Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - International / Transnational Die Politische Ökonomie der USA an der Wende zum 21. Jahrhundert

Eine Analyse des US-amerikanischen Wachstumsmodells der 1990er Jahre. von Mario Candeias

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Reihe

Manuskripte

Autor

Mario Candeias,

Erschienen

Juli 2000

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Eine Analyse des US-amerikanischen Wachstumsmodells der 1990er Jahre

Der konjunkturelle Aufschwung in den USA geht in sein neuntes Jahr. Keine andere Ökonomie in der Welt kann für die 90er Jahre eine ähnliche Entwicklung vorweisen. Durchschnittlich werden jährliche Wachstumsraten von 3-4% erzielt. Seit der letzten Rezession von 1991 nahm die Zahl der Beschäftigten um bemerkenswerte 13,3 Millionen zu (bis 1998), die Arbeitslosenrate sank auf unter 4% und die Reallöhne stiegen wieder leicht an (3-4%), während Europa mit der Last der Massenarbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Dennoch sank die Inflationsrate auf unter 2% pro Jahr und es gelang die Staatshaushalte zu konsolidieren – für das Jahr 1999 wird zum ersten mal ein Haushaltsüberschuss prognostiziert. Die Aktienmärkte boomen: nach einem Einbruch im Sommer 1998 hat der Dow-Jones-Index mittlerweile deutlich die Rekordmarke von 11.000 Punkten überschritten. Die Wirtschaftspresse spricht bereits von einer >new economy< - die USA seien in ein neues Zeitalter mit krisenfreiem, >ewigem< Wachstum ihrer Ökonomie eingetreten. Weithin wird das amerikanische Modell zur Übertragung auf andere Länder angepriesen. Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung und der Abbau eines überbordenden Sozialstaates werden als Rezepte gegen >Eurosklerose<, gegen Rigiditäten und Inflexibilitäten des >rheinischen Kapitalismus< propagiert. Ein Triumph des Neoliberalismus.[1]

Doch was sind die Hintergründe dieser eindrucksvollen Erfolgsgeschichte? Können tatsächlich neoliberale und neoklassische Konzepte die Entwicklung erklären. Was trägt die Politik der >new democrats< unter Präsident Clinton bei? Wie tragfähig ist die verfolgte Strategie? Bestehen Möglichkeiten der Übertragbarkeit auf die Bundesrepublik Deutschland?

Ähnlich wie beim Thema Globalisierung das Ausmaß der internationalen Verflechtung von ihren neoliberalen Apologeten häufig überinterpretiert wird, werden die Erfolge beim Wachstum und beim Abbau der Arbeitslosigkeit in den USA übertrieben, um dann auf der Linken eine reflexhafte und rein empiristische Negierung dieser Prozesse hervorzurufen. Gefragt wäre allerdings eine historisch und theoretisch fundierte Relativierung beider Positionen, um die realen qualitativen und quantitativen Veränderungen wahrnehmen zu können. Entsprechend versucht dieser Aufsatz den gestellten Fragen nachzugehen, um gängige, meist simplizistische Erklärungsmuster – auch neokeynesianische – zu revidieren bzw. zu relativieren um den Blick auf die realen Veränderungen und ihre Grenzen freizugeben.

1. Unternehmensrestrukturierung und Arbeitsbeziehungen.

Rationalisierung, Lohnsenkung und Verlagerung als Strategien zur Stabilisierung der Profitraten

Bereits gegen Ende der 60er Jahre gerät das fordistische Akkumulationsmodell in die Krise (Candeias 1998: 83). Ausgehend von den USA ist ein struktureller Rückgang der Kapitalrentabilität in fast allen kapitalistischen Zentren zu verzeichnen. Grundlegend dafür ist, dass sich die im fordistischen Akkumulationsprozess liegenden Produktivitätsreserven zu erschöpfen begannen. Dies führt zu einem durchschnittlichen Fall der Profitrate (Armstrong/Glyn/Harrison 1991), der innerhalb der institutionellen Formen der fordistischen Regulationsweise nicht mehr ausgeglichen werden kann.

Bereits in den 50er und 60er Jahren nimmt die Kapitalintensität der Produktion kontinuierlich zu, dies kann jedoch durch hohe Steigerungsraten der Arbeitsproduktivität überkompensiert werden, so dass eine Verringerung der Kapitalproduktivität vermieden wird. Diese Konstellation ändert sich jedoch gegen Ende der 60er Jahre. Durch eine zunehmende Vertiefung der fordistischen technologischen Paradigmas können nur unterproportionale Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität erzielt werden – das Wachstum der Arbeitsproduktivität sinkt in den USA auf unter 1% jährlich (Mosley 1998, 25). Die Abschaffung jeglicher Einbindung der Beschäftigten in die Feinabstimmung des Produktionsprozesses zugunsten direkter Kontrolle bringt keine weiteren Erfolge mit sich. Im Zuge der sich erschöpfenden (fordistischen) Produktivitätsreser­ven wird eine beschleunigte technische Umwälzung der Produktionsbedingungen angestrebt - gefördert auch durch technische >Revolutionen< z.B. im Mikroprozessorenbereich. Die daraus resultierende Stabilisierung der Arbeitsproduktivität sowie der Mehrwertrate wird allerdings durch einen überproportionalen Anstieg der Kapitalintensität überkompensiert.  Die Kapitalproduktivität sinkt infolgedessen (OECD 1993),  ein Indikator für die zunehmende organische Zusammensetzung des Kapitals. Insgesamt kommt es von 1968 bis 1980 zu mehr als einer Halbierung der Profitrate von durchschnittlich 21% auf 10% (Moseley 1998, 28). Verminderte Absatzchancen und sinkende Profitraten führen zu abnehmenden Investitionen im produktiven Bereich, da die bestehenden Verwertungsbedingungen keine ausreichende Rentabilität mehr garantieren. Die Investitionsquote (insbesondere der Anteil der Nettoinvestitionen an den Gewinnen, die sogenannte Neotto­akku­mulationsquote) sinkt entsprechend, trotz erheblicher Investitionen in Rationalisierungsmaßnahmen. Insbesondere beschäftigungswirksame Erweiterungsinvestitionen in neue Produktionsstätten werden deutlich eingeschränkt. Der auslösende Faktor einer beginnenden ökonomischen Transformation der USA (wie auch der übrigen Welt) gegen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ist also eine Überakkumulationskrise, in der >die Kapitalintensität schneller als die Arbeitsproduktivität wächst und der daraus resultierende Anstieg des Kapitalkoeffizienten einen Rückgang der Profitrate bewirkt< (Hübner 1988, 40).[2]

Die Unternehmen reagieren auf den Rückgang der Profitraten mit weiteren Rationalisierungsmaßnahmen und zahlreichen Entlassungen. Unter dem Druck der entstehenden Arbeitslosigkeit und niedriger Wachstumsraten können Lohnkosten beschnitten, die Entwicklung der Löhne von der Steigerung der Produktivität grundsätzlich abgekoppelt und die institutionelle Stellung der Gewerkschaften redi­mensioniert werden. Der Gewerkschaftliche Organisationsgrad fällt von 35% in den frühen 70er Jahren auf unter 15% Ende der 90er Jahre, im privaten Wirtschaftssektor sogar auf etwa 10% (Gapasin/Yates 1998, 17). Zunehmend werden die rigiden Arbeitsbeziehungen der fordistischen Phase deformalisiert und individualisiert. Die sinkenden Wachstumsraten und zunehmende Sozialkosten durch Rationalisierungsmaßnahmen und damit verbundenen Entlassungen untergraben aber die Fundamente des herrschenden ausgabenorientierten, staatsinter­ventio­nistischen Regulationsmodus. Der institutionalisierte sozialstaatliche Verteilungsme­chanismus und die strukturkonservierenden Subventionspolitiken der monopolistischen Re­gulation konnten nicht mehr aus starken So­zialproduktzuwächsen finanziert werden und erzeugen damit ihrerseits (beispielsweise über höhere Abgaben, d.A.) einen zusätzlichen Druck auf die Profitrate< (Hirsch 1995, 84). Die sozialstaatlich-keynesianische Regulationsweise, die über Jahrzehnte die Stütze der Kapitalakku­mulation dargestellt hatte, wird damit zu deren Hemmnis. Die Verbindung von ökonomischer Krise und Krise der fordistischen Regulation führt zu einer instabilen, tendenziell stagnativen Akkumulationsrate. Das Ungleichgewicht zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise führt zur Entwicklung eines historischen Bruchs und mit der Wahl Reagans zum Präsidenten zur Aufkündigung des sozialen fordistischen Kompromisses.

Durch den erfolgreichen Aufholprozess einiger europäischer Staaten sowie Japans beginnen die USA, auf ökonomischen Gebiet ihre beherrschende Stellung zu verlieren. Auf die Liberalisierung des Welthandels gestützt, ...durch amerikanische Technologie- und Kapitalexporte fordistisch modernisiert, erzielen diese sich neu herausbildenden kapitalistischen Zentren vergleichsweise hohe Produktivitätsfortschritte und verbinden dies mit einem viel dichteren und vergleichsweise effektiven System staats­inter­ventionistischer Regulation. Ihr Erfolg beruht nicht so sehr darauf, dass sie das US-amerikanische Gesellschaftsmodell einfach kopieren, sondern dass es ihnen ihre internen gesellschaftlichen und politischen Strukturen erlauben, alternative Ausprägungen fordistischer Akku­mulations- und Regualtionsweisen zu entwickeln und diese erfolgreich mit dem Weltmarkt zu verbinden< (Hirsch 1995, 85). Der Produktivitätsrückgang der US-Industrie gegenüber Europa und Japan verschlechterte die Konkurrenzposition amerikanischer Produkte auf dem Weltmarkt, so dass die USA 1971 schließlich ihr erstes Handelsbilanzdefizit hinnehmen mussten. Die Folge waren Firmenschließungen und der Anstieg der Arbeitslosenquote auf 8,5 % im Jahre 1975 (Werner 1999, 55). Amerikanische Unternehmen versuchen nun zur Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit die Rigidität des fordistischen Lohnverhältnisses aufzulösen – hin zur Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, mit dem Ziel einer Reduzierung der (Lohn)Kosten. Diese Strategie setzt auf eine Vertiefung des tayloristischen Prinzips der Arbeitsteilung durch eine forcierte Automation und Computerisierung der Produktionsprozesse. Mittels des Einsatzes neuer Technologien in Richtung eines >Computer Integrated Manufacturing< soll jeder einzelne Arbeitsschritt flexibel in den perfekt abgepassten Materialfluss eingebaut werden und so der direkten Kontrolle durch einen Zentralrechner (bzw. durch ein integriertes Netzwerk dezentraler Computer) unterworfen werden. Wurde bislang die Arbeitsleitung des einzelnen Beschäftigten von außen, durch dem Produktionsprozess äußerliche Funktionsträger kontrolliert, kontrollieren nun miteinander vernetzte Maschinen die Arbeitsschritte des Arbeiters (Revelli 1997; Sennet 1998). Der ungehinderte Fluss des Produktionsprozesses selbst übernimmt die Funktion eines systemischen Kontrollinstrumentes. Die weitgehende Arbeitsteilung bei zunehmender Automation führt zu einer anwachsenden Trennung zwischen der Konzeption der Arbeitsprozesse und ihrer standardisierten und nun automatisierten Ausführung, bei fortschreitender Übertragung des Produzentenwissens auf die Produktionsmittel. Diese Vertiefung der fordistischen Form der Arbeitsorganisation kann daher im Anschluss an Leborgne und Lipietz (1990) als >Neotaylorismus< bezeichnet werden, bei der allerdings die sozialen Gegenleistungen des fordistischen Systems ausbleiben. Während im Fordismus durch die Angleichung der Arbeitsbedingungen die Grundlage für die Formierung starker Gewerkschaften und damit zur größeren Teilhabe der Beschäftigten am gesellschaftlichen Produkt geschaffen wurde, werden eben jene Grundlagen durch den Neotaylorismus untergraben. Die durchschnittlichen Reallöhne sind von 1973 bis 1996 um nahezu 20% gefallen und liegen nach einem leichten Anstieg von 3-4% in den letzten drei Jahren heute etwa auf dem Niveau von 1965 (Moseley 1998, 26) – allerdings bei einer weitaus stärkeren Polarisierung der Einkommen. Erleichtert wird dies durch einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit seit dem Amtsantritt Ronald Reagans. Die Deregulierung der Zinssätze und die verordnete Hochzinspolitik zur Stabilisierung des Dollar-Wechselkurses (Candeias 1998, 88) führt zu massenhaften Konkursen überschuldeter Unternehmen, zur Verteuerung neuer Kredite und damit zu einer erneuten Kontraktion der Investitionen. In Folge der Massenentlassungen steigt die Arbeitslosenquote Anfang der 80er Jahre binnen kurzer Zeit von unter 6% auf fast 10% (Werner 1999, 55).

Die Flexibilisierung des Systems wird durch die Anpassung der Beschäftigtenzahl an die Notwendigkeiten des Produktionsprozesses nach dem Prinzip des >hire and fire<, also mittels Deregulierung des externen Arbeitsmarktes in Form von Erodierung des Kündigungsschutzes[3] sowie Deformalisierung und Individualisierung der Arbeitsbeziehungen bei tendenzieller Senkung der Reallöhne erreicht. Die Anpassung des Arbeitsvolumens an veränderte Nachfragebedingungen erfolgt stärker über Einstellungen und Entlassungen als über eine Veränderung der Arbeitszeiten wie z.B. Teilzeit, Überstunden etc. Dies erklärt auch, warum in Zeiten des Wirtschaftswachstums die Schwelle zum Beschäftigungswachstum wesentlich niedriger liegt als beispielsweise in Europa, in einer Rezession hingegen wird in den USA die Beschäftigtenzahl wieder rasch und überproportional abgebaut – dies spiegelt sich in der starken Auf- und Abwärtsbewegungen der Arbeitslosenquote (DIW 1998, 179). Abgesehen von Australien weisen die USA im Durchschnitt die kürzesten Beschäftigungsverhältnisse aller OECD-Staaten auf; kurzzeitig befristete Arbeitsverhältnisse von bis zu einem Jahr machen etwa ein 25% aller Arbeitsverhältnisse aus (Deutschland 16%; OECD 1997a, 138). Erleichtert wird das Prinzip des >hire and fire< über die sowohl räumliche wie berufsubergreifende hohe Mobilität der Arbeitskräfte in den USA. So kann nach dem Verlust des Arbeitsplatzes in den USA häufig schnell wieder eine Beschäftigung gefunden werden, jedoch sind bei solchen erzwungenen Arbeitsplatzwechseln meist >merkliche Einkommenseinbußen und geringere soziale Absicherungen (z.B. Krankheitsschutz) hinzunehmen< (Werner 1999, 64). Die Regelungen der Arbeitsbeziehungen ist in außerordentlichem Umfang den Vertragsparteien überlassen. Anders als in Europa können die US-Gewerkschaften nicht auf eine starke korporatistische Tradition bauen. Sie sind nur mangelhaft in das politische System integriert worden. Auf Seiten von Unternehmern und Staat treffen sie auf ein `feindlich´ gesinntes Klima. Gewerkschaftliche Repräsentanz ist an betriebliche Wahlen durch das sogenannte >National Labor Relations Board< gebunden. Dabei haben Arbeitgeber alle Möglichkeiten und Mittel, die gewerkschaftliche Organisierung des Betriebes zu bekämpfen. Sie können Beschäftigte offen über ihre Sympathie für Gewerkschaften ausfragen, Gewerkschaftsmitglieder entlassen, Verhandlungen ins Leere laufen lassen. Für Verstöße gegen arbeitsrechtliche Gesetze in Zusammenhang mit Gewerkschaften sind nur geringe Strafen vorgesehen (Gapasin/Yates 1998, 21; Martin/Schumann 1996, 160ff.). Auch konnte trotz anderslautender Ankündigungen der Demokratischen Partei unter Clinton nicht das Recht der Arbeitgeber, Streikende durch andere Arbeitskräfte zu ersetzen, begrenzt werden. Ebenso wenig gelang es ein Recht auf Streikposten durchzusetzen: Unternehmen können unter Einsatz der Polizei den Betrieb mit Hilfe von Streikbrechern sichern. Eine stark heterogene, ethnisch und religiös segmentierte Arbeiterklasse bietet den Gewerkschaften keinen Rückhalt zur Durchsetzung ihrer Forderungen – die amerikanische Arbeiterbewegung hat nie eine eigenständige politische Organisation hervorgebracht, sei es eine starke sozialistische Partei, eine Sozialdemokratie oder eine Labour Party nach britischem Vorbild (Wood 1998, 6).[4] Die pragmatistische und partikularistische, ohne politische Ideologie[5] auf die betriebliche Ebene konzentrierte Gewerkschaftspolitik ist mitverantwortlich für die Fragmentierung einer Arbeiterschaft >im Niedergang< (Gapasin/Yates 1998, 16, vergl. Scherrer 1994). Auf stark segmentierten Arbeitsmärkten, bei hohen Arbeitslosenquoten wird die Verhandlungsbasis für gewerkschaftliche Organisationen weiter geschwächt – Arbeitsverträge werden meist individuell ausgehandelt. Die Clinton-Administration förderte die weitere Flexibilisierung der Arbeitsmärkte indem sie den Druck auf die Arbeitnehmer durch Verschärfung der Kriterien zur Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe erhöhte. Der Druck möglichst schnell wieder eine Beschäftigung zu finden ist sehr hoch angesichts einer Arbeitslosenversicherung, die nur bis zu sechs Monate einen Bruchteil (nämlich 20 bis 40% des vorherigen Nettolohns; ebd., 66; Murswieck 1998, 636) gewährt, ohne Anrecht auf einen automatischen staatlichen Krankenversicherungsschutz. Aber auch diese Unterstützung erhalten nur 30 bis 40% der Arbeitslosen (Ganßmann/Haas 1999, 67).

