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Utopie kreativ Heft 111 Januar 2000

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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Januar 2000

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UTOPIE kreativ, H. 111 (Januar 2000), S. 57-69

Tim Murphy – Jg. 1967; Dozent für Rechtswissenschaften am University College Cork, unterrichtete vorher u.a. im Vereinigten Königreich, in Frankreich und in Indien, arbeitet gegenwärtig an seiner Doktorarbeit; wichtige Publikationen:

»Rethinking the War on Drugs in Ireland« (1996), »Ireland’s Evolving

Constitution 1937-97: Collected Essays« (Mitherausgeber, 1998).

 

Der vorliegende Artikel ist eine überarbeitete Fassung des Beitrags, den der Autor zum Wettbewerb um den Lelio-Basso-Preis 1998 eingereicht hat.

 

Für die typische Verflechtung von ›medizinischen‹ und ›moralischen‹ Argumenten zum Drogenverbot sei hier nur ein prominentes Beispiel angeführt. Anläßlich des Starts einer auf fünf Jahre angelegten »Anti-Drogen-Kampagne« erklärte der US-Präsident Bill Clinton: »Jedes Mal, wenn Jugendliche fernsehen, die Zeitung lesen oder im Internet surfen, werden sie mit der nachdrücklichen Botschaft konfrontiert, daß der Konsum von Drogen falsch, illegal und möglicherweise tödlich ist« (zit. bei Gurdon 1998).

 

In einem Schreiben der Gegner des Drogenverbots an den UN-Generalsekretär Kofi Annan wird der jährliche Gewinn der illegalen Drogenindustrie auf 400 Milliarden US-Dollar oder rund acht Prozent des Welthandels geschätzt (vgl. Lindesmith Centre 1998).

 

Die drei bekannten Haupterzeuger-regionen illegaler Drogen – die »Kokain Triade« Peru, Bolivien und Kolumbien, der »Goldene Halbmond« mit Pakistan und Afghanistan und das »Goldene Dreieck« im Grenzgebiet von Burma, Thailand und Laos – stellen herausragende Beispiele von Ökonomien dar, die weitgehend von der Drogenproduktion abhängen. Allerdings besteht in der »geographischen Verteilung der Profite« ein großes Gefälle zugunsten von Drogendealern und korrupten Beamten in Europa und Nordamerika.

 

Unter Anspielung auf den kaum eingeschränkten Zugang zu Alkohol und Nikotin bemerkte jüngst ein irischer Experte, daß das grundlegende Problem der vorbeugenden Aufklärung über die Gefahren des Konsums von Alkohol oder andern Drogen darin besteht, daß in dieser Arbeit »solange nicht rational und logisch konsistent argumentiert werden kann, wie die diesbezügliche nationale und internationale Praxis selbst höchst widersprüchlich ist« (Butler 1994: 137).

 

»(Wenn Drogen) deutlich billiger wären – was der Fall wäre, wenn sie legalisiert würden –, würde die Zahl der Verbrechen, die von Drogensüchtigen begangen werden, um die entsprechenden Mittel zu beschaffen, höchstwahrscheinlich dramatisch fallen. Selbst wenn bei Freigabe des Drogenkonsums mit der Absicht der Abschreckung eine relativ hohe Verbrauchssteuer erhoben würde, wären die Drogenpreise wahrscheinlich immer noch niedriger als gegenwärtig« (Nadelmann 1988: 17).

 

In bezug auf den Konsum von Haschisch, Heroin, Kokain und LSD stellt z.B. Miller fest: »Solange diese verantwortungsvoll und mit der gebotenen Vorsicht konsumiert werden, besteht kein Grund zur Besorgnis; im Gegensatz dazu wird ein unvorsichtiger und hemmungsloser Nutzer in einer Katastrophe enden« (Miller 1991: 25).

 

»Die Wechselwirkungen zwischen der Persönlichkeit (Zustand), den sozialen Gegebenheiten (Umstände) und der Droge liegen auf der Hand. Jeder weiß, daß psychische Zustände großen Schwankungen unterliegen, die von der Umwelt maßgeblich beeinflußt werden, und daß Drogen darauf eine große Wirkung haben. Diese Wechselwirkungen lassen sich zwar theoretisch leicht erfassen, sind aber überraschenderweise in konkreten Situationen nur schwer zu identifizieren. Daher ist es falsch zu glauben, die Wirkung einer Droge sei immer die gleiche« (Zinsberg 1984: 172).

 

Ähnliches hat auch Edward Brecher festgestellt. »In der medizinisch und psychiatrischen Literatur besteht Übereinstimmung dahingehend, daß die Wirkungen von Opium, Morphin und Heroin auf die geistige und körperliche Verfassung des Süchtigen – unter den Bedingungen leichter Zugänglichkeit und niedriger Preise – insgesamt erstaunlich belanglos sind« (zit. nach Duke/Gross 1993: 62).

 

»Die physischen Schädigungen, die bei Süchtigen häufig beobachtet werden …, sind die Folge der mehrfachen Verwendung von (nicht mehr sterilen) Spritzen und von Versuchen, Drogen zu injizieren, die dafür ungeeignet sind, sowie auch Folge von Vergiftungen mit verunreinigtem Heroin« (Stimson / Oppenheimer 1982: 16).

 

Drogen »bieten die Möglichkeit sich zu entspannen, sich wohlzufühlen, Probleme zu verdrängen, Befriedigung zu erlangen und zu sich selbst zu finden, Abhängigkeit resultiert jedoch aus der Psyche des Nutzers« (Fox / Mathews 1992: 11). Sucht ist deshalb »keine Eigenschaft der Droge … Sucht ist eine Eigenschaft des Nutzers« (Krivanek 1988: 6).

 

Wenn der kapitalistische Markt als gewaltiger Hebel zur Ausdehnung des Konsums überhaupt fungiert, dann »macht der Gebrauch von Drogen angesichts des allgemein grassierenden Hedonismus der Konsumkultur keine Ausnahme« (Mugford 1991: 39).

