktober seine ÖVP-FPÖ-Koalition, und auch Schäuble hätte keine gravierenden Einwände gegen das Rechtsbündnis …«
Walter Mayr: Schattenkanzler Haider, in: Der Spiegel, 5/2000, S. 142.