Publikation Gesellschaftstheorie - Geschichte - Parteien- / Bewegungsgeschichte Rodney Arismendi, ein Theoretiker, Revolutionär

Artikel anlässlich der Internationalen Konferenz "Gültigkeit und Aktualisierung des Marxismus im Schaffen von Rodney Arismendi" in Montevideo 2001. von Prof. Dr. Helmar Chrenko, Lateinamerikanistin

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Erschienen

Januar 2002

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Internationale Konferenz

"Gültigkeit und Aktualisierung des Marxismus im Schaffen von Rodney Arismendi" in Montevideo 2001

 

Prof. Dr. Helmar Chrenko ist Lateinamerikanistin Rodney Arismendi wurde am 21. März 1913 in der uruguayischen Kleinstadt Río Branco, nahe der Grenze zu Brasilien, geboren. Schon als Schüler betätigte er sich politisch und gehörte 1925 zu den Mitbegründern der ersten fortschrittlichen Schülervereinigung "Centro de Orientación Estudiantil" in Melo, der Departmentshauptstadt. Als Jurastudent an der Universität von Montevideo, wo er sich an der Organisation der "Revolutionären Studentenbewegung" beteiligte, später an der Schaffung der "Roten Studentenvereinigung", trat er 1931 in die Kommunistische Partei Uruguays ein. In diesen Jahren der Kämpfe gegen reaktionäre Diktaturen, gegen den Vormarsch des Faschismus ab 1933 und gegen den Krieg, in der Solidaritätsbewegung für die spanische Republik und für die Sowjetunion, mehrmals verhaftet und gefoltert, übernahm er immer größere Aufgaben in der Partei und in der Massenbewegung, die seine Fähigkeiten zeigten, breite demokratische Bewegungen zusammenzuschließen und zu führen. Seine brillanten und polemischen Artikel als verantwortlicher Redakteur der Parteizeitung brachten ihm 56 Anklagen ein, schließlich eine Gefängnisstrafe von 6 Jahren, der er sich aber entzog, bis er 1946 auf Druck der öffentlichen Meinung amnestiert wurde. In diesem Jahr wurde er ins Parlament gewählt und gehörte ihm 27 Jahre lang, bis zur Errichtung der Militärdiktatur in Uruguay 1973, in ununterbrochener Folge an. Sein unerschütterliches Eintreten für die demokratischen Rechte und Freiheiten, für die Rechte der Arbeiter, für eine demokratische Bildung, gegen politische Korruption und Amtsmißbrauch der Herrschenden, gegen die imperialistische Durchdringung der Wirtschaft des Landes, vor allem der Fleischindustrie, brachten ihm in allen politischen Kreisen, selbst unter politischen Gegnern, hohe Achtung ein. Nicht wenige Sozialgesetze Uruguays in diesen Jahren sind mit seiner Initiative entstanden, immer im engen Kontakt mit den arbeitenden Menschen, die ihn als einen der Ihren betrachteten.

Im Oktober 1955, auf dem Höhepunkt einer tiefen Krise seiner Partei, wurde er an die Spitze der KP Uruguays gewählt, die seiner Führungstätigkeit ein bedeutendes Wachstum in organisatorischer und theoretischer Hinsicht und eine steigende Anerkennung und immer engere Verbindung mit den anderen demokratischen und fortschrittlichen Kräften zu verdanken hat. Das Ansehen der Partei in der Gewerkschaftsbewegung, aber auch in intellektuellen Kreisen und an den Universitäten wuchs. Seit 1957 erschien unter Arismendis Leitung die hervorragende theoretische Zeitschrift "Estudios", die unter den progressiven Kräften Lateinamerikas großen Einfluß gewann, die Jahre der Militärdiktatur 1973-1984 überstand und bis heute existiert, allerdings nur noch sporadisch erscheinen kann. In "Estudios" wurden viele der publizistischen und theoretischen Arbeiten Arismendis erstmals veröffentlicht. In einer kaum überschaubaren Anzahl von Büchern und Schriften, in unzähligen Reden auf Arbeiterversammlungen, Studententreffen, politischen Foren, auf vielen internationalen Konferenzen fand dieser hervorragende Redner den Zugang zu den Menschen und setzte sich ein für die Einheit, für eine fortgeschrittene Demokratie, für antiimperialistische Solidarität, seit den 80er Jahren auch immer drängender für die Erneuerung der kommunistischen Bewegung. Er wurde zu einem der führenden Theoretiker und Politiker der lateinamerikanischen Linken.