Die Schwächung der kollektiven Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer ist Voraussetzung für die Durchsetzung neotayloristischer Arbeits- und Produktionsformen und geht einher mit der räumlichen Verlagerung spezifischer ökonomischer Aktivitäten. >Die Formierung und Destruierung lokaler Arbeitsverhältnisse stellen den Hintergrund für örtliche Wechsel dar. Neue und erneuerte Industrien... neigen dazu, sich jenseits der alten Zentren (wieder)anzusiedeln< (Storper/Walker 1989: 177). Bislang periphere oder semiperiphere Regionen (gerade auch innerhalb der USA), welche kaum oder nicht durch fordistische Arbeits- und Produktionsformen geprägt waren und in denen ein nur geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad besteht, werden vermehrt als interessante Investitionsstandorte für neotayloristisch organisierte Produktionsstätten betrachtet. Diese räumliche Strategie zur Kostenreduzierung durch Verlagerung der Produktion in neue industrielle Räume ist darüber hinaus ein wirksames Mittel zur Auflösung fordistischer Strukturen in den alten metropolitanen Zentren. Die hohen sozialen Standards der Arbeitnehmer in den Zentren können unter dem Druck zunehmender Arbeitslosigkeit und der Androhung der Abwanderung von Unternehmen in andere Regionen schrittweise gesenkt und neue neotayloristische Arbeitsverhältnisse durchgesetzt werden: >Der Raum nimmt seinen Platz beim Aufbrechen von Arbeitsstrukturen ein.< (ebd.: 179) In diesem Zusammenhang kommt es zu einer tendenziellen Deindustrialisierung der klassischen, industriellen Zentren des Fordismus im Norden und Osten der USA, während sich v.a. die neuen Industrien im Süden und Westen, dem sogenannten >sunbelt< ansiedeln. Im Zuge des sogenannten >Downsizing< und der räumlichen Reorganisation und Dezentralisierung der Produktion der Großkonzerne erfasst nach der Rezession von 1989/1990 eine neue Welle der Entlassungen die USA. Dieser Prozess der De- und Reindustrialisierung, ohnehin beschleunigt durch einen verschärften >Standortwettbewerb< auf dem liberalisierten Weltmarkt, erhält durch die Bildung der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) 1993 mit Kanada und Mexiko einen neuen Schub. Schon seit den 70er Jahren haben viele amerikanische Großunternehmen im mexikanischen Grenzgebiet zu den USA eine Vielzahl sogenannter Maquiladora-Betriebe errichtet. Als Teil einer allgemeinen Bewegung, der räumlichen Verlagerung zur Reorganisation von Unternehmensstrukturen und Arbeitsbeziehungen, erreicht die Ansiedlung von Maquiladoras in den 80er Jahren mit den Investitionen weiterer amerikanischer, v.a. aber japanischer Konzerne einen vorläufigen Höhepunkt. Diese zweite Generation von Betrieben ist nicht mehr auf eine einfache, tayloristisch organisierte Montageindustrie mit unqualifizierten Arbeitskräften zu reduzieren. Vielmehr sind sie gekennzeichnet durch die Automation der Produktionsprozesse, neue Formen der Arbeitsorganisation, Anreiz- und Weiterbildungsstrukturen in einer Mischung aus Paternalismus und Motivation und einer Differenzierung der Lohnstruktur. Die Haupttriebkraft der Betriebsverlagerung in das mexikanische Grenzgebiet ist nicht mehr allein in einem großem Reservoir billiger Arbeitskräfte zu verorten, als vielmehr in einem beständig wachsendem Angebot billiger qualifizierter Arbeitskräfte, zumeist Frauen, die nicht durch die `Rigiditäten´ des alten, fordistischen Modells der Arbeit geprägt sind. Die durchschnittlichen Löhne liegen deutlich (fast 90%) unter US-Niveau (Scherrer 1994, 348), Arbeitszeiten schwanken zwischen 40 und 60 Stunden/Woche (Hennessy 2000, 1/2). Maquiladoras gelten als >Freie Produktionszonen< und sind daher in vielfältiger Weise von der sonst geltenden Arbeits-, Steuer-, Export- und Umweltgesetzgebung ausgenommen. In vielen Fällen sind die Löhne bei formeller Beschäftigung im Schnitt nicht einmal niedriger als außerhalb, häufig sogar etwas höher.[6] Da die ausländischen Unternehmen zu enormen Vorzugsbedingungen arbeiten, können sie es finanziell leicht verkraften, ihren Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen als sonst im Lande üblich zu bieten. Im übrigen wird darin ein Mittel gesehen, die Maquiladoras der Kritik von außen zu entziehen und die mögliche Formierung von Widerstand zu unterlaufen. Dennoch sind Arbeiterinnen >unter Umgehung landesüblicher Arbeitsgesetze< (Altvater/Mahnkopf 1996, 305) häufig in >hohem Maße gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt< und erhalten Löhne, die für den Lebensunterhalt der Betreffenden Nebentätigkeiten und zusätzliche Subsistenzarbeit notwendig machen (Hennessy 2000, 1). Ohnehin nutzt die globale Produktionsstrategie transnationaler Unternehmen >in den Entwicklungsländern die Vorteile, die ein großer informeller Sektor bietet. [...] Der Rückgriff auf Vertragsarbeiterinnen, die in kleinen Zulieferbetrieben des sozialstaatlich nicht geschützten und gewerkschaftlich nicht organisierten informellen Sektors arbeiten, ist heute gängige Praxis [...]. Grenzziehungen zwischen dem formellen und informellen Sektoren werden durch eine Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen und durch den verstärkten Einsatz von Frauenarbeit zersetzt<, Frauen in die Rolle der >Schmutzkonkurrenz< gegenüber gewerkschaftlich besser organisierten und höher bezahlten männlichen Arbeitnehmern gedrängt (Altvater/Mahnkopf 1996, 306). Dies bezieht sich zunehmend auch auf den Bereich moderner Dienstleistungen, beispielsweise in der Datenverarbeitung. Zwar ist die Mehrheit der Beschäftigten der Maquiladoras gewerkschaftlich organisiert – das will jedoch nicht viel heißen. Die Gewerkschaftsbewegung wird von der großen, staatlichen Einheitsgewerkschaft (de la Garza Toledo 1995, 193) oder von >sich unterordnenden Gewerkschaften< (Hualde 1995, 138), die für ihre Mitglieder noch schlechtere Arbeitsbedingungen akzeptieren, dominiert. Es existiert keine Koalitionsfreiheit. Die enge Beziehung zwischen Staat und Gewerkschaften garantiert die langfristige Bereitstellung und Disziplinierung der benötigten Arbeitskräfte. Streikmaßnahmen werden unterdrückt, freie Gewerkschaften behindert bzw. verboten – auch mit Gewalt. Fröbel, Heinrichs und Kreye (1986, 464f./478) stellten schon frühzeitig fest: >Die Liste derjenigen Länder, in denen Exportproduktionszonen `florieren´, d.h., in die bevorzugt Produktionen verlagert werden<, deckt sich in hohem Maße mit der Existenz autoritärer politischer Regime. Heute sind subtilere Formen von Gewalt, nicht zuletzt von häuslicher Gewalt im Zuge einer mit der Erwerbstätigkeit der Frauen und ihrer neuen Ernährerrolle verbundenen Umkehrung der >Genderhierarchie<, hinzugetreten (Hennessy 2000, 3).[7] Unternehmen in der Grenzregion stützen sich heute nicht mehr nur auf repressive Mittel, sie versuchen vielmehr die >vielfältigen Differenzen< zwischen formeller und informeller Arbeit, >zwischen den Geschlechtern, Altersgruppen und ethnischen Gemeinschaften< zu mobilisieren. Daher müssen neue Analysen der Lage >die dialektischen Beziehungen zwischen den strukturierten Ausbeutungsverhältnissen im Kapitalismus und den spezifisch historischen Methoden, mit denen diese von den Unternehmen genutzt werden< einbeziehen, um so >ein tieferes Verständnis für die komplexe Weise, in der sich die Klassenbeziehungen heute im Leben der Menschen, speziell der Frauen, artikulieren< zu erlangen (ebd., 6). Seit Frauen verstärkt versuchen sich für eine Verbesserung der schlechten Arbeitsbedingungen zu organisieren, werden wieder vermehrt Männer eingestellt.

Mit der Bildung der NAFTA wurden die vorteilhaften Investitionsbedingungen der Unternehmen über die Grenzregion und einige andere örtliche Ausnahmen hinaus auf das gesamte mexikanische Gebiet ausgedehnt. Auch kleinere Unternehmen können nun leicht und ohne größere Umstände und Risiken ihren Betrieb nach Mexiko verlagern (Brecher 1995, 63). Das Freihandelsabkommen sieht keine Angleichung, sondern nur eine gegenseitige `Anerkennung´ der jeweiligen nationalen Sozialstandards vor.[8] Ein entsprechender Vorschlag zur Harmonisierung findet im demokratisch beherrschten Kongress keine Mehrheit. Die Clinton-Administration lehnt weitere Verhandlungen mit Mexiko ab und führt die gewerkschaftsfeindliche Rhetorik der Republikaner fort, in dem sie den Gewerkschaften >rohe Gewalt< und rüde Verhandlungsmethoden vorwirft (Scherrer 1995, 350). Die US-amerikanischen Beschäftigten und ihre Gewerkschaften sehen sich nun einer verschärften Konkurrenz um Industriearbeitsplätze und weiter schwindender Verhandlungsmacht ausgesetzt. Seit Abschluss des Freihandelsabkommen sind die durchschnittlichen Tageslöhne der 874.000 in den Maquiladora-Fabriken arbeitenden Beschäftigten des mexikanischen Grenzgebietes von 13 Dollar auf 4,23 Dollar gesunken, während die Arbeitsproduktivität um 36,4% wuchs (Hennessy 2000, 3).[9] Doch nicht nur Mexiko ist das Ziel der Verlagerung amerikanischer Unternehmensaktivitäten. US-Konzerne sind Vorreiter der Internationalisierung von Produktion und Handel, was sich in der Bilanz der Direktinvestitionen im Ausland niederschlägt – von 1987 bis 1997 sind fast 2000 Mrd. US-$ von Amerikanern im Ausland investiert worden (Moseley 1998, 35). 1993 wird das Abkommen zur Gründung der WTO besiegelt und damit der durch GATT und Liberalisierung der Geld- und Kapitalmärkte eröffnete Weg zur transnationalen Produktion weiter geebnet.

Die weitgehende Verlagerung bestimmter Produktionen oder von Produktionssegmenten innerhalb der USA, nach Mexiko oder im globalen Raum wird ermöglicht durch neue Strategien der Unternehmensstrukturierung. Die im Fordismus typische Form der vertikalen Integration der Produktion in großen unternehmerischen Einheiten, begründet durch die Suche nach steigenden Skalenerträgen wird, aufgrund wachsender Unsicherheiten durch krisenhaft bedingte Nachfrageschwankungen, verschärften Wettbewerb und eines beschleunigten technologischen Wandel, aufgegeben. Dem gegenüber wird versucht flexible industrielle Netzwerke mit kleineren, spezialisierten, selbständigen Einheiten auszubauen, um komparative Kostenvorteile auszunützen, eine neue Verbindung von >economies of scope< und >economies of scale< zu erreichen und Risiken zu dezentralisieren. Dabei werden zwei unterschiedliche Strategien verfolgt: einerseits die territorial desintegrierte - vertikale Dezentralisierung zur weitgehenden Reduktion der Produktionskosten, in welcher Produktionszusammenhänge so fragmentiert und global bzw. im Rahmen der NAFTA relokalisiert werden, dass die in den verschiedenen Regionen vorherrschenden Bedingungen im Sinne einer transnationalen Profitstrategie optimal ausgebeutet werden können und dabei eine intrasektorale Hierarchie der Profitraten zwischen Kernunternehmen und Zulieferern hervorgebracht wird; andererseits die territorial integrierte - horizontale Dezentralisierung zur Erzielung von Produktivitäts- und Innovationsvorsprüngen, durch Kooperation, Nutzung externer Ersparnisse und industrieller >Milieus< in sogenannten >industrial districts< (ausführlicher dazu Candeias 1999b, 75ff.). Die Tendenz zur Dezentralisierung zeigt sich auch in der Dynamik der Beschäftigungsentwicklung in den USA: sie wird stark durch kleinere und mittlere Unternehmen geprägt, die allein in den letzten vier Jahren mehr als 12 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen haben, während Großunternehmen Millionen von Stellen abgebaut haben und weiter abbauen (Comtesse 1996).[10] Dabei schließen die beiden Formen der territorial desintegrierten und integrierten Dezentralisierung der Produktion einander nicht aus, sondern können sich wechselseitig ergänzen: dies verweist auf die komplexen Bezüge vertikaler Desintegration und lokal-globaler Netzwerkbildung. Nicht nur die amerikanische Automobilindustrie, sondern gerade auch die neuen Informations- und Computerindustrien sind Vorreiter einer transregionalen und transnationalen Restrukturierung der Produktion (Lüthje 1998, 561f.). Beispielhaft dafür steht das Silicon Valley: als Prototyp der intraregionalen Netzwerk- und Clusterbildung ist es gleichzeitig das Zentrum globaler Produktionssysteme in denen Spitzenunternehmen wie Intel, Hwelett-Packard, Cisco und Sun Microsystems technologische Schlüsselstandards setzen und auf diese Weise eine strikte Kontrolle fragmentierter Produktionsprozesse (bei relativer Autonomie der jeweiligen Standorte) gewährleisten.[11] Die damit verbundene Reproduktion unterschiedlich strukturierter, regionaler Arbeitsmärkte, die permanent stattfindende Rekonfiguration von Technologienormen, Produktionsnetzen und Zuliefererbeziehungen und der ständige Umbau der Beschäftigtenstrukturen sichert darüber hinaus die verbesserte Kontrolle der Arbeiterschaft und möglicher Gegenbewegungen, was sich an den immer wieder scheiternden Bemühungen zur Organisation der Beschäftigten in der Informationsindustrie zeigt. Während die kollektive Verhandlungsposition der Belegschaften auf diese Weise geschwächt wird, kann die Motivation qualifizierter Arbeitskräfte in Verhandlungen auf individueller Ebene in einem System verschärfter Einkommenspolarisierung durch hohe Bezahlung, Prämien und andere besondere Formen der Annerkennung erreicht werden. Die Transformation der Arbeitsbeziehungen ist also in einem betrieblichen oder nationalstaatlichen Rahmen nicht mehr zu verstehen, sondern nur noch als überbetrieblicher und transnationaler Restrukturierungsprozess.

Auf dieser neuen ökonomischen Basis gelingt es sowohl in den hochproduktiven wie auch in den niedrigqualifizierten und arbeitsintensiven Industrien die Profitrate wieder zu stabilisieren. Das niedrige Lohnniveau führt zu einer Renaissance arbeitsintensiver Produktion. In den restrukturierten Unternehmen kann die >Informationsrevolution<, diese beschleunigte Umwälzung der materiellen Produktivkräfte als materieller Kern eines heraufziehenden >High-Tech-Kapitalismus< (Haug 1999a), in den 90er Jahren endlich zur Reife gelangt, ihre ersten Produktivitätsfrüchte erbringen.[12] >Zwischen 1979 und 1995 ist der Anteil der Investitionen für Hochtechnologiegüter von ungefähr 25% auf fast 50% am Gesamtvolumen der Investitionsgüter< angestiegen (Bluestone 1999, 39). Die Produktivität im Industriesektor kann auf Jahresraten von 3,2 % verbessert werden (Krugman 1999, 118). Und die USA besetzen die wichtigsten strategischen Positionen im Hochtechnologiesektor. In der Folge kann die Profitrate der US-Unternehmen von ihrem Tiefpunkt von 10% 1980 bis 1997 auf ca. 15% (Moseley 1998, 28) bzw. fast 20% (Brenner 1998) angehoben werden. Ein Vergleich mit dem >goldenen Zeitalter< des Fordismus zeigt allerdings, dass sie immer noch deutlich unter dem Durchschnitt dieser Jahre liegt (30 % – bei Brenner; bis 40 % - bei Moseley): ein Hinweis, dass sich die Stabilisierung einer durchschnittlichen Profitrate auf neuer Stufenleiter nicht isoliert durch neue Technologien und Kostenreduzierung erzielen lässt, sondern eingebettet sein muss, in vorteilhafte gesellschaftliche Akkumulationsstrukturen und Regulationsweisen. Entsprechend ist die zentrale Stellung qualifizierter Produktionsarbeit in den USA >durch die historisch verfestigten Praktiken einer rigiden Kotrolle der Arbeit und das Fehlen kollektivrechtlicher und tarifvertraglicher Absicherung der Qualifikations- und Ausbildungsentwicklung nach wie vor begrenzt< (Lüthje 1998, 576) und führt mittel- bis langfristig zu einer vergleichsweise schwachen Produktivitätsentwicklung.[13]

