Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Rassismus / Neonazismus - NSU-Komplex Staatsraison statt Aufklärung

Zur Notwendigkeit einer staatskritischen Perspektive auf den NSU-Komplex

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Reihe

Analysen (Archiv)

Autor*innen

Andreas Kallert, Vincent Gengnagel,

Erschienen

August 2017

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Seit der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 kommen in regelmäßigen Abständen skandalöse Erkenntnisse zur Rolle des Staates im NSU-Komplex ans Licht. Statt die immer länger werdende Liste sogenannter Ermittlungspannen abzuarbeiten, soll im Folgenden schlaglichtartig dargestellt werden, welche Einsichten sich aus einer strukturalistischmaterialistischen Perspektive auf den NSU-Komplex ergeben. Von besonderem Interesse sind dabei die öffentliche Verarbeitung des NSU und das viel zitierte «Vertrauen in die Behörden».

Die Ermittlungen zur Mordserie ziehen sich nun schon mehrere Jahre hin. Der Strafprozess vor dem Oberlandesgericht München wird nach mehr als 360 Verhandlungstagen voraussichtlich noch im Jahr 2017 zu Ende gehen. Obwohl im Zuge des Verfahrens immer wieder neue Teilskandale bekannt geworden sind, die auf eine mögliche Verwicklung diverser Sicherheitsbehörden und rechter Netzwerke in den NSU-Komplex hinweisen, konzentriert sich der Staatsschutzsenat inzwischen explizit nur noch auf die Klärung der Schuld der fünf Angeklagten. Auch das öffentliche Interesse an einer umfassenden Aufklärung hat kontinuierlich abgenommen: Statt um die Aufarbeitung der Rolle des Staates im NSU-Komplex geht es in der öffentlichen Debatte zunehmend nur noch um die Hauptangeklagte Beate Zschäpe: Die Frage nach ihrer individuellen Schuld wird isoliert behandelt, sodass die Untersuchung des Netzwerks des NSU aus KomplizInnen, HelferInnen und MitwisserInnen sowie die Klärung der Mitverantwortung staatlicher Behörden, unter anderem durch die von ihnen im mehr oder weniger nahen Umfeld platzierten sogenannten Vertrauensleute, weiter in den Hintergrund rücken.

Frustration und Empörung über die mindestens aufklärungsunwilligen Behörden sind daher ebenso berechtigt wie nachvollziehbar. Statt bei einer moralischen Verurteilung stehen zu bleiben, ist es dringend notwendig, einen Schritt weiter zu gehen und das behördliche und gesellschaftliche Desinteresse an einer fundamentalen Aufklärung im NSU-Komplex aus sozialwissenschaftlicher Perspektive staatskritisch einzuordnen. Eine solche staatskritische Analyse kann die journalistische Öffentlichkeit allein nicht leisten.

Inhalt

Einleitung

  1. Merkels leeres Aufklärungsversprechen und Fritsches Staatswohl-Doktrin
  2. Strukturalistisch-materialistische Perspektiven auf die Rechtslastigkeit des Staates
  3. Die Rolle der Staatsraison im NSU-Komplex
    3.1 Die «Kasseler Problematik»: Der Verfassungsschutz am Tatort
    3.2 Die «Aktion Konfetti»: Schreddern als Staatsschutz
    3.3 Vertrauen in die Behörden statt staatswohlgefährdende Aufklärung
  4. Fazit: Ohne Staatskritik keine Aufklärung

Literatur