Publikation Rassismus / Neonazismus - Geschichte - Erinnerungspolitik / Antifaschismus Zur Widerstandsrezeption in der BRD bis 1989

Utopie Kreativ Heft 118 August 2000

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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August 2000

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UTOPIE kreativ, H. 118

(August 2000),

S. 797-805Der Widerstand in seinen vielen Facetten löste in der Bundesrepublik immer wieder mehr oder weniger heftige Kontroversen aus, die stets von einer Instrumentalisierung durch die Politik begleitet waren.1 Verschiedene gesellschaftliche Gruppen, vor allem die Parteien und die Kirchen, haben sich den Widerstand als identitätsstiftendes Element zu eigen gemacht, Geschichtswissenschaft und öffentliche Debatten sich gegenseitig beeinflußt. Dies hat dazu geführt, daß einzelne Formen und Gruppen des Widerstands lange Zeit ausgegrenzt wurden. Erst die politischen Veränderungen und die Einbeziehung von Alltags- und Sozialgeschichte in die bundesdeutsche Historiographie haben das Widerstandsbild realitätsnaher werden lassen.

Peter Steinbach, Professor an der FU-Berlin und wissenschaftlicher Leiter der häufig im Mittelpunkt solcher Auseinandersetzungen stehenden »Gedenkstätte Deutscher Widerstand« machte dies in seiner Gedächtnisvorlesung für die »Weiße Rose« deutlich: »Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand eignet sich deshalb nicht zur gruppen- und organisationsspezifischen Traditionsbildung, weil der Widerstand keinem ›gehört‹, von Politikern nicht zu ›besetzen‹ ist, nicht in der Lage ist, das Handeln und die Ziele gegenwärtig streitender Organisationen widerspruchs- und problemlos zu legitimieren. Widerstand eignet sich aber auch nicht zur ›Ausgrenzung‹ von Kontrahenten im politischen und gesellschaftlichen Konflikt.«2 Jene, die Widerstand leisteten oder sich verweigerten, konnten sich nur auf ihr Gewissen berufen und sich bestenfalls auf ihre engste Familie stützen, manchmal nicht einmal das. Daß Parteien oder die beiden großen Kirchen den Widerstand von ihren jeweiligen Mitgliedern nach Kriegsende für sich in toto reklamierten, widerspricht den tatsächlichen Gegebenheiten.

Die ersten Jahre der Bundesrepublik sind sowohl von einer im politischen Interesse erfolgten Überhöhung insbesondere des militärischen Widerstands und jenes der Angehörigen konservativer Kreise geprägt, die in engem Zusammenhang mit der angestrebten Westintegration standen, als auch von der in der Bevölkerung weit verbreiteten Meinung, die Opposition gegen Hitler sei Landesverrat gewesen. Große Teile der ehemaligen Wehrmachtssoldaten machten sich diese Verratsthese zu eigen. Die Möglichkeit eines Widerstands innerhalb des Heeres zu akzeptieren und sich mit dem eigenen Anteil am verbrecherischen Krieg auseinanderzusetzen, mußte den Sinn ihres Kriegseinsatzes in Frage stellen. Die Verschwörer des 20. Juli hatten allerdings nicht nur in den Augen der Soldaten, sondern auch in jenen des Großteils der bundesdeutschen Bevölkerung gegen ihr eigenes Volk gehandelt, sie fühlten sich durch das Attentat hintergangen.