2. Aufbau einer marktförmigen Dienstleistungsökonomie – Ausdruck einer polarisierten Gesellschaft

Ungleichheit und Armut

Die durchschnittlichen Reallohnverluste der letzten zwei Dekaden, gingen – ausgehend von einer bereits existierenden hohen Lohndifferenzierung – einher mit einer weiter zunehmenden Ungleichheit der Löhne (zusammen mit Großbritannien, die höchste innerhalb der OECD). Dem neoliberalen Weltbild zufolge soll die hohe Lohnspreizung zur Leistung motivieren – eine hohe Leistungsfähigkeit und -bereitschaft muss also entsprechend bezahlt werden. Gleichzeitig wird mangelnde Leistungsfähigkeit mit Faulheit gleichgesetzt – der Entzug staatlicher Sozialleistungen und die Kürzung der Löhne sollen in diesen Fällen den Druck zur Mehrarbeit erhöhen. Für die wenigen Gewinner dieses Modells winkt dann am Ende die Gratifikation höherer Gehälter. Die Einkommen der höheren Lohngruppen steigen, während die der mittleren und unteren sinkt: nach Angaben der OECD (1996, 62) verdient 1995 die Gruppe des höchsten Lohn-Einkommensdezils 4,35 mal so viel wie die Gruppe des niedrigsten (Ende der 70er Jahre nur dreimal mal so viel). Bei den unteren Einkommensbeziehern oder bei Teilzeitbeschäftigten werden >nicht nur geringere Löhne gezahlt, sondern auch niedrigere betriebliche Sozialleistungen< und Rentenansprüche gewährt (Werner 1999, 61). Damit einher geht eine zunehmende Prekarisierung der Arbeit: Bei Verlust der Arbeit droht der Absturz in die Armut, da Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe (siehe folgendes Kapitel) nur für kurze Zeit eine Existenz unterhalb der Armutsgrenze garantieren können. Unter dem Druck drohender Arbeitslosigkeit, ohne die generösen sozialen Sicherungssysteme Europas, sind Arbeitnehmer gezwungen auch unsichere Beschäftigungsverhältnisse anzunehmen: unter- bzw. nicht-tarifliche Arbeitsverhältnisse, befristete Arbeitsverträge, erzwungene Teilzeit, Scheinselbständigkeit, Niedriglohnjobs, Heimarbeit, Zeitarbeit und nicht zuletzt informelle Aktivitäten ohne reguläres Beschäftigungsverhältnis, die sich weitgehend der statistischen Erfassung entzieht. Immer wieder wird auf Untersuchungen des staatlichen Bureau of Labor Statistics verwiesen (Werner 1999, 62; Gapasin u.a. 1998, 24), welches den Anteil der >contingent jobs< an der Gesamtbeschäftigung konstant niedrig beziffert. Der Anteil informeller Beschäftigung liegt allerdings deutlich höher als bislang vermutet und weitet sich beständig aus (Sassen 1996, 144ff.) – für die USA wird er auf 10-25% geschätzt (Altvater/Mahnkopf 1999, 341). So erklärt sich auch, dass die Zahl der Mehrfachbeschäftigten, die aufgrund niedriger Löhne mehrere Arbeitsverhältnisse aufnehmen müssen weitgehend stabil bei 6-7% bleibt – nicht eingerechnet wird die hohe Zahl von informeller Beschäftigung.[14] >Somit ist die Informalisierung von Beschäftigungsverhältnissen weder eine Randerscheinung noch ein Übergangsphänomen. Sie ist ein immanenter Teil der ökonomischen< Restrukturierung (Young 1998, 187). Darüber hinaus müssen bei einem erzwungenen Arbeitsplatzwechsel häufig Einkommenseinbußen hingenommen werden, nur etwa 35% finden wieder einen gleichwertige Stelle (Merrifield 1999, 37).[15] Die Zahl der sogenannten >working poor< ist entsprechend gewachsen: der durchschnittliche Stundenlohn bei Geringverdienern (dem unteren Fünftel der Beschäftigten) ist bis 1997 auf 7,50 Dollar gesunken und liegt damit unterhalb der Armutsgrenze von 7,89 Dollar (zum Vergleich: 1979 lag der durchschnittliche Stundenlohn dieser Gruppe noch bei 9,5 Dollar bei gleichzeitig niedrigerer Armutsgrenze; Schiessl 1999, 234). Aufgrund der sinkenden Einkommen der Männer sehen sich immer mehr Frauen zur Aufnahme einer Beschäftigung gezwungen, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Wollte eine Mittelstandsfamilie 1996 ihren Einkommensstandard von 1989 halten, musste sie laut Berechnungen des Economic Policy Institute 247 Stunden mehr dafür arbeiten (ebd., 238). Damit steigt auch die Doppelbelastung der Frauen, die in der Regel auch Haushalt und Kindererziehung übernehmen, weiter an. Drei Viertel der prekären Beschäftigungsverhältnisse wird von Frauen ausgefüllt (Moseley 1998, 42): >women do both their domestic labour and a job that gives them nothing in terms of satisfaction, and little in terms of income< (Brennan, 2000, 12). Der Bereich der weiblichen Reproduktionsarbeit, der im Fordismus trotz seiner Verdrängung in die private Sphäre gesellschaftlich (allerdings nicht monetär) anerkannt wurde, wird im Zuge der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt aus dem ökonomischen System >externalisiert< (Young 1998, 191).

Tab.1: Polarisierung der Einkommen

Haushalte nach

Einkommen

durchschnittliches Nettojahreseinkommen 1999

reale Veränderung

gegenüber 1977

unteres Fünftel

8800 $

-12,0%

zweites Fünftel

20.000 $

-9,5%

drittes Fünftel

31.400 $

-3,1%

viertes Fünftel

45.100 $

+5,9%

oberes Fünftel

102.300 $

+38,2%

     

1% Spitzenverdiener

515.600 $

+119,7%

Quelle: CBPP 1999

Die soziale Ungleichheit zeigt sich auch in der Vermögensverteilung: die reichsten 10% der Amerikaner verfügen über 85% aller Vermögen (Bluestone 1999, 28), während sich das Vermögen der unteren Einkommensbezieher verminderte. Aktienboom und Einkommenspolarisierung treiben diese Ungleichverteilung weiter an. 99% der Vermögensbildung und der -gewinne entfällt auf das obere Fünftel der Bevölkerung (Walwei/Werner 1999, 9) Die Verbreitung von Investmentfonds und steuerlich begünstigte Aktiensparpläne zur Sicherung der Rente haben an diesem Trend nichts grundlegendes geändert, allenfalls das Tempo der Polarisierung vermindert (Greenspan 1998).

Größere Lohn- und Einkommensdisparitäten und die Prekarisierung der Arbeit gehen einher mit wachsender Armut. Die Armutsgrenze[16] für eine vierköpfige Familie liegt laut statistischem Bundesamt der USA heute bei 16.530 Dollar, bzw. bei 8000 Dollar für Singles: bis 1994 stieg die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben auf 15,1% und verminderte sich bis 1997 dann wieder auf offizielle 13,3%, 35,6 Millionen Menschen - damit liegt die Armutsrate immer noch höher als nach der langen Rezession von 1989/1990, v.a. aber deutlich höher als 1973 mit nur 11%. >Heute lebt das ärmste Fünftel der Haushalte von durchschnittlich 8800 Dollar im Jahr. 1977 blieben ihm noch 10.000 Dollar. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter und schneller als je zuvor.< (Schiessl 1999, 236) Die Armutsrate bei Afro-Amerikanern und Hispanics ist noch höher – dreimal so hoch wie bei weißen Amerikanern (Murswieck 1998, 677). Armut aber bedeutet in den USA keinen auseichenden Zugang zu angemessenem Wohnraum, Gesundheitsversorgung[17] und Bildung, geringe Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe, zu politischer Partizipation, kurz: Exklusion und Marginalisierung. Die Clinton-Administration hat sich weiter aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen mit der Folge verstärkter Ghettoisierung und erhöhten Obdachlosenzahlen konzentriert in den innerstädtischen Zentren – allein in Los Angeles leben 100.000 Obdachlose (Mayer 1997, 525). Auch im Bereich der Bildung hielten die Neuen Demokraten nicht ihre Versprechen. Der vom amerikanischen Rechnungshof ermittelte Bedarf von 112 Milliarden Dollar allein für die Instandsetzung öffentlicher Schulgebäude wurde im Haushaltsplan für 1997 mit 5 Milliarden Dollar berücksichtigt (Faux 1999, 943). Doch in den Haushaltverhandlungen mit dem republikanisch beherrschten Kongress wurde dieser Posten wieder gestrichen. Die unzureichenden Mittel für Bildung und berufliche Ausbildung schlagen sich in der hohen Zahl unqualifizierter Arbeitskräfte und einer hohen Rate >funktionellen Analphabetentums< (20% der über 18-Jährigen) nieder. Mangelnde Bildung, schlechte Berufsaussichten und soziale Ausgrenzungen führen zur Auflösung sozialer Beziehungen, Apathie, Kriminalität: soziale Anomie ist die Folge. Sie wird sichtbar an den periodisch auftretenden sozialen Unruhen und Aufständen einer >urban underclass<. >Anstatt Abhilfe durch grundlegende soziale Veränderungen für die Benachteiligten anzustreben, organisiert man v.a. die polizeiliche Aufrüstung im Kampf gegen eine Kriminalität, die nur ein Symptom dieser Misere ist. Im Kampf gegen die Verelendung der Unterpriviligierten setzt man v.a. auf den Bau von Gefängnissen; Hinrichtungen von Angehörigen sozialer Minderheiten erfreuen sich einer breiten perversen Zustimmung.< (Vinnai 1999, 20) Die Kriminalitätsbekämpfung ist einer der innenpolitischen Schwerpunkte Clintons. Seine Reformen sahen in erster Linie die Einstellung von 100.000 neuen Polizisten und eine deutliche Verschärfung der Strafgesetze vor. Hierbei stößt insbesondere die Ausweitung der Todesstrafe hervor: von bisher drei können nun 60 Verbrechensarten mit dem Tode geahndet werden, unter anderem Autodiebstahl mit Todesfolge und organisierter Drogenhandel. Deutlich überproportional sind Schwarze davon betroffen – insgesamt warten über 3000 Verurteilte auf die Vollstreckung.[18] Die Verschärfung der Strafgesetze führt dazu, dass die ständig steigenden Gefangenzahlen von 330.000 im Jahr 1981, auf 800.000 1991, bis auf über 1,71 Millionen den Bau immer neuer Gefängnisse erfordert (Duster 1999, 187 bzw. Brennan 2000, 9). Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit festgenommen zu werden für junge Männer im Alter von 18 bis 28 Jahren bei Weißen bei 30%, bei Schwarzen hingegen bei 70%.[19] Duster (1999, 187) erklärt diese starke Kriminalisierung des Lebens junger schwarzer Männer in Folge außergewöhnlich wachsender Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe >v.a. durch deren Teilnahme am Straßenverkauf illegaler Drogen, der selektiven Durchsetzung der Drogengesetze für Straßen-Dealer und den deutlich härteren, gesetzlich vorgeschriebenen Gefängnisstrafen für den Verkauf von Crack-Kokain als für Kokainpulver<. So lässt sich die dramatische Zunahme der Inhaftiertenzahlen auf die staatliche Drogenpolitik zurückführen – 60% der Gefängnisinsassen befinden sich auf Grund von Drogendelikten dort, neunmal mehr Schwarze als weiße.[20] Zur Bekämpfung der Drogenkriminalität hat allein der Bund 1997 mehr als 15 Milliarden Dollar (Murswieck 1998, 671) verausgabt, das entspricht 0,2% des US-BIP – für die staatliche Beschäftigungspolitik wird kaum mehr aufgewendet. Im vergleich zu Deutschland (3,8% des BIP) beispielsweise geben die USA nur wenig für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aus, insgesamt etwa 0,69 % ihres BIP (ebd., 637). Stattdessen schotten sich die Wohlhabenden in >gaited communities<, hinter Mauern mit Stacheldraht und privaten Sicherheitsdiensten von Elend und Unsicherheit ab. Die private Sicherheitsarmada stellt mittlerweile einen florierenden Wirtschaftszweig dar. Sie beschreibt gleichzeitig eine spezifische Form geringqualifizierter Dienstleistungsökonomie im Niedriglohnsegment. Die weißen Mittelklassen ziehen sich bereits seit Jahrzehnten immer weiter aus den Innenstädten zurück: New York wie Los Angeles wurden in den Jahren von 1990 bis 1995 jeweils von einer Million Bürgern verlassen, während gleichzeitig ein fast ebenso großer Strom von Immigranten in die Innenstädte zog (Nolte 1999, 202). Die starke Polarisierung der Einkommen entlang segmentierter Arbeitmärkte und Klassen vollzieht sich auch entlang ethnischer Spaltungslinien und führt zur Segregation des städtischen Raumes. Es entwickelt sich eine >quartered city< (Marcuse 1989), in der eine >Stadt der Herrschaft und des Luxus<, gentrifizierter Stadträume und weißer Vororte die Zitadellen gleichen, den Mieterstädten der weißen Unterschicht, asiatischer Kleinunternehmerfamilien, hispanischen Barrios und schwarzen Ghettos gegenüberstehen.

The US economy may indeed be booming for the wealthy elite, but it is definitely not booming for the majority of US workers, especially for those with the poorest jobs. (Moseley 1998, 32)

Dienstleistungen und Beschäftigung

Eine hohe Einkommenspolarisierung ist die Grundbedingungen für die Schaffung einer marktförmig organisierten Dienstleistungsökonomie verbunden mit einer Ausweitung des Niedriglohnsegments auf 29,7% der Gesamtbeschäftigung (Mishel u.a. 1997, 149) – Niedriglohn wird dabei bemessen als das notwendige Einkommen, um eine vierköpfige Familie oberhalb der Armutsgrenze zu halten. Wie wir sehen konnten, wird diese Definition von der Realität der Niedriglohnjobs, die nicht einmal mehr eine Existenz an der Armutsgrenze ermöglichen, noch unterboten. Mehr als die Hälfte der neuentstandenen Arbeitsplätze in den 90er Jahren ist im Bereich der Dienstleistungen entstanden, während der Anteil des produzierenden Gewerbes um etwa 5% gesunken ist (DIW 1998, 174). Im Dienstleistungssektor sind mittlerweile über 80% der Arbeitskräfte -- außerhalb der Landwirtschaft -- beschäftigt (Murswieck 1998, 633). Dabei hat nicht nur eine massenhafte Ausweitung der sogenannten >Mc-Jobs< stattgefunden, sondern auch der hochqualifizierten Arbeitsplätze in den obersten Einkommensklassen im Bereich der unternehmensorientierten Dienstleistungen bei Finanzdienstleistern, in Forschung und Entwicklung.[21] Auf diese Weise entsteht eine polarisierte Einkommensstruktur, bei der die kaufkräftige Nachfrage der wohlhabenden Haushalte nach konsumorientierten Dienstleistungen auf ein Angebot billiger Arbeitskräfte trifft - >es entstünde ein funktionierender Markt für Dienstleistungen< (Häußermann 1999, 74). Eine Form der Vergesellschaftung die André Gorz (1989) als >Dienstbotengesellschaft< bezeichnet und die USA, die sich noch immer als Gesellschaft der >Mittelklasse< versteht, eben dieser Mittelklasse beraubt und eine wachsende soziale Polarisierung hinterlässt.

Auf diese Weise gelang es den USA von 1991 bis 1997 fast 14 Millionen neuer Arbeitsplätze zu schaffen (DIW 1998, 174); die Wachstumsrate der Beschäftigung liegt bei jährlich etwa 1,6 % (im Gegensatz zu 0,6 % in Deutschland; Werner 1999, 55). Bemerkenswert ist dabei, dass die Zunahme der Beschäftigtenzahl[22] keineswegs mit einer Verringerung der Arbeitszeiten einherging, die durchschnittliche Jahresarbeitszeit je Erwerbstätigem ist sogar um 3,7% gestiegen (Werner., 59, vgl. Ganßmann/Haas 1999, 62). Die Ausweitung der Beschäftigung ist in erster Linie auf die Expansion der konsumorientierten Dienstleistungen zurückzuführen – in diesem Bereich sind mittlerweile über 41% der Arbeitskräfte beschäftigt. Die Unterschiede in der Gesamtbeschäftigung zwischen den USA und beispielsweise Schweden einerseits und Deutschland andererseits lassen sich >fast ausschließlich< durch die unterschiedliche Beschäftigungsentwicklung in diesem Bereich erklären (Häußermann 1999, 75). Diese Beschäftigungsentwicklung hat zu einem Absinken der offiziellen Arbeitslosenquote auf unter 4% geführt. Allerdings wurden die Berechnungsmethoden der Arbeitslosenquote verändert: so gilt jeder, der nur in der geringsten Art einer Beschäftigung nachgeht und seien es nur einige Stunden in der Woche, nicht mehr als arbeitslos (Thurow 1996). Durch diese wenig beachtete Maßnahme aus der Zeit Ronald Reagans >wurde der Anteil der Arbeitslosen, die Leistungen erhielten, drastisch gesenkt: von 75% in den 70er Jahren auf lediglich ein Drittel< (Piven 1999, 234). Die niedrigen Leistungen und restriktiven Anerkennungsquoten halten viele davon ab, sich überhaupt arbeitslos zu melden. So hat insbesondere die Befristung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung zur spürbaren Verminderung der Arbeitslosenquote geführt (Ganßmann/Hass 1999, 68). Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung werden also in prekäre Beschäftigungsverhältnisse überführt. Weiter relativiert wird die niedrige Arbeitslosenquote, wenn die im Vergleich zu Europa etwa fünf bis sechsmal so hohen >Einkerkerungsraten< der Männer in die Analyse miteinbezogen werden (ebd.); das Ergebnis wäre eine zwei Prozent höhere Arbeitslosigkeit (Schäfer 1999, 11). Damit sollen die Beschäftigungserfolge in den USA nicht kleingeredet, aber doch etwas relativiert werden. Zudem wirkt sich die Arbeitslosigkeit auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich aus: so besteht trotz Expansion des Niedriglohnsegments das Problem der besonders hohen Arbeitslosigkeit bei niedrig Qualifizierten weiter fort (ebd., 67), während die Arbeitslosenquote für Schwarze und Hispanics doppelt so hoch liegt wie im Durchschnitt, bei jungen Afroamerikanern liegt sie sogar bei über 30% (Werner 1999, 55).