 

Einige Autoren haben viel weitergehende Interpretations-muster entwickelt. Für Stephen Lyng verbirgt sich hinter dem Drogenkonsum »ein Moment experimenteller Anarchie, bei dem das Individuum die sozialen Strukturen überschreitet«. Seine weite Verbreitung stellt nichts anderes dar, als »eine fundamentale Kritik an der modernen Form gesellschaftlichen Lebens« (Lyng 1990: 882). Norman Zinsberg hat gleichfalls darauf verwiesen, daß das Verhalten zu Drogen weitreichende politische Implikationen hat. »Veränderte Zustände … stellen die herrschenden kulturellen Werte in Frage. Von daher erscheinen sie als Gefahr für das Wohlbefinden der Menschen, insbesondere der Jugend, weil sie unsere Orientierung auf materielles Wachstum und technologische Entwicklung erschüttern« (Zinsberg 1977: 2).

 

Gegenwärtig ist das Verbot von bestimmten psychoaktiven Drogen fester Bestandteil der Politik in nahezu allen Ländern. Keine der großen politischen Ideologien unserer Zeit wendet sich direkt gegen diese Praxis. In diesem Artikel wird jedoch die Ansicht vertreten, daß gerade die sozialistische Bewegung ihre Position in dieser Frage ändern sollte, so daß sie ein wichtiger Teil der weltweiten Kampagne für die Beendigung des Drogenverbots wird. Anders gesagt, in die politische Philosophie des Sozialismus sollte die Forderung nach einer Legalisierung der gegenwärtig verbotenen psychoaktiven Drogen aufgenommen werden.

Die hier exponierte Forderung ist an sich doppelter Natur. Einmal geht es darum, daß heute noch verbotene Drogen legalisiert werden, und zum anderen darum, daß diese Position Bestandteil des sozialistischen politischen Denkens wird. Viele Menschen lehnen diese beiden Ideen wahrscheinlich intuitiv ab. Im allgemeinen werden Drogen als eine Art »Geißel« oder auch als »Bedrohung« für die Grundlagen der sozialen Ordnung wahrgenommen. Und in den meisten Staaten herrscht noch immer die Vorstellung, daß das Drogenverbot – oder wie es auch genannt wird: der »Krieg gegen die Drogen« – selbstverständlich notwendig und richtig ist. Bezüglich des zweiten Moments gehen Sozialisten normalerweise davon aus, daß die Idee der Legalisierung von Drogen allein dem kapitalistischen Ideal des Liberalismus bzw. dem Streben nach noch größerer wirtschaftlicher Effizienz entspringt. Sozialistisch orientierte Analysen der Drogenpolitik konzentrieren sich häufig auf den Zusammenhang zwischen verschiedenen Formen strafrechtlicher Verfolgung des Drogenmißbrauchs und anderen, aus der Klassenzugehörigkeit resultierenden Arten von Benachteiligungen und kommen zu dem Schluß, daß Drogen lediglich einen zusätzlichen »Mechanismus der Unterdrückung« darstellen.

Vor allem aufgrund dieser intuitiven Ablehnung der Idee ist die Forderung nach einer »sozialistischen Legalisierung von Drogen« sowohl schwer zu verstehen als auch schwer zu verwirklichen. Darüber hinaus ist Drogenpolitik insgesamt ein außerordentlich komplexes Phänomen: Es umfaßt gleichzeitig medizinische, psychologische, moralische, soziale, rechtliche, wirtschaftliche und philosophische Aspekte. Jede ernst zu nehmende Diskussion dieser Politik muß daher ebenfalls komplex angelegt sein.

Natürlich erfordert es der begrenzte Raum dieses Artikels, daß hier auf eine ausführliche Begründung der Argumente weitgehend verzichtet werden muß. Trotzdem hofft der Autor darauf, daß die im folgenden vorgestellten Gesichtspunkte zumindest zu einem vertieften Nachdenken über einen Fragenkomplex anregen, der in der Öffentlichkeit oft höchst oberflächlich und hochgradig emotionalisiert behandelt wird.

Bereits ein erster Blick auf die Problematik läßt erkennen, daß der legalisierte Gebrauch von Drogen durchaus positive Konsequenzen in bezug auf eine bessere Aufklärung, hinsichtlich einer weniger gesundheitsschädigenden Anwendungsweise und nicht zuletzt in Hinblick auf den Rückgang jener Straftatbestände hätte, die – wie z.B. die Beschaffungskriminalität – in engem Zusammenhang mit dem Drogenverbot stehen.

Es gibt also durchaus noch andere ernsthafte Gründe für eine Legalisierung als liberale bzw. effizienzfixierte Interessen, weil eine Freigabe des Drogenkonsums in faktisch allen gesellschaftlichen Bereichen – und gerade auch in bezug auf die sozial benachteiligten Schichten – die mit dem Drogenmißbrauch verbundenen Schäden deutlich reduzieren würde. Die Forderung nach Legalisierung von Drogen ist allein schon deshalb ein durch und durch sozialistisches Argument, weil damit der Drogenkonsum in den psychologischen und soziokulturellen Kontext gestellt wird, in den er tatsächlich gehört.

Die Argumente für eine sozialistische Drogenpolitik werden im folgenden in sechs Schritten entfaltet. Im ersten Abschnitt wird zunächst grob der Hintergrund des weltweit geführten »Krieges gegen die Drogen« beleuchtet. Daran schließt sich eine Erörterung der Folgen des Drogenverbots und der Nachweis des praktischen Versagens dieser Konzeption an. Der dritte Teil umreißt die traditionelle sozialistische Position zum Drogenproblem und zeigt, daß dieses Herangehen in die Irre führt, weil es sich von Modellen leiten läßt, die sämtlich auf ein Verbot hinauslaufen. Im vierten und fünften Teil werden sowohl die medizinischen als auch die moralischen Fehler und Mythen, mit denen ein Drogenverbot gerechtfertigt wird, kritisiert. Abschließend werden die Grundlagen einer neuen sozialistischen Position zum Drogengebrauch vorgestellt.