Bereits unmittelbar nach dem Attentat des 20. Juli wurde der Grundstock für Verdrängung und Verratsthese, die nach 1945 jahrelang die Rezeption des Widerstands bestimmen sollte, gelegt. Hitler sprach von »einer kleinen Clique ehrgeiziger Offiziere«. Nicht nur Churchill, sondern auch die Presse in den USA und in Großbritannien reduzierten den Attentatsversuch auf »Ausrottungs-kämpfe unter den Würdenträgern des Dritten Reiches« bzw. übten heftige Kritik daran, daß ein Staatsoberhaupt und Oberkommandierender der Armee durch die »typische Waffe der Verbrecherwelt«, eine Bombe, getötet werden sollte.3 Ein erfolgreicher Wider-stand, die Beseitigung Hitlers und des NS-Regimes aus dem inneren Kreis der Führungsmacht, wäre dem Ziel der Westalliierten, Deutschland zu einer bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, hinderlich gewesen. Das Verdrängen der deutschen Opposition gegen Hitler bestimmte auch nach Kriegsende die Politik der westalliierten Besatzungsmächte in Deutschland. Dieser offensichtlichen Reserviertheit bzw. gar Desinteresse lag nichtzuletzt die Absicht der Westalliierten zugrunde, der deutschen Öffentlichkeit kein Instrument an die Hand zu geben, sich auf den Widerstand zu berufen, um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu meiden. Die ersten Jahre der Bundesrepublik haben allerdings gezeigt, daß genau dies eingetreten ist. Zudem wurde das Thema Widerstand nun jenen Kreisen überlassen, die die Opposition ins Negative verkehrten und sie als Verrat diskreditierten.

Die erste politische Reaktion der neu konstituierten Bundesrepublik Deutschland erfolgte erst 1952, als sich Bundespräsident Theodor Heuss gegen die »Versudelung« des Andenkens an die Opfer des 20. Juli aussprach.4 Im selben Jahr wurde im Braunschweiger Prozeß gegen Otto Ernst Remer eindeutig formuliert, daß die Männer des 20. Juli keine Landesverräter gewesen seien. Remer, Mitglied des Berliner Wachbataillons, das bei der Niederschlagung der Verschwörung vom 20. Juli beteiligt war, und Gründer der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei, erhielt wegen Verleumdung der Männer und Frauen des Widerstands eine dreimonatige Haftstrafe. Maßgebend für das Zustandekommen des Prozesses gegen Remer war Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Bauer reklamierte einen Zusammenhang zwischen Widerstand und deutscher Nachkriegsdemokratie. Sein Ziel war die Festschreibung eines Widerstandsrechts als rechtsstaatlicher Bestandteil der demokratischen Kultur der Bundesrepublik. Bauer konstatierte, daß der »Eid auf Hitler unsittlich« gewesen sei, den Eid auf eine Person und nicht auf Gesetz, Recht oder Vaterland bezeichnete Bauer als leere Pflichtethik.5

Allerdings ergaben Meinungsumfragen bei ehemaligen Soldaten noch 1954 ein äußerst bedenkliches Bild, 59 Prozent äußerten sich negativ über die »Männer vom 20. Juli«.6 Fast 40 Prozent der Westdeutschen verneinten im gleichen Jahr die Frage, ob Emigranten nach ihrer Rückkehr ein hohes Regierungsamt bekleiden sollten.7 Noch 1963 hielt nach Infas jeder vierte Bundesbürger die Verschwörer des 20. Juli und andere Widerstandskämpfer für Vaterlandsverräter.8 Erst im Laufe der sechziger Jahre waren die Verschwörer des 20. Juli auch im öffentlichen Bewußtsein von dem Ruch, Verräter gewesen zu sein, befreit, wenn auch in rechtsextremen Kreisen diese These bis heute aufrechterhalten wird.

Die Leidtragenden dieser verdrängten Opposition waren vor allem die Angehörigen der ermordeten Widerstandskämpfer. Sie wurden von ihren deutschen Landsleuten ignoriert, zum Teil sogar diffamiert und waren zunächst auf Hilfe aus dem Ausland, u.a. von deutschen Emigranten, angewiesen. Acht Jahre nach Kriegsende erst wurden die Hinterbliebenen und Überlebenden des Widerstands in die Wiedergutmachungsleistungen für die Verfolgten des NS-Regimes einbezogen. Allerdings mußten etwa die Witwen beweisen, wie stark sie selbst verfolgt worden waren, viele haben daraufhin auf einen entsprechenden Antrag verzichtet. KPD-Opfer erhielten nach dem Verbot der Partei 1956 keine Zuwendungen mehr.9

