Publikation Nachhaltigkeit - Begriff und gesellschaftliche Handlungsstrategien

von Evelin Wittich

Information

Reihe

Online-Publ.

Autorin

Evelin Wittich,

Erschienen

März 2001

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Nur online verfügbar

Thema:

Nachhaltigkeit

Treffen sich zwei Planeten im Weltraum.

Fragt der eine den anderen: "Hallo Erde, wie geht's denn so?"

Antwortet die Erde: "Na ja, ich hab Humanoide."

Erwidert der andere: "Ach, das geht vorbei!"

Diesen Witz gab ein Referent auf dem Workshop der Rosa Luxemburg Stiftung am 23./24. Februar 2001 zum Besten, und Dr. Edgar Göll vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin, der die Situation in puncto Nachhaltigkeit seit der Konferenz von Rio bilanzierte, malte wahrhaftig kein optimistisches Bild. Einige Teilnehmer fanden es dennoch zu rosig. Prof. Volker Lüderitz von der Fachhochschule Magdeburg und Vorsitzender des BUND in Sachsen-Anhalt sieht eigentlich kaum noch realistische Chancen für eine radikale Wende zu nachhaltiger Entwicklung und damit für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit. Er will sich damit aber nicht abfinden und lässt in seinem Kampf um Aufklärung nicht locker. "Ich kann zwar wenig tun. Aber ich will nicht daran schuld sein!" - so sein Credo.

Etwas tun für die Entwicklung von Handlungsstrategien aus sozialistischer Perspektive wollten offenbar alle der 57 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Arbeits- und Bildungstreffen. Dr. Rainer Land gab zunächst einen Einblick in die Vielfalt der Begriffsdefinitionen von Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Handlungsstrategien. Nachhaltige Entwicklung setzt für ihn voraus, dass Kapitalverwertung, Ökologie und soziale Entwicklung voneinander partizipieren. Möglich sei das nur durch einen Selbstorganisationsprozess, nicht durch zentralistische Regelung. Während seine Aussage, dass eine nachhaltige Entwicklung unter den gegenwärtigen kapitalistischen Bedingungen der Kapitalverwertung nicht möglich ist, auf ungeteilte Zustimmung traf, gab es Widerspruch zu seinen Vorstellungen zur Zertifizierung von Ressourcen. Viele grundsätzliche Probleme wurden von Land angesprochen, z.B. die Notwendigkeit einer Neuregelung der Eigentumsverhältnisse an Ressourcen und die Unterscheidung von Nutzungsrechten und Eigentum. Die fundamentale Arbeit an Begriffen forderte Prof. Hubert Laitko ein, und sicher wird er selbst dabei kräftig mitwirken.

Mit besonderem Engagement diskutierte der Workshop die Fragen von Nachhaltigkeit und sozialistischer Programmatik. Prof. Dieter Klein bot den Zuhörerinnen und Zuhörern so ausgereifte Vorstellungen für das Herangehen, dass er prinzipiell auf große Zustimmung stieß und die Basis für eine äußerst konstruktive Debatte legte. Seine grundsätzliche Frage: Was braucht ein freier, gleicher Mensch für ein menschenwürdiges Leben? war Ausgangspunkt für die Diskussion. Gleich nach der physischen Unversehrtheit menschlichen Lebens, also den Ausschluss von Krieg und Gewalt in der Gesellschaft, bezeichnete er die Umwelt als das am meisten gefährdete Gut. Dazu gehören auch gleicher, gesicherter Zugang für alle zu existenzsichernder Arbeit, zu Bildung, Wissen und Kultur ebenso wie die Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme. Breiten Raum nahmen die Fragen des unmittelbaren Zusammenhangs von demokratischem Sozialismus und Nachhaltigkeit ein und das, was dazu im Programm einer sozialistischen Partei verankert sein sollte. Welcher gesellschaftliche Entwicklungspfad ergibt sich, wenn ökologischer Umbau in sozialer Sicherheit erfolgen soll bei ökonomischer Effizienz? Wie kann die Profitdominanz gebrochen werden? Wie sieht der Beitrag aus, der dabei zu internationaler Gerechtigkeit - dem gleichen Recht auf Umweltbelastung - geleistet werden muss? Diese Fragen und Forderungen nach einem grundlegenden Wandel von Lebensweisen, einem ganz besonderen Typ von Regionalisierung sowie einer Technologiepolitik, die sich an den Kriterien einer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit orientiert und einen Transfer zur Reduzierung des Nord-Süd-Gefälles bewirkt, wurden eindrucksvoll beleuchtet.

Die Vorträge im Plenum am 24. 2. konzentrierten sich weiter auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung sowie deren wesentliche Inhalte und Prinzipien (Dr. Edgar Göll), auf ökologische, ökonomische und soziale Kriterien einer auf Nachhaltigkeit gerichteten Handlungsstrategie (Prof. Volker Lüderitz) sowie auf Ergebnisse von Lokale Agenda 21-Prozessen auf der Basis von Fallstudien in Bayern und Großbritannien (Angela Oels, Otto-Suhr-Institut, FU Berlin). Die Debatten in den Arbeitsgruppen waren darauf gerichtet, die Themenkomplexe : Das Wechselverhältnis von Lokalem und Regionalem, die soziale Dimension und die ökonomische Dimension von Nachhaltigkeit vor allem unter dem Gesichtspunkt zu diskutieren, wie die Bildungsarbeit der Rosa Luxemburg Stiftung inhaltlich untersetzt werden kann und in welchen Schritten und mit welchem Zeithorizont das erfolgen soll.

Aus der Vielzahl der Überlegungen seien einige der wichtigsten genannt. Es gab Einigkeit darüber, dass aus sozialistischer Perspektive Definitionseinfluss genommen werden muss und dass bei aller Komplexität ökonomische Fragen besonderer Klärung bedürfen. Wenn dabei die internationale Komponente im Blick sein soll und die Frage nach den Spielräumen des Individuums, stehen drei Komplexe im Mittelpunkt:

  • das Verhältnis von Ökonomie, Beschäftigung und Ökologie
  • das Verhältnis von Wachstum und Ökologie einschließlich der Frage nach qualitativem Wachstum und
  • das Verhältnis von Effizienz und Konsistenz , d.h. der Zusammenhang von Ökosystem und Natur ist so anzupassen, dass keine Senken entstehen

Die Untersuchung der politischen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung wurde immer wieder als vordringlich genannt.

Es findet nach wie vor eine gewaltige Verdrängung der Probleme einer nachhaltigen Entwicklung statt. Die USA sind darin besonders stoisch. Dr. Göll stellte die These auf: Je strukturell tiefgehender und je radikaler die notwendige Lösung, umso schwieriger ist die Durchsetzung und umso stärker ist die Gegenwehr.

"Macht besteht darin, zu glauben, nicht lernen zu müssen." Diese Äußerung einer Teilnehmerin wurde allgemein geteilt. Mit der Arbeit der folgenden Workshops wollen die Akteure genau das Gegenteil: intensiv lernen.