Das Drogenverbot – ein Überblick

Als Droge wird gemeinhin eine chemische Substanz bezeichnet, die im menschlichen Körper Funktionsveränderungen entweder mentaler, physischer oder auch emotionaler Art hervorruft. Der Konsum von Drogen ohne medizinische Indikation ist schon seit ewigen Zeiten ein Merkmal menschlichen Verhaltens. Nach Andrew Weil war die Einnahme von Substanzen, die das Bewußtsein verändern, »überall auf der Welt und in allen Epochen der Geschichte eine alltägliche Gewohnheit« (Weil 1986: 17). Gegenwärtig sind vor allem folgende Drogen auch außerhalb medizinischer Behandlung in Gebrauch: Koffein, Nikotin, Alkohol, Haschisch, Amphetamine, MDMA oder »Ecstasy«, LSD, Heroin, Kokain sowie eine Reihe von pharmazeutischen Drogen wie z.B. Barbiturate. Diese Drogen beeinflussen die Stoffwechselfunktionen und wirken so beruhigend oder stimulierend auf das Nervensystem oder sie erzeugen Halluzinationen oder beides.

Im allgemeinen können drei Formen der rechtlichen Kontrolle des Drogengebrauchs unterschieden werden.

Erstens wird der Gebrauch von Alkohol, Nikotin und Koffein in bestimmten Kulturen als weithin »akzeptierte« Gewohnheit angesehen. Deshalb gibt es für den Umgang mit diesen Drogen kaum rechtliche Restriktionen.

Zweitens werden verschiedene therapeutische Drogen wie z.B. Barbiturate in Schlaf- bzw. Beruhigungsmitteln auch zu nichtmedizinischen Zwecken gebraucht. Zu ihrem legalen Erwerb ist in der Regel eine ärztliche Bescheinigung erforderlich.

Drittens schließlich gibt es Drogen, deren Herstellung, Besitz, Weitergabe und Verkauf als Straftatbestand eingestuft werden. Diese Substanzen – vor allem Haschisch, Amphetamine, »Ecstasy«, LSD, Heroin und Kokain – sind in nahezu allen Staaten verboten; in einigen Staaten trifft dies zudem auf die weithin legale Droge Alkohol zu.

Das Verbot bestimmter Drogen ist ein historisch spezifisches Phänomen, das sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts insbesondere im Zusammenhang mit einer veränderten Einstellung der Öffentlichkeit zum Alkohol- und (später) zum Opiumkonsum herausgebildet hat (vgl. dazu ausführlich Duster 1970; Musto 1987). In Europa und den Vereinigten Staaten hat sich dabei eine Praxis gesellschaftlich durchgesetzt, die idealtypisch als »Abschreckungsansatz« bezeichnet werden kann (vgl. van de Wijngaart 1991: 99-104). Historisch gesehen ist dieses Herangehen die unmittelbare Konsequenz einerseits einer Strategie der interventionistischen Bearbeitung von Problemen, die aus sozialer Differenzierung und Exklusion resultieren. Zum anderen reflektiert sich darin eine positivistische Weltsicht, in der menschliche Wesen als im wesentlichen passive Organismen begriffen werden, die vor allem auf äußeren Druck reagieren. Aus dieser Perspektive werden »Drogenprobleme« in erster Linie durch das Vorhandensein der Substanzen selbst ausgelöst. Personen, die Drogen konsumieren, gelten folglich als ›abhängig‹ bzw. fremdbestimmt. Aus der Abschreckungsperspektive gibt es folglich zwei Sichten auf den Drogengebrauch. Die »medizinische Sicht« bezieht sich vor allem auf die Abhängigkeit produzierende Wirkung und betrachtet diese Abhängigkeit als »Krankheit« (»Sucht«). In der »moralisch-rechtlichen Perspektive« werden alle illegalen Drogen als gefährlich und ihr Gebrauch als Verfehlung be bzw. verurteilt. Die restriktive Drogenpolitik einzelner Staaten wird daher mittels einer Mischung aus medizinischen und moralischen Erwägungen gerechtfertigt.

Die politischen Maßnahmen, die aus der Illegalisierung von Drogen folgen, liegen auf der Hand. Da ist zum einen die »Reduzierung des Angebots« – Polizeigewalt und strafrechtliche Sanktionen werden zum »Kampf« gegen die Zirkulation verbotener Drogen eingesetzt. Zum anderen geht es stets um eine »Verminderung der Nachfrage« – potentielle Nutzer sollen möglichst abgeschreckt werden. In extremen Fällen, wie zum Beispiel in Schweden, werden Entziehungskuren sogar zwangsweise verordnet (zum Fanatismus in der schwedischen Drogenpolitik vgl. Gould 1994; Yates 1996).

Das Drogenverbot – ein praktischer Fehlschlag

Die Feststellung, daß das Drogenverbot nicht sonderlich erfolgreich war, ist eine völlige Untertreibung – nach Eric Hobsbawm sind Drogen zwar auf der ganzen Welt »mit unterschiedlicher Konsequenz, aber überall mit hochgradiger Ineffizienz« (Hobsbawm 1994: 334) verboten. Angebotsseitig hat sich inzwischen eine regelrechte Drogen-Ökonomie etabliert, die ein gewaltiges internationales Geflecht bildet und zahllose nationale Netzwerke für Produktion und Verteilung errichtet hat. Angesichts der tief gestaffelten Handelsstrukturen und der Unmöglichkeit, alle diese Kanäle zu verstopfen, und wenn zudem in Rechnung gestellt wird, daß die Anreize zur Beteiligung an der Drogen-Ökonomie solange fortbestehen, wie die Profite – auch aufgrund des Verbots – derart hoch sind, kann es kaum überraschen, daß in den meisten Ländern (trotz des Verfolgungsdrucks) illegale Drogen ziemlich leicht erhältlich sind. Die punktuellen Fahndungserfolge, die von den Medien meist sensationell aufgemacht werden, stellen lediglich die Spitze des Eisbergs dar.

