Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Globalisierung CANCUN in unserem Kopf

Vom Erfolg des Scheiterns der 5. Ministerkonferenz der WTO in Mexiko. von Ronald Höhner

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Ronald Höhner,

Erschienen

September 2003

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Vom Erfolg des Scheiterns der 5. Ministerkonferenz der WTO in Mexiko

+++ Cancun/Mexiko, Sonntag, 14. September 2003, Nachmittag, Ortszeit +++:

Die 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation ist gescheitert. Freude, Enttäuschung und Wut prägen die Emotionen im Hochsicherheitstagungszentrum des mexikanischen Badeortes Cancun. Offene Freude und Erleichterung herrscht bei den NGO-VertreterInnen, aber auch unübersehbar bei Delegierten aus Entwicklungsländern. Wütend oder pikiert zeigten sich die Verhandlungsführer Robert Zoellick (USA) und Pascal Lamy (EU) in ihren Reaktionen. Enttäuschung stand vor allem den Industrievertretern in den Gesichtern und auch Superminister Wolfgang Clement guckte wenig zufrieden drein.

Damit ist nach Seattle bereits die zweite von 5 Ministerkonferenzen seit 1995 ergebnislos zu Ende gegangen und die Streitpunkte waren ähnliche wie vor 4 Jahren. Während die eine und große Seite der Welt über die Landwirtschaft verhandeln wollte, forderte die andere viel kleinere Seite der Welt als Gegenleistung Regelungen für Investitionen und globale Ausschreibungsverfahren. Dieser Streit war lange vorher absehbar, die widersprüchlichen Interessenslagen bekannt und doch hatten wohl nur wenige vorhergesagt, dass dieser Welthandelskonflikt tatsächlich zwischen einer kleinen Zahl von Entwicklungs- und Schwellenländern auf der einen und der Quad (USA, Kanada, EU, Japan) auf der anderen Seite auf dieser Konferenz ausgetragen würde.

Liest man die Verhandlungsberichterstattung, so bestand die Taktik der Quad darin, mit einem wenig ausgewogen zu nennenden Verhandlungsangebot in die Tagung zu gehen, Widerstand einzukalkulieren und mit Verwässerungen zu einem Ergebnis zu kommen, dass die heimische Landwirtschaft schützt und den Weg freimacht für ein Investitionsschutzabkommen. Doch es kam anders.

Insgesamt 21 Länder des Südens, unter ihnen die Schwergewichte China, Indien und Brasilien, legten einen eigenen Beschlussentwurf vor, hinter dem sich im Konferenzverlauf viele Entwicklungsländer sammeln konnten. Im Kern beinhaltet dieser die Rücknahme der Zölle und Subventionen im Agrarbereich im Norden und Verhandlungen über Investitionsschutz erst dann aufzunehmen, wenn die Modalitäten, das Ziel und der Rahmen im Konsens beschlossen sind. Diese Forderung entspricht weitgehend der Beschlusslage von Doha 2001, also ist kaum als unannehmbar zu bezeichnen und trotzdem schien ein Kompromiss unmöglich. Dies mag vor allem daran liegen, dass die Quad-Länder selbst nur eine wenig belastbare Zweckgemeinschaft darstellen, die nur mit viel Mühe zuletzt im Juni in Evian beim G8-Gipfel eine gemeinsame Position zu Stande gebracht haben. Demgegenüber haben mehr als 70 Entwicklungsländer erklärt, über Investitionsschutz nicht verhandeln zu wollen. Das zeigt eine Veränderung der Kräfteverhältnisse und den Unwillen, sich wie in Doha auf faule Kompromisse einzulassen.

So wurde diese Situation nicht mit Verhandlungen zwischen den Fronten sondern mit bewährteren Mitteln zu lösen gesucht, nämlich durch Druck auf einzelne Delegationen. Man hört, Washington hätte auch persönlich zur nächtlichen Zeit bei Brasiliens Präsident Lula angerufen und höflichst um Rücknahme des Vorschlages gebeten.

Als die Quad-Länder am Samstag ein überarbeitetes Papier vorlegten, welches wesentliche Kritik des Südens immer noch ignorierte, war das dann doch zu viel, die Druck-Strategie versagte und einige Entwicklungsländer sagten offen NEIN zu diesem als Provokation empfundenen Entwurf. Als die Delegation Kenias die Konferenz verließ, war das Scheitern nicht mehr aufzuhalten. Am Ende wurde eine Erklärung verabschiedet, die zum einen Nepal und Kambodscha als neue Mitglieder willkommen heißt und Mexiko für die Organisation dankt.

Anders als noch vor zwei Jahren in Doha hielt die Koalition des Südens bis zuletzt und erfreute sich wachsender Sympathie und Unterstützung der meisten Delegationen, der Tausenden Demonstranten 10 km entfernt an den "Festungsmauern" und der per Internet und Telefon beteiligten AktivistInnen in allen Teilen der Welt.

In nächster Zeit werden nun viele Spekulationen, Experteninterviews und Feuilletontexte namhafter Zeitgenossen die Medien füllen, welch fatale Folgen oder auch Chancen dieses Scheitern haben könnte. Die EU attackiert offen das Konsensprinzip in der WTO, die USA wissen ohnehin, dass multilaterale Abkommen nichts bringen und treiben lieber unilateral die Freihandelszone ALCA voran. Die Entwicklungsländer sind schuld am neuaufbrechendem Nord-Süd-Konflikt und bekommen nun erst Recht nicht mehr Marktzugang für ihre Exportprodukte aus der Landwirtschaft, die sie für den Schuldendienst so dringend brauchen. Dies alles ist die Geschichte der Mächtigen, die versuchen, mit Schuldzuweisungen und Szenarien ihre Macht und die WTO zu retten. Sie vermitteln damit den Eindruck, ohne sie würde alles im Chaos versinken und schlechter werden, was letztlich nur konsequent mit anderen Worten die propagierte Alternativlosigkeit ihrer Politik bestätigt.