Die Beschäftigungsentwicklung auf Basis konsumorientierter Dienstleistungen und unqualifizierter Niedriglohnjobs schlägt sich in einer gesamtwirtschaflich niedrigen Produktivitätsentwicklung nieder. Im Zeitraum von 1990 bis 1997 bezogen auf den Unternehmenssektor konnte sie nur um 0,9% (Loeffelholz 1998, 515; OECD 1999, 17) jährlich zunehmen (Deutschland 2,5%). Anders als in Europa kann kaum auf Produktivitätsreserven[23] zurückgegriffen werden, ein Ausweichen auf einer Verlängerung der ohnehin vergleichsweise langen Arbeitszeiten ist nur begrenzt möglich, so dass bei anziehender Nachfrage schnell neue Arbeitskräfte eingestellt werden müssen. So führt schon ein geringes Wachstum zu mehr Beschäftigung. Darüber hinaus ist die Stabilität des Wachstums von Belang. Bei instabilen, immer wieder durch Stockungen geprägten Wachstumsverlauf agieren die Unternehmer vorsichtig und versuchen höhere Nachfrage über eine Ausweitung von Arbeitszeiten und Ausschöpfen der letzten Produktivitätsreserven zu bewältigen – die durchschnittliche Jahresarbeitszeit je Erwerbstätigem ist infolgedessen sogar um 3,7% gestiegen (Werner 1999, 59, vgl. Ganßmann/Haas 1999, 62). Erst wenn diese Möglichkeiten ausgereizt sind, greifen sie auf Neueinstellungen zurück. >Folglich wird ein Aufschwung um so beschäftigungsintensiver, je länger er andauert.< (DIW 1998, 179) In den USA hält der jüngste Wachstumszyklus bereits im neunten Jahr an. Darüber hinaus werden Neueinstellungen durch den mangelnden gesetzlichen Kündigungsschutz in den USA erleichtert, was im Falle einer Rezession zu einem überproportionalen und schnellen Beschäftigungsrückgang führt. So ist auch die Arbeitszeit in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich kaum gesunken, ist mit der Erholung des Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren sogar mit 3,7 % wieder leicht gestiegen (BRD minus 9,3%) und liegt heute bei durchschnittlich 1950 Stunden im Jahr (Werner 1999, 59).

Die USA verfügen über kein institutionalisiertes Berufsausbildungswesen. Die Arbeitskräfte müssen ihre beruflichen Erfahrungen und spezifische Kenntnisse erst über mehrere Beschäftigungsverhältnisse hinweg erwerben. Ausbildungsaktivitäten werden der Initiative der Unternehmen überlassen. Diese wiederum scheuen Investitionen in die Qualifikation ihrer Arbeitskräfte – andere Unternehmen könnten von ihren Aufwendungen für Weiterbildung profitieren ohne dafür zu zahlen, was sich für das ausbildende Unternehmen in höheren Kosten und Wettbewerbsnachteilen niederschlagen würde. Also versuchen sich alle soweit als möglich als Trittbrettfahrer, versuchen hochqualifiziertes Personal abzuwerben, was wiederum die hohen Einkommen von abhängigbeschäftigten Spezialisten erklärt. Statt einer internen Flexibilität der Arbeitskräfte (die in unterschiedlichen Bereichen einsetzbar sind) durch deren Qualifikation wird auf die externe Flexibilität des Arbeitsmarktes gesetzt, der ein schier unausschöpfliches, billiges Angebot unqualifizierter Arbeit bereit hält. Der unbegrenzte Zugang und die Ausweitung eines Reservoirs billiger Arbeitskräfte kann bis zu einem gewissen Grad die mangelnde Produktivität kompensieren. Allerdings: >Flexible labour-markets face potential problems in the reproduction of skills< (Peck 1994: 161) – dadurch wird der Wechsel auf produktivere Technologien verbaut und das Ausweichen auf einen expansiven Niedriglohnsektor zur scheinbaren Notwendigkeit in Zeiten des Zwangs zur kurzfristigen Renditesteigerung unter dem Druck des >shareholder values<.[24] Die niedrige Produktivitätsentwicklung gefährdet allerdings auf mittlere Sicht die Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Ökonomie. Bislang konnte negativen Effekte dieser Entwicklung durch den Import von Kapital und die Aufnahme immer neuer Kredite entgegengewirkt werden. Da die USA sich in ihrer eigenen Währung verschulden, fällt es ihnen bislang nicht weiter schwer diese Strategie durchzuhalten (mehr dazu im vierten Abschnitt).

Die Aufnahme von Niedriglohnjobs wird durch staatliche Maßnahmen gefördert. So wird die arbeitsmarktbedingte Armut durch die Anhebung des Mindestlohns 1991, 1996 und 1997 auf derzeit 5,15 Dollar gemildert (Muswieck 1998, 515).[25] In gleicher Richtung, wahrscheinlich noch signifikanter, wirkt die massive Ausweitung des >Earned Income Tax Credit< seit 1994 (Conceição u.a. 1999, 65), einer Art negativer Einkommenssteuer die 1975 eingeführt wurde und Einkommen von weniger als 24.000 DM etwas aufstockt. Durch diese Maßnahme erhöhte sich das Jahreseinkommen von 18 Millionen Haushalten um durchschnittlich 1400 Dollar (Walwei/Werner 1999, 9). Mit ca. 25 Milliarden Dollar pro Jahr übertreffen die Ausgaben für diese Steuerbeihilfe die Aufwendungen für die Sozialhilfe >selbst zu ihren besten Zeiten< (Piven 1999, 237). Entsprechen kann nicht von einem Abbau des Wohlfahrtsstaates gesprochen werden, als vielmehr von seiner Reorganisation. Die Hilfe hat allerdings zur Bedingung, dass mindestens ein Erwachsener in einer Familie einer Beschäftigung nachgeht. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger haben von diesem Instrument keinerlei Vorteile zu erwarten, es sei denn sie nehmen eine Beschäftigung im Niedriglohnsegment auf. Auf diese Weise wirken staatliche Anreize und Zwänge (mangels ausreichender Sozialversicherungssysteme) zur Aufnahme vorhandener >bad jobs<. Die >new democrats< unter Clinton versuchen also die Strukturprobleme des Landes und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit über systematische Kostensenkungsprozesse zu verbessern und unterstützen im Sinne eines >ricardianischen Workfare-Regimes< Reproduktionsmechanismen, >welche sich an der Aufrechterhaltung und Ausweitung eines Reservoirs billiger Arbeitskräfte und billiger Produktion in einer faktororientierten Form zeitbasierter Konkurrenz< ausrichten (Sum 1997, 190, vgl. Candeias 1999b, 72) – das wird auch am Projekt der NAFTA deutlich. Diese Strategie beinhaltet u.a. die Senkung bzw. Flexibilisierung der Lohnkosten durch Deregulierung, Lohnsubventionierung, Dezentralisierung und Deformalisierung der Arbeitsverhältnisse. Gleichzeitig versucht die Regierung die ärgsten Auswirkungen von Ungleichheit und Armut als Folge der orthodox-konservativen Regierungen von Reagan und Bush abzufedern, um die Stabilität des politischen und sozialen Gefüges nicht zu gefährden. In den letzten 25 Jahren sind also nicht Sozialkürzungen und der Abbau des Wohlfahrtsstaates zu beobachten gewesen, sondern vielmehr dessen Umbau zu Programmen, die >Arbeit kommodifizieren< (Gebhardt 1999, 100, Piven 1999, 236) und die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer schwächen. Am deutlichsten wird dies an Clintons Reform der Sozialhilfe, wie ich im nächsten Kapitel darzulegen versuche.

Mitte der 90er Jahre hatte nahezu jeder vierte Beschäftigte in den USA einen Teilzeitjob (23%), etwa 10% der Erwerbstätigen arbeiten ohne feste Bindung an ihren Arbeitgeber als Leiharbeiter oder Scheinselbständige (Bianchi 1999, 102f.). Überdurchschnittlich oft finden sich diese und andere prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der konsum- und haushaltsorientierten Dienstleistungen, v.a. bei den expansivsten Bereichen: Bürohilfstätigkeiten, Reinigungs- und Botendienste, in der Gastronomie, Hotels, urbanen Freizeiteinrichtungen, im Handel oder bei Haushalthilfen und Kinderbetreuung. Die ungleichen Einkommens- und Lebensverhältnisse werden durch die starke Segmentierung oder Spaltung des Arbeitsmarktes – d.h. es entstehen tatsächlich voneinander unabhängige Arbeitsmärkte, die den Arbeitskräften kaum eine Möglichkeit lassen, ihre Position durch Aufsteigen in der Berufshierarchie zu verbessern – zementiert. Hinzu kommt, dass diese Form des Beschäftigungswachstum hochgradig mit rassistischer und geschlechtspezifischer Diskriminierung verbunden ist, v.a. Schwarze (52%) und Hispanics (56%) sind im Niedriglohnsegment überrepräsentiert (Weiße nur 34%). Innerhalb dieser beiden Gruppen finden sich weitere Ungleichheiten: insbesondere hispanische Frauen können überproportional (57,%) nur schlecht bezahlte Arbeit finden (ebd. 1999, 94).So wird die Textilindustrie in Miami beispielsweise von weißen, männlichen Herstellern geprägt, die zu 90% von kubanischen Männern geführte Subunternehmen kontraktieren, in deren >Sweatshops< zu 95% kubanische Frauen arbeiten: >Im informellen Sektor entstehen somit neue Geschlechterdifferenzen und -hierarchien, die v.a. durch klassenspezifische sowie ethnische und nationale Zugehörigkeiten noch einmal gravierend verschärft werden.< (Young 1998, 187). Junge schwarze Männer hingegen erhalten überhaupt keine Anstellung mehr. Bestanden im Fabriksystem des Fordismus für junge Schwarze ohne adäquate Ausbildung noch Beschäftigungsmöglichkeiten, so führt die >Präferenz der Arbeitgeber für weiße und weibliche [einschließlich hispanischer] Arbeitskräfte zur Bedienung der vornehmlich weißen und weiblichen Kundinnen< (Duster 1999, 190) im Bereich der Dienstleistungen zu ihrer Marginalisierung auf dem Arbeitsmarkt. Auf diese Weise wird die Armut der Schwarzen und der Immigranten aus Lateinamerika >konsolidiert< (Keil 1989, 292) und junge, schwarze Männer in die Kriminalität gedrängt. Dies ist der Preis, den die US-amerikanische Gesellschaft für ihre Beschäftigungserfolge bezahlt. Es ist fraglich, ob auf diese Weise tatsächlich die sozio-ökonomische Stabilität bewahrt werden kann, insbesondere bei einer drohenden Rezession.

Ohnehin wird bemängelt, dass das Beschäftigungswachstum in den USA nicht auf eine verbesserte Konjunktur, sondern zum größten Teil auf andere Faktoren zurückgeführt werden kann, welche die Erfolge in diesem Bereich deutlich relativieren. Erstens ist das Bevölkerungswachstum der USA höher als in Europa: die Bevölkerung im erwerbsfähigem Alter wächst jährlich mit durchschnittlich 1,6% und liegt damit kaum unter dem jährlichen Wachstumsraten der Beschäftigung.[26] Zweitens wird das hohe Beschäftigungswachstum mit der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit auf 71% begründet (Deutschland 56%; Bianchi 1999, 84; Häußermann 1999, 78; Ganßmann/Haas 1999, 64). Einerseits sehen sich Frauen aufgrund sinkender Einkommen der Männer und der >Unterminierung des fordistischen Familienernährermodells< (Young 1998, 188) gezwungen eine Beschäftigung aufzunehmen, andererseits haben veränderte Rollenbilder und die verbesserte Ausbildungssituation von Frauen dazu geführt, dass sie eine Erwerbsarbeit als Mittel zur Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung oder zumindest zur ökonomischen Unabhängigkeit betrachten. Entsprechend haben die geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenzen deutlich abgenommen. Es ist >heute weitaus schwieriger, `die Frauen´ insgesamt auf schlecht bezahlte und perspektivlose Jobs abzudrängen< (Bianchi 1999, 88, vgl. Lang 1999). Die Kehrseite der größeren Einkommensgleichheit von Männern und Frauen ist die wachsende Kluft zwischen hoch und niedrig qualifizierter Arbeit – auch und gerade zwischen Frauen: Weiße, sozial privilegierte Frauen können auf billige, zugewanderte – häufig illegale – Migrantinnen für die häusliche Reproduktionsarbeit zurückgreifen. >Somit ist eine berufliche Frauenkarriere... nur in den Grenzen von Ethnizität, Klasse und Geschlecht zu realisieren.< (Young 1998, 192) Drittens wird das hohe Beschäftigungswachstum auf die hohe Immigration zurückgeführt. In den letzten 15 Jahren sind über 13 Millionen Einwanderer ins Land gekommen, in erster Linie aus Lateinamerika, der Karibik und v.a. aus Mexiko. Damit wurde das Rekordniveau zur Jahrhundertwende wieder erreicht. Dies hat dazu geführt, dass die USA, die für eine globale Liberalisierung und das Niederreißen von Handelsschranken eintreten, zwischen Mexiko und den USA einen Grenzzaun errichtet haben, der mit seinen Sicherungsvorkehrungen, Stacheldraht und Patrouillen an die Berliner Mauer erinnert – trotz NAFTA. Dennoch kann die illegale Einwanderung dadurch nicht unterbunden werden, auch wenn der Rio Grande beim illegalen Grenzübertritt immer wieder Todesopfer fordert. Caramotta (1999) nimmt an, dass die starke Konkurrenz der Immigranten die Löhne der Beschäftigten am unteren Ende der Qualifikationshierarchie um durchschnittlich 12% senkt.[27] Alle drei Faktoren zusammengenommen können maßgeblich zur Erklärung des hohen Beschäftigungswachstums in den USA beitragen und relativieren die Erfolgsmeldungen einer verbesserten Konjunktur. Denn Wachstum, welches nur auf eine quantitative Expansion der Bevölkerung bzw. des Arbeitskräfteangebotes zurückzuführen ist, ist jenseits aller durchaus wirkenden Multiplikatoreffekte eben rein quantitatives Wachstum, ohne den technischen oder organisatorischen Fortschritt voranzutreiben und die Profitrate der Unternehmen zu verbessern.

3. Workfare – Strategie zur Prekarisierung der Arbeit

Eine der wirksamsten Maßnahmen zur weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zur Senkung der Lohnkosten ist die spezifisch amerikanische Variante des Umbaus des Wohlfahrtsstaates zum Workfare-State. Im Zentrum der staatlichen Restrukturierung steht Clintons Sozialhilfe Reform von 1996. Im Anschluss an die Reformen von Reagan und Bush in den 80er Jahren löst der sogenannte >Personal Responsibility and Work Opportunity Reconciliation Act< das ursprüngliche Programm der Familiensozialhilfe durch eine >Temporary Assistance for Needy Families< ab (Gebhardt 1999, 106; Mayer 1999, 253), welche das Niveau der Sozialhilfe grundsätzlich absenkt, die Bezugsdauer auf insgesamt fünf Jahre (innerhalb der gesamten Lebensspanne der Betroffenen) beschränkt, den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe aufhebt, verbunden mit einer allgemeinen Arbeitspflicht. Gleichzeitig wird damit eine räumliche Reorganisation des Staates (Candeias 2000b) bzw. die Dezentralisierung der Sozialpolitik vorangetrieben, indem Vergabekompetenz und Festsetzung der Leistungshöhe der Zuständigkeit der Bundesstaaten überantwortet wird, während Washington nur noch Zielvorgaben setzt und Anreizstrukturen installiert. Der nationalstaatliche Wohlfahrtsstaat wird dabei in regionale und lokale Workfare-Regime überführt (Peck 1999, 194ff.). Das neue System der Pauschalzuweisungen des Bundes setzt unter Androhung des Verlusts von Bundesmitteln den einzelnen Bundesstaaten vorgegebene Mindestziele der Wiederbeschäftigung (50%) zur entsprechenden Verringerung von Sozialhilfeempfängern (Gebhardt 1999, 107), während gleichzeitig die Mittel für Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme gekürzt werden. Damit bestehen starke finanzielle Anreize die Sozialpolitik rein nach Kostengesichtspunkten zu gestalten, da eine sinkende Zahl von Sozialhilfeempfängern den Bundesstaaten freie Mittel zur Verfügung stellt, während anhaltend hohe (oder gar steigende) Empfängerquoten nicht durch zusätzliche Bundesüberweisungen flankiert würden. So werden beispielsweise die Sozialarbeiter im kalifornischen Landkreis Riverside durch ein System der Leistungsanreize auf erhöhte Kosteneffizienz konditioniert: >Die Mitarbeiter [...] werden auf der Basis ihres Plazierungserfolges bewertet und belohnt – für einen Anspruch auf eine Prämie muss jeder im Monat für eine Mindestzahl von KlientInnen eine Wiederbeschäftigung gefunden haben. Im Laufe der Jahre wurde die erforderliche Mindestzahl schrittweise erhöht, wodurch die Arbeit der MitarbeiterInnen intensiviert wurde. Zugleich vielen die Kosten pro einzelner Platzierung< (Peck 1999, 199). In diesem Zusammenhang versuchen städtische Verwaltungen auch die Trägerschaft sozialer Dienste an para-staatliche Organisationen und Initiativen auszulagern. Die Machtverteilung innerhalb solcher public-private-partnerships ist jedoch sehr ungleich: so verleiht die gewachsene räumliche Mobilität und die simple Drohung einer Abwanderung den Unternehmen heute eine immer bestimmendere Position gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen und staatlichen Akteuren. Dies drückt sich aus im Paradigmenwechsel der Sozialhilfe, die nicht mal mehr dem Anschein nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten ihrer Klientel Rechnung zu tragen versucht, als vielmehr den Bedürfnissen des Marktes bzw. der von den Workfare-Maßnahmen profitierenden Unternehmen. In der Folge setzt ein verstärkter Regimewettbewerb (Candeias 1999b) ein. Entsprechend variiert das Niveau der staatlichen Hilfen zwischen den einzelnen Bundesstaaten beträchtlich: im Bundesstaat Mississippi erhält eine Familie, die Sozial- und Nahrungsmittelhilfen in Anspruch nimmt, nur 40% des Betrages, der in den USA als Armutsgrenze gilt, in Alabama 44%, in Texas 47%, während sie in Kalifornien, Massachussetts und New York 77% bezieht (Wiseman 1999, 217).