Da auch die Linke in der Regel innerhalb nationalstaatlicher Grenzen denkt und sich nicht selten als »Repräsentant der gesamten Nation« (Hobsbawm 1996: 45) begreift, bleiben auch viele sozialistisch inspirierte Analysen der Drogenpolitik eigenartig borniert. Die internationalen Aspekte der Problematik werden auch hier eher verdunkelt. Wie 1989 der Congressional Research Service der USA festgestellt hat, »würden massive Erfolge bei der Bekämpfung der Drogenherstellung, wenn sie nicht von entsprechenden wirtschaftlichen Fördermaßnahmen begleitet werden, lediglich ein starkes Anwachsen der Arbeitslosigkeit, drastische Währungsabwertungen und den weitgehenden Zusammenbruch regionaler Wirtschaftskreisläufe sowie schließlich die Verstärkung von Wanderungsbewegungen in die Slums der Großstädte zur Folge haben« (zit. nach Fox/Mathews 1991: 115). Obwohl sich diese Aussage vor allem auf Lateinamerika bezieht, kann sie durchaus verallgemeinert werden. Solange es praktisch keine Alternativen zur Produktion von Coca, Marihuana und Opium gibt, wird der Krieg gegen die Drogen kaum zu durchgreifenden Veränderungen führen (vgl. Boyd/Lowman 1991: 123).

Alle Versuche, die Nachfrage zu reduzieren, sind gleichfalls fehlgeschlagen. Obwohl jede quantitative Schätzung des illegalen Gebrauchs – früher wie heute – höchst problematisch ist, bestehen doch kaum Zweifel daran, daß es in den sechziger Jahren einen beträchtlichen Anstieg vor allem in Europa und Nordamerika gegeben hat und daß das Konsumniveau – auch wenn es seither durchaus Schwankungen gab – noch immer relativ hoch ist und tendenziell steigt. Tatsächlich ist, ironischerweise, die Nachfrage und die Verfügbarkeit von illegalen Drogen in den Vereinigten Staaten am höchsten, in einem Land, das an der Spitze des internationalen Krieges gegen die Drogen steht (vgl. Gurdon 1998).

Was die präventive Aufklärung angeht, so wird von vielen Kennern der Szenerie eingeräumt, daß es sich dabei um eine hochgradig symbolische Veranstaltung handelt. Die Neigung zum Drogenkonsum wurde damit jedenfalls kaum merklich zurückgedrängt. Im Zusammenhang mit dem Drogenverbot muß aber nicht nur auf das faktische Versagen aller vorbeugenden Maßnahmen, sondern auch auf die mit ihm verbundenen enormen sozialen und wirtschaftlichen Kosten verwiesen werden. Zu den am meisten offensichtlichen Kosten zählen u.a. die Aufwendungen zur rechtlichen Durchsetzung des Verbots (einschließlich Polizei-, Gerichts- und Gefängniskosten), die unvermeidliche Tendenz zur fortwährenden Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und die Entfremdung von an sich unbescholtenen Menschen von Recht und Ordnung, in die sie durch das Verbot des Drogenkonsums getrieben werden. Weniger offensichtlich sind die Kosten, die durch Straftaten in Verbindung mit der Kriminalisierung von Drogen entstehen. Auch wenn der Zusammenhang von »Drogenmißbrauch« und Eigentumsdelikten allgemein anerkannt ist, wird doch oft verkannt, daß es nicht die »Drogen« sind, die diese Kriminalität auslösen, sondern ihr Verbot. In bezug auf Eigentumsdelikte muß das Drogenverbot aufgrund seiner preistreibenden Wirkung geradezu als kriminalitätserzeugend (criminogenic) angesehen werden. In dem Maße, wie der Krieg gegen die Drogen an sich billige Substanzen extrem verteuert, wird er zum direkten Auslöser von Beschaffungskriminalität. Diese Straftaten werden daher nicht durch »Drogenmißbrauch« verursacht, sondern dadurch, daß die Nachfrage auf einem Markt befriedigt werden muß, der durch den Staat illegalisiert und damit in den Untergrund getrieben wurde. Ferner wird oft behauptet, daß die »Drogen« erst das kriminelle Drogenmilieu hervorbringen, aber auch diese Art von Kriminalität wird erst durch das Verbot erzeugt. Das Verbot schafft (oder begünstigt zumindest) eine Gruppe von Kriminellen – nämlich jene, die den Drogenmarkt organisieren (vgl. dazu auch Murphy 1996).

Sozialismus und das Drogenverbot

Die vorherigen Abschnitte bilden den Hintergrund, vor dem nun eine sozialistische Position zum Drogenverbot entwickelt werden soll. Wie bereits erwähnt, stellt heute keine der wichtigen politischen Strömungen die beschriebene Antidrogenpolitik in Frage. Typisch ist vielmehr, daß innerhalb der einzelnen Länder ein »parteiübergreifender« Konsens besteht, und auch die außerparlamentarische Linke unterstützt im allgemeinen diesen Konsens, statt mit alternativen Konzepten wirksam zu opponieren.

Die (gegenwärtige) sozialistische Position zeichnet sich jedoch durch zwei bemerkenswerte Gesichtspunkte aus. Erstens tendiert sie– oft allerdings nur implizit – dazu, medizinischen Aspekten wesentlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen als rechtlich-moralischen. Die moralische Rechtfertigung des Verbots wird hier in der Regel als Ausdruck eines bürgerlich-kapitalistischen Moralverständnisses abgelehnt. Der zweite Gesichtspunkt bezieht sich auf den mittlerweile gut dokumentierten Zusammenhang zwischen Drogenmißbrauch und wirtschaftlicher Benachteiligung. Der Gebrauch von psychoaktiven Drogen verhindert demnach die Herausbildung eines adäquaten Klassenbewußtseins auf seiten der Unterdrückten und fügt ihnen – und hier kommt der medizinische Aspekt ins Spiel – sogar noch zusätzliche Schäden an Leib und Seele wie auch materielle Verluste zu. Genau dieses Verständnis der Problematik, das in der bekannten Metapher von der ›Religion als Opium des Volkes‹ geronnen ist, reflektiert die heutige sozialistische Position zu Drogen wie auch zur Religion. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, daß die Sicht der Linken auf das Drogenproblem zwar nicht Alkohol und andere ›gewöhnliche‹ Drogen völlig übersieht (vgl. Smith 1988); aber der besondere Zorn der Sozialisten richtet sich (wie bei den Liberalen und Konservativen) gleichfalls auf die verbotenen Drogen.