Seit Beginn der fünfziger Jahre – seit 1952 in Berlin und kurze Zeit später auch in Bonn – gehört die Gedenkveranstaltung des 20. Juli zum offiziellen Ritual der politischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik. In den fünfziger Jahren war sie allerdings mehr das Resultat einer Instrumentalisierung für politische Zwecke als ein Zeichen für die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und seinen Gegnern. Wie stark das dort vermittelte Widerstandsbild noch ein Tribut an das Ausland war, das für die angestrebte Westintegration, die Wiedererlangung der Souveränität (1955) und die Wiederbewaffnung eingenommen werden mußte, zeigt die erst in den sechziger Jahren eingeführte nationale Beflaggung. Berührt wurde mit der Würdigung des militärischen und bürgerlichen Widerstands auch die innerdeutsche Frage. Die Absicht, sich deutlich gegenüber der DDR abzusetzen, die den kommunistischen Widerstand als staatstragend verinnerlicht hatte, war evident.

Innerdeutschen Vorbehalten, aber auch dem Kalten Krieg ist letztlich auch die jahrzehntelange Verweigerung der Anerkennung der Widerstandsorganisation um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, unter dem NS-Begriff »Rote Kapelle« bekannt, geschuldet. Die Mitglieder wurden als Spione und Verräter beschimpft, weil sie durch die Zusammenarbeit mit Stalin Deutschland in den Rücken gefallen seien. Solche Argumentationen paßten in die Zeit des West-Ost-Konflikts.10

Die bundesdeutsche Idealisierung des militärischen Widerstands machte nicht nur die Ausgrenzung anderer Formen von Opposition nur allzu deutlich, sondern sie führte auch dazu, daß manche Protagonisten unreflektiert heroisiert und Ambivalenzen ihrer Biographien nicht thematisiert wurden. So wurde auch der sogenannte Halder-Putsch vom Herbst 1938 unreflektiert kolportiert und erst viel später kritisch hinterfragt. Daß Halder zwar 1938/39 in Opposition zu Hitler stand, 1941 aber als Chef des Generalstabes die Beteiligung der Wehrmacht an der Vernichtungspolitik in der Sowjetunion mit zu verantworten hatte und einen wesentlichen Anteil an der Formulierung des »Kommissarbefehls« hatte, war in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, obgleich die Forschung schon längst darauf hingewiesen hatte. Neuere Forschungen sehen allerdings im sogenannten Halder-Putsch von 1938 nichts weiter als ein Gedankengerüst, dem keine ernsthaften Pläne zu Handlungen zugrunde lagen.11

Widerstand und Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen schließen sich also nicht gänzlich aus. Der Historiker Hans Mommsen glaubt, »daß wir ein Widerstandsbild brauchen, daß die Verstrickungen des Offizierscorps in eine teilweise verbrecherische Politik zur Kenntnis nimmt.«12 Einzelne Persönlichkeiten des Widerstands haben sich zunächst am Rassenvernichtungskrieg beteiligt und sich später erst der Opposition gegen Hitler angeschlossen, ohne sich jedoch gänzlich von der Rassenpolitik zu distanzieren. Die Männer und Frauen des 20. Juli waren Menschen, die sich gegen Vernichtungspolitik und Radauantisemitismus wandten, die traditionellen antisemitischen Stereotypen ihrer Zeit aber keineswegs hinterfragten. Peter Hoffmann, einer der besten Kenner des Widerstands, schrieb deshalb 1995: »Es ist wissenschaftlich illegitim, den Komplex Antisemitismus mit Zustimmung zur Judenverfolgung gleichzusetzen.«13 Die Erkenntnis, daß es einen Idealtyp des Widerständlers nicht gibt, erfolgte erst allmählich. Viele Angehörige des Widerstands waren keineswegs frei von antisemitischen Vorurteilen. Nur bei wenigen, wie bei Dietrich Bonhoeffer, der sich allerdings erst spät von seinen früheren Positionen zum Judentum gelöst hatte, lieferte die Judenvernichtung einen Grund für die Opposition gegen Hitler. Der Historiker Christof Dipper wies darauf hin, daß bis 1940 die Judenverfolgung für die Mehrheit der Verschwörer »kein Motiv zum Widerstand« gebildet hatte. Teile des Widerstands formierten sich erst, als sich die militärische Katastrophe abzuzeichnen begann, also nicht zu einem Zeitpunkt, bevor die nationalsozialistische Vernichtungspolitik bereits hunderttausende Opfer gefordert hatte.