Den Kern der Reform bildet die Abkehr von bürokratischen, standardisierten Programmen der passiven Einkommenssicherung und Armutsbekämpfung zur flexibel, ergebnis-, markt- und kostenorientierten, aktiven Integration von Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt. Die Betrachtung dieser grundsätzlich sehr unterschiedlich implementierbaren Ausrichtung der Reform muss allerdings im Kontext ihres ideologischen Entstehungszusammenhangs erfolgen,[28] um ihre spezifische Ausformung zu begreifen. Ihr liegen implizite und explizite Annahmen über die Ursachen von >Sozialstaatsabhängigkeit< und Armut zugrunde. Ihre Wurzeln liegen in den massiven Umverteilungspolitiken der Präsidentschaft Reagans verborgen. Zur Wiederherstellung der Profitabilität des Kapitals im Anschluss an die Krise des Fordismus in den 70er Jahren versuchte die Reagan-Administration über enorme Steuerentlastung von Unternehmen und Vermögen deren Profitrate wieder zu stabilisieren und gleichzeitig über gewaltige Steigerungen des Rüstungshaushaltes (>Warfare<) und den Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes die Konjunktur und die technologische Position der USA zu stützen bzw. auszubauen. Damit verbunden war ein Anstieg der Haushaltsdefizite auf Rekordhöhen. Diese Defizite wurden nun als politisches Argument zur Kürzung von Sozialausgaben eingesetzt.[29] Ideologisch begründet wurden und werden diese Maßnahmen mit einem Diskurs, der Armut auf ein Zeichen individuellen moralischen Versagens zurückzuführen versucht, als Ergebnis mangelnder Arbeitsmoral, unzureichender Erwerbsfähigkeit und Faulheit (Gans 1999, 249). Auch Clinton setzte dann auf eine Strategie >to end welfare as we know it<. Wer seither Sozialhilfe beziehen möchte oder vielmehr darauf angewiesen ist, muss an den sogenannten >Work-First<-Programmen teilnehmen. Im Zuge der Kürzung von Ausbildungs- und traditionellen Beschäftigungsprogrammen, zielt der dieser Ansatz darauf, eine möglichst große Anzahl von Sozialhilfeempfängern, kostengünstig, mit dem geringsten notwendigen Aufwand schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, gleichgültig unter welchen Bedingungen oder von welcher Dauer das neue Beschäftigungsverhältnis sein mag. Der passive Bezug von Sozialhilfe ohne Erwerbsarbeit wird verhindert durch die streng obligatorische aktive Arbeitsplatzsuche, andernfalls droht die Kürzung oder gar Streichung der Mittel. Vom wohlfahrtsstaatlichen Bedarfsprinzip wird ebenso Abschied genommen, wie von einem festen Rechtsanspruch auf staatliche Hilfe. Damit wird die >Möglichkeit, den Lebensunterhalt unabhängig vom Markt zu bestreiten< (Gebhardt 1999, 113) begrenzt und Arbeit rekommodifiziert (Piven 1999, 227). Damit verbunden ist die strenge Beaufsichtigung der Bedürftigen: strenge Verhaltensregeln, orientiert auf Sekundärtugenden - wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, `anständiges´ Benehmen und eine gute Erscheinung, keine Äußerung von Kritik etc. - müssen eingehalten werden, intensiver Kontakt und >der ständige, unerbittlich ausgeübte Druck<, so der Leiter eines Workfare-Programms,[30] sollen zur Aufnahme einer Beschäftigung drängen. Der Verstoß gegen die Regeln führt beim ersten oder zweiten mal zur Halbierung der Sozialhilfe, beim dritten mal zum vollständigen Verlust des Anspruchs ohne Möglichkeit auf eine erneute Antragstellung (Gans 1999, 246). Motiviert wird hier nicht über das Aufbauen von Selbstbewusstsein und spezifischen Fertigkeiten, sondern über systematischen finanziellen und psychologischen Druck, so dass auch der schlechteste `bad job´ als vorteilhafte Alternative zur Sozialhilfe erscheint. Workfare wird für Herbert Gans damit zur Zwangsarbeit, mit der Menschen ausgebeutet und doppelt stigmatisiert werden: durch ihren Status als Sozialhilfeempfänger einerseits und als Zwangsarbeiter andererseits – damit nimmt Arbeit hier die Form >öffentlicher Sklaverei< (244) an.[31] Das über hundert Jahre lang von der Arbeiterbewegung geforderte und niemals gewährte Recht auf Arbeit wird nun in die `Pflicht´ zur Arbeit umdefiniert. Dieser Zwang und die >paternalistische< Form der Betreuung (Peck 1999, 192) dient auch zur Abschreckung bzw. zum Ausschluss von Antragstellerinnen und damit zur weiteren Senkung der Sozialhilfeempfängerquoten. Um den erniedrigenden Betreuungsmaßnahmen und dem Druck zu entgehen, stellen viele erst gar keinen Antrag auf staatliche Unterstützung, flüchten vielmehr als >working poor< mit Mehrfachbeschäftigungen in den Niedriglohnsektor, wechseln in den informellen Sektor, ziehen sich zurück in familiäre Beziehungsnetzwerke oder suchen ihren Ausweg in illegalen und kriminellen Aktivitäten – letzteres gilt v.a. für junge, schwarze Männer, deren Verhalten durch die diskriminierenden Praktiken der Kriminalitätsbekämpfung noch verstärkt wird (Duster 1999). Etwa 85% der Sozialhilfeempfänger sind Frauen (Lang et.al. 1999, 232) , insbesondere alleinerziehende Mütter, die sich aufgrund ihrer Leistungen für die Kindererziehung häufig außerstande sehen, einer entsprechenden Tätigkeit nachzugehen, nun aber auch keinen Antrag auf Sozialhilfe mehr Stellen können, da sie befürchten müssen, in einen schlecht bezahlten Niedriglohnjob unter ausbeuterischen Bedingungen (und Arbeitszeiten) gedrängt zu werden. Darüber hinaus wurden mit der Reform von 1996 - dem Jahr, in welchem fast eine Million Einwanderer legal in die USA kamen – alle Immigranten (auch legale) aus dem System der Sozialhilfe, einschließlich der Nahrungsmittelhilfen und dem staatlichen Medicaid, ausgegrenzt. Die dadurch erzielten Einsparungen werden vom Kongress auf 23, 8 Milliarden Dollar geschätzt, dies entspricht 44% der gesamten Leistungskürzungen von 54,1 Milliarden Dollar im Zusammenhang mit der Reform (Gebhardt 1999, 107). Auf diese Weise werden Immigranten sozial ausgegrenzt und/oder zur Aufnahme von >bad jobs< gezwungen. Insgesamt ist gegenüber dem Reformjahr 1996 die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen bis 1999 insgesamt um 44% gesunken (Piven 1999, 234). Damit taucht ein wachsender Teil Bedürftiger nicht mehr in den staatlichen Sozialstatistiken auf und wird weiter marginalisiert. >For the first time since the 1935 New Deal substantial numbers of people have no visible means of support.< (Brennan 2000, 4)

Der Neuorientierung der Sozialhilfe auf eine vorrangige Integration in den Arbeitsmarkt unter Kostengesichtspunkten liegen zwei weitere, äußerst fragwürdige Annahmen zugrunde: einerseits, das ein entsprechendes Angebot von Arbeitsplätzen vorhanden ist, welches die wachsende Nachfrage durch Work-First-Maßnahmen absorbieren kann und andererseits, dass jede Form von Beschäftigung eine `gute´ Beschäftigung >als `Lernerfahrung für die sozialstaatsabhängigen´ KlientInnen des Programms darstellt, da deren bisherige Arbeitslosigkeit als Folge eines der Erwerbsarbeit nicht angemessenen Verhaltens und einer spezifischen mentalen Einstellung gesehen wird< (Peck 1999, 198).[32] Beide Annahmen laufen ins Leere: die erste übersieht die bereits beschriebene strukturelle Arbeitslosigkeit – trotz beachtlicher Erfolge besteht in den USA nach wie vor ein Überschuss an Arbeitskräften, keineswegs ein Mangel – v.a. im Niedriglohnsektor – nicht jeder oder jede, die eine Arbeitsstelle möchte, ist in der Lage auch eine zu bekommen (ich komme darauf noch einmal zurück); die zweite Annahme wird durch die bisherigen Ergebnisse der Work-First-Programme widerlegt. Die kurzfristige Strategie der Beschäftigung `um jeden Preis´ führt dazu, dass viele Teilnehmerinnen im Niedriglohnsektor eine befristete Arbeit findet, davon aber zwei Drittel nach kurzer Zeit wieder ihre Stelle verlieren – für etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen wurde überhaupt keine Arbeit gefunden (ebd., 200). Dies ist wesentlich auch der mangelnden Aus- und Weiterbildungsorientierung der Programme geschuldet, die eine höhere Qualifikation der Teilnehmerinnen zum Ziel haben müsste, um die Beschäftigungs- und Aufstiegschancen zu erhöhen. In einer kurzfristigen Perspektive sind derartige Maßnahmen allerdings mit höheren finanziellen Aufwendungen verbunden. Entsprechend gibt es in den USA derzeit kein größeres, umfassendes und allgemeinzugängliches Programm zur Qualifizierung von Erwerbslosen oder Arbeitskräften im Niedriglohnsektor (Wiseman 1999, 218). Also bleiben Sozialhilfeempfängerinnen entweder erwerbslos oder im Niedriglohnsektor und somit in Armut gefangen. Die Chancen auf eine Verbesserung ihrer Situation verschlechtern sich im Zeitverlauf, da sowohl Erwerbslosigkeit, als auch Work-First-Maßnahmen, die der Qualität der Beschäftigung keine Beachtung schenken, zu einer schleichenden Dequalifizierung der Betroffenen führt.

Die erzwungene Integration von Sozialhilfeempfängern unter diesen Bedingungen verschärft weiter die Arbeitsmarktsituation im Niedriglohnsektor. Zuvor hatte die – zumindest auf einem Minimum – existenzsichernde Sozialhilfe die allgemein lohndämpfende Wirkung steigender Arbeitslosigkeit nach unten hin begrenzt: >Mit anderen Worten, die industrielle Reservearmee erfüllte ihre traditionelle Funktion nicht mehr< (Piven 1999, 230).[33] Über die Anwendung der Work-First-Maßnahmen lässt sich die >Kontrolle über die Mobilisierung, Verwendung und Reproduktion der industriellen Reservearmee< wiedererlangen (Peck 1999, 201). Workfare-Programme sozialisieren über ihre paternalistischen Betreuungsmethoden und permanenten Druck Sozialhilfeempfängerinnen für prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor. Gleichzeitig schaffen sie zwangsweise ein erhöhtes Arbeitskräfteangebot für Arbeitsplätze mit geringen Qualifikationsanforderungen, verschärfen die Konkurrenz um die verbleibenden Arbeitsplätze und unterminieren damit die Verhandlungsposition aller niedrig bezahlten Arbeitskräfte. Teilnehmer dieser Programmen unterliegen nicht dem Schutz des Arbeitsgesetzes, sind nicht gewerkschaftlich organisiert (erste Ansätze zeigen sich in New York) und werden in der Regel zu Tarifen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns beschäftigt (Mayer 1999, 261). Zwischen 150.000 und 300.000 Personen pro Jahr werden auf diese Weise zusätzlich auf den Arbeitsmarkt gebracht (Wiseman 1999, 213). Sie stellen damit eine Art `Schmutzkonkurrenz´ für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor dar. Ihre Diskriminierung am freien Arbeitsmarkt aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer familiären Verantwortlichkeiten wird hier bewusst ausgenutzt. Laut Berechnungen des Economic Policy Institute wird die Sozialhilfereform die Löhne im Niedriglohnsegment um durchschnittlich 11,9% drücken, in Einzelstaaten mit einer großen Anzahl an Sozialhilfeempfängerinnen wie Kalifornien sogar um mehr (Mishel/Schmitt 1995).[34] Aufgrund der geringen Qualifikationsanforderungen und der damit gegebenen hohen Austauschbarkeit von Arbeitskräften besteht für Arbeitgeber ein Anreiz reguläre Beschäftigungsverhältnisse durch eine Abfolge von subventionierten Arbeitskräften zu ersetzen, da für jede neue Einstellung entsprechende Fördergelder gezahlt werden. Auf diese Weise werden eine starke Fluktuation und befristete Arbeitsverhältnisse gefördert, statt beispielsweise Ausbildungsinvestitionen oder die Aufrechterhaltung bestehender Arbeitsverhältnisse, wodurch eine größere Stabilität auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden könnte (Peck 1999, 206). Im Ergebnis werden nicht neue Arbeitsplätze geschaffen, sondern tariflich bezahlte und häufig noch gewerkschaftlich organisierte Arbeitskräfte (v.a. im öffentlichen Sektor) verdrängt (Mayer 1999, 261). Workfare ist also Teil einer Strategie zur Senkung der Lohnkosten, Ausweitung eines Niedriglohnsektors, zur weiteren Prekarisierung der Arbeit und damit zur Schwächung der Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern. Die Sozialhilfe wird somit den `Erfordernissen´ der Arbeitsmarktflexibilisierung unterworfen. Das damit einhergehende und bewusst verstärkte >Gefühl von Arbeitsplatzunsicherheit< in Verbindung mit >entsprechend niedrigen Lohnzuwächsen< soll, so der Zentralbankvorsitzende Alan Greenspan (1998), maßgeblich zur guten Wirtschaftlage beitragen.

Dabei sind die Erfolge von Wellfare-to-Work-Programmen, abgesehen von einigen wenigen Beispielen, recht zweifelhaft. Der größte Teil der Sozialhilfeempfängerinnen schaffte entweder nicht den Sprung in die Erwerbstätigkeit oder verlor nach einer kurzen Tätigkeit wieder ihre Stelle (Handler 1995). Die übrigen fanden nur zu sehr geringen Löhnen einen Arbeitsplatz, >so dass weitere Sozialhilfeleistungen zur Sicherung des Subsistenzniveaus notwendig waren< (Peck 1999, 200), z.B. Nahrungsmittelkarten oder staatliche Krankenfürsorge (Medicaid). Paradoxerweise verlangt der Versuch zur aktiven Integration von Sozialhilfeempfängerinnen in den Arbeitsmarkt den staatlichen Stellen einen wesentlich höheren Aufwand ab, als passive Einkommenssicherungsprogramme - ist im Endeffekt u.U. also teuer, abhängig vom jeweiligen Erfolg. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen hängt aber stark von den Bedingungen auf den örtlichen Arbeitsmärkten ab. Zusätzliche Arbeitsplätze können dadurch nicht geschaffen werden. Ihre Wirksamkeit ist in den dynamischen Wachstumszentren (beispielsweise in Kalifornien oder anderen Staaten des >sunbelt<) am höchsten – dies gilt aber nicht für Innenstädte oder für altindustrielle Regionen im Strukturwandel, die eher vom Arbeitsplatzabbau gekennzeichnet sind. In der Folge kommt es zur räumlichen Konzentration von Sozialhilfeempfängerinnen in den Innenstädten – die sogenannte urban underclass, v.a. in den Ghettos der Schwarzen und Hispanics (Wiseman 1999, 213). Die Dezentralisierung der Sozialpolitik und die Entwicklung neuer Governance-Strukturen zwischen privaten und öffentlichen Akteuren >macht die Qualität der Versorgung abhängig von der jeweiligen Wirtschaftskraft des Stadtteils [bzw. der Region] und von den Fähigkeiten, politischen Prioritäten und der Durchsetzungskraft politischer Akteure vor Ort< (Mayer 1999, 259). Damit werden neue Spaltungen und sozialräumliche Ausgrenzungen produziert. Die Begrenzung der bundesstaatlichen Mittel über Pauschalzuweisungen führt entsprechend bei steigenden Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerzahlen zu neuen räumlichen Ungleichheiten. Ein Problem, welches sich v.a. bei der nächsten Rezession deutlich verschärfen wird.

4. Makroökonomie und die Risiken neoliberaler Globalisierung

Lohnsenkung, Lohndifferenzierung, Prekarisierung und Informalisierung der Arbeit können zusammen mit den Rationalisierungsinvestitionen der Unternehmen die leichte Verbesserung der Profitraten und den Aufbau einer marktförmigen Dienstleistungsökonomie erklären, sind jedoch keineswegs hinreichend, um das vergleichsweise hohe Wachstum in den USA zu begründen. Entscheidend hinzu treten makroökonomische Bedingungen innerhalb und außerhalb der USA.