Von besonderer Bedeutung – vor allem für das Anliegen dieses Artikels – ist jedoch die Einstellung der Linken zur Legalisierung des Drogenkonsums. Solche Ideen werden durch die sozialistische Bewegung vorwiegend unter zwei Aspekten reflektiert, die beide darauf hinauslaufen, sie quasi als kapitalistische Ideologie abzutun. Zum einen werden derartige Vorschläge als Ausgeburt des bürgerlichen Liberalismus verworfen, der die unbegrenzte Freiheit des Individuums von der Intervention des Staates – einschließlich des Rechts auf Schädigung des eigenen Körpers – fordert. Zum anderen wird darin der Versuch gewittert, eine kostengünstigere (sparsamere) Allokation knapper staatlicher Ressourcen zum Nachteil der Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen. »Legalisierer« werden daher von den Linken verdächtigt, sich in Wahrheit für die Interessen einer gelangweilten Mittelklasse einzusetzen, deren Freizeitkonsum an Drogen in den letzten Jahrzehnten merklich gestiegen ist, und die Probleme jener Menschen, Familien und Gemeinschaften zu mißachten, deren Leben durch Drogen zerstört wurde und die überwiegend wirtschaftlich benachteiligten Gruppen angehören.

Dieses »sozialistische« Herangehen beweist jedoch nur die weitgehende Ignoranz der Linken in dieser wichtigen Frage öffentlicher Politik. Sie hat es versäumt, sich ernsthaft mit der inzwischen vorliegenden wissenschaftlichen Literatur auf diesem Gebiet zu befassen. Obwohl tatsächlich einige der Argumente für eine Freigabe von Drogen Ausdruck liberaler Ideen sind (vgl. z.B. Barnett 1994) oder aus der Forderung nach gesteigerter wirtschaftlicher Effizienz abgeleitet werden (vgl. z.B. Taubman 1991), ist es grundsätzlich falsch – das zeigt die erwähnte Literatur in aller Deutlichkeit –, davon auszugehen, daß alle Argumente für eine Legalisierung entweder aus der einen oder der anderen neoliberal-bürgerlichen Ecke stammen. Das wichtigste Argument für die Freigabe des Drogenkonsums besteht darin, daß dadurch nahezu in allen gesellschaftlichen Bereichen eine deutliche Verringerung der Schäden erreicht werden könnte. Damit wird dem »Abschreckungsansatz« eine »Normalitätsperspektive« entgegengestellt (vgl. van de Wijngaart 1991: 104-116). Diese Politik setzt statt auf Exklusion auf eine integrative soziale Strategie. Sie basiert auf einer Weltsicht, die davon ausgeht, daß der Mensch ein eigenständiges und innerhalb eines gegebenen sozialen Umfelds verantwortungsvoll handelndes Subjekt ist, das in der Lage ist, dieses Umfeld selbst zu beeinflussen und sich selbständig solchen Veränderungen anzupassen. In bezug auf Drogen heißt das, daß die individuellen und sozialen Umstände ihres Konsums von weit größerem Belang sind, als irgendwelche psychologischen oder chemischen Wirkungen bzw. Eigenschaften der Substanzen selbst. Aus Sicht des Normalitätsansatzes ergeben sich zwei Modelle des Drogengebrauchs. Das »psychosoziale Modell« geht davon aus, daß der Drogenkonsum nur solange als Gewohnheit fortbesteht, wie er für den Nutzer irgendeine sinnvolle Funktion hat. Im zweiten, dem »soziokulturellen Modell«, werden die sozialen und psychologischen Aspekte des zuerst genannten Modells berücksichtigt, aber darüber hinaus auch sozio-ökonomische und andere Umweltbedingungen – wie auch psychosoziale Dispositionen und verschiedene Streßfakoren – in Rechnung gestellt. Gerade das soziokulturelle Modell sollte die Basis einer sozialistischen Kritik der gegenwärtigen Drogenpolitik abgeben.

Kritik des medizinischen Modells

Die von medizinischen Überlegungen bestimmte Ansicht, daß bestimmte Drogen erwiesenermaßen gefährlich und Abhängigkeit erzeugend sind, ist in sich nicht konsistent. Tatsache ist vielmehr, daß alle Drogen relativ unbedenklich sind. Daher ist ihre Diffamierung als unweigerlich »Abhängigkeit erzeugend« bzw. »süchtig machend« unbegründet. Wenngleich ein solches Urteil den Realitäten zu widersprechen scheint, so wird es doch durchweg von der gesamten seriösen wissenschaftlichen Literatur gestützt. Drogen sind lediglich potentiell gefährlich.

Die grundlegende wissenschaftliche Abhandlung für den nichtmedizinischen Gebrauch von Drogen – Drug, Set, and Settings: The Basis for Controlled Intoxicant Use – stammt von Norman Zinsberg (1984). Die zentrale Aussage, zu der Zinsberg aus der Analyse von Interviews mit Konsumenten von Marihuana, Heroin und LSD gekommen ist, besteht darin, daß – um zu verstehen, warum sich jemand getrieben fühlt, eine unerlaubte Droge zu konsumieren und wie diese Drogen auf den Nutzer wirkt – drei Determinanten beachtet werden müssen: die Droge (›drug‹ – d.h. die pharmakologische Wirkung der Substanz selbst), der Zustand (›set‹ – d.h. die persönliche Verfaßtheit des Nutzers zum Zeitpunkt des Konsums, einschließlich seiner gesamten Persönlichkeitsstruktur) und die Umstände (›setting‹ – d.h. die Einflüsse der physischen und sozialen Umwelt, unter denen der Drogengebrauch stattfindet) (vgl. Zinsberg 1984: 5). Mit andern Worten, die Wirkung von Drogen ist keineswegs immer die gleiche, sondern variiert, innerhalb bestimmter Grenzen, in Abhängigkeit von den Wechselwirkungen zwischen der Person des Konsumenten, dem Umfeld, in dem konsumiert wird, und der Droge selbst.