Der noch heute besonders in linken Kreisen verbreitete Vorwurf, die Verschwörer des 20. Juli hätten keine demokratischen Ziele verfolgt, läßt außer acht, daß sich Männer der verschiedensten gesellschaftlichen und politischen Gruppen – Monarchisten, Sozia- listen, Konservative, Offiziere, Gewerkschaftler, Theologen – zusammentaten, um Hitler auszuschalten, um den Krieg zu beenden und dann ein neues Deutschland, sicherlich konservativer Prägung, aufzubauen. Die Forderung nach einer demokratischen Staatsform in heutigem Sinne verkennt die historischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit.14 Gräfin Dönhoff faßt dies unter die Aussage, »es [der 20. Juli] war ein Aufstand des Gewissens, keine soziale Revolution«.15

Hat die Rezeption etwa des Widerstands vom 20. Juli 1944 in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit mehrfache Wandlungen von der Verteufelung als »Vaterlandsverrat« bis hin zur Stilisierung als Beispiel für die »saubere Wehrmacht« erfahren, so hat auch die historische Nachkriegsforschung unterschiedliche Prämissen gesetzt und erst allmählich die vielen Facetten der Opposition erkannt und analysiert. Die Emotionalisierung und Politisierung des Themas hat die Unterscheidung in vermeintlich freiheitlich-demokratische und undemokratisch-totalitäre Formen des Widerstands forciert und schien die Vernachlässigung bzw. Ablehnung etwa des kommunistischen Widerstand zu legitimieren. Erst Anfang der sechziger Jahre begann sich vor allem in der Widerstandsforschung das Bild zu wandeln, als die »obrigkeitsstaatliche und politisch-hegemoniale Verfassungsvorstellung und außenpolitische Denkmodelle des bürgerlichen und militärischen Widerstands« akzentuiert wurden, wie Peter Steinbach 1992 konstatierte.16

In gleichem Maße hat sich auch die Rezeption der verschiedenen Formen des Widerstands überhaupt verändert. Nachdem bis weit in die sechziger Jahre der Widerstand des 20. Juli 1944, des Kreisauer Kreises (Moltke, Leber, Mierendorf, Reichwein, Poelchau, Gerstenmaier etc.), der immer im Schatten des militärischen Widerstands stand, und der »Weißen Rose« die Wahrnehmung dominierten, wurden nun der kommunistische Widerstand und damit auch die Arbeiterbewegung thematisiert. Damit einher ging eine Neubewertung des Exils und die Rezeption anderer Formen von Widerstand wie Putschversuche einzelner, etwa jener von Georg Elser am 8. November 193917, die stille Opposition der kleinen Leute, Hilfe für Juden, Sabotage, und weitere Beispiele zivilen Ungehorsams. Darunter fallen auch die verschiedensten Formen der Verweigerung Einzelner oder ganzer Gruppen aus religiöser Überzeugung, dies trifft auf die Zeugen Jehovas, die Quäker sowie katholisch oder protestantisch orientierte Kreise und vor allem auf den jüdischen Widerstand zu. Erst mit den Prozessen in den sechziger Jahren wie gegen Adolf Eichmann in Israel, aber auch die Gerichtsverfahren gegen nationalsozialistische Gewaltverbrechen in Deutschland selbst haben etwa Aspekte des Widerstands in Konzentrationslagern und Ghettos, die Aufstände in den Vernichtungslagern Sobibór, Treblinka und Auschwitz thematisiert. Eine wesentliche Rolle bei der Auseinandersetzung mit diesem Widerstand innerhalb der Vernichtungsmaschinerie spielten die Zeitzeugen, die zum Teil erstmals über ihre Erlebnisse berichteten. Im Zusammenhang mit dem Diskurs über linken Widerstand und jenen aus dem Kreis von Jugendgruppen, wurde nun auch der jüdische Anteil an solchen oppositionellen Gruppen, die sich politisch überwiegend dem Kommunismus oder dem Zionismus zugehörig fühlten, bekannt. Einige Hundert deutscher Juden kämpften in Spanien gegen den Faschismus, während des Krieges schlossen sich Flüchtlinge den Partisanen- und Untergrundorganisationen im besetzten Ausland an, Emigranten dienten in den Einheiten der Alliierten im Kampf gegen das NS-Regime.