Aber es gibt auch eine andere Geschichte, eine Erfolgsgeschichte, nämlich die der Ohnmächtigen. Sicher, und das darf auch nicht kleingeredet werden, hat eine globalisierungskritische weltweite Bewegung eine Aktie am Konferenzverlauf und guten Grund an diesem Erfolg zu wachsen und diesen zu feiern. Die Gefahr ist jedoch groß, dass Scheitern als eine Art Sieg zu verklären. Wer hat eigentlich gekämpft? Ist die WTO nicht an sich selbst gescheitert? Außerdem implizierte das die Vorstellung, eigenes Handeln könne sich aufs Sympathisieren oder auch Wählen beschränken. Das mag logisch sein, denn es entspricht exakt unserem erlernten Demokratiemodell. Nur, dieses Modell ist zum Bewahren konstruiert, nicht zum Verändern!

Zunächst bleibt festzuhalten, die WTO ist nach Cancun nicht abgeschafft, es wird noch nicht mal Sozial- und Umweltstandards geben und eine Institution, die eine bessere Handelspolitik machen würde, ist nicht in Sicht. Die Regierungen in vielen Entwicklungsländern machen auch weiterhin Politik gegen die Interessen ihres Volkes und die geforderten besseren Bedingungen für Agrarexporte aus dem Süden schwächen in der Konsequenz die einheimische Versorgungslage mit Grundnahrungsmitteln immer weiter. Die Einbeziehung öffentlicher Dienstleistungen in den GATS-Vertrag wird weiterverhandelt und alle bestehenden Abkommen bleiben in Kraft. Auch wenn der Globalisierungsmotor stottert, er läuft immer noch in die gleiche Richtung. Es folgen eben nur 2 Jahre Stillstand was die Ausweitung der Verhandlungsagenda angeht. Dafür zahlen jedoch z.B. in Agrarfragen insbesondere die Entwicklungsländer und das meint die dort lebenden Menschen einen sehr hohen Preis. Scheitern heißt letztlich auch keine Verbesserungen für den Süden.

Worin liegt dann aber der eigentliche Erfolg? Er ist erst einmal nur darin zu sehen, dass eine gewichtige Stimme in dieser Welt wahrnehmbar anzweifelt, dass Globalisierung á la WTO Wohlstand für alle bedeutet oder dass Freihandel der Schlüssel zur Lösung der Menschheitsprobleme sei. Mit dem Scheitern wurde so konkrete Geschichtsschreibung verhindert und es bleibt ein Stück Zukunftsmöglichkeit erhalten, auch für eine Zukunft jenseits des unbedingten Freihandels und einer Welt der Konzerne. Ob Cancun jedoch der Beginn der Ermöglichung einer anderen Welt sein kann, das werden Kräfteverhältnisse in vielen lokalen Kämpfen entscheiden müssen. Mit anderen Worten ist auch die Zukunft denkbar, dass bis zur nächsten Konferenz in 2005 alle Länder wieder eingeschwenkt sind. Der Erfolg muss also erst gemacht werden, er liegt in unserer Verantwortung.

Mit Cancun scheitert vorerst zum zweiten Mal die WTO-Verhandlung über einen globalen Investitionsschutz. Aber auch die Freihandelslogik als solche, die letztlich auch der Bundes-, Landes- und auch Kommunalpolitik zu Grunde liegt, bekommt arge Kratzer. Es besteht die Chance, globalisierungskritische und entwicklungspolitische Stimmen in den Parteien und meinungsführenden Organisationen wiederzubeleben und zu stärken. Das passiert jedoch nicht von selbst. Wie gesagt, das Scheitern von Cancun schafft nur den Freiraum - handeln müssen wir alleine. Für die nächste Zeit heißt das konkret, der Geschichte der Macht in den Medien eine andere Geschichte hörbar entgegen zu setzen. Dabei können wir auf der Ebene einer globalisierten Welt nur wenig ausrichten.

Aber in unseren kleinen Welten, in denen wir leben, dort sind wir selbst die Akteure, bestimmen das Funktionieren mit und tragen eine Verantwortung dafür. Unser "Cancun" in unserer kleinen Welt heißt dann z.B. Agenda 2010 oder Selbstverpflichtung der Wirtschaft, bietet die Patentrezepte Eigenbeteiligung und Privatisierung und bedeutet letztlich doch nur Umverteilung von unten nach oben und Entdemokratisierung. Fangen wir erst mal damit an und begehren auf gegen die plakatierten Lügen der Macht, dagegen dass Arbeitszeitverlängerung mehr Arbeitsplätze bringt, dagegen, dass die Agenda 2010 familienfreundlich ist, dagegen, dass ein Sicherheitsstaat unsere Freiheit garantiert und dagegen, dass es keine Alternative zur Globalisierung gibt. Dieses Wehren beginnt im eigenen Kopf, reibt sich in alltäglichen Diskussionen im Arbeits- und sozialen Umfeld und befähigt zum gemeinsamen Handeln. Es geht also um nichts weniger, als den Mut, wieder die eigenen Vorstellungen und vor allem Werte zum Gradmesser des eigenen Weltbildes zu machen, statt der allgegenwärtigen Sachzwanglogik der Globalisierung. So lässt sich auch eine noch so unangreifbar scheinende Globalisierung in Frage stellen und letztlich mit friedlichen Mitteln alternativ gestalten.