Nach dem von Stagflation geprägten 70er Jahren, dem Verfall des Dollar-Wechselkurses auf seinen bisherigen Tiefstand 1980 und dem Amtsantritt von Ronald Reagan ist die Inflationsbekämpfung in den Mittelpunkt der Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik gerückt. Während der 80er Jahre sorgt v.a. eine rigide Hochzinspolitik für sinkende Inflationsraten. Der Preis des >Zinsschocks< sind Unternehmenspleiten, Massenarbeitslosigkeit und nicht zuletzt die Schuldenkrise der >Dritten Welt< (Candeias 1998, 89). Deregulierung und Deformalisierung der Arbeitsverhältnisse, die Schwächung der Gewerkschaften und Reallohnsenkungen tun ihr übriges. Ein liberalisierter Freihandel und die verschärfte internationale Konkurrenz verhindern, dass seitens der Unternehmen mangelnde Renditeerwartungen über höhere Preise ausgeglichen werden, während gleichzeitig der radikale Umbau der US-Ökonomie befördert wird. Begleitet wird die restriktive Geldpolitik von einer antizyklischen, keynesianischen Haushaltpolitik. Bekanntermaßen erreicht das Deficit spending zur Stützung der Konjunktur über den Ausbau der militärisch-industriellen Komplexes und Steuerentlastungen für Vermögende unter Reagan seinen Höhepunkt (während gleichzeitig gegen >Sozialschmarotzer< polemisiert wird). Mit der einsetzenden Rezession Ende der 80er Jahre erreicht das Haushaltsdefizit immer neue Rekordhöhen.

Mit dem >Omnibus Budget Reconcilliation Act< von 1990[35] wird schließlich die strikte Kontrolle der Ausgaben festgeschrieben, ohne allerdings ein konkretes Defizitziel festzusetzen. Langfristig soll ein ausgeglichenes Budget angestrebt werden. Das Gesetz ermöglicht in einer rezessiven Phase größere Defizite, während in Wachstumsphasen die Ausgaben zur Konsolidierung des Haushaltes zurückgeführt werden müssen. In der Praxis kommt es in erster Linie zur Reduzierung der konsumtiven staatlichen Ausgaben und zum Umbau der gesetzlichen Ausgaben (so dass bei einer erneuten Rezession, die Steigerung der Sozialkosten begrenzt bleiben). Steuererhöhungen der Clinton-Administration, welche die Progressionswirkung der Einkommenssteuer verstärken und Unternehmen wieder stärker zur Finanzierung des Staates heranziehen, verbessern gleichzeitig die Einnahmeseite. So können die Einnahmen aus direkten Steuern in den Jahren zwischen 1993 und 1998 um fast 60% angehoben werden. Auf diese Weise wird der Anstieg der Ausgaben von 9,5% (1993) auf 1,1 % (1998) begrenzt, während die Einnahmen im Schnitt um 7,1% wachsen, so dass aus dem Haushaltdefizit von 281 Milliarden Dollar (1992) ein Überschuss von 75 Milliarden (1998) erwächst (DIW 1999, 230). Langfristig von großem Nachteil kann sich dabei erweisen, dass die Kürzung der öffentlichen Investitionen im Bereich der Infrastruktur (einschließlich moderner Informations- und Kommunikationsnetzwerke), bei Bildung und Erziehung, Forschung und Entwicklung oder im Gesundheitsbereich die produktive Basis der USA schwächen.

Die erfolgreiche Konsolidierung des Haushaltes aber eröffnet der Geldpolitik größere Spielräume und somit ein niedriges Zinsniveau, das sich positiv auf Investition, Beschäftigung und Wachstum auswirkt, was im Umkehrschluss über höhere Steuereinnahmen überhaupt erst eine Konsolidierung möglich macht.[36] Nichtsdestotrotz betrachtet die Federal Reserve Bank die Inflationsbekämpfung weiterhin als ihre zentrale Aufgabe. Sinkt die Arbeitslosigkeit dauerhaft unter die vermeintlich >natürliche< Quote von 4-6% oder steigt das Wachstumstempo auf jährliche Raten von über 2,5%, so sähe sich die Zentralbank dazu gezwungen, die Zinssätze anzuheben (Bluestone 1999, 37). Unter dem Imperativ der Inflationsbekämpfung werden dem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, wie der Lohnentwicklung enge Grenzen gesetzt. Greenspan hat wiederholt eine Anhebung des Zinsniveaus angekündigt und sie nur aufgrund der Asienkrise verschoben. Im letzten Jahr wurden zwei der drei Zinssenkungsschritte von 1998 bereits wieder rückgängig gemacht, eine weitere Anhebung ist zu erwarten: >Die Frage ist nur noch, wie hoch die Notenbanker den Zinsanstieg dosieren werden?< (Landert 2000, 21) – immerhin ist 2000 Wahljahr in den USA.[37] Restriktive Geldpolitik und die Prekarisierung der Arbeit sorgen also trotz niedriger Arbeitslosenquoten für niedrige Löhne und bändigen die Inflation.

Das während der zweiten Hälfte der 90er Jahre vergleichsweise niedrige Zinsniveau ermöglicht eine erhöhte Kreditaufnahme bzw. reduziert die Zinsbelastung bestehender Kredite. US-Unternehmen haben sich während der 70er Jahre hoch verschuldet. Der Zinsschock der 80er Jahre hat die Zinsbelastung drastisch erhöht; um Konkurrenzfähig zu bleiben müssen häufig weitere Kredite für Rationalisierungsinvestitionen aufgenommen werden. Der Schuldenstand hat sich seither nicht wesentlich verringert: 1996 belaufen sich die Verbindlichkeiten der US-Unternehmen auf fast 7,9 Billiarden Dollar (demgegenüber beläuft sich ihr Vermögenswert auf rund 6 Billarden Dollar; Loeffelholz 1998, 516). Niedrige Zinsen mindern allerdings die Belastungen durch den Schuldendienst und eröffnen neuen Raum für Investitionen. Der Anteil der Zinszahlungen an den Bruttogewinnen (Profit plus Zinsen) hat sich entsprechend von 38% (1990) auf 19% (1997) halbiert (Moseley 1998, 43). Aber auch die privaten Haushalte nutzen die Vorteile des niedrigen Zinsniveaus. Noch immer liegend die Lohnzuwächse unter den Steigerungsraten der Produktivität (Faux 1999, 943); der dadurch bedingte Konsumausfall wird durch Mehrarbeit und verstärkte Kreditaufnahme kompensiert. Auf diese Weise ist es den Haushalten möglich trotz sinkender Einkommen mit Hilfe von Konsumentenkrediten, v.a. durch die Belastung ihrer Kreditkarten, das Konsumniveau zu erhalten. Wurde die Nachfrage für amerikanische Produkte und Dienstleistungen zu Beginn der 90er Jahre v.a. durch den erhöhten Export[38] in die boomenden ostasiatischen Länder und nach Lateinamerika gestützt, so kann mit Hilfe niedriger Zinsraten im Laufe der 90er Jahre die Binnennachfrage innerhalb der von Grund auf restrukturierten Ökonomie wieder angeschoben werden. Statt zu sparen wird das verfügbare Haushalteinkommen vollständig für den Konsum verwandt: der Binnenkonsum legt 1998 um 5,1% und 1999 um 4,2% zu (OECD 1999, VIII). Entgegen dem neoliberalen Modell führen also nicht hohe Sparraten zu erhöhten Investitionen und Wachstum, sondern entsprechend der klassischen keynesianischen Vorstellung spielt die Nachfrage eine entscheidende Rolle und kompensiert die staatliche Austeritätspolitik. Analog dazu ist die Sparrate in den 90er Jahren auf 2-3% des BIP gesunken und ist Ende 1998 sogar in den negativen Bereich gerutscht (-0,2%) – ein Wert der seit dem Rezessionsjahr 1938 nicht mehr erreicht wurde. 1999 erreichte sie den absoluten Minusrekord von minus 4% (Seitz 2000, 16). Spiegelbildlich dazu steigt der Anteil der Schulden im Verhältnis zu den Nettohaushaltseinkommen von ca. 70% in den 70er Jahren auf das historische Rekordniveau von 108% im Jahr 1997 (Henwood 1999, 126). Die amerikanischen Haushalte sparen nicht nur weniger als je zuvor, sie geben mittlerweile mehr aus, als es ihr Nettoeinkommen zulassen würde (OECD 1999, 40). Sicherlich liegt hierin eine der entscheidenden Gefahren für die US-Konjunktur: die hohe Konsumnachfrage kann nicht dauerhaft über Schulden finanziert werden. Die Überschuldung nimmt dramatisch zu und erreicht ihren bisherigen Höchstwert von 6% insolventer Haushalte – angesichts des derzeitigen `Booms´ und eines niedrigen Zinsniveaus erscheinen eine drastische Zunahme familiärer Bankrotte und steigende Armut bei einem Eintritt in eine rezessive Phase oder steigender Zinsen unausweichlich.

Im Gegensatz zur neoliberalen Vorstellung, dass die Umverteilung zugunsten Vermögender und die erhöhten Einkommen aus den steigenden Aktienkursen zu einer erhöhten Nachfrage führen, ist es gerade die Nachfrage der unter Druck geratenen amerikanischen Mittelschicht, deren Konsumneigung im Verhältnis zum Einkommen bekanntermaßen wesentlich höher ist als bei Vermögenden, deren erhöhte Konsumbedürfnisse ab einem bestimmten Niveau in ein verstärktes Anlage- und Sparverhalten umschlägt, welche das Wachstum stützt. Dies erklärt auch, warum eine Anhebung der Löhne als tendenziell inflationssteigernd angesehen wird, eine Steigerung der Geldvermögen aber nicht. Um nach neoliberaler Manier das Konsumniveau der Vermögenden im volkswirtschaftlich nennenswerten Maße anzuheben bedarf es allerdings >gewaltiger und kontinuierlicher Steigerungen der Aktienkurse< (Bluestone 1999, 34) - eine derartige Hausse, abgekoppelt von der realwirtschaftlichen Entwicklung, kann nicht langfristig aufrechterhalten werden; die benötigten Umverteilungsmaßnahmen sind zu groß, produzieren sozial destabilisierende Polarisierungen und üben zu starken Druck auf die Löhne aus, sodass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage letztlich doch zurückginge.

Neben dem Konsum der Lohnabhängigen wird das Wachstum rein quantitativ auch durch das raschere Bevölkerungswachstum, die steigende Immigration und die erhöhte Frauenerwerbstätigkeit (vgl. vorheriges Kapitel) sowie durch die von diesen Faktoren ausgelösten Multiplikatoreffekten gestützt (Häußermann 1999, 79). Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstum relativierten sich auch die Zahlen des Wirtschaftswachstums: während das aggregierte Wachstum seit 1993 etwa 3,4% jährlich beträgt, liegt das Pro-Kopf-Wachstum nur bei 2,4% (Henwood 1999, 123)[39]. Von besonderer Bedeutung für das Wachstum der USA aber ist der enorme Zufluss an ausländischen Kapital. Bereits von 1983 bis 1993 sind ca. 1600 Mrd. US-$ ins Land geflossen. Ab 1993 stiegen die ausländischen Direktinvestitionen noch einmal dramatisch an: in nur vier Jahren strömten 2225 Mrd. US-$ in die amerikanische Ökonomie – abzüglich der amerikanischen Investitionen im Ausland ergibt sich daraus ein Nettokapitalzufluss von fast 800 Mrd. US-$. Der Zufluss ausländischen Kapitals entspricht für die Jahre 1996 und 1997 nahezu 20% der gesamten Bruttoinvestitionen in den USA (Moseley 1998, 35). Mit der Asienkrise von 1998 und der daraus bedingten Umkehr der Investitionsströme von den Tigerstaaten an die Wall Street dürften sich diese Zahlen weiter erhöht haben. Dieser gewaltige Kapitaltransfer ermöglicht auch niedrigere Zinssätze: ohne das zusätzliche Kapitalangebot hätte die niedrige bzw. negative Sparquote nach neoliberaler Vorstellung automatisch zu höheren Zinsraten führen müssen. Der Zustrom ausländischen Kapitals ermöglicht den USA also ihr hohes Konsumniveau bei niedrigen Zinssätzen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig ausreichend Kapital für Investitionen zur Verfügung zu haben. Das daraus induzierte schnellere Wachstum führt zu unerwartet hohen Steuereinnahmen und niedrigen Haushaltsdefiziten, welches wiederum niedrigere Zinsen möglich macht und weitere Investitionen stimuliert. Sollte der Zufluss ausländischen Kapitals wieder zurückgehen, sagen wir auf durchschnittliche Werte wie sie in den 80er und Anfang der 90er Jahre üblich waren, also nur ein Nettozufluss von 90 Mrd. Dollar pro Jahr, würden Investitionen gebremst, das Kapitalangebot scharf reduziert und die Zinsen wieder in die Höhe getrieben.

Das im Vergleich zu den europäischen Ökonomien hohe US-amerikanische Wachstum ist also nicht auf steigende Aktienkurse zurückzuführen. Diese können allenfalls über die Emission neuer Unternehmensanteile Mittel für neue Investitionen bereitstellen. Die Ausgabe neuer Aktien spielt an der Wall Street jedoch keine entscheidende Bedeutung, vielmehr treibt die Verknappung des Angebotes durch den Rückkauf eigener Aktien durch Unternehmen die Kurse in die Höhe. Aber wie kam es überhaupt zum Aktienboom?

In einer Situation der Überakkumulation, mangelnder Verwertungsmöglichkeiten aufgrund einer stagnativen globalen Nachfrage und einer Entkopplung von monetärer und realer Akkumulation (Candeias 1998; Candeias 1999d; Brenner 1999; Altvater/Mahnkopf 1996), wird Kapital nicht in produktive Anlagen reinvestiert, sondern in Finanzanlagen umgeschichtet. Das derzeit erzielte Wachstum von durchschnittlich 3,4 % fällt verglichen mit den durchschnittlichen Wachstumsraten des >golden age< der 60er Jahre immer noch bescheiden aus. Eine immer höhere Verschuldung der Haushalte kann langfristig den Nachfrageverlust aus den sinkenden Löhnen nicht ausgleichen, insbesondere wenn die dynamische Entwicklung von Produktivität und Löhnen des Fordismus zum Vergleich herangezogen wird. Auch der Export kann angesichts globaler Stagnation (mit Ausnahme einiger weniger Wachstumsenklaven) – das globale Wachstum von 1989 bis 1995 lag bei durchschnittlich 1,8% jährlich (OECD 1997b, 50) – nicht im geforderten Maße die Nachfragelücke schließen. Insgesamt stehen also noch immer nicht ausreichend Investitionsmöglichkeiten zur Verfügung.[40] Trotz niedriger Zinsraten liegt der Realzinssatz (1996 6,4%; UN 1997; 1999 5,2%, OECD 1999, VIII) aufgrund der äußerst niedrigen Inflation immer noch höher als zu Zeiten der 70er Jahre. Angesichts der sich nur leicht erholenden Profitraten erscheinen Finanzanlagen also nach wie vor profitabler. Die neoliberale Politik blockiert bislang eine Reregulierung der globalen Finanzmärkte, welche einen Wachstumskreislauf mit höheren Löhnen, steigender Nachfrage, höheren Investitionen, steigender Produktivität und höheren Profiten ermöglichen könnte. Die Beschleunigung der Zirkulationsgeschwindigkeit auf den nun liberalisierten Geld- und Kapitalmärkten lassen langfristige Investitionen angesichts des erhöhten Risikos als zu riskant erscheinen. Verbunden mit dem Druck der Anleger kurzfristig hohe Renditen zu erwirtschaften investieren Unternehmen selbst in Finanzanlagen (Candeias 1998, 93). Dies befördert weiterhin die monetäre gegenüber der realen Akkumulation und sorgte für ein Ansteigen des Dow-Jones-Indexes auf mittlerweile über 11.000 Punkte[41] und spiegelt sich im Verhalten der Unternehmen, die mangels ausreichender Expansionsmöglichkeiten und einer Situation der Überinvestition[42] ihre in der Vergangenheit erwirtschafteten Profite für den Ankauf bzw. Rückkauf ihrer eigenen Aktien nutzen. Die Senkung des Aktienangebotes führt zwangsläufig zu steigenden Kursen. Der Aktienboom wurde nach einem kurzen Einbruch 1998 weiter befördert durch die Flucht der Anleger aus den ökonomischen Krisenregionen der Welt in den vermeintlich sicheren Hafen USA (Candeias 1999a, 179).[43] Die niedrigen Zinssätze erlauben es weitere Finanzanlagen auf Kredit zu finanzieren. Die Beleihung von Aktien gemessen am BIP ist inzwischen so hoch (2%) wie zuletzt in den 30er Jahren. Die Hysterie der Anleger treibt spekulative Blasen voran, die Notenbankpräsident Greenspan bereits bei einer Dow-Jones-Marke von 6500 Punkten als >irrationale Auswüchse< anprangerte. Denn steigende Aktienwerte an sich schaffen keine realen Einkommen, sie lassen sich nur durch ihren Verkauf realisieren. Und der ist angesichts einer Überbewertung[44] von über 50% (Seitz 2000, 16) – v.a. Technologieaktien und Internet-Titel sind >hoffnungslos< überzeichnet (Hickel 1999; Der Spiegel 41/1999, 127)[45] – nur in Einzelfällen möglich ohne eine Finanzkrise auszulösen. Aber mit dem Wachstum der Geldvermögen steigen auch die Zinsansprüche und damit der Zwang zur Produktion weiteren Mehrwertes. Dies beschränkt sich nicht nur auf Aktienmärkte – hinzu treten Devisenmärkte, Märkte für staatliche Anleihen und nicht zuletzt Märkte für Derivate (Candeias 1998, 86ff.) auf denen unvorstellbare Vermögenswerte zirkulieren. Doch die Wachstumsraten sind zu gering, um die Ansprüche der Vermögensbesitzer zu finanzieren. Bei veränderten Zins- oder Kurserwartungen droht die Kette der Zahlungsverpflichtungen abzureißen – zuletzt sichtbar an der Krise des LTCM-Hedge-Fonds - , die Flucht in die Liquidität führt zu Kursstürzen und Unternehmensinsolvenzen. Die Unmöglichkeit >den gesamten Wert der produzierten Waren zu realisieren< (Mandel 1991, 192) bzw. die >Nichtrealisierung einer ganzen Reihe von Zahlungen...Dies ist die eigentliche Form der Geldkrisen< (MEW 26-2, 515).