Damit soll jedoch nicht behauptet werden, daß die Folgen des Gebrauchs in der ganzen Diskussion um Drogen vernachlässigt werden können. Vielmehr geht es hier darum zu zeigen, daß die Vorstellung von einem direkten, festen Zusammenhang zwischen der chemischen Substanz und dem konkreten menschlichen Verhalten in die Irre führt. Während z.B. die Wirkung von Alkohol allgemein darin besteht, mentale Hemmungen zu unterdrücken, ist seine Wirkung auf die Konsumenten durchaus nicht ausschließlich enthemmend, sondern sehr unterschiedlich. Zinsbergs Analyse verweist daher vor allem auf das Problem des »Umfelds«, ein Bereich, der in bezug auf den Drogenkonsum bisher die geringste Beachtung gefunden hat. Er argumentiert, daß es gerade die sozialen Umstände sind, die auf Grundlage der Ausprägung informeller, nicht rechtsförmiger Kontrollmechanismen, die Art und Weise sowie den Umfang des Gebrauchs bestimmen. Insbesondere verweist er darauf, daß der Konsum jeder Droge sowohl Werten als auch Verhaltensmustern – »sozialen Sanktionen« und »sozialen Ritualen« – folgt. Soziale Sanktionen bestimmen, ob und durch wen eine bestimmte Droge konsumiert wird. Soziale Rituale beschreiben die »verinnerlichten Verhaltensmuster« des Drogengebrauchs (Zinsberg 1984: 5).

Aus Zinsbergs Theorie lassen sich zwei bemerkenswerte Schlußfolgerungen ableiten. Die erste hat Zinsberg in einem späteren Artikel so formuliert. »Die Herausbildung sozialer Sanktionen und Rituale vollzieht sich in bezug auf den der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend entzogenen Gebrauch illegaler Drogen offenbar viel langsamer, als dies bei einer legalen Droge wie Alkohol der Fall ist. Das Umfeld des Konsums – die Heimlichtuerei, die Verdächtigungen und die Angst vor Bestrafung wie auch Mythen und Unwissenheit – erschwert den Austausch von Informationen (d.h. soziales Lernen), durch den sich soziale Sanktions- und Kontrollmechanismen erst herausbilden können« (Zinsberg 1987: 266). Das heißt, Drogenmißbrauch wird durch die spezifischen Bedingungen, die durch das Verbot erst geschaffen werden, eher begünstigt. In der zweiten Schlußfolgerung kommt die politische Grundposition Zinsbergs zum Ausdruck. »Auf allen Ebenen – rechtlich, medizinisch und sozial – müssen zwei Formen des Konsums psychoaktiver Drogen unterschieden werden: Konsum, der aus Neugier, zur Erholung oder situationsbedingt (gelegentlich) erfolgt und daher minimale soziale Kosten verursacht (›Drogengebrauch‹), und Konsum, der übersteigert, zwanghaft und schädigend ist und daher hohe soziale Kosten zur Folge hat (›Drogenmißbrauch‹)« (Zinsberg 1984: 203). Die medizinische Sichtweise, die ein zentrales Element der Verbotsideologie darstellt, hat wesentlich zur Dämonisierung illegaler Drogen als zerstörerisch und gefährlich beigetragen. Das bedeutet nicht nur, daß mit diesem Argument der staatlich autoritäre Krieg gegen die Drogen gerechtfertigt wird, sondern auch, daß nicht zwischen Drogengebrauch und -mißbrauch unterschieden wird. Jeder Gebrauch ist in diesem Verständnis Mißbrauch.

Wie kann man überhaupt ernsthaft vom ›Gebrauch‹ solcher Drogen wie Heroin oder Kokain oder LSD reden? Das Ausmaß der Dämonisierung läßt sich schon darin ersehen, daß bei vielen Menschen allein die Aufzählung dieser Substanzen bereits tief verinnerlichte Ängste und Abwehrreaktionen auslöst. Aber die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Zum Beispiel konnte bisher in keiner Studie zum Gebrauch von Heroin (wie auch in bezug auf Marihuana) nachgewiesen werden, daß »der regelmäßige Konsum von Heroin bei relativ leichtem Zugang zu dieser Droge irgendwelche ernsthaften Auswirkungen auf die physische und mentale Gesundheit gehabt hätte« (Duke/Gross 1993: 62).

Damit soll nun jedoch nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Dämonisierung verbotener Drogen eine völlige Fiktion ist. In allen weitverbreiteten Mythen findet sich ein Körnchen Wahrheit. Und gerade in bezug auf Heroin ist das oben zitierte nur die halbe Wahrheit, weil der Mißbrauch von Heroin unterschlagen wird. Der fortgesetzte Mißbrauch von narkotisierenden Substanzen wie Heroin führt in jedem Fall zu schweren Gesundheitsschäden (vgl. Henry 1991:423). Aber auch hier bezieht sich die Verbotsrhetorik hauptsächlich auf Probleme, die nichts mit Heroin per se, jedoch viel mit der Anwendungsweise und dem Milieu zu tun haben.

Ähnlich gravierende Fehlinformationen betreffen auch die dämonisierte Folge des Drogenkonsums schlechthin: die Sucht. Wenn allerdings die drei oben genannten Determinanten »Droge«, »Zustand« und »Umfeld« in Rechnung gestellt werden, dann ist klar, daß die langfristigen, gewohnheitsprägenden Faktoren wie auch die Wirkungen des Drogenkonsums durchaus nicht unveränderlich sind. Der Drogenkonsument wiederum muß im Kontext seines sozialen und wirtschaftlichen Umfelds gesehen werden. Es geht nicht um die Droge an sich, wenn der Umfang des Drogengebrauchs und der Drogenabhängigkeit reduziert werden soll.

