Text der Woche 25/2002
Siehe auch www.gundi.deVor vier Jahren, in der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1998 starb Gerhard Gundermann in seinem Haus in Spreetal an einem Gehirnschlag. Trauer und Anteilnahme derer, die ihn und seine Lieder liebten, äußerten sich im Internet-Kondolenzbuch, beim Begräbnis auf dem Waldfriedhof in Hoyerswerda, beim Abschiedskonzert der Freunde auf der Freilichtbühne in Berlin-Weißensee. Auch die Medien, die bereits vorher - erstaunt von der Größe seiner "Fangemeinde" und der Intensität ihrer Bindung an den Künstler - versucht hatten, das Phänomen Gundermann zu enträtseln, berichteten. "Kultstatus im Osten" und "Mythos" lauteten die Schlüsselworte.
Wer war dieser Mann? 1955 geboren, Abitur, Offiziersschüler, wegen "fehlender Verwendungsmöglichkeit" entpflichtet, IM/Observationsobjekt der Stasi, engagiertes SED-Mitglied / 1984 ausgeschlossen, Kandidat der Vereinigten Linken zu den Volkskammerwahlen 1990. Eine politische DDR-Biografie. Ein ostdeutsches Industriearbeiterschicksal: Arbeit im Braunkohlentagebau - zunächst als ungelernter Hilfsarbeiter und später als Baggerfahrer in der Kohle, ab Mitte der 90er in einer Rückbau- und Rekultivierungsmaßnahme, dann arbeitslos und in Umschulung zum Tischler. Und immer wieder Texte, Lieder, künstlerische und kulturpolitische Aktivitäten, vom FDJ-Singeklub Hoyerswerda und der "Brigade Feuerstein" über die Zusammenarbeit mit den Wilderern und "Silly" bis zu "Gundermanns Seilschaft" und seinen Soloprogrammen. Sein letztes Konzert gab er eine Woche vor seinem Tod in der Prignitz-Gemeinde Krams.
Jede politische Generation hat ihr kulturelles Umfeld und bringt ihre künstlerischen Repräsentanten hervor. Gundermann gehörte zu denen, die Anfang der 70er starteten mit dem Anspruch, in diesem ihrem Land DDR mitzumischen und etwas Eigenes zu leisten für die Realisierung der Utopie von Gleichheit, Miteinander und Solidarität. Militanz und Aktivitätsanspruch paarten sich, sein Lied träumte von einem "posten bei der fln", es sprach vom Gerufenwerden: "wo man meine hilfe braucht, muss ich zur Stelle sein". Kollisionen konnten nicht ausbleiben. Und doch standen den Konflikten mit den Vätern immer auch Gewinne gegenüber - etwas mehr an Rationalität in der harten Arbeit der Kohleförderung, die Kreation neuer künstlerischer Formen und Orte wie der "Power-Fabrik" oder die LP-Produktion "Männer, Frauen und Maschinen".
Zum Bruch mit dem Projekt eines Sozialismus in der DDR kam es bei Gundermann so nicht, mit dem Starrsinn der Alten verdunkelte sich aber ab Mitte der 80er die Zukunftssicht: "ich weiß nicht, ob ich noch springen kann bis an eine kehle. ich weiß nicht, ob ich noch warten kann, bis die welt mich zählt". Die herbeigesehnte und mit herbeigesungene Volksbewegung des Herbstes 1989 - "es kommt der tag, da sind die kleinen groß und die großen werden tot sein" - mündete in Verhältnissen, die er sich nicht zu eigen machen wollte und konnte. Gundermann konstatierend: "es ist als hätten wir den krieg verlorn, kapituliert und abgeschworn. ringsherum qualmen scheiterhaufen, wer nicht verbrannt wird, muß sich verkaufen". Und: "die letzen werden die ersten sein, in den momenten, wo die blätter sich wenden. aber dann, aber dann werden sie wieder die letzten sein". Die Utopie aber bleibt, und gewinnt mit dem Frieden zwischen Mensch, Tier und unbelebter Natur neue, zusätzliche Dimensionen. Ihr über Eigenaktivität noch erreichbarer Realisierungsraum jedoch begrenzt sich. Publikum, Kollegen in Kunst und Arbeit, Freunde und Familie, das Ich. "Die zukunft ist ne abgeschossne kugel, auf der mein name steht und die mich treffen muß. und meine sache ist, wie ich sie fange".
Gundermann als Vehikel der Erinnerungsarbeit für die heute melancholischen 45- bis 55jährigen Ostler? Es ist wohl doch mehr. Das Landestheater Tübingen hat seit zwei Jahren ein Gundermann-Programm mit der "Randgruppencombo" im Repertoire, Radio Unerhört Marburg sendet in der Nacht vom 21. zum 22. Juni diesen Jahres ein vier- bis sechsstündiges Gundermann-Special. Wie jede große Kunst sprechen seine Texte und Lieder nicht nur die unmittelbar geografisch-politischen Zeitgenossen an. Gundermanns kraftvoll-sensible Interpretationen, seine Freude am Liedhaften und vor allem seine poetische Genauigkeit vermögen auch die Nicht-Dabeigewesenen in ihren Bann zu ziehen. In der Konkretheit seiner Geschichten und Metaphern lässt sich das Allgemeine menschlichen Suchens nach individuellem und gesellschaftlichem Glück erfassen, finden die eigenen Erfahrungen von Kraft und Gemeinschaftlichkeit, von Sehnsucht, Enttäuschung, Verzicht, von Hoffnung einen als gültig anerkannten Ausdruck. Und in Gundermanns unbedingte Ehrlichkeit machen seine Texte zugleich auf Widersprüchlichkeiten zwischen linkem Denken und Fühlen aufmerksam: Wer von "Alle oder keiner" singt und von "zurück in die höhle, da hinten ist licht", der weiß, dass es so nicht gehen wird.
Ich jedenfalls bin am 22. Juni mit Freunden beim Konzert der Tübinger Randgruppencombo vor der Alten Nationalgalerie in Berlin. Wir werden Gundermanns Lieder in der "West-Version" hören und mitsingen, uns so seiner Abwesenheit und seines Bleibens vergewissern. Und wir werden darüber reden, ob und wie es uns gelungen ist, dem Heute und Morgen einen Sinn zu geben.
Berlin, 15. Juni 2002Text der Woche 25/2002
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