Die asiatisch-lateinamerikanisch-russische Krise der vergangenen Jahre hat bereits die Wettbewerbsbedingungen auf den Weltmärkten nachhaltig verändert. Die weltweiten Abwertungen und der bislang stabile Kurs des Dollars hat die Konkurrenzfähigkeit US-amerikanischer Produkte und Dienstleistungen verschlechtert. Zu Beginn des Jahres 1998 beginnen verstärkt Importe in die USA zu strömen. Gleichzeitig vermindern sich amerikanische Exporte schlagartig auch aufgrund implodierender Märkte in Südostasien und Lateinamerika. Zur selben Zeit versuchen die südostasiatischen und lateinamerikanischen Krisenländer, aber auch Japan und die europäischen Staaten (hier v.a. Deutschland) den Export zu forcieren, um Schulden zu begleichen, die lahmende Konjunktur wieder in Gang zu bringen oder die Probleme der Massenarbeitslosigkeit durch Externalisierung zu lindern. Ziel dieser zusätzlichen Warenströme kann nur der einzig größere verbliebene noch expandierende Markt der Welt sein -- die USA (Brenner 1999). Die verschärfte Konkurrenz auf weitgehend deregulierten Märkten macht sich bereits bemerkbar: Das Handelsbilanzdefizit der USA nahm 1998 erstmals wieder zu und hat 1999 den Wert von über 300 Mrd. Dollar überschritten, das Leistungsbilanzdefizit summieret sich auf 350 Mrd. Dollar (OECD 1999, 42), die Außenschulden liegen bei 2 Billionen Dollar. Die Auslastung der neugeschaffenen Produktionsanlagen kann nicht mehr aufrechterhalten werden, die Profitraten der Unternehmen sinken wieder (Candeias 1999a, 179; vgl. OECD, 20, 39). Damit bildet der Höhenflug der Aktienkurse immer weniger die realwirtschaftliche Lage wider. Das Zerplatzen der Spekulationsblase, verbunden mit entsprechendem Zinswachstum, weiteren Produktionseinbußen und Arbeitslosigkeit, scheint unausweichlich, sofern nicht kontrolliert abgewertet wird. Nicht zuletzt die Finanzanlagen der Japaner, die im Falle einer Verschärfung der dortigen, noch immer nicht überwundenen, langen Rezession, möglicherweise zur Deckung des riesigen Berges an `faulen´ Krediten abgezogen werden müssten, könnten auf der Wall Street ein Beben auslösen. Ein massiver Crash auf den amerikanischen Aktienmärkten hätte globale Auswirkungen. Die sich nur langsam von der globalen Rezession erholende, immer noch instabile Weltwirtschaft droht dann in eine globale Depression zurückzufallen.

Fazit

Trotz der durchaus beachtlichen Erfolge der Clinton-Jahre werden auch ihre Schattenseiten deutlich. Das Tempo der Einkommenspolarisierung wurde gegenüber den 80er Jahren verringert, der Trend jedoch keineswegs umgekehrt. Der Umbau vom >welfare< zum >workfare state<, dessen Funktion darin besteht >Produkt-, Prozess-, Organisations- und Marktinnovationen zu fördern, um die strukturelle Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft durch Intervention auf der Angebotsseite so weit wie möglich zu stärken, und die Sozialpolitik den Erfordernissen der Arbeitsmarktflexibilität bzw. den Zwängen der internationalen Konkurrenz unterzuordnen< (Jessop 1997, 73) wird weiter fortgeführt. Mit dieser Reorganisation nationalstaatlicher Politik unterliegt die Einlösung wohlfahrtstaatlicher Rechte nunmehr den disziplinierenden Restriktionen der >Workfare-Abhängigkeit< und des Kostendrucks.

Doch dem konservativ-liberalen Block um die republikanische Partei gelang es nie sein Projekt dauerhaft als das der gesamten Gesellschaft darzustellen und durchzusetzen. Denn Hegemonie im Sinne Gramscis (1992: 1584) meint: >dass die herrschende Gruppe sich auf konkrete Weise mit den allgemeinen Interessen der untergeordneten Gruppen abstimmen wird und das Staatsleben als ein andauerndes Formieren und Überwinden von instabilen Gleichgewichten zu fassen ist [...], von Gleichgewichten, in denen die Interessen der herrschenden Gruppen überwiegen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.[46] Dies ist dem konservativ-liberalen Block nie gelungen und offenbarte sein legitimatorisches Defizit. Clinton und seine Partei sind angetreten, um die schlimmsten Folgen dieser Politik sozialverträglich abzufedern, um die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsstaates USA auf globalisierten Märkten in einer etwas langfristigeren Perspektive zu gewährleisten und die Umverteilung von oben nach unten zumindest zu verlangsamen. Über die Einbeziehung größerer sozialer Gruppen in einen >Klassenkompromiss der `neuen Mitte´< bei weiterer Marginalisierung schwächerer Gruppen wird die Stabilisierung und größere Kohärenz des Systems angestrebt. Freilich ohne die herrschende ökonomische Logik zu hinterfragen. Dies zeigt sich auch daran, dass sich vom ursprünglichen Programm des amerikanischen >Third Way< nur jene Initiativen durchsetzen konnten, die für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes von Vorteil waren, während soziale Projekte – hier seien nur die Gesundheits- und Bildungsreform genannt – ohne unmittelbaren Nutzen für die Kapitalverwertung scheiterten. Es geht also nicht darum, >die eingetretenen ökonomisch-gesellschaftlichen Strukturveränderungen zu verändern, sondern ihnen [nachträglich] soziale Nachhaltigkeit und politische Akzeptanz zu verleihen [... durch] die Zusammenfassung divergierender Interessen von Gruppen und Klassen in einem populären Programm< (Hirsch 1998, 221). Mittels >diskusiver Politik< (Haug 1999, 796)[47] werden die begriffliche Deutungsmacht gewonnen und zentrale politische Konzepte von Wohlfahrt, Verantwortung und Familie neu definiert. Die ideologisch-politische Wende der >NewDdemocrats< ermöglicht dem Neoliberalismus im Sinne Gramscis Konzept des >Transformismo< (1991ff., Bd.5: 966), die Einverleibung vormals linker, oppositioneller Gruppen in einen neuen herrschenden Block. Die Linke wird in die >Mitte< gerückt und damit das gesamte politische Spektrum nach rechts verschoben. Der verbleibende Rest linker >Traditionalisten< und >Extremisten< wird marginalisiert. Erst durch seine sozialdemokratische Form wird der Neoliberalismus also hegemonial abgesichert. Diese Politik mag in Zeiten des Wirtschaftswachstums legitimatorische Defizite füllen, beseitigt jedoch keinesfalls die ökonomischen und v.a. finanziellen Instabilitäten des Systems. Daher ist es fraglich, ob hier von einem kohärenten >Modell USA< gesprochen werden kann, insbesondere auch weil die angebotenen Begründung von Seiten der neoliberalen Orthodoxie nicht zutreffen: weder sind der Erfolge der 90er Jahre auf die strikte Kontrolle der Geldwertstabilität, noch auf die hohen Aktienkurse oder die flexiblen Arbeitsmärkte zurückzuführen. Andere, wesentlichere Faktoren, v.a. die Veränderungen der globalen Konkurrenzsituation und internationaler Finanzströme, mussten hinzutreten. Doch es sind die inhärenten Widersprüche jedes hegemonialen Projekts, auch der neoliberalen Entwicklungsweise, die letztlich wieder zu ihrer Transformation genutzt werden können.[48]

Eine Übertragung amerikanischer Regulationsformen auf die Bundesrepublik Deutschland hängt grundsätzlich von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen im Lande ab, von der Macht der sie befürwortenden Interessengruppen, ihren hegemonialen Durchsetzungsstrategien und nicht zuletzt vom weiteren Erfolg des Vorbildlandes USA. Entscheidend ist, dass bei einem Transfer einzelner Regulationsformen, die immer >nur einen Teil einer gesamten institutionellen Konfiguration< ausmachen (Scherrer 1999, 285), die Kohärenz der sozialen Formen gewahrt bleibt. So erscheint die Übertragung einer prozyklischen Geld- und Haushaltspolitik grundsätzlich möglich und volkswirtschaftlich von Vorteil, widerspricht jedoch nicht nur dem im Rahmen der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion institutionalisierten Regime einer monetaristischen Stabilitätspolitik, sondern auch den herrschenden Kräften: paradigmatisch dafür steht der Misserfolg Lafontaines. Palley (1999, 51) hält entsprechend nicht die Übernahme der antizyklischen und expansiven Wirtschaftspolitik nach dem Vorbild der USA für wahrscheinlich, sondern viel eher die Beibehaltung einer restriktiven und prozyklischen Geld- und Fiskalpolitik – er befürchtet eine >Senkung des Lohnniveaus und makroökonomische Austerität<. Eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, schwächerer Kündigungsschutz, weitere Deformalisierung und Individualisierung der Arbeitsverhältnisse, größere Lohnspreizung, die Kürzung sozialstaatlicher Leistungen und die Schaffung eines ausgedehnten Niedriglohnsektors – alles Elemente, die in der Tendenz bereits vorhanden sind – nach amerikanischen Maßstäben stießen auf dem europäischen Kontinent und in Deutschland nicht nur auf den Widerstand von Arbeitnehmern und Gewerkschaften, sie untergrüben v.a. entscheidende komparative Vorteile des deutschen Modells: das breite Engagement und die hohe Qualifikation der Arbeitskräfte, die soziale Stabilität des Standortes und nicht zuletzt die hohen Produktivitäten, welche entscheidend die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen prägen. Die Übertragung einzelner Elemente sollte also sehr differenziert betrachtet werden und immer auf ihre Kompatibilität mit den ökonomischen und sozialen Bedingungen im Lande überprüft werden. Aus diesem Grunde erscheint ein Blick zu unseren Nachbarn in die Niederlande und v.a. nach Dänemark, deren >Modelle< den deutschen Bedingungen sehr viel näher sind, sinnvoller.

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[1] Mit dem Begriff des Neoliberalismus ist nicht eine bestimmte ökonomische Theorie im engeren Sinne gemeint. Der Neoliberalismus ist zwar auf der Basis einer ökonomischen Theorie, als deren herausragendste Vertreter Friedrich von Hayeck und Milton Friedman benannt werden können, aufgebaut - allerdings darf der >real-existierende Neoliberalismus< (Haug 1999a) nicht auf eine akademische Lehre reduziert werden, auch wenn er sich auf sie stützt. Vielmehr wird der Neoliberalismus hier als hegemoniales, politisches Projekt, als neue Entwicklungsweise des Kapitalismus im regulationstheoretischen Sinne gefasst (vgl. Candeias 1999c).

[2] Folge des Krisenzusammenhangs von Überakkumulation und Profitratenverfall war ein zunehmender Überschuss an liquiden Mitteln, die nicht reinvestiert wurden und auf diese Weise zur unkontrollierten Expansion der Weltfinanzmärkte führte. Das in Folge des Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (Candeias 1998: 84) etablierte Regime flexibler Wechselkurse, ergänzt durch liberalisierte und deregulierte Weltfinanzmärkte, brachte keineswegs die von neoliberaler Seite erwartete Stabilisierung der krisenhaften Entwicklung. Die Aufblähung der internationalen Geld- und Kapitalmärkte führte vielmehr zur Persistenz eines hohen Realzinsniveaus und zur Blockade produktiver Investitionen. Während auf diese Weise die monetäre Akkumulation in Form wachsender Geldvermögen voranschreitet, verbleibt die reale Akkumulation in Form produktiver Investitionen und wirtschaftlichen Wachstums bis heute in einer stagnativen Situation. Monetäre und reale Sphäre sind also entkoppelt (ebd.: 95). Produktive Unternehmen passen sich an die neuen Verwertungsbedingungen an: zum einen wird Auf der Suche nach neuen Verwertungsmöglichkeiten Kapital in neue, bislang periphere Räume transferiert, zum anderen fließt ein großer Teil der erzielten Profite in Finanzanlagen und steht für produktive Investitionen nicht mehr zur Verfügung. Darüber hinaus verändert sich die Unternehmenskultur in Richtung auf kurzfristige Anlagen und die Betonung des >shareholder values<. Diese vorherrschenden Reaktionsweisen von Unternehmen auf die Grundprobleme von Überakkumulation und Profitratenverfall, werden selbst zum Hindernis für höhere Wachstumsraten (Candeias 1998).

[3] Es existiert kein allgemein gültiges Kündigungsschutzgesetz. Allerdings wirken Gesetze, wie das grundsätzliche Verbot von Diskriminierung und das Richterrecht einer generellen Kündigungsfreiheit entgegen. Für etwa zwei Drittel aller Beschäftigten aber gilt, >dass ihre unbefristeten Arbeitsverhältnisse aus `gutem, ehrlichen Grund´ (just cause) jederzeit aufgelöst werden können< (Werner 1999, 65).

[4] Obwohl sich die sozialistischen wie sozialdemokratischen Parteien in Europa, v.a. aber die Labour Party sich weitgehend von ihren gewerkschaftliche Wurzeln unabhängig erklärt haben, so sind die Gewerkschaften dennoch weit stärker in die Parteistrukturen als auch in die staatlichen Regulationsformen eingebunden, als es im amerikanischen System und in der Demokratischen Partei der Fall wäre.

[5] >AFL-CIO Präsident Sweeney´s Ausspruch `Amerika braucht Einkommenssteigerungen´ findet bei den Arbeitenden starken Widerhall; aber das alleine reicht nicht, wie der Konservativismus der gut bezahlten Gewerkschaftsmitglieder in der Nachkriegszeit bewiesen hat. Eine Arbeiterbewegung, die auf Konsum gründet, wird scheitern, weil sie die Ideologie des `Klassenfeindes´ akzeptiert [...] Um dies zu vermeiden, muss es eine ideologische Alternative geben, die sich geradewegs für klassenvereinende Themen einsetzt: jeder Beschäftigte hat das Recht auf einen anständigen Job; auf öffentlich finanzierte Gesundheitsversorgung, Bildung auf allen Stufen...., bezahlten Familienurlaub; Rassismus und Sexismus sind jetzt auszumerzen; jede Institution in der Gesellschaft muss demokratisch kontrolliert werden, einschließlich der Arbeitsplätze, Gewerkschaften und alle Ebenen der Regierung; Arbeit muss zu einem Selbstzweck werden und nicht zu einem Mittel, um den privaten Konsum zu erhöhen; Beschäftigte sind überall auf der Welt dieselben und müssen dieselben Rechte haben. Es muss zugegeben werden, dass unser ökonomisches System unfähig ist, diese Forderungen zu erfüllen. Mit anderen Worten, eine Arbeiterbewegung braucht eine entsprechende Ideologie, eine arbeitszentrierte Sicht der Dinge, innerhalb derer eine Interpretation der Realität möglich ist.< (Gapasin/Yates 1998, 32)

[6] Damit entsprechen die gezahlten Löhne zwar in etwa dem Dreifachen des mexikanischen Mindestlohnes, von diesem kann aber aufgrund der staatlichen Lohnbeschränkungen und der hohen Inflationsraten niemand leben. Um den Lebensunterhalt zu verdienen müssen mehrere Familienmitglieder, meist auch die Kinder einer Arbeit nachgehen. Im Verhältnis dazu, sind die Löhne in den Maquiladoras vergleichsweise hoch – auch wenn sie etwa 40% unter den Tariflöhnen in der mexikanischen Industrie liegen (Hualde 1995, 134).

[7] >Es ist nicht zu leugnen, dass die Ausbeutung auf dem... [erweiterten] Markt von einer Auflösung und Schwächung der lokalen, patriarchal geprägten Kulturen begleitet ist, was für Frauen durchaus positiv ist: Sie können sich der männlichen Unterwerfung durch ihre Einbindung in den globalen Markt entziehen. Andererseits verlieren sie auch den Schutz, den die lokalen patriarchalen Kulturen bieten.< (Young 1998, 195f.)

[8] Mit der ökonomischen Integration im Rahmen der NAFTA werden auch staatliche, v.a. die scharfen kalifornischen Umweltnormen unterlaufen. Der Naturverbrauch der Betriebe entlang der mexikanischen Grenze ist extrem hoch, v.a. die Emission von Giftstoffen und der enorme Wasserverbrauch sind problematisch. Seit 1998 wird versucht mit ersten transnationalen Umweltinfrastrukturen, z.B. im Bereich des Abwassermanagements, dem Problem zu begegnen, um zumindest den weiteren Betrieb der Maquilas garantieren zu können. Gleichzeitig setzt von Norden ein reger Sondermülltourismus nach Mexiko ein, obwohl das NAFTA-Abkommen eigentlich Umweltdumping untersagt und Abfallbehandlung im Entstehungsland vorschreibt (Davis 1999, 17f.). >Eine neue Geographie der Müllhalden< entsteht (Mayer 1997, 538, vgl. Candeias 1999b, 82).