Gruppen wie die zionistische »Chug Chaluzi«, die Herbert-Baum-Gruppe, die auch von Nicht-Juden mitgegründete »Gemeinschaft für Friede und Aufbau« versuchten, sich – wenn auch mit sehr beschränkten Möglichkeiten – gegen die Verfolgung zu wehren. Jahrelang wurde diese Selbstbehauptung und Opposition nicht wahrgenommen und wenn, ihr Scheitern nicht jenen angelastet, die das NS-Regime unterstützt oder das Verschwinden von Nachbarn, Arbeitskollegen, selbst Freunden mit Desinteresse verfolgt beziehungsweise sie gar denunziert hatten, sondern den Widerstandsgruppen selbst.

Ebenso jahrzehntelang gänzlich vernachlässigt wurde die Beteiligung von Frauen in oppositionellen Gruppen, als zentrale Figuren bei Hilfsaktionen für Juden, als Boten und Verbindungsglieder der Widerstandsgruppen, also als eigenständige Personen, die sich dem Regime verweigerten und nicht nur als Ehefrauen, Schwestern oder Mütter von Widerstandskämpfern.18 Die bisher unterbliebene Würdigung des Frauenwiderstands liegt wohl im wesentlichen daran, daß Opposition gegen das NS-Regime noch immer in »aktive« und »passive« Formen unterteilt wird. Nur der aktive (militärische, bewaffnete, in Form von Spionage verübte) Widerstand gilt als erinnerungswürdig. Frauen, die oft als Verbindungskräfte beziehungsweise Kundschafter fungierten, Juden versteckten beziehungsweise Hilfe für andere Verfolgte leisteten oder in der Berliner Rosenstraße 1943 erfolgreich gegen die Deportation ihrer Männer demonstrierten, werden zu Unrecht dem »passiven«, also weniger »effektiven« Widerstand zugerechnet.19

Die unspektakulären Widerstandsformen von Jugendgruppen und Frauen wie Verweigerung, Bummelei, Sabotage, Hilfe durch Beschaffung von Lebensmitteln, vorübergehend Unterkünfte für Verfolgte bereitstellen, Auflehnung in der Schule oder im Betrieb hatten zunächst keine Lobby in der Bundesrepublik. Dieser Widerstand von unten, die Opposition im Alltag lief nicht nur nationalsozialistischem Ordnungs- und Obrigkeitsdenken zuwider, sondern widersprach auch den Verhaltensmustern der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft, konnte also erst frühestens nach den studentischen Widerständen 1968 und der Akzeptanz eines systemkritischen Verhaltens der jungen Generation in den siebziger Jahren Aufnahme in den Diskurs finden, erst dann also, als Zivilcourage zum wichtigen Ideal einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft erklärt wurde, die vom einzelnen abhängig ist. In den Bereich der Zivilcourage und der Debatte um Obrigkeits- und Befehls- gehorsam gehört auch die lange Jahre, zum Teil bis heute, strittige Anerkennung des Desertierens als Widerstandsform.

Die Erweiterung des Widerstandsbegriffs fand schließlich auch Eingang in die offiziellen Gedenkfeiern, die nun die verschiedensten Formen der Opposition einbezog. Erstmals hat Bundespräsident Gustav Heinemann bei seiner Rede 1969 auch den kommunistischen Widerstand erwähnt.

Die Politisierung des Themas reduzierte sich aber erst in den siebziger Jahren, als der Diskurs vor allem im wissenschaftlich-historischen Umfeld geführt wurde. Ende der siebziger Jahre schien sich dann ein pluralistisches und damit historisches Bild des Widerstands durchzusetzen. Allerdings zeigten die Debatten um die Einladung Herbert Wehners als Redner zum Gedenktag 1978 und der massive Widerstand gegen den ehemals kommunistischen SPD-Parteivorsitzenden von einer Gruppe um den CSU-Abgeordneten Franz Ludwig von Stauffenberg noch einmal, welche Emotionen das Thema noch immer begleiteten. Trotz aller wissenschaftlich und bildungspolitischen Bemühungen in den vorangegangenen Jahren war es offensichtlich nicht gelungen, die Würdigung des Widerstands aus den Fängen eines hochemotionalisierten Politikums zu befreien. Wehner hielt die Rede nicht.