Probleme des moralisch-rechtlichen Modells

Die moralisch-rechtliche Sicht auf den Drogenkonsum – die Auffassung, daß der Gebrauch verbotener Drogen falsch und gefährlich ist – stützt sich hauptsächlich auf ein Konzept des »pharmakologischen Calvinismus«, das vor allem von Gerald Klerman (1972) entwickelt wurde. Es basiert auf der Überzeugung, daß »dem Gebrauch von Drogen außerhalb medizinischer Indikationen generell zu mißtrauen ist – weil sie ›dir ein gutes Gefühl vermitteln, müssen sie moralisch schlecht sein‹« (Kramer 1994: 274). Dahinter steht die Ablehnung aller Art von Glücksgefühlen, die nicht »erarbeitet« und daher »unverdient« sind.

Ein weiteres moralisches Argument wurde von James O. Wilson in die Debatte gebracht. Er meint, daß der Versuch, den Drogenkonsum zu verbieten daher rührt, daß »der ausgiebige Gebrauch von bestimmten Drogen den menschlichen Charakter zerstört« (Wilson 1990: 523).

Im moralisch-rechtlichen Modell werden die sozialen Verhältnisse gänzlich ignoriert. Die Überlegung, daß z.B. Arbeitslosigkeit oder Armut Menschen zu dem Verlangen veranlassen können, ihrem Elend durch den Konsum von Drogen wenigstens zeitweise zu entrinnen, wird schlicht negiert. Realistischerweise müssen jedoch allgegenwärtige Erscheinungen, wie der in modernen kapitalistischen Gesellschaften herrschende Konsumkult, das auf Individualismus zielende Arbeitsethos in Unternehmen und die Verherrlichung bestimmter Arten von Glück und Erfolg, in die Beurteilung der sogenannten Bedrohung durch Drogen einfließen. Es liegt auf der Hand, daß die gegenwärtig propagierten gesellschaftlichen Werte und insbesondere »die überall präsente ideelle Welt des Konsums«, die nicht zuletzt durch Werbung und die dort kreierten »Abbilder von Begeisterung, Erfolg, Sexualität, Jugendlichkeit und Glück« (Mugford 1991: 39) vermittelt werden, unterschiedlichste Bedürfnisse weckt. Und Drogen sind in dieser Welt eine besonders begehrte Ware. Die Ideologie eines »Krieges« gegen die Drogen steht daher in einem fundamentalen Widerspruch zum omnipräsenten konsumorientierten Umfeld.

Aber damit ist die Kritik am moralisch-rechtlichen Modell keineswegs erschöpft. Die Argumente von Wilson gegen eine Legalisierung richten sich tatsächlich nur gegen mögliche negative Folgen des Drogenmißbrauchs. Jeder Liberalisierung der gegenwärtigen Verbotspraxis ist demnach die Bedrohung durch Drogenabhängigkeit und »übermäßigen Konsum« bestimmter Drogen entgegenzuhalten. Diese Entgleisungen sind aber durchaus nicht die notwendige Folge bereits des Erstkonsums. Vielmehr entscheiden die individuelle Verfaßtheit (»Zustand«) und das gesellschaftliche »Umfeld«, ob der Erstkonsum möglicherweise jene Konsequenzen hat, die von Wilson generell unterstellt werden.

Eine neue Konzeption

Verschiedene Formen von Abhängigkeit sind vor allem als erlernte Verhaltensweisen zu interpretieren, statt als »Zustände«, die wiederum Gegenstand medizinischer oder moralischer Erwägungen zu sein hätten. An der realen Existenz von Drogenabhängigkeit bestehen keinerlei Zweifel. Aber Sucht ist weniger eine Krankheit als vielmehr Ergebnis sozialer Lernprozesse – Resultante aus »Zustand« und »Umfeld«. Sowohl der »psychosoziale« als auch der »soziokulturelle« Ansatz greifen auf Elemente der Theorie sozialen Lernens zurück. Sofern es um den unproblematischen Drogenkonsum geht, wird gewöhnlich auf die Vorstellungen von Norman Zinsberg in bezug auf soziale Sanktionen und soziale Rituale zurückgegriffen. Für Zinsberg beinhalten diese Kontrollmechanismen Bestimmungen darüber, was als tolerierbarer Konsum angesehen wird, die Mißbilligung zwanghaften Gebrauchs, das Wissen um mögliche Wirkungen und Vorsichtsmaßnahmen, die vor und während des Konsums beachtet werden (vgl. Zinsberg 1984: 17). Dabei ist die »Gruppe von gleichaltrigen Konsumenten die wichtigste Quelle für diese Regulative« (Zinsberg 1984: 18).

Die Ursachen dafür, daß problematische Verhaltensweisen »erlernt« werden, sind vielfältig. Forschungsergebnisse verweisen regelmäßig darauf, daß Drogenmißbrauch häufig zusammenfällt mit: kultureller Ambivalenz zum Drogenkonsum, emotionalen Erschütterungen und sexuellen oder körperlichen Exzessen. Von wesentlicher Bedeutung ist zudem der Nachweis, daß oft wirtschaftliche Faktoren (und deren soziale Konsequenzen) in verschiedenen Zusammenhängen eine wichtige Rolle beim individuellen Lernen spielen. Überall, wo wirtschaftliche Benachteiligung herrscht, wächst die Bedeutung von Abhängigkeitssyndromen – und ihre erlernte Verinnerlichung. Der Drogenkonsum wird zu einer Art Ersatzbefriedigung. »Vor allem geht es (z.B. in Irland – JM.) um soziale Zustände, die bei den Jugendlichen das Bedürfnis nach ›Flucht‹ wecken, das Drogen befriedigen können« (McCullagh 1996: 221).

Wenn also Drogenprobleme als erlernte Verhaltensweisen begriffen werden müssen, dann ist klar, daß ihnen mit einem Verbot von Drogen grundsätzlich nicht beizukommen ist. Vielmehr verweisen einige Autoren darauf, daß »dann, wenn Drogen faktisch unerreichbar gemacht werden, wahrscheinlich andere gesundheitsschädliche Verhaltensweisen um sich greifen werden, die im Prinzip dieselbe Funktion (wie Drogenkonsum) erfüllen. Möglicherweise sind diese Praktiken jedoch viel schädlicher und weniger leicht zu kontrollieren« (Kokeny et al. 1988: 77).