[9] Von 1983 bis 1993 blieb in Mexiko, dank der erheblichen Abwertungen des Peso, die Anzahl der Menschen unterhalb der Armutsgrenze konstant bei 34%, seit Beginn der NAFTA und in Folge der mexikanischen Währungskrise stieg die Zahl auf 60 % an (ebd.).

[10] In kleinen und mittleren Betrieben von 5 bis 100 Beschäftigten waren 1992 in den USA 49% der Beschäftigten tätig (in Deutschland 38%), in Betrieben mit über 100 Beschäftigten 44% (Deutschland 52%; ebd.).

[11] Dabei handelt es sich allerdings um einen äußerst widersprüchlichen Prozess, da der aus dem Zwang zur Beherrschung der enormen Unsicherheiten und Risiken transnationalisierter Produktionen erwachsende Zentralismus der Produktionsplanung zugleich die oft proklamierte arbeitsorganisatorische Gestaltungsautonomie der einzelnen Produktionseinheiten vor Ort konterkariert (Lüthje 1998, 574).

[12] Die als linke Sympathisantin sicher unverdächtige International Harald Tribune fasst die Entwicklung wie folgt zusammen: >[A] wave of restructuring and cost cutting that swept the economy in the late 1980s an early 1990s – that process cost millions of workers their jobs, but it made American companies the toughest and most aggressive in the World.< (>Behind this crazy economy, is a healthy American economy<, 3. März 1999)

[13] Die hohen Produktivitäten beschränken sich auf die Bereiche der Hochtechnologie, unternehmensorientierte und Finanzdienstleistungen. Insgesamt liegt das Produktivitätsniveau der USA unterhalb des deutschen, französischen skandinavischen oder japanischen.

[14] Werden die Anteile der prekären formellen und informellen Beschäftigungsverhältnisse addiert, so beläuft sich ihr Gesamtanteil an der Beschäftigung auf ca. 30%. Diese Zahl deckt sich mit den Erhebungen von Mishel, Bernstein und Schmitt (1997, 219f.). Darüber hinaus lässt die hohe Zahl nicht-erwerbstätiger Männer, etwa 18% (Deutschland nur 8%, Schäfer 1999, 11), darauf schließen, dass ein großer Teil dieser Männer angesichts der niedrigen Arbeitslosenquote auf anderen Wegen sein Einkommen bezieht und informellen Tätigkeiten nachgeht. Hier finden sich die von Thurow (1996) so bezeichneten >verschwundenen< Arbeitslosen.

[15] 28,7% der Beschäftigten verloren beim erzwungenen Wechsel des Arbeitsplatzes ihre über den Arbeitgeber garantierte Gesundheitsversicherung (Mishel et.al. 1997, 221).

[16] Die offizielle Armutsgrenze ist seit 1960 festgeschrieben und wird nur um die Inflationsrate angepasst, unabhängig vom seither erreichten Reichtumsniveau. Der eigene Lebensstandard bemisst sich aber am gesellschaftlichen Durchschnitt und nicht an einer statistischen Größe aus den 60er Jahren. Werden also die üblichen Verfahren der Armutsmessung, d.h. ein Wert der 50% des Durchschnittseinkommens unterschreitet, angelegt, lägen die Armutsraten in den USA signifikant höher (über 20%, Henwood 1999, 130 bzw. 133). Jüngste Untersuchungen des US-Handelsministeriums beziffern die Zahl der in Armut lebenden Amerikaner sogar auf 30% (Schäfer 1999, 9).

[17] Der Krankenversicherungsschutz in den USA erfolgt in der Regel über den Arbeitgeber. Eine staatliche Krankenversicherung existiert nicht. Bei Entlassungen oder Beschäftigung im informellen Sektor besteht für die Betroffenen und ihre Familien also kein ausreichender Schutz vor Krankheit. Private Krankenversicherungen sind zu teuer und beinhalten eine Reihe von Ausschlussklauseln. Entsprechend haben über 34 Millionen US-Amerikaner keine Krankenversicherung. Die positiven Ansätze einer Reform der Krankenversicherung nach europäischem Vorbild, maßgeblich vorangetrieben durch Hillary Clinton, sind bekanntlich im Kongress gescheitert.

[18] Trotz des wesentlich geringeren Anteil von Schwarzen an der Gesamtbevölkerung werden etwa gleich viele Schwarze wie Weiße zum Tode verurteilt (Murswieck 1998, 672). Bei der Vollstreckung der Todesstrafe schließlich ist der Anteil der Schwarzen noch höher.

[19] >Jeder dritte Afroamerikaner zwischen 20 und 29 ist gerade verurteilt. Bei den Schwarzen in den Ghettos sind es 80% - diese Gruppe junger Leute ist sozusagen insgesamt im Gefängnis, auf dem Weg dorthin oder auf Bewährung gerade draußen.< (Nolte 1999, 202)

[20] Im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis der USA als globale Friedensmacht im Kosovo, Somalia oder Irak oder andernorts stellt sich die Frage: >Kann eine Gesellschaft, die mit aus sozialer Benachteiligung resultierenden Gewaltpotentialen dermaßen fragwürdig umgeht, anderswo mit Hilfe des Militärs mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit in die Welt bringen, die der Tendenz zur Gewalt die Basis entzieht?< (Viannai 1999, 20)

[21] Auch im Gesundheitswesen sind eine Reihe von qualifizierten, gut bezahlten Arbeitsplätzen entstanden (Conceição u.a. 1999, 64). Im Vergleich zu den beiden eben genannten Segmenten, fällt die Zahl jedoch kaum ins Gewicht.

[22] Die Beschäftigungsquote stieg auf 69,6% der Erwerbstätigen (1997), bei einer leichten Zunahme der Erwerbsquote auf 77,6% der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigem Alter (DIW 1998, 174).

[23] Während das Bruttoninlandsprodukt in den USA im Zeitraum von 1983 bis 1997 um 41,2% stieg, konnte für den selben Zeitraum bei einem Wachstum der Arbeitsproduktivität von nur 10,5% ein Beschäftigungswachstum von 23,2% registriert werden. In Deutschland hingegen wurde das Wachstum des BIP um 34,7% von den Steigerungen der Arbeitsproduktivität um 37% (!) überkompensiert, so dass eine erhöhte Arbeitslosigkeit trotz Reduzierung der Arbeitszeit notwendig die Folge war (Daten aus Werner 1999, 59). In Deutschland wird also durch die vergleichsweise hohen Produktivitäten Beschäftigung v.a. in weniger produktiven, unqualifizierten Tätigkeiten wegrationalisiert; ein Beschäftigungszuwachs erfordert ein wesentlich höheres Wachstum als in den USA. Konsumorientierte Dienstleistungen werden zu einem großen Teil in Form unbezahlter Arbeit im Haushalt (meist von Frauen) erbracht und damit Teile der Bevölkerung aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt. In Schweden hingegen wird ein Teil der hohen Extra-Profite aus dem Produktivitätswachstum im industriellen Sektor vom Staat abgeschöpft, um damit soziale und kulturelle Dienstleistungen, mit qualifizierter Arbeit als Infrastruktur zu finanzieren (vgl. Häußermann 1999; Ryner 1999). Auf diese Weise hat der konsumorientierte Dienstleistungssektor in Schweden einen vergleichbaren Umfang wie in den USA erreicht, ohne allerdings die negativen Effekte niedriger Bezahlung, Armut, schwer entfremdender, anspruchsloser Arbeit mit all ihren sozialen und individuell-psychischen Folgen mit in Kauf nehmen zu müssen.

[24] In Marxschen Begriffen entspräche dieses Vorgehen der Steigerung des absoluten Mehrwertes durch Ausdehnung der Arbeitszeit und Senkung der Löhne, im Gegensatz zur Steigerung des relativen Mehrwertes, der aus der Erhöhung der Produktivität der Arbeit resultiert (MEW 23, 279).

[25] Eine gesamtwirtschaftlich erhöhte Produktivität, wie Bluestone (1999, 36) es nahe legt, kann allerdings kaum daraus erwachsen. Bluestone erhofft, durch den höheren Mindestlohn einen Anreiz für Unternehmen bestünde, ihre Beschäftigten effektiver einzusetzen, neue Techniken anzuwenden, um die Produktivität zu erhöhen. Doch dazu besteht bei dem niedrigen Niveau des Mindestlohns kaum eine Hoffnung. Wenn überhaupt, so ergibt sich dieser Effekt durch den allgemeinen Lohnanstieg der vergangenen zwei bis drei Jahre, der möglicherweise durch die Heraufsetzung des Mindestlohns befördert wurde.

[26] In Deutschland beträgt das Bevölkerungswachstum durchschnittlich 0,7% pro Jahr und liegt damit trotz einer wesentlich niedrigeren Rate als in den USA noch über dem Beschäftigungswachstum von 0,3-0,6%.

[27] Der Einsatz von Immigranten als Schmutzkonkurrenz zur Senkung des Lohnniveaus liefert neue Argumente für rassistische Übergriffe. Dem Ausschluss von Immigranten aus der Sozialhilfe im Zuge der Reform von 1996 (siehe Kapitel 3) ging eine neuentfachte Diskussion um die Auswirkungen der Einwanderung in Kalifornien voraus.

[28] Wenn es gelingt die inhärente Dynamik der Unterwerfung von Sozialhilfe unter die Imperative der Ökonomie und damit die strukturell schwache Position der Sozialhilfeempfänger zu thematisieren, können Workfare-Programmen auch anders angelegt werden. >Der Zuschnitt von einzelstaatlichen und lokalen Arbeitsbeschaffungsprogrammen ist höchst unterschiedlich – und durchaus anfällig gegenüber öffentlichem Druck und den Herausforderungen von sozialen Bewegungen< (Mayer 1999, 262). So gibt es Initiativen staatliche Subventionen nur für solche Workfare-Arbeitsplätze zuzulassen, die tatsächlich neue Arbeitsplätze darstellen und nicht in der Ersetzung von tariflich bezahlten Tätigkeiten durch prekäre Beschäftigung resultieren, Versuche Teilnehmer von Workfare-Programmen (insbesondre im öffentlichen Dienst) gewerkschaftlich zu organisieren, mit Workfare soziale Dienstleistungen Aufzubauen, Ausbildungsprogramme zu integrieren etc. Hier wird versucht stärker schumpeterianische Elemente von Workfare-Regime zu herauszustellen und soziale Belange zu betonen.

[29] >In kurzer Reihenfolge konnte die Zustimmung des Kongresses für Kürzungen in Höhe von 140 Mrd. US-$ für die Jahre 1982 bis 1984 gewonnen werden. Am stärksten wurden diejenigen Programme gekürzt, die am wenigsten an Erwerbsarbeit gebunden waren. Das Budget der Sozialhilfe für Familien mit Kindern, des damals größten bedürftigkeitsorientierten Geldleistungsprogramms, wurde um 14% gekürzt. Die Inanspruchnahme wurde jenen Familien verweigert, deren Haushaltsvorstand im vergangenen Monat gestreikt hatte. Zwischen 11 und 14% der EmpfängerInnen verloren ihren Anspruch und weitere 8% mussten Kürzungen hinnehmen. Das reale Leistungsniveau war bereits Anfang der 70er Jahre aufgrund der einzelstaatlichen Weigerung, die Leistungen an das Inflationsniveau anzupassen, deutlich zurückgegangen. Der Haushalt für Nahrungsmittelkarten wurde jeweils 1980, 1981 und 1982 gekürzt, so dass am Ende der 80er Jahre das Verhältnis dieser Leistung zu den Durchschnittseinkommen den tiefsten Stand erreichte. Diese Kürzungen zusammen mit neuen Berechnungsverfahren für Anspruchsberechtigung und Leistungshöhe führten dazu, dass die maximale monatliche Leistung für eine arme Familie von 90% der offiziellen Armutsgrenze im Jahre 1975 auf 67% im Jahre 1992 fiel< (Piven 1999, 232/3). Die Kürzungen erscheinen geradezu pervers, da die Sozialhilfe gemessen am gesamten Haushaltsvolumen nie sehr kostspielig war, v.a. im Vergleich zu den Steuerentlastung für Vermögende oder den Rüstungsausgaben.

[30] >Ich halte nichts von einem sicheren Anspruch auf Sozialhilfe [...] Dies bringt die Leute zum Schulabbruch, in die Kriminalität, in das Drogenmilieu usw. Es ist eine fürchterliche Strafe<, zitiert nach Peck 1999 (203).

[31] Folge davon ist die >signifikante Abbrecherquote< innerhalb der Workfare-Programme (Peck 1999, 201).

[32] Ein leitender Mitarbeiter der Sozialbehörde in Riverside/Kalifornien formulierte es wie folgt: >Wie bescheiden auch immer die jeweils ausgeübte Tätigkeit ausfällt, sie lehrt und verstärkt sehr einfache und doch wesentliche Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche und für ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis notwendig sind< (zitiert nach Peck 1999, 198).

[33] In diesem Zusammenhang erklärt sich auch die neoliberale These einer notwendigen >natürlichen< Arbeitslosigkeit.

[34] Kompensiert wird das Absinken der Löhne z.T. durch die Einkommenstransfers aus dem Earned Income Tax Credit.

[35] Das Gramm-Rudman-Hollingsgesetz von 1985 sollte mit automatischen Ausgabenkürzungen unabhängig von der konjunkturellen Lage binnen sechs Jahren einen ausgeglichenen Haushalt realisieren. Das Gesetz wurde jedoch aufgrund seiner prozyklischen Wirkung in Rezessionsphasen nie konsequent angewandt.

[36] >Im Kern bedeutet dies, dass man sich aus einem Haushaltsdefizit letztlich nicht `heraussparen´ kann, sondern `herauswachsen´ muss<. (DIW 1999, 233)

[37] Gern et.al. (1999, 257) vom neoliberalen Kieler Institut für Weltwirtschaft prognostizieren für 2000 eine Anhebung des Zinsniveaus auf 5,75%.

[38] Der Exportanteil der USA am BIP fällt aufgrund ihres großen inneren Marktes grundsätzlich vergleichsweise gering aus; mit seinen 13% (Deutschland 28%; Adams/Lösche 1998, 591) stellt er jedoch eine keinesfalls zu vernachlässigende Größe dar. 10% Exportwachstum entsprechen immerhin etwa einem Prozent Wirtschaftswachstum (bei Wachstumsraten von 2-2,5% jährlich während der 900er Jahre). Die asiatische Krise hat in den USA zu einem Exportrückgang von 20% geführt. Aufgrund des dennoch geringen Anteils am BIP, ist für stabiles Wachstum die Binnenkonjunktur in den USA von noch größerer Bedeutung als beispielsweise in Deutschland. Die Bedeutung des inneren Marktes wird auch an der japanischen Ökonomie sichtbar, die trotz hoher Exportquoten aufgrund ihrer schwachen Binnenkonjunktur nicht aus der Rezession herauskommt.

[39] Für den Zeitraum 1989 bis 1999 ergibt sich nur ein Wert von 1,3% jährlich (aktaulisierte Berechnung auf der Grundlage von Schäfer 1999, 7).

[40] >It does not look possible for corporate earnings in real terms to continue to rise indefinitely at an annual rate of close to 10 per cent as they have done on average during the 1990s; indeed, they slowed appreciably during 1998… thus making the stock market vulnerable for correction< (OECD 1999, 20, Hervorhebung M.C.).

[41] Damit hat sich der Dow-Jones-Index seit 1992 fast vervierfacht. Der Nasdaq-Index der amerikanischen Technologiewerte ist allein im vergangenen Jahr um 86% auf 4069 Punkte explodiert.

[42] Aufgrund eines fallenden Auslastungsgrades, voraussichtlich sinkenden Konsum (1,9% Zuwachs im Jahr 2000) und reduzierter Wachstumsaussichten (2,0%, OECD 1999, VIII bzw. 39) hat der Unternehmenssektor sein Sparvolumen erheblich ausgeweitet (Gern et.al. 1999, 259) und nutzt es für en Rückkauf von Aktien.

[43] Die Wall Street-Hausse der letzten Jahre ist also in entscheidendem Maße vom selben Kapital getrieben, welches Asien in eine tiefe Finanzkrise und Rezession trieb.

[44] Die Überbewertung bemisst sich am Verhältnis vom Aktienkursen in realen Preisen und Profiten der börsennotierten Unternehmen. Dieses Verhältnis erreicht heute Rekordhöhen, die nur zur Zeit der großen Depression 1932 noch übertroffen wurde, als die Profite gegen Null tendierten und Aktien dennoch ihren Wert halten konnten (Henwood 1999. 129).

[45] Hier erreicht das Verhältnis von Aktienwerten und Profiten aberwitzige Höhen. Die Marktkapitalisierung von Priceline.com, einem Unternehmen, das Flugtickets via Internet anbietet, erreichte im vergangenen Jahr trotz minimaler Profite den doppelten Wert von United Airlines. Yahoo wurde ein Drittel höher notiert als Boeing und die kleine Firma eBay – mit einem Kurs/Profit-Verhältnis von 9571 - genauso wie CBS (Henwood 1999, 129). Diese Entwicklung macht es heute AOL möglich (mit einer Marktkapitalisierung, welche die von Gereral Motors und Ford zusammen übertrifft) den wesentlich größeren Time-Warner-Konzern zu übernehmen.

[46] »d.h. nicht bis zu einem engen ökonomisch-korporativen Interesse«, in der die ökonomische Struktur der Basis ihr ursprüngliches Primat bewahrt (Gramsci 1992: 1584).

[47] Einige lesenswerte Passagen zur diskursiven Politik der New Democrats finden sich bei (Faux 1999).

[48]