Arismendi beschäftigte sich von Beginn seines Schaffens an mit Problemen der revolutionären Bewegung Lateinamerikas als Ganzes, er dachte stets im Maßstab des Kontinents und der "kontinentalen Revolution", ein zentraler Begriff bei ihm. Er analysierte den Zusammenhang und die gemeinsamen Probleme des Kampfes der lateinamerikanischen Völker und entwickelte seine Antworten darauf aus dem marxistischen Denken, das er niemals als vorgefertigte Denkschablone oder Dogmensammlung ansah, sondern den neuen Fragestellungen der Realität entsprechend schöpferisch zu entwickeln bestrebt war, auf der Basis gründlicher ökonomischer und politischer Analysen. Große Beachtung fand international seine Analyse des lateinamerikanischen Faschismus.

Rodney Arismendi hatte einen großen Anteil an der Entstehung der Frente Amplio in Uruguay im Jahre 1971, der Breiten Front, in der Sozialisten, Kommunisten, Christdemokraten und linke Christen, fortschrittliche Künstler und Intellektuelle für ein neues Uruguay, für Demokratie und soziale Gerechtigkeit zusammenarbeiten. Die Frente stand an der Spitze des Widerstandes gegen das faschistischen Militärregime, das im Juli 1973 durch einen Putsch an die Macht gelangte, hielt auch im Exil zusammen und erreichte nach der Wiederherstellung der Demokratie in Uruguay in jeder Wahl bessere Ergebnisse; im November 2000 stand sie bereits dicht vor einem Wahlsieg, der nur durch eine Wahlgesetzänderung verhindert werden konnte. Seit 1990 regiert die Frente Amplio die Hauptstadt Montevideo, mit steigender Zustimmung der Bürger.

Rodney Arismendi starb am 27. Dezember 1989, er konnte sein Amt als gewählter Senator für die Frente Amplio (der Senat entspricht in Uruguay etwa dem Oberhaus) nicht mehr antreten. Er hinterließ ein umfangreiches Werk von kürzeren Aufsätzen und umfangreicheren Schriften, die in verschiedenen Ländern auch in Sammelbänden erschienen sind, zum Teil von ihm selbst zusammengestellt, so "Lenin, die Revolution und Lateinamerika" (1970) und "Probleme einer kontinentalen Revolution" (1962). Zu den Klassikern des lateinamerikanischen antiimperialistischen Denkens gehört seine Arbeit "Para un prontuario del dolar" ("Für ein Handbuch des Dollars") von 1947 gegen den Truman-Plan zur Militarisierung des Kontinents, die die deutlichen Spuren der ideologischen Konfrontation zu Beginn des Kalten Krieges trägt und doch, wenn man die berüchtigten "Dokumente von Santa Fé" der außenpolitischen Berater der US-Regierung liest, sehr zeitnah erscheint . Ein große Verbreitung haben Schriften gefunden wie "Uruguay und Lateinamerika in den siebziger Jahren" (1973), "Einige Betrachtungen über den Faschismus der Gegenwart in Lateinamerika" (1976), "Völkerfrühling in Nikaragua" (1979) oder "Marx und die Herausforderungen der Epoche" (1983). Die Arismendi-Stiftung in Montevideo, die dankenswerterweise in den letzten Jahren die obengenannten Werke neu editiert hat, hat auch eine Sammlung von Reden und Schriften Rodney Arismendis aus den Jahren 1955-1989 unter dem Titel "Die Herstellung der Einheit der Linken" (1999) herausgegeben. Eine Herausgabe von Parlamentsreden Arismendis, die eine Fundgrube zeitgeschichtlicher Details darstellen, wurde vom Abgeordnetenhaus Uruguays als Ehrung für sein langjähriges Mitglied 1990 beschlossen.