Die Auflehnung gegen Wehner resultierte nicht alleine aus seiner kommunistischen Vergangenheit, sondern bezog sich mindestens ebenso auf seine »Fahnenflucht«, nämlich die Emigration ins Exil. Nicht nur Wehner, sondern auch Willy Brandt wurden von rechtskonservativer und insbesondere von rechtsextremer Seite immer wieder wegen ihrer Flucht ins Ausland während der NS-Zeit diffamiert. Hier zeigt sich deutlich die unterschiedliche Wahrnehmung eines Widerstands von »innen« und jenes, der von »außen«, also aus der Emigration heraus erfolgte. Wenngleich zu konstatieren ist, daß die Gefahren für jene, die im Land gegen den NS-Staat opponierten, unvergleichlich höher waren, so kann daraus aber nicht die Legitimation hergeleitet werden, Emigranten, die von »außen« etwa mit Gegenpropaganda im Ausland bzw. mit Einschleusen von Propagandamaterial nach Deutschland die Opposition unterstützten, als »fahnenflüchtig« zu bezeichnen. Insbesondere in den fünfziger Jahren wurde den Emigranten vorgeworfen, den Kampf im Inneren feige im Stich gelassen und sich in Sicherheit begeben zu haben. Die Ablehnung resultierte auch aus der Tatsache, daß das Exil vor allem von linker politischer und kultureller Opposition geprägt war.

Bis heute hat sich allerdings die zentrale Rolle des 20. Juli 1944 im öffentlichen Bewußtsein gehalten; sie nimmt in der Hierarchie des Widerstands noch immer den obersten Platz ein, nicht zuletzt deshalb, weil das Gedenken an den Widerstand jährlich an eben diesem Tag im Juli gefeiert wird. Das Manko etwa des Widerstands der Linken besteht darin, daß kein historisches Datum reklamiert und deshalb kein stichhaltiges Argument gegen das symbolische Gedenken am 20. Juli benannt werden kann. Es liegt also in der Natur der Sache, daß an diesem Tag, bei allen Versuchen, der gesamten Breite des Widerstands öffentlich zu gedenken, immer die Verschwörer des 20. Juli 1944 im Vordergrund stehen.

Nachdem in den achtziger Jahren der Widerstand in erster Linie zu einem Thema der Geschichtswissenschaft geworden war, durch alltags- und lokalgeschichtliche Zugänge der jüngeren Generation, auch über Geschichtswerkstätten, die verschiedenen Formen der Opposition und Zivilcourage untersucht und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, ließ das Gedenkjahr 1994 noch einmal die Gräben zwischen Links und Rechts aufreißen und erneut einen Streit der Parteien um das Erbe des Widerstands ausbrechen. Abermals hatte sich etwa Peter Steinbach und die »Gedenkstätte des Deutschen Widerstands« mit Angehörigen der Verschwörer des 20. Juli auseinanderzusetzen, die forderten, bestimmte Gruppen des deutschen Widerstands und der Emigra- tion wie die Sequenz über das »Nationalkomitee Freies Deutschland« aus der Ausstellung zu entfernen bzw. im Bendlerblock nur noch jene Exponate zu präsentieren, die sich für ein Gedenken und die Ehrung der ermordeten Verschwörer eignen, die historische Ausstellung jedoch auszulagern etwa in das Deutsche Historische Museum (so Eberhard Diepgen). Diesen Forderungen widersprachen jedoch zahlreiche Angehörige der Widerstandskämpfer vehement wie Freya Moltke, Detlev Graf von Schwerin und Franz von Hammerstein. Die Ausstellungsverantwortlichen ließen sich von den massiven Attacken jedoch nicht beeinflussen und blieben bei ihrer Maßgabe, die gesamte Palette des Widerstands darzustellen. Aber die Debatte, die manche bereits wieder zu einem neuen Historikerstreit hochstilisierten, ist noch nicht beendet.