Worin könnte also eine angemessene Antwort auf diese Probleme bestehen? Aus der Normalitätsperspektive ergeben sich unterschiedliche Ansätze. Während der psychosoziale Ansatz Drogensucht als falsches Anpassungsmuster interpretiert und daher auf eine psychologische Bearbeitung erlernter Verhaltensweisen orientiert, sind die Interventionsbereiche im soziokulturellen Ansatz wesentlich breiter gefaßt. Hier sollen erlernte Gewohnheiten vor allem auch durch Veränderungen der sozioökonomischen und der Umweltbedingungen beeinflußt werden. Das psychosoziale Modell setzt folglich bei der Behandlung des individuellen Konsumenten (aber ohne die medizinisch-moralische Ideologie des Abschreckungsansatzes) an. Im soziokulturellen Modell »liegt der Akzent auf jenen staatlich-gesellschaftlichen Strukturen, die für die Sozialisation des Individuums von Bedeutung sind«. Die Überwindung destruktiver Gewohnheiten des Drogengebrauchs hat »die Durchdringung der kulturellen wie auch der psychologischen Dispositionen des Individuums zur Voraussetzung« (Kokeny et al. 1988: 77).

Wenn also die Linke eine tatsächlich sozialistische Drogenpolitik entwerfen will, die ernsthaft bestrebt ist, die gesellschaftlichen Probleme zu bearbeiten, sollte sie sich auf den soziokulturellen Ansatz stützen. Im Gegensatz zur landläufigen Auffassung, daß die Drogen selbst das Problem darstellen, muß der Krieg gegen die Drogen als die eigentliche Ursache für Drogenprobleme und ihre negativen wie teuren Folgewirkungen begriffen werden. Drogenpolitik sollte daher vor allem auf die Reduktion der Schädigungen gerichtet sein. Die Aufgabe der Regierung besteht dann darin, Menschen vor einem bewußtseinsmäßig unreflektierten Erstkonsum unter dem verhängnisvollen Einfluß zweifelhafter Personen zu warnen und entsprechend ausreichend Informationen sowie medizinische und soziale Unterstützung für Drogenkonsumenten mit Problemen bereitzustellen.

Die Legalisierung selbst sollte schrittweise erfolgen. Es wäre zweifellos nicht zu verantworten, wenn zu viele neue Drogen innerhalb kurzer Zeit frei zugänglich würden (vgl. van de Wijngaart 1991: 130; Fromberg 1993). Ferner gilt es zu begreifen, daß es keine rechtliche »Lösung« für die vielfältigen Probleme des Drogenkonsums geben kann. Rechtliche Regelungen »folgen immer einer Logik, die in einem gewissen Spannungsverhältnis zur gesellschaftlichen Realität steht, auf die sie angewandt werden« (Norrie 1993: 27). Im hier interessierenden Kontext betrifft dieses »Spannungsverhältnis« den Umstand, daß verschiedene Drogen sehr wohl zum Tod oder zu schweren Schäden für die Konsumenten führen können, ohne daß dies durch ein Gesetz wirksam verhindert werden könnte. Drogen stellen immer nur ein Element innerhalb komplexer gesellschaftlicher Prozesse dar. Idealerweise muß daher die Freigabe von Drogen in eine umfassende sozialistische Gesellschaftskonzeption eingebettet werden. Während die rechtlichen Probleme des Drogenkonsums durch eine Legalisierung weitgehend beseitigt werden können, bedürfte es einer grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltung, um die Folgeprobleme des Gebrauchs wirkungsvoll anzugehen. D.h. die Forderung nach einer Freigabe von Drogen kann nicht von einer sozialistischen Gesellschaftsstrategie insgesamt »abgelöst« werden. Eine tiefgreifende sozioökonomische Umgestaltung ist die wesentliche Voraussetzung dafür, daß der gegenwärtige Mißbrauch von Drogen infolge von Armut, Arbeitslosigkeit und Benachteiligungen im Bildungsbereich beseitigt werden kann. Das eigentlich zentrale Argument für die Legalisierung des Drogenkonsums ist das darin liegende Potential für eine deutliche Verminderung der Schäden in allen gesellschaftlichen Schichten. Beträchtliche Mittel könnten so von autoritär vormundschaftlichen Aktivitäten des Staates in die Behandlung derer umgeleitet werden, die Fehlverhalten im Umgang mit Drogen erlernt haben. Der unproblematische alltägliche Gebrauch von Drogen würde sich – wie in vergangenen Jahrhunderten – ohne staatlichen Zwang von selbst regeln.

Zweifelsfrei erfordert die Kontrolle des Drogengebrauchs in jedem Rechtssystem erhebliche Aufmerksamkeit und ernsthafte Planungsanstrengungen. Möglicherweise ist es auch notwendig – da Privatunternehmen für diesen Zweck höchst ungeeignet sein dürften –, eine Art sozialen Hilfsdienst zu schaffen, der sich insbesondere mit der Kontrolle und Regulation eines möglichst unbedenklichen (sicheren) Drogenkonsums befaßt. Darüber hinaus wäre die vorbeugende Aufklärung genauso zu verstärken, wie die wissenschaftliche Begleitung der schrittweisen Normalisierung vor allem durch Langzeitstudien (vgl. dazu van de Wijngaart 1991). Zudem müssen sich die Protagonisten darüber im klaren sein, daß jede denkbare Form der Legalisierung unter maßgeblicher Beteiligung des Staates mit einer Ausweitung sozialer Kontrollmechanismen, wie z.B. die »Erfassung« persönlicher Daten, einhergehen könnte. Mitunter wird auch darauf verwiesen, daß Alkohol, Heroin und Ecstasy heute schon als Mittel zur Stillstellung von sozialem Protestpotential wirken, was durch ihre Legalisierung noch verstärkt werden könnte.

Eine ausführliche Diskussion dieser Gesichtspunkte kann in diesem Artikel natürlich nicht geleistet werden. Deshalb sei abschließend nochmals betont, daß all diese zweifellos ernsthaft zu erwägenden Argumente eine Aufrechterhaltung der bisherigen Verbotspraxis nicht zu rechtfertigen vermögen.

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