Im übrigen reduziert auch die Ausstellung »Aufstand des Gewissens« vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, die etwa 1998 in Frankfurt gezeigt wurde, den Widerstand, so Hans Mommsen, auf diejenigen, die aus »Gewissensentscheidung gehandelt haben. Das ist der klassische Versuch, den Widerstand zu entpolitisieren und den linken Widerstand aus dem Bild herauszutransportieren. Damit wäre der Widerstand nur dann legitim, wenn er in der Lage ist, sofort wieder Ordnung zu schaffen, was für den kommunistischen Widerstand nicht gilt«.20 Solche von konservativen Kreisen bis heute geforderten Voraussetzungen für eine Anerkennung des Widerstands, wurden allerdings bereits durch die Erkenntnis aus den Strafverfahren gegen nationalsozialistische Gewaltverbrechen in den sechziger Jahren ausgeräumt. Entgegen dem vom Bundesgerichtshof 1962 erlassenen Grundsatzurteil21 konnten danach nicht nur Umsturzversuche aus dem Machtapparat selbst das Regime stürzen, sondern Anerkennung fanden nun auch Systemverweigerung und Verhaltensweisen, die die Wirksamkeit des Regimes stören konnten.22

Das, was Joachim Fest in seinem Buch »Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli« als »Widerstand ohne Volk« für die Verschwörer konstatiert, trifft alle Deutschen gleichermaßen, jene, die 1949 in der freiheitlich demokratischen Bundesrepublik und jene, die in der DDR lebten. Beide deutsche Staaten benutzten den Widerstand, die einen den 20. Juli und die anderen den kommunistischen Widerstand, als identitätsstiftend für die Nachkriegsgesellschaft. Damit haben sich beide politische Systeme jahrelang etwas vorgemacht. Karl Heinz Janßen stellte im Juli 1994 anläßlich des 50. Jahrestages deshalb zu Recht fest: »Der 20. Juli ist sowenig der Ursprung der Bundesrepublik gewesen wie das Nationalkomitee Freies Deutschland die Urzelle der DDR.«23

Schließlich bleibt noch festzuhalten, daß im Nachkriegsdeutschland der fünfziger und sechziger Jahre der – allerdings nur selektiv wahrgenommene – Widerstand erinnert wurde, die Opfer der Vernichtungspolitik aber kaum wahrgenommen wurden. Erst in den siebziger Jahren begann sich das Bild zu wandeln, mit dem Aufkommen der alltagsgeschichtlichen Forschung veränderte sich nicht nur die Rezeption des Widerstands, sondern auch die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Eine wirklich positive Wendung nahm der Bewußtseinsprozeß allerdings erst seit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre mit dem Nachwachsen neuer Generationen und insbesondere der Erkenntnis, daß individuelle Zeugnisse der Überlebenden gerade für junge Leute den Zugang zu Widerstand und Verfolgung während des NS-Regimes viel eher möglich machen als die wissenschaftliche Fachliteratur.

 

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Juliane Wetzel – Jg. 1957, Dr. phil., Historikerin und Kunsthistorikerin, Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin; Veröffentlichungen zur jüdischen Verfolgungs- und Nachkriegsgeschichte sowie zum Rechtsextremismus

Vortrag, der auf der Tagung »Frauen erinnern. Widerstand, Verfolgung, Exil 1933-1945« am 23. Oktober 1999, veranstaltet von der Arbeitsgruppe Frauen im Exil in der Gesellschaft für Exilforschung und der Alice Salomon Hochschule Berlin, gehalten wurde.

1 Zur Rezeption des Widerstandes vgl. das der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) »Aus Anlaß des 20. Juli 1944« 7 (1994); Peter Steinbach: Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen, Paderborn 1994 (erscheint im Dezember 1999 in einer erweiterten Neuauflage); Regina Holler: 20. Juli 1944 – Vermächtnis oder Alibi? Wie Historiker, Politiker und Journalisten von 1945-1986 mit dem deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus umgehen, München 1994.

2 Peter Steinbach: Erinnerung – aktives Gedenken. Annäherung an den Widerstand, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstands. Münchner Gedächtnisvorlesungen, München 1993, S.140.

3 Vgl. New York Times vom 9. August 1944, zitiert in: Die Zeit vom 18. Juli 1997.

4 Norbert Frei: Erinnerungskampf. Zur Legitimationsproblematik des 20. Juli 1944 im Nachkriegsdeutschland, in: Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Hans Mommsen, hrsg. v. Christian Jansen, Lutz Niethammer, Bernd Weisbrod, Berlin 1995, S. 494.

5 Claudia Ahrens: Der 20. Juli kommt vor Gericht. Der Remer-Prozeß und Fritz Bauers Kampf um eine neue politische Kultur in Deutschland, in: Frankfurter Rundschau vom 20. Juli 1998.

6 Frei: Erinnerungskampf, S. 496.

7 Peter Steinbach: Nicht selten schafft die Fiktion erst die historische Realität, in: FU 3-4 (1995); vgl. auch Peter Hoffmann: Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine perspektivische Rückschau, München 1995, S. 307.

8 taz vom 20. Juli 1994.

9 Hoffmann: Der deutsche Widerstand, S. 305f.

10 Steinbach: Widerstandsdeutungen, S. 409f.

11 Vgl. Karl-Heinz Janßen: Die Halder-Legende oder: die abenteuerliche Geschichte der Generäle, die im Herbst 1938 Hitler putschen wollten, in: Die Zeit vom 1. Oktober 1998.

12 Frankfurter Rundschau vom 16. Februar 1998.

13 Hoffmann: Der deutsche Widerstand, S. 303.

14 Vgl. Die Zeit vom 22. Juli 1999.

15 Die Zeit vom 16. Juli 1998.

16 Peter Steinbach: Widerstandsdeutungen in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung. Erfahrungen aus der Arbeit an der ständigen Ausstellung ›Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Berlin‹, in: Andreas Nachama, Julius Schoeps (Hrsg.): Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-Jüdische Geschichte nach 1945, Berlin 1992, S. 404.

17 Der Kunstschreiner Johann Georg Elser hatte am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller in München versucht, Hitler mit einer Bombe zu töten. In Oppositionskreisen überwog die Überzeugung, Elsers Attentat sei von den Nationalsozialisten inszeniert gewesen, auch nach Kriegsende vertraten die Historiker die These Elser, habe mit Hilfe der Gestapo gehandelt. 1946 wurde Elser unterstellt, er sei Gestapo-Agent gewesen, danach geriet er in Vergessenheit, erst am 8. November 1969 erinnerte ein dokumentarischer Spielfilm im Ersten Deutschen Fernsehen an den Attentäter, der bis zu ihrem Verbot 1933 Mitglied der KPD gewesen und am 9. April 1945 in Dachau hingerichtet worden war. In den achtziger Jahren entdeckten Historiker und Schriftsteller Elser wieder. Wolfgang Benz, Walter H. Pehle (Hrsg.): Lexikon des deutschen Widerstands, Frankfurt a.M. 1994, S. 185-190; vgl. auch: Der Spiegel vom 11. November 1996.

18 Vgl. Christl Wickert: Frauen zwischen Dissens und Widerstand, in: Benz, Pehle (Hrsg.): Lexikon des deutschen Widerstands, S. 141-156; vgl. die ange-gebene Literatur dort.

19 Literaturhinweis: Ingrid Strobl: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand in Europa 1939-1945, Frankfurt a.M. 1998.

20 Frankfurter Rundschau vom 16. Februar 1998.

21 Noch 1962 knüpfte das BGH das Recht auf Widerstand an die Möglichkeit eines erfolgreichen Umsturzes, der nur aus militärischen Kreisen hätte erfolgen können. Das Gerichtsverfahren betraf einen Mann, der aus Gegnerschaft zum Nationalsozialismus den Einberufungsbefehl verweigert hatte und nach Bundesentschädigungsgesetz Ansprüche geltend machen wollte. Das BGH hat ihm dies abgesprochen, da Verweigerung des Dienstes und Minenlegen Einzelaktionen wären und die bestehenden Verhältnisse nicht zu ändern vermochten, hingegen das Attentat vom 20. Juli dies sehr wohl hätte bewirken können. Seit 1969 ist im Grundgesetz das Widerstandsrecht legalisiert.

22 Vgl. Steinbach: Widerstandsdeutungen, S. 404f.

23 Die Zeit vom 8. Juli 1994.